Parlamentskorrespondenz Nr. 753 vom 28.06.2023

Pflegereform: Sozialausschuss bringt weitere Gesetzesnovelle auf den Weg

Mehr Kompetenzen für Pflegepersonal, erleichterter Arbeitsmarktzugang für im Ausland ausgebildete Pflegekräfte

Wien (PK) – Der Sozialausschuss des Nationalrats hat heute einen weiteren Teil der Pflegereform auf den Weg gebracht. Die Abgeordneten stimmten teils einstimmig, teils mit ÖVP-FPÖ-Grünen-Mehrheit einer von den Regierungsparteien vorgeschlagenen Novelle zum Gesundheits- und Krankenpflegegesetz (GuKG) und begleitenden Gesetzesänderungen zu, die unter anderem eine Ausweitung der Befugnisse von Pflegepersonal zum Inhalt haben. Zudem sind Erleichterungen bei der Anerkennung ausländischer Berufsausbildungen und ein einfacherer Zugang zu Weiterbildungsmaßnahmen vorgesehen. Auch für 24-Stunden-Betreuer:innen und für Zivildiener bringt die Novelle Neuerungen.

Die Koalitionsparteien nutzten die Ausschussberatungen über die GuKG-Novelle darüber hinaus dazu, um administrative Vereinfachungen in Bezug auf die "sechste Urlaubswoche" für Pflegepersonal ab dem 43. Lebensjahr auf den Weg zu bringen. Zwar handle es sich bei der im Zuge der Pflegereform beschlossenen Entlastungswoche formal nicht um zusätzlichen Urlaub, sondern um eine Maßnahme zum Schutz der Gesundheit von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, halten ÖVP und Grüne in den Erläuterungen zur kurzfristig vorgelegten Gesetzesnovelle fest, trotzdem sei es sinnvoll, für beide Ansprüche denselben Bezugszeitraum vorzusehen. In diesem Sinn wird sich der Anspruch auf die Entlastungswoche künftig nicht mehr nach dem Kalenderjahr, sondern nach dem Urlaubsjahr richten, wobei das Urlaubsjahr in vielen Fällen ohnehin mit dem Kalenderjahr zusammenfällt. In den anderen Fällen wird für den Zeitraum zwischen 1. Jänner 2024 und dem Beginn des nächsten Urlaubsjahrs ein aliquoter Teil der Entlastungswoche gebühren. Dieser Entwurf erhielt lediglich die Zustimmung von ÖVP und Grünen.

Kritisch zu Teilen der GuKG-Novelle äußerte sich vor allem die SPÖ. Sie befürchtet Qualitätseinbußen bei der Pflege und vermisst eine Begutachtung des Entwurfs. So glaubt SPÖ-Abgeordneter Alois Stöger etwa, dass es durch ein rechtstechnisches Versehen zu Verschiebungen bei der Kostentragung von durch diplomiertes Pflegepersonal verordneten Medizinprodukten kommen wird. Diesen Bedenken schloss sich NEOS-Abgeordneter Gerald Loacker an. Laut Sozialminister Johannes Rauch werden in dieser Frage aktuell noch Gespräche geführt.

Abgelehnt wurden zwei Anträge der FPÖ, die auf eine "leistungsorientierte" Entschädigung für Pflegelehrlinge und eine Erhöhung des Pflegestipendiums für Berufsumsteiger:innen auf 2.000 € abzielen.

Verordnung von Medizinprodukten durch diplomiertes Pflegepersonal

Konkret wird diplomiertem Pflegepersonal mit dem Koalitionsantrag (3466/A) die Möglichkeit eingeräumt, bestimmte Medizinprodukte wie Verbandsmaterialien, Gehhilfen oder Inkontinenzprodukte selbstständig zu verordnen. Bisher war den Angehörigen des gehobenen Dienstes nur eine Weiterverordnung erlaubt. Pflegefachassistent:innen wiederum werden befugt, Blasenverweilkatheter auch bei Männern zu legen, während Pflegeassistent:innen künftig auch subkutane und periphervenöse Verweilkanülen entfernen dürfen.

