Parlamentskorrespondenz Nr. 699 vom 20.06.2023

Hearing im Verfassungsausschuss zum Volksbegehren "GIS-Gebühr abschaffen"

Abgeordnete debattieren mit Experten über Grundsatzfragen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks

Wien (PK) – Bereits in der vergangenen Gesetzgebungsperiode war der Nationalrat mit der Forderung nach einer Abschaffung der ORF-Gebühren konfrontierte. Nun liegt ein weiteres Volksbegehren zu diesem Thema vor, zu dem heute im Verfassungsausschuss ein Hearing mit Experten stattfand. Die Initiative mit dem Titel "GIS-Gebühr abschaffen" will höchstens eine streng zweckgewidmete Gebühr zur Finanzierung des Radioprogramms Ö1 akzeptieren (1795 d.B.). Als Gründe für diese Forderung werden unter anderem eine nicht zufriedenstellende Programmqualität des ORF sowie parteipolitische Einflussnahme bei der Besetzung des Stiftungsrats und von Führungspositionen angeführt. Auch werden Zweifel geäußert, dass der ORF seinen öffentlichen Bildungsauftrag erfüllt. Weiters wird darauf hingewiesen, dass der ORF wesentliche Sportereignisse nicht übertrage.

Zum Hearing waren keine Vertreter:innen des Proponenten-Komitees erschienen, weshalb die Debatte nur zwischen den Abgeordneten und den von den Fraktionen vorgeschlagenen Experten stattfand. Zur Sprache kamen neben allgemeinen medienpolitischen Fragen auch die geplante Haushaltsabgabe und ihre möglichen Auswirkungen auf den österreichischen Medienmarkt.

Experten sehen veränderte Rahmenbedingungen für Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Auftrags

Sektionschef Albert Posch, Leiter des Verfassungsdienstes des Bundeskanzleramts, verwies darauf, dass die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs, wonach aufgrund neuer technischer Entwicklungen, wie Streaming-Angeboten, die GIS nicht mehr die gesetzlichen Vorgaben erfülle, eine neue Dynamik entstanden sei. Drei Modelle seien zur Auswahl gestanden: Nämlich die Erweiterung der bestehenden Geräteabgabe auf internetfähige Geräte, eine reine Budgetfinanzierung oder ein Modell, das auf den Wohnsitz abstellt und damit potenziell alle Haushalte erfasst. Mit dem gewählten Modell des ORF-Beitrags habe man die dritte Option gewählt. Aus seiner Sicht entspreche sie den verfassungsrechtlichen Vorgaben, umfasse alle potenziellen Nutzer:innen und stelle sicher, dass der Gesetzgeber seiner Finanzierungsverpflichtung für ein ausreichendes Angebot an öffentlich-rechtlichem Rundfunk nachkommen kann.

Rechtsanwalt Michael Pilz äußerte sich als Experte in den Bereichen Medienrecht, Urheberrecht, Wettbewerbsrecht sowie EDV- und Telekommunikationsrecht zu der im Volksbegehren formulierten Ansicht, wonach der ORF seinem öffentlich-rechtlichen Auftrag nicht mehr ausreichend nachkomme, weshalb die GIS-Gebühr ihre Berechtigung verloren habe. Das Volksbegehren spreche einige durchaus diskussionswürdige Fragen an, meinte er. Der Versorgungs-, Informations- und Unterhaltungsauftrag des ORF sei nach wie vor wichtig. Gerade in Zeiten von zunehmender Desinformation und "Fake News" sei ein starker öffentlich-rechtlicher Rundfunk erforderlich. Der private Rundfunk könne ein entsprechendes Angebot nicht in vollem Umfang leisten. Vor allem darf nach Ansicht von Pilz die demokratiebildende Funktion öffentlich-rechtlicher Medien und deren Beitrag zum öffentlichen Diskurs nicht unterschätzt werden. Das Volksbegehren weise auch zu Recht auf Probleme der Unabhängigkeit des ORF auf. Hier sei es schade, dass mit dem neuen ORF-Gesetz keine Neuregelung des Stiftungsrats vorgesehen werde. Die Kritik an parteipolitischen Einflussnahmen auf den ORF sollte durchaus ernst genommen werden.  

Universitätsprofessor Christoph Urtz, Professor im Fachbereich Öffentliches Recht und Finanzrecht an der Universität Salzburg, analysierte die neue Haushaltsabgabe aus Sicht des EU-Rechts. Diese müsse von der Europäischen Kommission genehmigt werden, da es sich technisch gesehen um eine neue Beihilfe handle. Urtz sah mehrere Probleme in der geplanten neuen Regelung. So sehe er den Gleichheitsgrundsatz mehrfach verletzt, etwa bei der Kompensation des ORF für den Entfall der Vorsteuerabzugsberechtigung. Auch sei zwar für gewisse Gruppen eine Befreiung von der Abgabe vorgesehen, für andere, wie Blinde und schwer Sehbehinderte, weiterhin nicht. Zudem könne sich für bestimmte Personen eine Doppel- und Dreifachbelastung ergeben, auch das verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz.

