Parlamentskorrespondenz Nr. 795 vom 05.07.2023

Nationalrat beschließt Vereinbarung für mehr Gewaltschutzmittel und Schutzunterkunftsplätze

Einsatz von Videotechnologie in Verwaltungsverfahren wird ins Dauerrecht übernommen

Wien (PK) – Die Schutzunterkünfte für gewaltbetroffene Frauen und deren Kinder werden ausgeweitet. Dazu herrschte heute im Nationalrat Einigkeit unter den Fraktionen. Konkret sollen im Rahmen einer 15a-Vereinbarung zwischen Bund und Ländern mindestens 90 zusätzliche Frauenplätze und ebenso viele Kinderplätze – insgesamt also 180 Plätze – geschaffen werden.

Zudem sprachen sich die Abgeordneten mehrheitlich – ohne die Stimmen der NEOS - für die Möglichkeit des Einsatzes von Videotechnologie in Verwaltungsverfahren und bei Verwaltungsgerichten sowie für eine Erweiterung des "Postlaufprivilegs" aus. Die Bestimmungen zur Videotechnologie hätten sich in der Pandemiezeit in der Praxis bewährt, so Verfassungsministerin Karoline Edtstadler.

Den Bericht zur "Agenda 2030" bzw. den Entwicklungszielen der UNO nahmen die Abgeordneten mit breiter Mehrheit zur Kenntnis.

Vereinbarung für mehr Gewaltschutzmittel und Schutzunterkunftsplätze für Frauen und Kinder

Im Rahmen einer einstimmig angenommenen 15a-Vereinbarung zwischen Bund und Ländern sollen mindestens 180 zusätzliche Plätze für von Gewalt betroffene Frauen und Kinder (90 Frauenplätze und ebenso viele Kinderplätze) geschaffen werden. Dafür werden mit einem Zweckzuschuss des Bundes ab November 2023 bis Ende 2026 jährlich 3 Mio. € zur Verfügung gestellt. Vorgesehen ist damit einhergehend der Ausbau des Beratungs- und Betreuungsangebots in den Unterkünften. Zudem soll eine bundesweite Steuerungsgruppe im Bundeskanzleramt eingerichtet werden.

Elisabeth Pfurtscheller (ÖVP) sprach von einem "wichtigen Beschluss", da es einen großen Bedarf an zusätzlichen Schutzwohnungen gebe. Nutznießerinnen seien vor allem Frauen, die aktuell in Frauenhäusern Zuflucht gefunden haben. Noch heuer würden die ersten Schutzwohnungen durch die Bundesländer umgesetzt. Das sah Romana Deckenbacher (ÖVP) ähnlich, die Frauenhäuser und Übergangswohnungen als "Orte der Zuflucht" für von Gewalt betroffene Frauen und Kinder bezeichnete. Die ÖVP-Mandatarin appellierte grundsätzlich an die Zivilcourage der Bevölkerung, bei Gewalt an Frauen und Kindern nicht wegzusehen. Alle Frauen hätten das Recht auf ein selbstbestimmtes und gewaltfreies Leben.

Eva Maria Holzleitner (SPÖ) begrüßte vor dem Hintergrund eines weiteren in dieser Woche stattgefundenen Femizids ebenso den Ausbau von Schutzwohnungen und Frauenhäusern. Die Mittel seien dringend notwendig, da Österreich die Istanbul-Konvention noch nicht vollständig umgesetzt habe. Ziel sei ein Frauenhausplatz pro 10.000 Einwohnerinnen. Laut Holzleitner ist die Regierung zudem bei der Einrichtung von Gewaltschutzambulanzen säumig. Diese seien zur Dokumentation von Übergriffen wichtig. Für Verena Nussbaum (SPÖ) sind mehr finanzielle Mittel begrüßenswert, bei den insgesamt zur Verfügung gestellten 12 Mio. € für ganz Österreich handle es sich aber um einen "Tropfen auf den heißen Stein". Die SPÖ fordere weiterhin die Bereitstellung von insgesamt 228 Mio. für den Gewaltschutz ein. Damit soll die Basisfinanzierung von 3.000 Vollzeitstellen im Bereich des Gewaltschutzes zur Verfügung gestellt werden.

