Parlamentskorrespondenz Nr. 424 vom 18.04.2023

Gesundheitsausschuss: ÖVP und Grüne vertagen Forderungen der Opposition

Themen: Fehlgeburt, Trinkwasser, Lebensmittelmarketing, Arzneimittel, Vorsorge, Pubertätsblocker, Medizinalhanf und Schulmilch

Wien (PK) – Kein grünes Licht gab es heute für zahlreiche Forderungen der Opposition im Gesundheitsausschuss. Mit der Stimmenmehrheit von ÖVP und Grünen wurden diese vertagt und damit auf die Wartebank geschoben. Dies betraf Forderungen der SPÖ für Hilfe für Frauen bei einem Schwangerschaftsverlust, nach einem jährlichen Trinkwasser-Bericht und nach Vorgaben für an Kinder gerichtetes Lebensmittelmarketing. Die Freiheitlichen thematisierten wie die NEOS Maßnahmen gegen die Arzneimittel-Knappheit. Zudem sprach sich die FPÖ für den Ausbau der Krebs-Früherkennungsprogramme sowie der automatischen Einladungen zu Vorsorgeuntersuchungen, für eine Kostenerstattung für Fahrten zu Therapieeinrichtungen und für ein Verbot der Off-Label-Verschreibung von "Pubertätsblockern" aus. Außerdem diskutierten die Abgeordneten die NEOS-Forderungen für die Verordnung von Medizinalhanf, zur Aufhebung eines Erlasses zur Handhabung von CBD und die Überarbeitung der Aufklärungsmaterialen von der Schulmilchaktion.

SPÖ: Hilfe für Frauen nach Schwangerschaftsverlust

Frauen mit Fehlgeburten seien gegenüber jenen mit Totgeburten rechtlich schlechter gestellt, kritisiert die SPÖ und fordert Verbesserungen (3152/A(E)). Wird ein Kind mit mehr als 500 Gramm tot geboren oder verstirbt es während der Geburt, spreche man von einer Totgeburt, bei weniger als 500 Gramm von einer Fehlgeburt. In letzterem Falle gebe es keinen Mutterschutz, keine kassenfinanzierte Hebammen-Betreuung und keinen Bestattungskosten-Beitrag, führen die SPÖ-Abgeordneten Eva-Maria Holzleitner und Philip Kucher an. Die physischen und psychischen Belastungen seien aber vergleichbar. Die SPÖ fordert daher, dass nicht alleine das Geburtsgewicht sondern der Geburtsvorgang selbst ausschlaggebend sein soll, um mutterschutz-rechtliche Bestimmungen anwendbar zu machen. Der Entschließungsantrag wurde mit den Stimmen von ÖVP und Grünen vertagt.

Der Geburtsvorgang und nicht das Geburtsgewicht sollten ausschlaggebend sein, unterstützte Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) in der Debatte die Forderung ihrer Fraktionskolleg:innen. Ein solcher Schicksalsschlag brauche Zeit und Unterstützung zur Stabilisierung, befürwortete auch FPÖ-Abgeordnete Rosa Ecker die SPÖ-Initiative. Es brauche eine Lösung zur Hilfe, machte Ralph Schallmeiner (Grüne) klar. Die Frage sei allerdings komplex und nicht nur eine gesundheitspolitische, plädierte er für ein gemeinsames Vorgehen der Fraktionen – etwa in Form eines gemeinsamen Antrags.

Für ein Enttabuisieren des Themas sprach sich Katharina Werner (NEOS) grundsätzlich aus. Für viele Frauen sei Arbeit in einer solchen Situation "heilsam", hinterfragte Werner aber den angestrebten Mutterschutz und das damit verbundene Beschäftigungsverbot. Dieser Kritik an dem Vorschlag schloss sich Martina Diesner-Wais (ÖVP) an.

SPÖ-Forderungen nach einem jährlichen Trinkwasser-Bericht und nach Vorgaben für an Kinder gerichtetes Lebensmittelmarketing

Ebenso mit den Stimmen von ÖVP und Grünen vertagt wurden zwei wieder aufgenommene SPÖ-Initiativen. Darin forderten die Sozialdemokrat:innen die jährliche Erstellung eines Trinkwasser-Berichts, um die Öffentlichkeit über die Trinkwasserqualität zu informieren (1448/A). Zudem setzten sie sich angesichts der Zunahme von Übergewicht und Fehlernährung für verbindliche Vorgaben für an Kinder gerichtetes Lebensmittelmarketing ein (1854/A(E)).

