Parlamentskorrespondenz Nr. 815 vom 07.07.2023

Nationalrat: Videozuschaltungen bei Zivilverfahren und Gesellschafterversammlungen werden Dauerrecht

Mit Umgründungsrecht von Kapitalgesellschaften wird EU-Richtlinie umgesetzt

Wien (PK) – Zwei während der Corona-Pandemie bewährte Regelungen wurden in der heutigen Nationalratssitzung ins Dauerrecht übernommen. Damit wird es weiterhin die Möglichkeit von Videozuschaltungen bei Zivilverfahren geben. Ebenso können Kapitalgesellschaften, Genossenschaften, Vereine und Versicherungsvereine nun wählen, ob sie ihre Gesellschafterversammlungen in Präsenz, virtuell oder hybrid durchführen.

Eine weitere Vorlage der Justizministerin passierte ebenso den Nationalrat. Damit wird in Umsetzung einer EU-Richtlinie der Rechtsrahmen für grenzüberschreitende Umwandlungen und Spaltungen für Kapitalgesellschaften geschaffen. Durch einen im Justizausschuss eingebrachten Abänderungsantrag wird zudem als inflationsdämpfende Maßnahme die Erhöhung der Gerichtsgebühren um weitere 18 Monate verschoben.

In der Minderheit blieb die SPÖ mit ihrer Forderung nach einer Reform des Insolvenzrechts anlässlich der Kika-Leiner-Insolvenz.

Virtuelle Verfahren als Dauerrecht

Die Regierung erklärt ihren Novellenentwurf für virtuelle Zivilprozesse mit der bewährten Praxis während der Corona-Pandemie. Richter:innen haben weiterhin physisch im Verhandlungssaal anwesend zu sein, um mit einem "Aufruf zur Sache" die Verhandlung zu starten. Damit sei auch die verfassungsrechtlich gebotene Möglichkeit einer Teilnahme der Öffentlichkeit sichergestellt, heißt es in den Erklärungen zum Entwurf. Grundsätzlich bedarf es einer gerichtlichen Anordnung zur virtuellen Abhaltung einer Verhandlung und Beweisaufnahme. Der Umfang der Videozuschaltungen, ob alle oder nur einzelne Beteiligte virtuell am Verfahren teilnehmen können, liegt im Ermessen des Gerichts. Den Streitparteien wird ein Widerspruchsrecht eingeräumt. Außerdem besteht die Möglichkeit, dass das Gericht die ausdrückliche Zustimmung der Parteien einholt. Einschränkungen zur Anberaumung einer Videoverhandlung sollen laut Justizministerium sicherstellen, dass die konkrete Verhandlungssituation für den Einsatz von Videotechnologie geeignet ist. Das Gesetz wurde mehrheitlich angenommen.

Mit den neuen Regelungen könnten Zivilverfahren dort digital durchgeführt werden, wo es sinnvoll sei, erklärte Justizministerin Alma Zadić. Dies ermögliche, dass die Justiz bürgernäher, niederschwelliger und moderner werde. Mit dem notwendigen Einverständnis der Parteien sei ein gewisser Schutzmechanismus gewährleistet.

Die Justiz habe in der Krise bewiesen, dass sie resilient arbeiten könne, betonte Johanna Jachs (ÖVP). Manche Verfahren seien geeigneter für eine virtuelle Durchführung und andere weniger. Dies werde in der Regelung ebenso berücksichtigt wie die Wahrung der Parteienrechte.

Die Möglichkeit von virtuellen Zivilprozessen begrüßte Harald Stefan (FPÖ) und hob die Bedeutung des Widerspruchsrechts der Parteien hervor.

Die digitalen Verfahren im Justizbereich seien eine Fortentwicklung und würden zeigen, dass man aus Krisen gestärkt hervor gehen kann, meinte Agnes Sirkka Prammer (Grüne). Damit könnten Verfahren ohne Einbußen bei den Verfahrensgarantien effizienter geführt und ein niederschwelliger Zugang zu Gerichtsverfahren ermöglicht werden.

