Parlamentskorrespondenz Nr. 329 vom 22.03.2023

EU-Hauptausschuss diskutiert über Ukraine-Krieg, Migration und Energie

Bundeskanzler und EU-Ministerin informieren Abgeordnete im Vorfeld des EU-Gipfels

Wien (PK) – Bevor die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten in den kommenden zwei Tagen in Brüssel zusammentreffen, informierten Bundeskanzler Karl Nehammer und EU-Ministerin Karoline Edtstadler heute die Abgeordneten des EU-Hauptausschusses über aktuelle Themen. Im Fokus standen der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, die Wirtschafts- und Energiepolitik der EU sowie das Thema Migration.

FPÖ und SPÖ wollten der Regierung mit Anträgen auf Stellungnahme eine Verhandlungsposition mit zum EU-Gipfel geben, konnten dafür aber keine Mehrheit finden. Die Freiheitlichen forderten, dass die Regierung sich auf europäischer Ebene gegen das Verbot von Benzin- und Dieselfahrzeugen einsetzen soll. Die SPÖ sprach sich für eine grundlegende Reform des Strommarktdesigns aus, die eine Entkoppelung des Strompreises vom Gaspreis bringen sollte.

Nehammer: Ukraine akzeptiert Neutralität Österreichs

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine war eines der zentralen Themen in der Debatte. Bundeskanzler Karl Nehammer berichtete von einem Gespräch mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, in dem er ihm zugesichert habe, dass Österreich weiterhin humanitäre Hilfe leisten werde. Was einen möglichen EU-Beitritt der Ukraine betrifft, sei die österreichische Position nach wie vor klar: Es werde keine Zustimmung zu einem beschleunigtem Verfahren geben. Für die Ukraine müssten die gleichen Regeln gelten wie für die Westbalkan-Staaten, betonte Nehammer.

Das unterstrich auch EU-Ministerin Karoline Edtstadler. Sie berichtete von einem Austausch mit der stellvertretenden Ministerpräsidentin der Ukraine, bei dem der ungebrochene Ehrgeiz des Landes, der Europäischen Union beizutreten, ersichtlich gewesen sei. Dafür zolle sie der Ukraine Lob und Anerkennung, so Edtstadler. Es dürfe aber keine Ungleichbehandlung und somit kein Fast-Track-Verfahren geben. Beim gestrigen Treffen der Europa-Minister:innen sei sie die einzige gewesen, die das auch so klar ausgesprochen habe, sagte Edtstadler.

Georg Strasser (ÖVP) interessierte sich für das von Nehammer angesprochene Gespräch mit dem ukrainischen Präsidenten. Er fragte nach, welche Eindrücke der Kanzler dabei gewonnen habe. Selenskyj habe sich sehr freundschaftlich, wertschätzend für die österreichische Position und anerkennend für die bisher von Österreicher:innen geleistete Hilfe gezeigt, so Nehammer. Die Ukraine akzeptiere die österreichische Neutralität vollumfänglich. Das habe sich darin gezeigt, dass Selenskyj Österreich nicht zur Finanzierung von letaler Ausrüstung aufgefordert habe.

Die Finanzierung von Unterstützung für die Ukraine beschäftigte auch die SPÖ-Abgeordnete Katharina Kucharowits. Österreich leiste einen Beitrag zur Europäischen Friedensfazilität, aus der die Ukraine unterstützt werde. Kucharowits fragte, ob man hier genau trennen könne, wofür die österreichischen Gelder verwendet werden. Auch Axel Kassegger (FPÖ) interessierte sich dafür. Wenn mit den österreichischen Beiträgen Granaten und Artilleriegeschosse finanziert würden, gehe sich das mit der Neutralität nicht aus, so Kassegger. Auch seine Fraktionskollegin Petra Steger meinte, dass "Geld kein Mascherl" habe und stellte eine klare Trennung in Frage.