FPÖ und NEOS thematisieren Arzneimittelversorgung

In einem Entschließungsantrag der Freiheitlichen steht die Sicherstellung der Arzneimittelversorgung in Österreich im Mittelpunkt (3250/A(E)). So wäre es etwa erforderlich, den Notfallparagraphen im Rezeptpflichtgesetz zu ändern, damit Patient:innen ihre Therapien fortsetzen können, auch wenn die nötigen Arzneimittel nicht verfügbar sind. Dies würde eine alternative Notfallabgabe eines gleichwertigen Arzneimittels ermöglichen, argumentiert Gerhard Kaniak (FPÖ). Weitere Forderungen betreffen unter anderem die Einführung einer gesetzlichen Lieferverpflichtung für die pharmazeutische Industrie an den Großhandel sowie eine ergänzende Gebührenregelung für die amtswegige und regelmäßige Überprüfung der Nichtlieferbarkeit von Arzneimitteln, die sich im Erstattungskodex der Sozialversicherungen befinden.

Aktuell seien rund 800 Arzneimittel eingeschränkt verfügbar, berichtete Gerhard Kaniak (FPÖ) im Ausschuss. Die Verordnung erfülle daher nicht ihren Zweck, da es vor deren Einführung  eine solche Situation nicht gegeben habe. Kaniak unterstrich seine Forderungen mit einem im Zuge der Debatte eingebrachten Ausschussantrag, der gemeinsam mit dem FPÖ-Entschließungsantrag mit den Stimmen von ÖVP und Grünen vertagt wurde. Darin schlägt er ein Maßnahmenpaket vor, das unter anderem eine Neuerstellung der Verordnung zur Sicherstellung der Arzneimittelversorgung, das Erleichtern der Abgabe- und Verrechnungsbestimmungen für Apotheken, das Festlegen essentieller Arzneimittel zur Bevorratung, eine Evaluierung der Arzneimittel-Preise und Anreize für die Produktion in Europa vorsieht.

Für eine gemeinsame europäische Beschaffungsstrategie plädierte Gesundheitsminister Johannes Rauch angesichts der Größe des österreichischen Marktes. Die Rückholung der Pharmaindustrie nach Europa sei verschlafen worden und gestalte sich schwierig. Eine Herausforderung sei auch, mehr Transparenz in die Preisgestaltung zu bekommen.

Es sei eine Taskforce im Gesundheitsministerium für Lieferengpässe eingerichtet worden, berichtete Werner Saxinger (ÖVP) und plädierte dafür, die im europäischen Vergleich niedrigen Medikamentenpreise zu diskutieren. Diese seien das größte Problem in der Versorgung.

Die Regierung solle den Mut haben, den Notfallparagraphen zu reparieren, forderte Philip Kucher (SPÖ), um Apotheken aus dem "Graubereich" herauszubringen und Patient:innen besser zu versorgen.

Die geforderte Aufhebung des Exportverbots bei der gleichzeitigen Forderung, Medikamente im Land zu halten, kritisierte Ralph Schallmeiner (Grüne) und plädierte für eine gesamteuropäische Lösung und keinen nationalen Alleingang.

Angesichts der "Kampfpreis-Mentalität" der Sozialversicherungen, grundsätzlich Medikamente zu niedrigen Preisen einzukaufen, sei Österreich kein attraktiver Markt für Medikamentenhersteller, kritisierte Gerald Loacker (NEOS). Ebenso mit den Stimmen von ÖVP und Grünen vertagt wurde eine wieder aufgenommene NEOS-Forderung zur Entwicklung eines Pharmastandortkonzepts zur Verbesserung der Arzneimittel-Versorgungssicherheit (510/A(E)).