Um Weiterbildung zu erleichtern, wird die Ausbildung und Berufserfahrung von diplomierten Gesundheits- und Krankenpfleger:innen wieder in höherem Ausmaß auf die Bachelor-Ausbildung an Fachhochschulen angerechnet, wodurch nur noch 60 ECTS zu absolvieren sind. Pflegeassistent:innen und Pflegefachassistent:innen können künftig außerdem direkt nach Abschluss ihrer Ausbildung eine verkürzte Ausbildung im gehobenen Dienst für Gesundheits- und Krankenpflege beginnen. Bisher war das erst nach zweijähriger Berufserfahrung möglich.

Erleichterungen für im Ausland ausgebildete Pflegekräfte

Die Novelle sieht außerdem mehrere Maßnahmen vor, um im Ausland ausgebildeten Pflegekräften einen rascheren Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt zu ermöglichen. So erhalten auch im Ausland ausgebildete Pflegeassistent:innen die Möglichkeit, noch vor Absolvierung der vorgeschriebenen Ausgleichsmaßnahmen auf zwei Jahre befristet pflegerische Tätigkeiten unter Anleitung und Aufsicht zu übernehmen. Ebenso wird im Bereich der Pflegefachassistenz die Nostrifikation von ausländischen Ausbildungen erleichtert, wobei ausdrücklich sowohl Ausbildung als auch Berufserfahrung zu berücksichtigen sind.

Um die gemeinsame Betreuung alter Menschen in sogenannten "Pensionst:innen-WGs" zu ermöglichen, werden 24-Stunden-Betreuer:innen künftig bis zu drei betreuungspflichtige Menschen in einem Haushalt betreuen dürfen, auch wenn diese nicht in einem Angehörigenverhältnis zueinander stehen. Zivildiener werden künftig unterstützende Tätigkeiten bei der Basisversorgung an den von ihnen betreuten Personen durchführen dürfen, wenn sie ein entsprechendes Ausbildungsmodul absolviert haben.

Grüne: Großer Schritt in Richtung Akademisierung der Pflege

Seitens der Koalitionsparteien warben Bedrana Ribo (Grüne) und Ernst Gödl (ÖVP) für den Gesetzentwurf. Dieser bringe "viele tolle Verbesserungen", meinte Ribo und sieht unter anderem einen großen Schritt in Richtung Akademisierung der Pflege gesetzt. Ernst Gödl sprach von in jeder Hinsicht notwendigen Maßnahmen.

Auch die NEOS zeigten sich mit dem Entwurf grundsätzlich zufrieden. Ihre Fraktion stimme dem Antrag gerne zu, da er etliche Verbesserungen bringe, sagte Fiona Fiedler. So vereinfache die neue Verordnungsmöglichkeit von Medizinprodukten das System und stärke das diplomierte Pflegepersonal. Auch dass Pflegekräften ein Studienabschluss erleichtert wird, wurde von ihr ausdrücklich begrüßt. Aufgrund der von SPÖ-Abgeordnetem Alois Stöger aufgebrachten und von NEOS-Abgeordnetem Gerald Loacker geteilten Bedenken stimmten die NEOS vorerst aber nur Teilen des Gesetzes zu.

SPÖ befürchtet Qualitätseinbußen

Die SPÖ befürchtet demgegenüber, dass mit dem Gesetz "Strukturqualitäten nach unten gefahren werden". Der Antrag enthalte zwar auch einige positive Punkte, hielt Abgeordnete Gabriele Heinisch-Hosek fest, anderen wie den neuen Bestimmungen im Bereich der 24-Stunden-Betreuung kann sie aber nichts abgewinnen. Wie solle eine 24-Stunden-Betreuerin die Betreuung von drei Personen schultern, fragte sie. Wenn mehr als eine Person im Rollstuhl sitze oder Unterstützung beim Gehen brauche, könne sie mit den betreuten Personen nicht einmal gemeinsam ins Freie gehen. Auch andere Teile des Gesetzes könnten ihrer Meinung nach zu Problemen führen.

Ihr Fraktionskollege Stöger kritisierte, dass weder die GuKG-Novelle noch die heute im Ausschuss vorgelegte Gesetzesnovelle zur Entlastungswoche für Pflegekräfte einer Begutachtung unterzogen worden sei. Schon die Einführung der Entlastungswoche sei ein "rechtstechnischer Pfusch" gewesen, meinte er. Seiner Ansicht nach wäre es sinnvoller, die Entlastungswoche in das Urlaubsgesetz hineinzuschreiben. In Bezug auf die GuKG-Novelle erwartet er eine Verschiebung der Kostentragung für Medizinprodukte von Spitälern zu den Krankenkassen.

