Parlamentskorrespondenz Nr. 697 vom 20.06.2023

Neu im Justizausschuss

Regierung will Einsatz von Videozuschaltungen bei Zivilverfahren und Gesellschafterversammlungen dauerhaft ermöglichen

Wien (PK) – Mit Außerkrafttreten der Corona-Bestimmungen am 30. Juni 2023 ergibt sich im Justizbereich Handlungsbedarf, um die Möglichkeit von Videozuschaltungen vor Gericht bei Zivilverfahren weiterhin sicherzustellen. Gesellschaften sollen virtuelle Zusammenkünfte ebenfalls offenstehen, auch ohne pandemiebedingte Kontakteinschränkungen.

Virtuelle Verfahren als Dauerrecht

Die Regierung erklärt ihren Novellenentwurf für virtuelle Zivilprozesse (2093 d.B.) mit der bewährten Praxis während der Corona-Pandemie. Die Übernahme dieser Regelung zur Verfahrenserleichterung in das "Dauerrecht" werde sowohl von Rechtsanwalts- als auch von Richterseite gewünscht. Die Richterin oder der Richter hat jedoch gemäß Regierungsvorlage weiterhin physisch im Verhandlungssaal anwesend zu sein, um mit einem "Aufruf zur Sache" die Verhandlung zu starten. Damit sei auch die verfassungsrechtlich gebotene Möglichkeit einer Teilnahme der Öffentlichkeit sichergestellt, heißt es in den Erklärungen zum Entwurf.

Gericht entscheidet über Einsatz von Videotechnologie

Grundsätzlich bedarf es einer gerichtlichen Anordnung zur virtuellen Abhaltung einer Verhandlung und Beweisaufnahme, wobei der Umfang der Videozuschaltungen im Ermessen des Gerichts liegt, also ob alle Parteien und deren Vertreter:innen oder bloß einzelne von diesen virtuell am Verfahren beteiligt werden. Da die Streitparteien mit dieser Vorgangsweise einverstanden sein müssen, wird ihnen ein Widerspruchsrecht ohne Begründung innerhalb einer vom Gericht festgelegten Frist eingeräumt. Daneben bietet der Entwurf die Möglichkeit, dass das Gericht die ausdrückliche Zustimmung der Parteien zur bevorstehenden Verhandlung im Videoformat einholt, ausgenommen einer virtuellen Ladung zum ersten vorbereitenden Verhandlungstag. Die Einschränkungen zur Anberaumung einer Videoverhandlung sollen laut Justizministerium sicherstellen, dass die konkrete Verhandlungssituation für den Einsatz von Videotechnologie geeignet ist. Fälle, in denen das Erscheinen einer Partei vor Gericht durch Verfahrensleitung und Sitzungspolizei gewährleistet werden muss, oder solche, in denen von einer Kamera schwer aufzunehmende Gegenstände oder Dokumente eingesehen werden müssen, betrachtet das Ministerium als eher ungeeignet für Videoverhandlungen. Außerstreitige Verfahrensmaterien (z.B. Verlassenschaft, Unterhalt, Adoption) werden wiederum als grundsätzlich geeignet für diese Verhandlungsform gewertet.

Neben der Zivilprozessordnung und dem Außerstreitgesetz werden in der vorgeschlagenen Sammelnovelle für Videoverhandlungen auch das Unterbringungsgesetz, das Heimaufenthaltsgesetz, die Insolvenzordnung, die Exekutionsordnung, das Gerichtsorganisationsgesetz und das Bundesverwaltungsgerichtsgesetz geändert. Zusätzliche Änderungen in letzterer Materie schreiben den Umlaufweg als Möglichkeit zur Abstimmung und Beschlussfassung der Senatsmitglieder bzw. der Laienrichter:innen am Bundesverwaltungsgericht fest.

IT-Investitionsbedarf bis 2027

In den detaillierten Erklärungen zum praktischen Einsatz von Videotechnologien bei Zivilverfahren unterstreicht das Justizressort, die Verarbeitung der personenbezogenen Daten bei einer Videoverhandlung erfolge im Rahmen des auch für Gerichtsverhandlungen in physischer Präsenz geltenden einschlägigen zivilgerichtlichen Verfahrensrechts. Grundsätzlich soll mit der Vorlage die Grundlage zur Gewährleistung der Datensicherheit bei mündlichen Verhandlungen im Wege von Bild- und Tonübertragungen geschaffen werden, sowohl in der ordentlichen Gerichtsbarkeit als auch vor dem Bundesverwaltungsgericht. Zur Herstellung der für die Durchführung von Videokonferenzen erforderlichen technischen Ausstattung an den Gerichten wird 2023 ein Investitionsbedarf von 350.000 € veranschlagt, der 2024 auf 1.840.000 € ansteigt, in den Folgejahren bis 2027 aber auf 720.000 € jährlich sinkt.

Virtuelles Gesellschafter-Versammlungsgesetz soll Teilnahme erleichtern

Mit einem neuen Gesetz zur Durchführung virtueller Gesellschafterversammlungen will die Regierung Kapitalgesellschaften, Genossenschaften, Vereinen sowie Versicherungsvereinen ein Wahlrecht einräumen, ob sie ihre Gesellschafterversammlungen künftig in Präsenz, virtuell oder hybrid durchführen wollen (2094 d.B.). Die während der COVID-19 Pandemie zeitlich befristete gesetzliche Grundlage für "virtuelle Versammlungen" soll somit in den geltenden Rechtskanon überführt werden, konkret ab 14. Juli 2023. Damit könne rechtsformübergreifend die passendste Versammlungsform gemäß der Regelungen im jeweiligen Gesellschaftsvertrag gewählt werden, heißt es in der Erklärung zum Gesetzesentwurf, wobei das Justizressort mit Verweis auf die unterschiedlichen Unternehmens- und Gesellschafterstrukturen mögliche Kosteneinsparungen nicht spezifizieren will.

Angemerkt wird jedoch, dass für börsennotierte Aktiengesellschaften physische Hauptversammlungen einen erheblichen Kostenfaktor darstellen. Entsprechende Zusammenkünfte im Videoformat würden somit Einsparungen von durchschnittlich 50.000 € bei Miete, Energie, Transport, Sicherheit und Verpflegung bewirken bzw. von 100.000 € und mehr bei großen Kapitalgesellschaften. Durch den Wegfall der Reisetätigkeit von Aktionär:innen würden darüber hinaus bei virtuellen Versammlungen die CO2-Emissionen deutlich reduziert, auch der Papierverbrauch sei geringer. Erwartet wird außerdem eine Erhöhung und Diversifizierung der Hauptversammlungs-Präsenz, indem einer breiten nationalen und internationalen Aktionärsbasis die Teilnahme über Videozuschaltung erleichtert wird. Für börsennotierte Aktiengesellschaften sieht die Vorlage eigene Sonderbestimmungen vor, etwa hinsichtlich Wortmeldungen und Stimmrechte. (Schluss) rei