FPÖ: Ausbau der Krebs-Früherkennungsprogramme sowie der automatischen Einladungen zu Voruntersuchungen

Jeder zweite Krebstodesfall in Österreich könnte laut einer aktuellen Studie durch Vorsorgemaßnahmen vermieden werden, zeigt FPÖ-Abgeordnete Rosa Ecker in einem Entschließungsantrag auf (3287/A(E)). Es sei von großer Bedeutung, dass die angebotenen Vorsorgeuntersuchungen in Anspruch genommen werden. Die Antragstellerin schlägt daher vor, dass – ähnlich wie beim Brustkrebs-Früherkennungsprogramm – automatische Einladungen an die betroffenen Zielgruppen versandt und dass generell Krebs-Früherkennungsprogramme forciert werden. Durch Früherkennung seien auch die Heilungschancen wesentlich besser, wies Ecker im Ausschuss hin. Der Antrag wurde mit den Stimmen der Koalition vertagt.

Jede Maßnahme zur Stärkung der Gesundheit – insbesondere von Frauen – sei wichtig, befürwortete Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) den FPÖ-Vorstoß. Viele Forderungen des Antrags, wie ein besseres niederschwelligeres Einladen, würden die Sozialversicherungen bereits umsetzen, meinten Martina Diesner-Wais (ÖVP) und Ralph Schallmeiner (Grüne). Die Krankenkassen müssten zu Gesundheitskassen werden, unterstrich Katharina Werner (NEOS) die gesteigerte Bedeutung von Vorsorge. Das Nationale Screening-Komitee überlege aktuell, wie die Einladungspolitik und die Anreize verbessert werden können, berichtete Gesundheitsminister Johannes Rauch.

FPÖ will Kostenerstattung für Fahrten zu Therapieeinrichtungen

Die FPÖ fordert, dass Personen, die Kinder oder Menschen mit Behinderung zu einer Therapieeinrichtung fahren, Kilometergeld dafür erhalten (3305/A(E)). Gerade im ländlichen Raum seien Patient:innen häufig auf das private Auto angewiesen, machen Christian Ragger und Gerhard Kaniak geltend. Das bedeute hohe Kosten, die angesichts der aktuellen Treibstoffpreise immer schwieriger zu stemmen seien. Da das zuerkannte Pflegegeld oft nicht ausreiche, würden Betroffene infolge der Anfahrtskosten in die Armutsfalle rutschen. Der Antrag wurde mit den Stimmen von ÖVP und Grünen vertagt.

Die Kostenerstattung sei als tatkräftige Unterstützung wichtig, meinte Rosa Ecker (FPÖ) in der Ausschussdebatte. Auf die bereits bestehenden Kostenerstattungen wiesen Angela Baumgartner (ÖVP) und Verena Nussbaum (SPÖ) hin. Eine Erhöhung auf das amtliche Kilometergeld sei aber wünschenswert, meinte Nussbaum. Die Sozialversicherungen und die Bundesländer seien die richtigen Ansprechpartner zu dieser Frage, wies Heike Grebien (Grüne) hin.

FPÖ für Verbot der Off-Label-Verschreibung von "Pubertätsblockern"

Aus einer parlamentarischen Anfrage gehe hervor, dass Gesundheitsminister Johannes Rauch die Off-Label-Verschreibung von Medikamenten, die die Geschlechtsreife von Kindern verzögern, unterstütze, kritisiert FPÖ-Abgeordneter Gerhard Kaniak in einem Entschließungsantrag (3286/A(E)). Dies sei ein "Skandal höchster Ordnung", da diese sogenannten "Pubertätsblocker" irreversible Schäden hinterlassen können. Entschieden abzulehnen sei daher auch die Position von Rauch, wonach bereits 14-jährige selbst über die Einnahme von Hormonpräparaten entscheiden können sollen. Der Einsatz von Pubertätsblockern müsse gesetzlich ausschließlich auf medizinisch indizierte und in der Behandlung alternativlose Fälle eingeschränkt werden, unterstrich Kaniak die Forderung in der Ausschussdebatte. Die Verschreibung und Anwendung von Off-Label-Arzneimitteln in diesem Bereich sollte ausnahmslos verboten werden. Das "gesellschaftliche Experiment" kritisierte angesichts der unzureichend untersuchten möglichen Folgen auch Rosa Ecker (FPÖ). Der Antrag wurde mit  Koalitionsmehrheit vertagt.