Universitätsprofessor Leonhard Dobusch vom Institut für Organisation und Lernen der Universität Innsbruck, ging von der Frage der grundlegenden Notwendigkeit eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks aus. Er wies darauf hin, dass sich die Begründung dafür angesichts einer sich stark verändernden Medienlandschaft ebenfalls verändere. Für Dobusch steht nicht so sehr die Frage der Qualität als die Logik des demokratischen Auftrags im Mittelpunkt. Die demokratische Öffentlichkeit profitiere davon, wenn es eine gewisse Konkurrenz zwischen privaten und öffentlich-rechtlichen Medien gebe, argumentierte Dobusch. In diesem Sinne sei die Schließung der Streaming-Lücke von Vorteil für die allgemeine Öffentlichkeit. Eine soziale Staffelung der Abgabe sei sinnvoll, wobei man die Befreiungstatbestände teilweise anders hätte regeln können. Zu fragen sei auch, wie man ein zeitgemäßes Angebot sicherstelle, das vor allem Jugendliche und junge Erwachsene erreiche, deren Medienkonsum vor allem digital erfolge.

Universitätsprofessor Nikolaus Forgó (Professor für Technologie- und Immaterialgüterrecht, Universität Wien), wertete die Tatsache, dass die Proponent:innen des Volksbegehrens nicht ins Parlament gekommen waren, als Symptom für ein Schwinden des Interesses an parlamentarischen Prozessen insgesamt. Dieser Prozess zeige sich auch im Medienkonsum, der bei jungen Menschen sich völlig verändert habe und vor allem über Online-Plattformen erfolge. Der Gesetzgeber müsste Antworten auf eine Reihe von Fragen finden. Neben dem Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit in einer veränderten Medienlandschaft gehe es darum, wie man dem Vertrauensverlust in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk entgegenwirken könne. Forgó hielt hier vor allem eine Reform der ORF-Gremien für unumgänglich, da sonst der Bedeutungsverlust des ORF unvermindert weitergehen werde.

Abgeordnete betonen demokratiepolitische Wichtigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks

Abgeordneter Kurt Egger (ÖVP) betonte, der öffentlich-rechtliche Rundfunk sei wichtiger denn je. Seine Fraktion bekenne sich daher zu einer ausreichenden ORF-Finanzierung und zur Absicherung des Qualitätsjournalismus. Die Medienvielfalt und der Fortbestand unabhängiger, investigativer Medien müssten abgesichert werden. Er interessierte sich vor allem für die Ansichten der Experten darüber, welche Funktion der öffentlich-rechtliche Rundfunk heute noch erfülle.

SPÖ-Abgeordneter Christian Drobits sagte, der öffentlich-rechtliche Rundfunk sei unverzichtbar, nicht zuletzt aufgrund seines demokratiepolitischen Auftrags. Wichtig sei daher, dass der ORF nicht zum "Anhängsel" des deutschen Medienmarktes werde, weshalb seine Wettbewerbsfähigkeit gewahrt bleiben müsse. Der ORF sei auch ein wichtiger Faktor für die Kreativwirtschaft in Österreich. Aus Sicht der SPÖ sei allerdings die soziale Staffelung der Abgabe wichtig. Drobits interessierte sich für die Meinung der Experten, wie Befreiungstatbestände festgelegt werden könnten und wo Ausweitungen noch denkbar seien.

Christian Hafenecker (FPÖ) kritisierte eine aus seiner Sicht immer stärker werdende politische Einseitigkeit in der Berichterstattung des ORF. Die Landesstudios würden von den Landeshauptleuten für "Belangsendungen in eigener Sache" missbraucht. Die geplante Haushaltsabgabe sah der Abgeordnete sehr kritisch. Sie setze falsch an, da der ORF vor einer Regelung erst zeigen hätte müssen, dass er bereit sei, ernsthaft zu sparen. Derzeit sei er ein "Moloch", dessen gesamtes Konzept zu hinterfragen sei. So sollte man darüber nachdenken, ob nicht auch andere Medienunternehmen nach Ausschreibungen öffentlich-rechtliche Aufgaben übernehmen könnten.

Eva Blimlinger (Grüne) sprach sich für einen starken öffentlichen Rundfunk aus, der gegen Fake News agieren könne. Bedauerlich sei aus demokratiepolitischer Sicht, dass man die Forderung des Volksbegehrens nicht mit den Proponent:innen diskutieren könne. Was das neue Gebührenmodell betrifft, sei der richtige Zugang einer Finanzierung durch die Allgemeinheit gewählt worden. Blimlinger hielt es für wichtig, für Kinder und Jugendliche ein erweitertes und an ihren Medienkonsum angepasstes Angebot bereitzustellen. Die Frage der ORF-Gremien sollte gesondert diskutiert werden. An die Experten richtete sie die Frage, inwieweit Befürchtungen von Printmedien und Privatsendern, dass der neue ORF-Beitrag dazu führe, dass sie "an den Rand gedrängt" werden, berechtigt seien. Sie wollte auch wissen, ob es Einschätzungen zur Entwicklung der Werbeeinahmen aufgrund des neuen Gesetzes gebe.

