Parlamentskorrespondenz Nr. 759 vom 28.06.2023

Videozuschaltungen bei Zivilverfahren und Gesellschafterversammlungen sollen Dauerrecht werden

Justizausschuss gibt grünes Licht für Regierungsvorlagen

Wien (PK) - Mit Außerkrafttreten der Corona-Bestimmungen am 30. Juni 2023 ergibt sich im Justizbereich Handlungsbedarf, um die Möglichkeit von Videozuschaltungen vor Gericht bei Zivilverfahren weiterhin sicherzustellen. Gesellschaften sollen virtuelle Zusammenkünfte ebenfalls offenstehen, auch ohne pandemiebedingte Kontakteinschränkungen. Der Justizausschuss hat heute für beide Gesetzesvorlagen grünes Licht gegeben.

Eine weitere Vorlage der Justizministerin zum Umgründungsrecht von Kapitalgesellschaften passierte den Ausschuss mit den Stimmen aller Fraktionen außer der SPÖ. Mit einem mitbeschlossenen Abänderungsantrag zum Gerichtsgebührengesetz soll als inflationsdämpfende Maßnahme, ähnlich wie der zuletzt verfügte Gebührenstopp für Bundesgebühren, die Erhöhung der Gerichtsgebühren um weitere 18 Monate verschoben werden.

Virtuelle Verfahren als Dauerrecht

Die Regierung erklärt ihren Novellenentwurf für virtuelle Zivilprozesse (2093 d.B.) mit der bewährten Praxis während der Corona-Pandemie. Die Übernahme dieser Regelung zur Verfahrenserleichterung in das Dauerrecht werde sowohl von Rechtsanwalts- als auch von Richterseite gewünscht. Die Richterin oder der Richter hat jedoch gemäß Regierungsvorlage weiterhin physisch im Verhandlungssaal anwesend zu sein, um mit einem "Aufruf zur Sache" die Verhandlung zu starten. Damit sei auch die verfassungsrechtlich gebotene Möglichkeit einer Teilnahme der Öffentlichkeit sichergestellt, heißt es in den Erklärungen zum Entwurf. Für die Vorlage sprachen sich ÖVP, SPÖ, FPÖ und Grüne aus. Ein mitbeschlossener Abänderungsantrag der Koalitionsparteien enthält formelle Klarstellungen.

Grundsätzlich bedarf es einer gerichtlichen Anordnung zur virtuellen Abhaltung einer Verhandlung und Beweisaufnahme, wobei der Umfang der Videozuschaltungen im Ermessen des Gerichts liegt, also ob alle Parteien und deren Vertreter:innen oder bloß einzelne von diesen virtuell am Verfahren beteiligt werden. Da die Streitparteien mit dieser Vorgangsweise einverstanden sein müssen, wird ihnen ein Widerspruchsrecht ohne Begründung innerhalb einer vom Gericht festgelegten Frist eingeräumt. Daneben bietet der Entwurf die Möglichkeit, dass das Gericht die ausdrückliche Zustimmung der Parteien zur bevorstehenden Verhandlung im Videoformat einholt, ausgenommen einer virtuellen Ladung zum ersten vorbereitenden Verhandlungstag. Die Einschränkungen zur Anberaumung einer Videoverhandlung sollen laut Justizministerium sicherstellen, dass die konkrete Verhandlungssituation für den Einsatz von Videotechnologie geeignet ist. Fälle, in denen das Erscheinen einer Partei vor Gericht durch Verfahrensleitung und Sitzungspolizei gewährleistet werden muss, oder solche, in denen von einer Kamera schwer aufzunehmende Gegenstände oder Dokumente eingesehen werden müssen, betrachtet das Ministerium als eher ungeeignet für Videoverhandlungen. Außerstreitige Verfahrensmaterien (z.B. Verlassenschaft, Unterhalt, Adoption) werden wiederum als grundsätzlich geeignet für diese Verhandlungsform gewertet.

Neben der Zivilprozessordnung und dem Außerstreitgesetz werden in der vorgeschlagenen Sammelnovelle für Videoverhandlungen auch das Unterbringungsgesetz, das Heimaufenthaltsgesetz, die Insolvenzordnung, die Exekutionsordnung, das Gerichtsorganisationsgesetz und das Bundesverwaltungsgerichtsgesetz geändert. Zusätzliche Änderungen in letzterer Materie schreiben den Umlaufweg als Möglichkeit zur Abstimmung und Beschlussfassung der Senatsmitglieder bzw. der Laienrichter:innen am Bundesverwaltungsgericht fest.