Michel Reimon (Grüne) betonte, dass Österreich dezidiert nur nicht-letale Unterstützungsmaßnahmen finanziere und das auch so niedergeschrieben sei. Es sei wichtig, sich in der Innenpolitik nicht von Propaganda treiben zu lassen, meinte Reimon. Bundeskanzler Nehammer unterstrich ebenfalls, dass mit Mitteln, die von Österreich zur Verfügung gestellt werden, nur nicht-letale Ausrüstung finanziert werden dürfe. Er erhalte regelmäßig eine Aufstellung über die Ausgaben aus der Friedensfazilität, so der Kanzler.

Kucharowits und Kassegger sprachen sich beide für baldige Friedensverhandlungen zwischen Russland und der Ukraine aus und wollten wissen, welchen Beitrag Österreich hier leiste. Derzeit sei das Umfeld für Friedensinitiativen schwierig, führte der Kanzler aus. Es gebe aber die vage Hoffnung, dass sich nach den Offensiven des Frühjahrs, durch die es zu einer Abnutzung der Streitkräfte kommen könne, ein Zeitfenster für Gespräche öffne. Nehammer berichtete von einer Initiative Brasiliens, die Österreich unterstütze. Außerdem sei er weiterhin in engem Austausch mit dem türkischen Präsidenten.

Die Vermittlungsbemühungen Chinas brachte SPÖ-Mandatar Christian Drobits ins Gespräch. Er interessierte sich mit Blick auf die derzeit forcierte Zusammenarbeit zwischen Russland und China auch für die Einschätzung des Bundeskanzlers über mögliche Waffenlieferungen. Er habe dazu derzeit keinen Wissensstand, sagte Nehammer. Er könne sich aber vorstellen, dass es dazu kommen könnte. Der indische Außenminister wiederum habe zugesichert, dass Indien Russland nicht mit Waffen unterstützen werde. Andreas Minnich (ÖVP) wies darauf hin, dass Russland von vielen internationalen Organisationen ausgeschlossen worden sei.

Nikolaus Scherak (NEOS) sprach das Vorhaben an, auf eingefrorene russische Vermögenswerte für den Wiederaufbau in der Ukraine zurückzugreifen. Aus seiner Sicht sei dieses Vorhaben juristisch komplex. Dem pflichtete EU-Ministerin Edtstadler bei. Es dürfe nie dazu kommen, dass verwendete Vermögen zurückgezahlt werden müssen, unterstrich sie. Es gebe noch keinen sichtbaren Fortschritt in dieser Frage, sagte der Bundeskanzler. Österreich fordere wie einige andere Staaten ein, dass es für die Verwendung von eingefrorenen Vermögen einen Rechtstitel brauche.

Helmut Brandstätter (NEOS) thematisierte, dass die Ukraine dringend Minensuchgeräte brauche. Das österreichische Bundesheer habe Geräte und daran ausgebildete Personen, sagte Brandstätter. Während einer Kriegshandlung könne das Bundesheer nicht zum Einsatz kommen, entgegnete Kanzler Nehammer. Für die Unterstützung der Ukraine bei der Suche nach Minen im zivilen Bereich sei das Rote Kreuz der Hauptansprechpartner Österreichs.

Brandstätter teilte die Einschätzung der EU-Ministerin mit Blick auf die Bemühungen der Ukraine, den Bedingungen für EU-Beitrittsverhandlungen zu entsprechen. Er ersuchte die Ministerin, das öffentlich mehr zu betonen. Das tue sie gerne, sagte Edtstadler. Ihr sei es ebenso ein Anliegen, auf die Bemühungen und Fortschritte der Republik Moldau hinzuweisen, so die Ministerin, die in diesem Zusammenhang über einen Besuch berichtete, nach dem sich Andrea Holzner (ÖVP) erkundigt hatte.

Migration: EU-Außengrenzschutz und Rückführungen im Fokus

Zum Thema Migration wies der Kanzler auf den EU-Sondergipfel im Februar mit aus seiner Sicht "weitreichenden Schlussfolgerungen" hin. Der bulgarische Präsident habe nun ein Schreiben an die EU gerichtet, indem er die Bemühungen darlegt, den Außengrenzschutz zu verstärken. Gleichzeitig pocht er darin auf die notwendige finanzielle Unterstützung. Nehammer werde in den kommenden zwei Tagen in Brüssel die bulgarische Position deutlich verstärken. Es sei wichtig, dass den Worten vom letzten Sondergipfel nun auch Taten folgen, sagte er. Insgesamt habe sich der Einsatz Österreichs in dieser Sache aber gelohnt, betonte der Kanzler.