Die FPÖ begrüße das Maßnahmenpaket zum Ausbau von sicheren Unterkünften, hielt Rosa Ecker für ihre Fraktion fest. Wichtig sei, auch genügend Platz für die Kinder der von Gewalt betroffenen Frauen zu schaffen. Für Ecker sind ausländische Täter deutlich überrepräsentiert und mit ein Grund für die überbelegten Frauenhäuser. Die FPÖ-Abgeordnete forderte deshalb einen "Stopp der unkontrollierten Zuwanderung".

Die FPÖ interessiere das "Problem" nur, wenn sie es für ihre "hetzerische Agenda" instrumentalisieren könne, hielt Meri Disoski (Grüne) dagegen. Unter FPÖ-Innenminister Herbert Kickl seien etwa die wichtigen Hochrisiko-Fallkonferenzen abgeschafft worden. Für Disoski braucht es zudem eine Diskursverschiebung. Männer als Täter müssten "als Teil der Lösung" in die Debatte eingebunden werden.

"Wir unterstützen den bedarfsorientierten Ausbau von Schutzunterkünften vollumfänglich", betonte Henrike Brandstötter (NEOS). Laut der NEOS-Abgeordneten sind Gewaltschutzeinrichtungen aber teilwiese mit Dingen überfordert, für die sie eigentlich nicht zuständig sind, weshalb sich Brandstötter für die Einführung eines "Buddy-Systems" aussprach. Damit sollen Frauen bei allen im Bereich des Gewaltschutzes zu gehenden Schritten begleitet werden.

Die fraktionslose Abgeordnete Pia Philippa Beck sprach von einem wichtigen und notwendigen Schritt, da zahlreiche Frauenhäuser überlaufen und von Personalknappheit betroffen seien. Es dürfe aber nicht auf von Gewalt betroffene oder mitbetroffene Kinder vergessen werden, etwa durch ausreichend psychologische Betreuung und Beratung.

Sie habe in den letzten Jahren daran gearbeitet, die zu Beginn ihres Amtsantritts "chronisch unterfinanzierten" Gewaltschutzeinrichtungen "auszufinanzieren", erklärte Frauenministerin Susanne Raab. Mit der heute beschlossenen Bund-Ländervereinbarung könne den Bundesländern weitere 12 Mio. € für den Ausbau der Gewaltschutz-Infrastruktur zur Verfügung gestellt werden.

Einsatz von Videotechnologie in Verwaltungsverfahren und bei Verwaltungsgerichten

Im Zuge der Corona-Pandemie erhielten Behörden und Verwaltungsgerichte die Möglichkeit, Verwaltungsverfahren bzw. Verwaltungsstrafverfahren unter bestimmten Umständen auch unter Einsatz von Videotechnologie durchzuführen. Diese Bestimmungen werden nun, in etwas abgewandelter Form, ins Dauerrecht übernommen. Sie hätten sich in der Praxis bewährt, heißt es in der mit breiter Mehrheit angenommenen Regierungsvorlage. Zudem wird der langjährigen Forderung Rechnung getragen, elektronisch eingebrachte Anbringen wie zum Beispiel Einsprüche gegen Bescheide hinsichtlich des Fristenlaufs mit Postsendungen gleichzustellen. Sie gelten künftig auch dann als rechtzeitig eingebracht, wenn sie am letzten Tag der Frist, auch außerhalb der Amtsstunden, versendet wurden.

Mit dem Einsatz von Videotechnologie soll insbesondere die Verfahrenseffizienz gefördert werden. In diesem Sinn sollen Behörden auch nur einzelne Personen per Video zu Verhandlungen zuschalten können. Betroffenen muss grundsätzlich jedoch stets die Möglichkeit geboten werden, persönlich zu erscheinen. Außerdem ist in Verwaltungsstrafverfahren jedenfalls das Grundrecht auf ein faires Verfahren zu gewährleisten und das Erfordernis der Öffentlichkeit zu beachten.

Es sei zwar begrüßenswert, wenn der Kontakt zu Behörden durch Videotechnologie erleichtert werde, die Novelle gehe aber zu weit, betonte Johannes Margreiter (NEOS). Das vorliegende Paket sei zu unklar formuliert und erzeuge Rechtsunsicherheit, weshalb die NEOS nicht zustimmen könnten.