Ein wesentliches Beweismittel in Zivilprozessen sei die Vernehmung der Parteien und es mache dabei einen wesentlichen Unterschied, ob diese virtuell oder in Präsenz erfolge, erklärte Johannes Margreiter (NEOS). Zudem sollten in allen Verfahren eine Zustimmung und nicht nur ein Widerspruchsrecht erforderlich sein.

Virtuelles Gesellschafter-Versammlungsgesetz soll Teilnahme erleichtern

Mit dem neuen Gesetz zur Durchführung virtueller Gesellschafterversammlungen will die Regierung Kapitalgesellschaften, Genossenschaften, Vereinen sowie Versicherungsvereinen ein Wahlrecht einräumen, ob sie ihre Gesellschafterversammlungen künftig in Präsenz, virtuell oder hybrid durchführen. Die während der COVID-19-Pandemie zeitlich befristete gesetzliche Grundlage für "virtuelle Versammlungen" soll somit in den geltenden Rechtskanon überführt werden, konkret ab 14. Juli 2023. Für börsennotierte Aktiengesellschaften sieht die Vorlage eigene Sonderbestimmungen vor, etwa hinsichtlich Wortmeldungen und Stimmrechte. Das Gesetz wurde mehrheitlich angenommen.

Die virtuelle Gesellschafterversammlung sei eine Möglichkeit aber kein Muss, betonte Justizministerin Alma Zadić. Zur Wahrung der wichtigen Minderheitenrechte bei Aktiengesellschaften habe man unter anderem ein Einspruchsrecht gegen die virtuelle Versammlung verankert.

Corona habe große Schwierigkeiten, aber auch eine Digitalisierungsoffensive gebracht, erklärte Michaela Steinacker (ÖVP). Es sei eine "state of the art" Regelung mit Augenmaß gelungen. Zur Sicherung der Rechte von Kleinaktionär:innen habe man vorab bei der Erarbeitung des Gesetzes Stakeholder:innen eingebunden.

Die neue Regelung sah Harald Stefan (FPÖ) kritisch. Insbesondere bei börsennotierten Unternehmen würden dadurch die Rechte von Kleinaktionär:innen stark eingeschränkt. Ein wichtiges Instrument der Kontrolle werde beschnitten und Aktionär:innen diskriminiert, meinte auch Petra Oberrauner (SPÖ) und forderte zumindest hybride Versammlungen. Bei Gesellschafterversammlungen von AGs sollte zumindest eine hybride Form verpflichtend sein, schloss sich auch Johannes Margreiter (NEOS) der Kritik an.

Gesetzesvorlage zum Umgründungsrecht von Kapitalgesellschaften

Mit einer Gesetzesvorlage wird die gesellschaftsrechtliche "Mobilitäts-Richtlinie" der EU umgesetzt. Damit soll zum einen ein Rechtsrahmen für grenzüberschreitende Umwandlungen und Spaltungen für Kapitalgesellschaften geschaffen werden. Zum anderen ist eine Aktualisierung der geltenden Bestimmungen für grenzüberschreitende Verschmelzungen von Kapitalgesellschaften vorgesehen. Die Bestimmungen für alle drei Umgründungsarten sollen sich künftig in einem einheitlichen Bundesgesetz über grenzüberschreitende Umgründungen von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union ("EU-Umgründungsgesetz") finden. Eine wesentliche unionsrechtliche Neuerung stellt unter anderem eine Missbrauchskontrolle dar, die künftig bei allen drei grenzüberschreitenden Umgründungsarten durch die zuständige Behörde des Wegzugsmitgliedstaats (in Österreich: durch das Firmenbuchgericht) durchzuführen sei.

