Parlamentskorrespondenz Nr. 1002 vom 04.10.2023

Ukraine: Schallenberg rechnet mit weiterer USA-Hilfe und hält Wahlen für unabdingbar

Breite Themenpalette bei Aktueller Aussprache im Außenpolitischen Ausschuss des Nationalrats

Wien (PK) – Außenminister Alexander Schallenberg erwartet nicht, dass ein politischer Wechsel in den USA große Auswirkungen auf die Unterstützung der Ukraine im Krieg gegen Russland haben würde. Es gebe in der Russland- und Ukraine-Politik eine "viel breitere Schnittmenge" zwischen den verschiedenen Akteuren in den USA als gemeinhin angenommen, sagte er heute bei einer Aussprache über aktuelle Themen im Außenpolitischen Ausschuss des Nationalrats. Auch der jüngste Haushaltsstreit habe zu keinem "Totalausfall" der Hilfen geführt. Ein Ende des Krieges sieht er nicht in Sicht. Es stehe ein zweiter harter Kriegswinter bevor, zumal Russland erneut gezielt Infrastruktur zur Energieversorgung angreife.

Für "unabdingbar" hält Schallenberg, dass in der Ukraine trotz des Kriegs Wahlen abgehalten werden. Wenn man den Termin verschiebe, brauche es ein klares Datum für den Urnengang, bekräftigte er. Er habe in Kiew außerdem das Thema Korruptionsbekämpfung deutlich angesprochen, berichtete der Minister, hier dürfe es "keine blinden Flecken geben". Es seien zwar schon einige Schritte gesetzt worden, Einzelmaßnahmen seien jedoch zu wenig. Auch in der ukrainischen Bevölkerung finde das Thema großen Widerhall.

Zur EU-Beitrittsperspektive der Ukraine merkte Schallenberg an, man solle bei Beitrittskandidaten generell Alternativen zu einem Vollbeitritt andenken. Anstatt zu warten, bis die Länder auf Punkt und Beistrich alle Voraussetzungen für einen EU-Beitritt erfüllen, könnte man bei bestimmten Themen in Form einer "graduellen Erweiterung" zusammenarbeiten und die Beitrittskandidaten etwa in die gemeinsame Sicherheitspolitik einbinden.

Der Minister verwies in diesem Zusammenhang neuerlich auf die Notwendigkeit, einen besonderen Fokus auf den Westbalkan zu richten. Die EU dürfe nicht nur nach Osten, sondern müsse auch in Richtung Südosten schauen, mahnte er. Man dürfe nicht den Eindruck erwecken, manche EU-Beitrittskandidaten seien auf der Überholspur und andere am Pannenstreifen. Schaffe es die EU nicht, die Lage am Westbalkan zu stabilisieren und das europäische Wertemodell und Wirtschaftssystem "zu exportieren", laufe man Gefahr, "Unsicherheit zu importieren". Zumal Europa in einem "systemischen Wettstreit" mit Russland und China stehe.

Die jüngste Eskalation im Nordkosovo sieht Schallenberg als Ansporn, eine europäische Lösung zu suchen. Die EU sei im Kosovo nicht gescheitert, es gehe um das Bohren harter Bretter, meinte er. Serbien sei gefordert, den "abscheulichen Angriff" aufzuklären. Unabhängig davon müssten sich aber beide Seiten bewegen, um den Dialog fortzuführen. Auch der Kosovo habe Verpflichtungen, die er nicht erfüllt habe.

"Pulverfass" Bergkarabach

Was die Lage in Bergkarabach betrifft, stellte Schallenberg zusätzliche finanzielle Hilfen für Armenien über die Austrian Development Agency (ADA) in Aussicht. Armenien, das ein EZA-Schwerpunktland ist, stehe angesichts der großen Zahl von Flüchtlingen vor enormen Herausforderungen und drohe in eine humanitäre Krise zu schlittern, warnte er. Es handle sich "um ein Pulverfass mit einer extrem kurzen Lunte". Zwar hätten Beobachter in Bergkarabach keine Anzeichen für Übergriffe auf Armenier:innen oder gezielte Zerstörungen gefunden, berichtete der Minister, die Leute seien dennoch aus Angst geflohen. Wenig Chancen sieht Schallenberg für eine UNO- oder OSZE-Mission vor Ort, er will Aserbaidschan aber, was den Schutz der noch vor Ort befindlichen Bevölkerung und den Schutz von Kirchen und Klöstern betrifft, "in die Pflicht nehmen".

Die Einrichtung einer österreichischen Botschaft in Armenien, wie von NEOS-Abgeordnetem Helmut Brandstätter gefordert, steht dem Außenminister zufolge aktuell nicht zur Diskussion. Eine solche wäre zwar wünschenswert, das sei aber eine Frage der Finanzierung und des Personals. Sein Fokus liege derzeit auf Afrika und dem Mittleren Osten.