"Schöne Worte, aber null Ergebnisse" ortete wiederum Axel Kassegger (FPÖ). Die Verstärkung des Außengrenzschutzes sei eine bloße Absichtserklärung. Kassegger konnte noch keine Auswirkung auf die Asylantragszahlen in Österreich erkennen.

Den von Nehammer mit der Migrationsfrage verknüpften Schengen-Beitritt von Bulgarien und Rumänien sprachen Nikolaus Scherak und Helmut Brandstätter (beide NEOS) an. In Rumänien herrsche Unverständnis für die österreichische Haltung, sagte Scherak. Aus seiner Sicht sei das Hauptproblem Ungarn, das sich bei der Registrierung von Migrant:innen nicht an die Regeln halte. Brandstätter zufolge fühlen sich die Rumän:innen als "Europäer:innen zweiter Klasse". Er befürchte negative Auswirkungen auf österreichische Unternehmen in dem Land.

Der Bundeskanzler wies darauf hin, dass die Betroffenen logischerweise anders argumentieren als Österreich. Das entspreche aber nicht unbedingt den Fakten. Er vertrete seine Position auf der Grundlage valider Berichte aus dem Innenministerium. Die von Brandstätter angesprochene Gefahr, dass österreichische Unternehmen in Rumänien geschädigt würden, sah Nehammer nicht. Es wäre nicht schlau, Firmen eines so wichtigen Investors im Land zu vergraulen, meinte er. Zur Problematik mit Ungarn sagte der Kanzler, er finde es "unerträglich", dass Österreich die Grenze kontrollieren müsse, weil sich Ungarn nicht an die Regeln halte. Er habe bereits mit Kommissionspräsidentin Ursula Von der Leyen als Hüterin der EU-Verträge gesprochen und sie gefragt, warum sie nichts dagegen unternehme. Es fehle an Datenmaterial, sei die Antwort gewesen. Nehammer habe daraufhin angeboten, Zahlen zu den Aufgriffen an der Grenze zwischen Österreich und Ungarn zu liefern.

Von Ernst Gödl (ÖVP) zu den Bemühungen Österreichs in der Zusammenarbeit mit Marokko angesprochen, führte der Kanzler aus, dass man ein Übereinkommen zustande gebracht habe, das beschleunigte Rückführungen ermögliche. Außerdem werde man die Kooperation zwischen Österreich und Marokko ausbauen.

Edtstadler hält Umgestaltung des europäischen Strommarkts für unambitioniert

Mit Blick auf die Wirtschaft und Wettbewerbsfähigkeit der EU sagte der Bundeskanzler, dass Österreich die Entwicklung einer ehrgeizigen und kompetitiven europäischen Industriepolitik sehr unterstütze. Es gehe darum, die Unabhängigkeit von fossilen Energieträgern sowie die digitale Entwicklung voranzutreiben. Die vergangene Woche von der Kommission vorgelegten Vorschläge für ein Netto-Null-Industrie-Gesetz und ein europäisches Gesetz zu kritischen Rohstoffen gehen für Nehammer in die richtige Richtung. Eine Förderung von Kernenergie lehne Österreich weiterhin ab. Es brauche aber auch Verständnis für Notwendigkeiten in anderen Ländern.

Auch Karoline Edtstadler sagte mit Blick auf die unterschiedliche Energiegewinnung in Europa, man dürfe sich kein Urteil über jemanden bilden, in dessen Lage man noch nicht gewesen sei. Die österreichische Position sei aber klar: Nuklearenergie dürfe nicht mit erneuerbarer gleichgestellt und gleichwertig gefördert werden. Für den Grünen-Mandatar Martin Litschauer sei eine solche Gleichstellung "Greenwashing" von Atomenergie.