In den detaillierten Erklärungen zum praktischen Einsatz von Videotechnologien bei Zivilverfahren unterstreicht das Justizressort, die Verarbeitung der personenbezogenen Daten bei einer Videoverhandlung erfolge im Rahmen des auch für Gerichtsverhandlungen in physischer Präsenz geltenden einschlägigen zivilgerichtlichen Verfahrensrechts. Grundsätzlich soll mit der Vorlage die Grundlage zur Gewährleistung der Datensicherheit bei mündlichen Verhandlungen im Wege von Bild- und Tonübertragungen geschaffen werden, sowohl in der ordentlichen Gerichtsbarkeit als auch vor dem Bundesverwaltungsgericht. Zur Herstellung der für die Durchführung von Videokonferenzen erforderlichen technischen Ausstattung an den Gerichten wird 2023 ein Investitionsbedarf von 350.000 € veranschlagt, der 2024 auf 1.840.000 € ansteigt, in den Folgejahren bis 2027 aber auf 720.000 € jährlich sinkt.

Johanna Jachs (ÖVP) bezeichnete die Vorlage als ausgewogen, zumal auch entsprechend berücksichtigt würde, dass Videoverhandlungen für gewisse Verfahren ungeeignet und eine Möglichkeit des Widerspruchs vorhanden sei. Auch Agnes Sirkka Prammer (Grüne) sieht eine gute Lösung gefunden. Johannes Margreiter (NEOS) meinte allerdings, dass auch der persönliche Kontakt für eine Wahrheitsfindung wichtig sei. Außerdem halte er es für unabdingbar, die Notwendigkeit der anwaltlichen Vertretung auf alle Verfahren auszudehnen sowie die Daten ausreichend lang zu speichern.

Selma Yildirim (SPÖ) sieht einen tragbaren Kompromiss, der auf die Erfahrungswerte aus der Pandemie gestützt sei. Auch Harald Stefan (FPÖ) signalisierte Zustimmung, wenn auch mit Bedenken. Wichtig sei, dass es eine Widerspruchsmöglichkeit gibt, so Stefan. Problematisch sehe er etwa den Punkt der technischen Ausstattung.

Virtuelles Gesellschafter-Versammlungsgesetz soll Teilnahme erleichtern

Mit dem neuen Gesetz zur Durchführung virtueller Gesellschafterversammlungen will die Regierung Kapitalgesellschaften, Genossenschaften, Vereinen sowie Versicherungsvereinen ein Wahlrecht einräumen, ob sie ihre Gesellschafterversammlungen künftig in Präsenz, virtuell oder hybrid durchführen wollen (2094 d.B.). Die während der COVID-19-Pandemie zeitlich befristete gesetzliche Grundlage für "virtuelle Versammlungen" soll somit in den geltenden Rechtskanon überführt werden, konkret ab 14. Juli 2023. Damit könne rechtsformübergreifend die passendste Versammlungsform gemäß der Regelungen im jeweiligen Gesellschaftsvertrag gewählt werden, heißt es in der Erklärung zum Gesetzesentwurf, wobei das Justizressort mit Verweis auf die unterschiedlichen Unternehmens- und Gesellschafterstrukturen mögliche Kosteneinsparungen nicht spezifizieren will.

Angemerkt wird jedoch, dass für börsennotierte Aktiengesellschaften physische Hauptversammlungen einen erheblichen Kostenfaktor darstellen. Entsprechende Zusammenkünfte im Videoformat würden somit Einsparungen von durchschnittlich 50.000 € bei Miete, Energie, Transport, Sicherheit und Verpflegung bewirken bzw. von 100.000 € und mehr bei großen Kapitalgesellschaften. Durch den Wegfall der Reisetätigkeit von Aktionär:innen würden darüber hinaus bei virtuellen Versammlungen die CO2-Emissionen deutlich reduziert, auch der Papierverbrauch sei geringer. Erwartet wird außerdem eine Erhöhung und Diversifizierung der Hauptversammlungs-Präsenz, indem einer breiten nationalen und internationalen Aktionärsbasis die Teilnahme über Videozuschaltung erleichtert wird. Für börsennotierte Aktiengesellschaften sieht die Vorlage eigene Sonderbestimmungen vor, etwa hinsichtlich Wortmeldungen und Stimmrechte. Die Vorlage passierte den Ausschuss mit den Stimmen von ÖVP und Grünen.