Reaktion auf neue Wohnformen

ÖVP-Abgeordneter Gödl hielt der SPÖ entgegen, dass die Betreuung von drei Personen durch eine 24-Stunden-Betreuerin auch in Zukunft die Ausnahme sein werde. Es brauche aber eine gewisse Flexibilität, zumal es auch Fälle geben könne, wo drei alte, nicht miteinander verwandte Menschen zusammenwohnen, die nur in wenigen Bereichen wie etwa der Zubereitung von Essen Hilfe bräuchten.

Auch Sozialminister Johannes Rauch hob hervor, dass man auf neue Lebensrealitäten und neue Wohnformen für alte Menschen reagieren müsse. Es gebe vermehrt ältere Menschen, die zusammenleben, ohne miteinander verwandt zu sein, meinte er.

Rauch kann außerdem die von der SPÖ geäußerten Bedenken in Bezug auf die Qualität der Pflege nicht nachvollziehen, wie er sagte. Im Zuge der Pflegereform seien bereits viele Maßnahmen zur Qualitätssteigerung gesetzt worden, betonte er und nannte beispielsweise die Ausweitung der Kontrolle der 24-Stunden-Betreuung und den Ausbau von Beratungszentren.  

FPÖ fordert adäquate Bezahlung von Pflegelehrlingen und höheres Pflegestipendium

Vom Ausschuss abgelehnt wurden zwei mit dem Koalitionsantrag mitverhandelte Anträge der FPÖ. Zum einen fordern Christian Ragger und seine Fraktionskolleg:innen eine leistungsorientierte Entschädigung für Pflegelehrlinge (3378/A(E)). Die kolportierten 650 € im ersten und 1.500 € im letzten Lehrjahr seien zu wenig, wenn man wirklich engagierte Menschen bekommen wolle, die anpacken können, ist Ragger überzeugt und spricht sich in diesem Sinn dafür aus, eine gesetzliche Mindestentschädigung von 900 € brutto im ersten und 2.000 € brutto im letzten Lehrjahr festzulegen. Das würde in etwa der Lehrlingsentschädigung für Maurer-, Installateur- und Fliesenlegerlehrlinge entsprechen, argumentiert er. Auch die Berücksichtigung von Pflegelehrlingen bei Pflegeprämien und Karriereperspektiven für Absolvent:innen der Pflegelehre sind ihm ein Anliegen.

Zum anderen urgiert die FPÖ eine Erhöhung des Pflegestipendiums auf 2.000 € (3376/A(E)). Von den 1.400 €, die Personen, die sich zu einer Pflegefachkraft umschulen lassen, derzeit vom AMS erhalten, könne kaum ein Mensch in Österreich leben, argumentiert Ragger. Die geforderten 2.000 € würden ihm zufolge dem Einstiegsgehalt für Polizeischüler:innen entsprechen. Er verstehe nicht, warum man bei der Lehrlingsentschädigung "knausert", schließlich sei Geld ein wichtiger Punkt bei der Wahl des Lehrberufs, bekräftigte FPÖ-Abgeordneter Peter Wurm die Forderungen seiner Fraktion im Ausschuss.

ÖVP-Abgeordneter Ernst Gödl hielt der FPÖ entgegen, dass das Gehalt für Polizeischüler:innen ein Bruttogehalt sei, während das Pflegestipendium netto ausgezahlt werde. Die Zahl der laufenden Umschulungen bestätigt für ihn überdies, dass das Angebot nachgefragt wird. Grünen-Sozialsprecher Markus Koza wies auf ergänzende Landesförderungen hin.

Was die Lehrlingsentschädigung anlangt, machte Koza geltend, dass es in keinem Bereich eine gesetzlich festgesetzte Lehrlingsentschädigung gebe. Diese würde jeweils im Rahmen von Kollektivvertragsverhandlungen ausgehandelt, dabei solle es auch bleiben. Abgelehnt wurde der Antrag zur Pflegelehre auch von SPÖ und NEOS, die sich weiterhin grundsätzlich skeptisch zur Pflegelehre äußerten. (Fortsetzung Sozialausschuss) gs