Die Gesetzesreform hätte eine Chance sein können, missbräuchlichen und betrügerischen Absichten entgegen zu wirken, deutete Selma Yildirim (SPÖ) die Ablehnung ihrer Fraktion an. Durch Umkonstruktionen bei Kika-Leiner sei es möglich gewesen, dass die Eigentümer 300 Mio. € aus einem "gut florierenden" Unternehmen entnommen haben. Nun werde zu Lasten der Steuerzahler:innen die Vertriebsgesellschaft in Konkurs geschickt.

Die Bundesregierung wolle grenzüberschreitende Spaltungen bewusst nicht regeln, erklärte Agnes Sirkka Prammer (Grüne). Diese hätten ein hohes Missbrauchspotenzial für Vermögensverschiebung zulasten der Steuerzahler:innen. Es werde nun das geregelt, das gut und sinnvoll für den Standort und die Wirtschaft sei sowie einen größtmöglichen Schutz für die Rechtsunterworfenen biete.

Der Gesetzesvorschlag sehe durchaus Spaltungen vor und mache diese Großkonzernen leichter, meinte hingegen Christian Ragger (FPÖ). Die Regelung sei aber wichtig für Unternehmen und deren Export.

Die Umsetzung sei wichtig für die Unternehmen, stimmte Gertraud Salzmann (ÖVP) zu und hob die vorgesehene Missbrauchskontrolle hervor. Ebenso befürwortete Salzmann die Verschiebung der Gerichtsgebührenerhöhung als wesentliche Maßnahme.

Angesichts der engen wirtschaftlichen Verflechtungen sei die Regelung zu begrüßen, meinte auch Johannes Margreiter (NEOS).

"Wermutstropfen" sei aber, dass nur die Spaltung zur Neugründung, aber nicht zur Aufnahme vorgesehen sei. Das Aussetzen der Gerichtsgebührenerhöhung befürwortete Margreiter ebenfalls.

SPÖ-Forderung nach Reform des Insolvenzrechts

Die SPÖ thematisierte im Zuge der Debatte die Insolvenz von Kika und Leiner. So forderte Julia Herr (SPÖ) eine "dringende Reform" des Insolvenzrechts mittels eines im Zuge der Debatte eingebrachten Entschließungsantrags. Der Antrag blieb in der Minderheit. Unternehmen desselben Konzerns sollen der SPÖ nach künftig vom Insolvenzgericht gemeinsam betrachtet werden können, wenn Grund zur Annahme besteht, dass es zu Vermögensverschiebungen zu Lasten der Gläubiger:innen gekommen sei. Zudem sollen Ansprüche der Gläubiger:innen in Unternehmensanteile umgewandelt werden können und Forderungen des Staates unter bestimmten Umständen vorrangig behandelt werden. Außerdem soll sich eine spezialisierte Behörde künftig mit Großinsolvenzen befassen und etwaige Insolvenzverschleppungen aufarbeiten. Ebenso soll die Haftung erweitert werden und abgespaltene Unternehmen auch für den Schaden haften. Dies soll verhindern, dass so etwas wie bei Kika und Leiner nicht noch einmal passiert, meinte Herr.

Harald Stefan (FPÖ) sah die geforderte Einrichtung einer zusätzlichen Behörde kritisch. Die restlichen Forderungen müssten vor einer finalen Beurteilung noch genauer geprüft werden.

Sie habe in der SPÖ-Forderung nichts entdeckt, was nicht schon durch bestehendes Recht gewährleistet werden könne, erklärte Agnes Sirkka Prammer (Grüne). So werde bei einem geringsten Verdacht Anzeige erhoben. Wenn Geld unberechtigt wohin geflossen sei, müsse dies verfolgt werden.

Der Staat könne einen Forderungsausfall leichter verkraften als Kleinunternehmer:innen, stellte sich Johannes Margreiter (NEOS) gegen eine Vorreihung von staatlichen Forderungen bei Insolvenzen und forderte eine Gleichbehandlung. (Fortsetzung Nationalrat) pst

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