Die von der Kommission vorgeschlagene Umgestaltung des Strommarkts bezeichnete Edtstadler als "etwas unambitioniert". Man hätte an größeren Schrauben drehen können, sagte die Ministerin. Insbesondere vermisse sie eine Entkoppelung von Strom- und Gaspreis. Diese Einschätzung teilte Katharina Kucharowits (SPÖ). Der Vorschlag sei "enttäuschend". Die Sozialdemokrat:innen brachten dazu auch einen Antrag auf Stellungnahme ein. Die EU-Kommissionspräsidentin habe bereits im Herbst 2022 festgestellt, dass der Strommarkt "nicht mehr funktioniere". Die nun vorgeschlagene Reform der Strommärkte bleibe aber weit hinter Erwartungen und Ankündigungen zurück, wird im Antrag kritisiert. Die SPÖ wollte den Bundeskanzler daher im Vorfeld des Treffens der EU-Staats- und Regierungschef:innen auffordern, sich für eine grundlegende Reform des Strommarktdesigns einzusetzen. Diese solle eine Entkoppelung des Strompreises vom Gaspreis bringen und Versorgungssicherheit, Nachhaltigkeit und Leistbarkeit verwirklichen. Der Antrag blieb mit den Stimmen von SPÖ und FPÖ in der Minderheit.

Edtstadler betonte, Österreich werde "weiter dranbleiben", um eine weitreichendere Reform voranzutreiben. Sie habe sich beim Treffen der Europa-Minister:innen etwa dafür eingesetzt, dass eine gemeinsame Einkaufsplattform für Energie endlich umgesetzt werde. Bundeskanzler Karl Nehammer ergänzte, dass der derzeitige Vorschlag der Vielfalt in der EU geschuldet sei. Es gebe mächtige Staaten, die kein Interesse haben, die Koppelung von Gas- und Strompreis aufzuheben, sagte er. Österreich habe aber mehrere Verbündete bei dieser Forderung.

Petra Steger (FPÖ) fand es "absurd", dass die EU nun wettbewerbsfähiger werden wolle, wenn sie doch in der Vergangenheit Maßnahmen gesetzt habe, die die Industrie reihenweise zur Abwanderung bewegt habe. Vor diesem Hintergrund sprach sie auch den Vorschlag der Europäischen Kommission an, wonach ab 2035 in der EU keine PKW mit Verbrennungsmotor mehr auf den Markt gebracht werden dürfen. Steger fand es positiv, dass der Kanzler in seiner "Rede zur Zukunft der Nation" angekündigt habe, gegen ein solches Aus für Verbrennungsmotoren zu stimmen. Um diese Position verbindlich zu machen, brachten die Freiheitlichen auch einen Antrag auf Stellungnahme ein. Die österreichische Bundesregierung solle sich auf europäischer Ebene gegen das von der Kommission forcierte Verbot von Benzin- und Dieselfahrzeugen positionieren und einem derartigen Vorschlag eine deutliche Absage erteilen, lautete die Forderung. Der Antrag fand keine Zustimmung.

Nehammer plädierte insbesondere mit Blick auf E-Fuels für Technologieoffenheit und zeigte ich froh über die laufende Diskussion auf europäischer Ebene. Jakob Schwarz (Grüne) meinte, die Stärke der EU sei es, über berechtigte einzelstaatliche Interessen hinauszugehen und zu einer gemeinsamen, besseren Lösung zu kommen. Aus seiner Sicht sollte die Union beim Aus für Verbrennungsmotoren nicht auf einen Minimalkonsens zurückfallen.

Petra Bayr (SPÖ) sprach das Thema Rohstoffe an und strich hervor, dass diese besonders im Bereich der Digitalisierung oft unter Bedingungen abgebaut werden, die nicht menschenrechtlichen und ökologischen Standards entsprechen. Der Bundeskanzler bezeichnete dieses Thema als "sensibel". Es gelte, Lösungen zu finden. Bei der Transformation in der Industriepolitik, speziell in puncto Klimaneutralität, dürfe man nicht auf die Arbeitnehmer:innen und notwendige Qualifizierungsmaßnahmen vergessen, betonte Christian Oxonitsch (SPÖ). (Schluss) kar