Neue österreichische Botschaft im Irak

Als "sehr schönen Akt" nannte Schallenberg in diesem Zusammenhang die Botschaftseröffnung im Irak. Für Österreich sei es notwendig, rechtzeitig starke Partnerschaften zu schmieden. Der Irak habe ein enormes Interesse an Investitionen aus Österreich, informierte er. Das gehe aber nur Hand in Hand mit einer sicherheitspolitischen Kooperation und einer Kooperation in Migrationsfragen. In diesem Sinn sei bereits eine Vereinbarung über die Rückführung irakischer Staatsbürger:innen ohne Bleiberecht in Österreich geschlossen worden. Auch weitere Rückführabkommen sind laut Schallenberg "in der Pipeline", etwa mit Ägypten.

Erneut wies Schallenberg im Rahmen der Aussprache auf die Notwendigkeit hin, dass die EU gegenüber afrikanischen Staaten "eine neue Sprache" lernt. Es brauche gegenseitigen Respekt. Ansonsten drohe die Gefahr, dass diese Staaten noch weiter in die Hände von China und Russland getrieben würden. In der Sahelzone sei man gerade Zeuge einer "Hangrutschung". Auch hält es der Minister für erforderlich, die Länder des globalen Südens bei der diskutierten Reform des UN-Sicherheitsrats stärker zu berücksichtigen.

Österreich sieht Mercosur-Abkommen nach wie vor kritisch

Von mehreren Abgeordneten auf das Mercosur-Abkommen angesprochen, unterstrich Schallenberg, dass Österreich das Abkommen, das er als "Massenvertrag der alten Schule" bezeichnete, in der derzeitigen Form nach wie vor ablehne. Seiner Ansicht nach wäre es sinnvoller, anstelle solcher "Massenverträge" Vereinbarungen zu einzelnen Fragen zu treffen, das würde auch eine Einigung erleichtern. Eine Teilung des Abkommens in einen Handelsvertrag und "in einen Rest", wie seinerzeit beim CETA-Vertrag, ist ihm zufolge derzeit auf EU-Ebene noch kein Thema.

Als "enorm frustrierend" bezeichnete der Minister die aktuellen Beziehungen zum Iran. Dieser stehe auf klarem Konfrontationskurs mit Österreich. Es seien mehrere Sanktionspakete verhängt worden, die Macht Österreichs sei aber begrenzt.

Was Taiwan anlangt, sprach sich Schallenberg dagegen aus, von der bestehenden "Ein-China-Politik" abzugehen. Zu Belarus gebe es weiterhin Dialogkanäle, wo auch Haftfälle angesprochen würden. Im Falle des ORF-Korrespondenten in der Ukraine, Christian Wehrschütz, habe es weder von ukrainischer noch von österreichischer Seite politische Interventionen gegeben. In Zusammenhang mit der Justizreform in Israel gelte es, "rote Linien aufzuzeigen", wobei er großes Vertrauen in seine "israelischen Freunde" habe.

FPÖ kritisiert Außenminister-Treffen in Kiew

Von Seiten der Abgeordneten betonte Reinhold Lopatka (ÖVP), man könne nach den Ereignissen in Bergkarabach nicht zur Tagesordnung übergehen und müsse Maßnahmen setzen, um die in der Region verbleibenden Armenier:innen und die Kulturgüter zu schützen. Nach Meinung von Christoph Matznetter (SPÖ) braucht es außerdem ein Modell für die Region, um den bereits geflüchteten Menschen eine Rückkehr zu ermöglichen. Es sei "wirklich herzzerreißend", dass Menschen ihre Dörfer verlassen müssten, in denen sie bzw. ihre Vorfahren jahrhundertelang gelebt haben, sagte er.

Petra Bayr (SPÖ) hielt in Zusammenhang mit dem ihrer Meinung nach vor dem Scheitern stehenden Mercosur-Vertrag fest, man müsse darauf achten, dass Lateinamerika für Europa nicht ein blinder Fleck werde. Sie drängte zudem auf einen Umgang mit dem globalen Süden auf Augenhöhe.

Unterschiedlich wurde von den Abgeordneten das Sondertreffen der EU-Außenminister in Kiew bewertet. Während etwa FPÖ-Abgeordnete Petra Steger es als "Wahnsinn" wertete, ein derartiges Treffen in einem "kriegsführenden Land" abzuhalten, und Schallenberg vorwarf, die österreichische Neutralität "weiter mit Füßen zu treten", sprach Grün-Abgeordnete Ewa Ernst-Dziedzic von einem "wichtigen Zeichen". Die EU habe die Verantwortung dafür, aufzuzeigen, dass das Völkerrecht von Russland in der Ukraine "mit Füßen getreten wird". Ernst-Dziedzic brachte außerdem die Repressionen im Iran und in Belarus zur Sprache.

Von NEOS-Abgeordneter Henrike Brandstötter wurde unter anderem die Rückholung von Kindern österreichischer "Terrorist-Fighters" in Syrien angesprochen. Christian Hafenecker (FPÖ) übte Kritik an verschiedenen Personalbesetzungen im Außenministerium. (Fortsetzung Außenpolitischer Ausschuss) gs