Es sei klar, dass eine medizinische Indikation für eine Behandlung notwendig sei, für die die behandelnden Ärzt:innen die Verantwortung tragen, stellte Elisabeth Scheucher-Pichler (ÖVP) fest.

Die Darstellung der FPÖ sei falsch, es gebe klare Vorgaben für die Anwendung solcher Medikamente und die Ärzt:innen hätten die Letztentscheidung zur Verschreibung, meinten Ralph Schallmeiner (Grüne) und Mario Lindner (SPÖ) und sahen im Antrag vielmehr einen Zusammenhang mit der Politik der FPÖ gegen die LGBTIQ-Community.

NEOS wollen magistrale Zubereitung und Verordnung von Medizinalhanf ermöglichen

Derzeit sei eine medizinische Anwendung reiner Cannabisblüten nicht möglich, da diese sowohl Tetrahydrocannabinol (THC) als auch Cannabidiol (CBD) enthalten, kritisiert Gerald Loacker (NEOS) (1816/A(E)). Studien würden allerdings zeigen, dass eine Kombination aus CBD und THC bei der Behandlung von Krebserkrankungen oder bei neuropathischen Schmerzen eine höhere Wirksamkeit erziele als die Einzelnutzung eines der Wirkstoffe. Auch die WHO und der Europäische Gerichtshof hätten klargestellt, dass CBD nicht als Suchtmittel klassifiziert werden könne. Aus diesem Grund sollte eine Verordnung von Medizinalhanf und in weiterer Folge eine magistrale Zubereitung durch Apotheker:innen erlaubt werden, fordern die NEOS. Der Antrag wurde mit den Stimmen von ÖVP und Grünen ebenso vertagt wie eine weitere wieder aufgenommene NEOS-Forderung nach der Aufhebung eines Erlasses zur Handhabung von CBD (1202/A(E)).

Man hätte seit Jahren den Eindruck, dass das Gesundheitsressort einen ideologischen Zugang zu allem habe, was mit Cannabis zu tun hat, kritisierte Gerald Loacker und forderte einen "ideologie-befreiten" Zugang am Stand des Wissens. Einen solchen Zugang befürwortete auch Christian Drobits (SPÖ).

Eine Legalisierung von Cannabis sah Werner Saxinger (ÖVP) angesichts dessen Suchtpotenzials als problematisch. Es gebe mit Alkohol und Tabak bereits genügend Probleme.

Die Einstufung von CBD als Arzneimittel sollte geprüft werden, meinte Gerhard Kaniak (FPÖ), sprach sich aber gegen eine Verordnung von Medizinalhanf aufgrund des Missbrauchsanfälligkeit und eher schwierigen Handhabung aus.

NEOS für Überarbeitung der Aufklärungsmaterialen zur Schulmilchaktion

Die Schulmilchaktion habe zum Ziel, Kindern und Jugendlichen Wissen über gesunde Ernährung, Produktvielfalt, Saisonalität und Regionalität zu vermitteln. Die Folgen der Produktion tierischer Lebensmittel auf den Klimawandel oder was mit den Tieren passiert, die nicht für die Milcherzeugung gebraucht werden, würden dabei aber nicht thematisiert, kritisiert Katharina Werner (NEOS) in einem Antrag (3206/A(E)). Es sei daher notwendig, die Aufklärungsmaterialien im Hinblick auf Tier- und Klimaschutz, Kreislaufwirtschaft sowie pflanzliche Milchalternativen zu überarbeiten und altersspezifisch aufzubereiten.

Die Schulmilch sei ein wichtiges Thema, meinte Josef Hechenberger (ÖVP), man solle aber einen Legislativvorschlag der Europäischen Kommission für weitere Schritte im Bildungsbereich abwarten. Die NEOS-Initiative befürwortete Christian Drobits (SPÖ), sah aber den Landwirtschaftsminister als richtigen Adressaten hierfür. Die Schulmilchaktion sei etwas "verstaubt" und sollte unter Berücksichtigung sozialer Komponenten überarbeitet werden, meinte Clemens Stammler (Grüne). (Schluss Gesundheitsausschuss) pst