Man schaffe die rechtliche Basis, dass in der Verwaltung Modernität und Digitalisierung einkehre, hielt Michaela Steinacker (ÖVP) fest. Die Corona-Pandemie habe gezeigt, "was möglich ist". Es handle sich um eine klare Regelung, sie habe Vertrauen in die Umsetzung durch die Verwaltungsbehörden, so Steinacker in Richtung der NEOS.

Alois Stöger (SPÖ) sprach von einem durch die Corona-Pandemie ausgelösten Modernisierungsschub für die Verwaltung. Wichtig sei das Widerspruchsrecht für Verfahrensparteien, Vernehmungen nicht digital durchführen zu müssen. Zudem gelte es etwa darauf zu achten, dass tatsächlich alle Behörden eine Emailadresse zur Kontaktaufnahme zur Verfügung stellen würden.

Für Werner Herbert (FPÖ) handelt es sich um einen "wesentlichen Beitrag zur Verfahrenseffizienz im Sinne der Bevölkerung und einer bürgernahen Verwaltung". Als problematisch erachtete Herbert die Möglichkeit von unzulässigen Mitschnitten von Verfahren. Dafür müssten Vorkehrungen getroffen werden.

Man habe die "Learnings der Pandemie" gezogen und einen wichtigen Schritt in Richtung Digitalisierung der Verwaltungsverfahren gesetzt, so Agnes Sirkka Prammer (Grüne). Es gehe um Effizienzsteigerung, bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung eines fairen Verfahrens. Für die Grünen-Mandatarin hat man mit der heute beschlossenen Regelung zudem den niederschwelligen Zugang zum Recht, etwa für ältere Menschen oder Personen mit besonderen Bedürfnissen, sichergestellt.

Die österreichische Verwaltung komme "ein Stück weit mehr auf die Höhe des 21. Jahrhunderts", unterstrich Verfassungsministerin Karoline Edtstadler. So würden sinnvolle und effiziente Regelungen ins Dauerrecht übernommen, wodurch man schnellere und einfachere Verfahren bekommen werde. Ein faires Verfahren gemäß der Europäischen Menschenrechtskonvention ist für Edtstadler, etwa durch die Option auf physische Teilhabe, weiterhin gewährleistet. Was die Änderung bei den Zustellungsregelungen betrifft, würden auch hier die Regeln "auf die Höhe des 21. Jahrhunderts" angehoben. So würden künftig elektronische Eingaben bis eine Minute vor Mitternacht als eingebracht gelten.

Bericht zur Umsetzung der UN-Entwicklungsziele

Zudem diskutierten die Abgeordneten den Bericht von Verfassungsministerin Karoline Edtstadler über den Stand der Umsetzung der UN-Entwicklungsziele (Sustainable Development Goals, SDGs) in Österreich. Dem Bericht zufolge liegt Österreich bei der Umsetzung der sogenannten "Agenda 2030" weltweit an fünfter Stelle, wobei unter anderem gezielte Maßnahmen gegen Armut in der Corona-Pandemie und andere pandemiebedingte Entlastungsinitiativen von Bund und Ländern geltend gemacht wurden. Auch wird auf Investitionen in die Schwerpunktbereiche Digitalisierung, Ökologisierung und Gesundheit sowie die noch bis 2025 laufende COVID-19-Investitionsprämie für Unternehmen und andere Maßnahmen zur Sicherstellung von nachhaltigem wirtschaftlichen Wachstum nach der Pandemie verwiesen. Ebenso steige das allgemeine Bildungsniveau stetig.

Als ein gravierendes Umweltproblem wird hingegen die voranschreitende Bodenversiegelung in Österreich genannt. Zudem besteht laut Bericht noch großer Handlungsbedarf, was die gleiche Bezahlung von Frauen und Männern in der Arbeitswelt betrifft. Global aktuelle SDG-Themen sind dem Bericht zufolge die Resilienz gegenüber multiplen Krisen wie kriegerische Konflikte, aber auch die Energie- und Klimakrise, die Teuerung und die steigende Ungleichheit. Der Bericht wurde gegen die Stimmen der FPÖ zur Kenntnis genommen. (Fortsetzung Nationalrat) med

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