Petra Oberrauner (SPÖ) pochte darauf, dass es für Kleinaktionär:innen eine niedrigere Schwelle von 5 % statt 10 % brauche, um ihre Rechte zu berücksichtigen. Harald Stefan (FPÖ) sprach sich gegen die Vorlage aus, zumal man solche digitalen Versammlungen aus seiner Sicht nur unter besonderen Umständen machen sollte. Johannes Margreiter (NEOS) stellte die Befürchtung in den Raum, dass die Kernäktionär:innen sehr schnell nur virtuelle Hauptversammlungen machen werden, wodurch sich vor allem betagtere Kleinaktionär:innen schwer tun würden, teilzunehmen.

Ähnlich wie Agnes Sirkka Prammer (Grüne) erläuterte Justizministerin Alma Zadić, dass bei börsennotierten Aktiengesellschaften die Schwelle jetzt tatsächlich bei 5 % einer Minderheit der Aktionär:innen liegen soll, um ein Verlangen zu stellen, wie die Versammlung stattfinden soll. Diese Schwelle sei im Vergleich zum Begutachtungsentwurf eben auf 5 % herabgesetzt worden.

Gesetzesvorlage zum Umgründungsrecht von Kapitalgesellschaften

Mit der Gesetzesvorlage (2028 d.B.) zur Umsetzung einer im Jahr 2021 beschlossenen gesellschaftsrechtlichen EU-Richtlinie ("Mobilitäts-Richtlinie") soll für Kapitalgesellschaften zum einen ein Rechtsrahmen für grenzüberschreitende Umwandlungen und Spaltungen geschaffen werden. Zum anderen ist eine Aktualisierung der geltenden Bestimmungen für grenzüberschreitende Verschmelzungen von Kapitalgesellschaften vorgesehen. Die Bestimmungen für alle drei Umgründungsarten sollen sich künftig in einem einheitlichen Bundesgesetz über grenzüberschreitende Umgründungen von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union ("EU-Umgründungsgesetz") finden. Das bisherige "EU-Verschmelzungsgesetz" könne dann aufgehoben werden, so die Erläuterungen.

Da sich das österreichische Umgründungsrecht prinzipiell bewährt habe, bestehe kein Anlass, es im Rahmen der Umsetzung der Mobilitäts-Richtlinie grundlegend zu verändern, heißt es in der Vorlage. Die bisherige Gesetzessystematik des österreichischen Umgründungsrechts soll daher nur soweit verändert werden, als dies zur Umsetzung der Richtlinie erforderlich sei. Eine wesentliche unionsrechtliche Neuerung stelle dabei etwa eine Missbrauchskontrolle dar, die künftig bei allen drei grenzüberschreitenden Umgründungsarten durch die zuständige Behörde des Wegzugsmitgliedstaats (in Österreich: durch das Firmenbuchgericht) durchzuführen sei.

Justizministerin Zadić zufolge werde mit der Umsetzung die Funktionsweise des europäischen Marktes verbessert und die Niederlassungsfreiheit erleichtert. Eine wesentliche Neuerung stelle die Missbrauchskontrolle dar.

Gertraud Salzmann (ÖVP) unterstrich, dass die österreichische Regelung schon bisher sehr gut sei und daher wenig abgeändert werde. Ähnlich wie Agnes Sirkka Prammer (Grüne) begrüßte sie die neuerliche Aufschiebung der Valorisierung der Gerichtsgebühren mittels Abänderungsantrag.

Was die Umsetzung des Umgründungsrechts betrifft, sprach sich trotz "einiger Wermutstropfen" auch Johannes Margreiter seitens der NEOS dafür aus. Petra Oberrauner (SPÖ) vermisst aber eine umfassende Regelung der Arbeitnehmerrechte, eine Überprüfung der Förderungen sowie verstärkte Transparenz im Sinn des Gläubigerschutzes. (Fortsetzung Justizausschuss) mbu