Angesichts einer massiv, und nicht immer zum Guten, veränderten Medienlandschaft und der zunehmenden Verbreitung von Desinformation werde ein starker öffentlich-rechtlicher Rundfunk noch wichtiger, sagte Henrike Brandstötter (NEOS). Das Volksbegehren zur Abschaffung der GIS-Gebühr spreche wichtige Punkte an, wie etwa die politische Einflussnahme. Eine Entpolitisierung des Stiftungsrats sei unbedingt notwendig. Brandstötter fragte, ob es bereits Erkenntnisse mit der Einführung einer Haushaltsabgabe in Deutschland gebe, die man auf Österreich umlegen könne.

Viele offene Fragen angesichts der starken Dynamik des Medienmarktes

In abschließenden Statements gingen die Experten auf die von den Abgeordneten angesprochenen Themen ein. Posch wies darauf hin, dass der öffentlich-rechtliche Auftrag gesetzlich sehr genau definiert sei. Vorgegeben sei, dass die öffentliche Finanzierung der Erfüllung des Kernauftrags dienen müsse, aber nicht darüber hinausgehen dürfe. Der ORF kompensiere dort, wo kein Markt bestehe. Laut Posch ist das geplante neue ORF-Gesetz hier strenger als bisher. Aus seiner Sicht entstehe auch keine neue Beihilfe im Sinne des EU-Rechts.

Pilz sprach die Bedenken der Print- und Privatmedien an, vor allem, was den Entfall an Werbeeinahmen betrifft. Hier sei nicht der ORF der Gegner, der gemeinsame Gegner wäre vielmehr in großen Unternehmen in den USA zu sehen, die Inserateneinnahmen lukrieren. Was den Stiftungsrat betreffe, müsse dieser auch politische Entscheidungen treffen. Wichtig sei aber, dass diese nicht parteipolitisch gesteuert werden. Pilz sprach sich für einen verkleinerten Stiftungsrat aus, der eine klare Aufsichtsfunktion zum Wohle des Unternehmens ausübt. Damit das Gremium wieder ernst genommen werde, müsse man dafür professionelle Personen gewinnen, was auch eine entsprechende Vergütung voraussetze.

Aus Sicht von Urtz wäre es sinnvoll, über weitere Abgabenbefreiungen für sozial benachteiligte Gruppen nachzudenken, da derzeit von diesen nicht alle berücksichtigt seien. Für ihn sollten Beitragsbefreiungen und Beitragsermäßigungen für alle Geringverdiener:innen ermöglicht werden, wobei es ein einfaches Bewilligungsverfahren geben sollte. Hier könne man jedenfalls nochmals nachschärfen.

Auch Dobusch plädierte dafür, zu den Befreiungsgründen noch Überlegungen anzustellen. Für ihn wäre die Armutsgrenze ein Richtwert, an der man sich dabei orientieren sollte. Das Problem der ORF-Gremien sei aus seiner Sicht, dass man sich nicht genau entschieden habe, was man mit diesen bezwecke. Auch er könne sich einen verkleinerten Stiftungsrat vorstellen, der als eine Art Aufsichtsrat fungiere. Was die Auswirkungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auf den Medienmarkt betreffe, so seien diese nicht nur im Sinne der Konkurrenz mit privaten Medien zu sehen, sondern diese würden auch von dem Umfeld, das von öffentlich-rechtlichen Medien geschaffen werde, profitieren. Im Bereich des Streaming gebe es bereits Kooperationen des ORF mit privaten Unternehmen. Zur Haushaltsabgabe gebe es derzeit in Deutschland eine heftige Debatte darüber, wie das "Prinzip der Beitragsstabilität" zu verstehen sei.

Laut Forgó lässt sich derzeit nicht absehen, wie die Regelung zum Online-Angebot, bei denen viele Beschränkungen vorgesehen seien, sich letztlich auswirken werden. Aus seiner Sicht handelt es sich hier eher im einen politischen Kompromiss als um ein Ergebnis systematischer Überlegungen über Zukunftsperspektiven. Derzeit seien äußerst dynamische Entwicklungen im Gange, etwa durch den zunehmenden Einsatz von KI in der Content-Erstellung. Die Fragen, wo der öffentlich-rechtliche Rundfunk seinen Platz haben werde, seien daher aus einer rein nationalstaatlichen Perspektive nicht zu beantworten. (Fortsetzung Verfassungsausschuss) sox