Parlamentskorrespondenz Nr. 1036 vom 10.10.2023

Menschenrechtsausschuss verurteilt einstimmig militärisches Vorgehen Aserbaidschans in Bergkarabach

Aktuelle Aussprache der Abgeordneten mit Justizministerin Zadić

Wien (PK) – Alle fünf Parlamentsfraktionen verurteilen die militärischen Handlungen Aserbaidschans, die eine Massenflucht von über 100.000 ethnischen Armenierinnen und Armeniern aus Bergkarabach verursacht haben. In dem von ÖVP, SPÖ, Grünen und NEOS heute im Menschenrechtsausschuss vorgelegten und einstimmig angenommenen Antrag wird die Bundesregierung unter anderem ersucht, sich auf allen Ebenen für Deeskalation, den Schutz der Minderheitenrechte und für das Zulassen humanitärer Hilfe für die Zivilbevölkerung vor Ort einzusetzen.

In einer Aussprache mit Justizministerin Alma Zadić ging es vorrangig um Gewaltschutz und Kinderrechte in nationalem und europäischem Kontext. Zadić verurteilte den Terror der Hamas in Israel - wie auch das österreichische Parlament – aufs Schärfste.

Anträge der Oppositionsparteien wurden von ÖVP und Grünen mehrheitlich vertagt.

Vier-Parteien-Antrag verurteilt militärisches Vorgehen Aserbaidschans in Bergkarabach

In einem gemeinsam von ÖVP, SPÖ, Grünen und NEOS eingebrachten Ausschussantrag verurteilen alle Fraktionen die militärischen Handlungen Aserbaidschans, die eine Massenflucht von über 100.000 ethnischen Armenier:innen aus der Region Bergkarabach verursacht haben. Die Bundesregierung, insbesondere der Außenminister, soll diese Position weiterhin in allen internationalen Gremien sowie in bilateralen Gesprächen vertreten und sich für Deeskalation und die Wiederaufnahme des Dialogs zwischen Aserbaidschan und Armenien einsetzen. Darüber hinaus sei sicherzustellen, dass der verbliebenen Bevölkerung in Bergkarabach der uneingeschränkte Zugang zu lebenswichtigen Gütern nachhaltig ermöglicht werde und es zum Schutz der Minderheitenrechte sowie der Kulturgüter komme. Für dringend benötigte humanitäre Hilfe brauche es zudem den ungehinderten Zugang internationaler humanitärer Organisationen nach Bergkarabach. Zur weiteren Stabilisierung der Flüchtlingssituation solle Armenien als Schwerpunktland der österreichischen EZA weiterhin die nötigen Mittel zukommen, heißt es im Antrag. Die Grundlage für die Initiative bildete ebenfalls ein Vier-Parteien-Antrag, der noch vor der Massenflucht der Armenier:innen eingebracht und mit dem Beschluss miterledigt wurde (3629/A(E)).

Alle sich zu Wort gemeldeten Abgeordneten zeigten sich über den fraktionsübergreifenden Schulterschluss erfreut. Es handle sich um eine ethnische Säuberung, auch wenn diese durch andere Ereignisse aktuell aus dem medialen Fokus geraten würden, betonte Ewa Ernst-Dziedzic (Grüne). Für SPÖ-Mandatar Robert Laimer darf die Situation in Bergkarabach nicht ohne Konsequenzen bleiben. Beide Abgeordnete kritisierten die Rolle der Türkei, die laut Ernst-Dziedzic Aserbaidschan "den Rücken freihalte". Geht es nach Laimer, soll Bundeskanzler Karl Nehammer dies auch im Rahmen seines aktuell stattfindenden Türkei-Besuchs kritisch ansprechen.

Hannes Amesbauer (FPÖ) sprach von unterstützenswerten und wichtigen Anliegen. Er interessierte sich außerdem, inwieweit in Österreich auch Gespräche mit den Vertreter:innen Aserbaidschans geführt werden. Man sei im Rahmen der parlamentarischen Freundschaftsgruppe für den Südkaukasus mit allen Konfliktparteien im Dialog, informierte deren Obmann Andreas Minnich (ÖVP). Die Gespräche würden während der nächsten Plenarsitzungen weitergeführt werden.

Es handle sich um eine schockierende Situation in Bergkarabach, die Haltung der Bundesregierung dazu sei aber eindeutig, unterstrich Gudrun Kugler (ÖVP). So habe etwa Außenminister Alexander Schallenberg versichert, die armenische Bevölkerung verstärkt zu unterstützen.

Justizministerin Zadić spricht sich für Einrichtung von Gewaltambulanzen aus

"Für Terror gibt es keine Rechtfertigung", sagte Justizministerin Zadić im Zuge einer Ausschuss-Aussprache, womit sie Solidarität mit Israel zum Ausdruck brachte. Den solidarischen Schulterschluss aller Parlamentsparteien erachtet sie als sehr wichtig. Durch den schrecklichen Terrorangriff der Hamas sei eine gefährliche Eskalation ausgelöst worden, sagte sie. SPÖ-Mandatar Robert Laimer brachte in diesem Zusammenhang pro-palästinensische Versammlungen in Österreich zu Sprache. Obwohl Versammlungsfreiheit ein "hohes Gut" sei, war es der Justizministerin wichtig festzuhalten, dass dieses Recht nicht missbraucht werden dürfe. Immerhin sei die Hamas als Terrororganisation gelistet und das Gutheißen terroristischer Taten ein Straftatbestand. Dort wo eine Hamas-Flagge geschwungen werde, könne eingeschritten werden, meinte sie.

Zadić sieht Bedarf für die Etablierung von Gewaltambulanzen als Gewaltschutzmaßnahme. Es brauche dieses niederschwellige Angebot in den Krankenhäusern, idealerweise in Form von mobilen Teams, damit Beweise gerichtsfest dokumentiert und in den Verfahren verwertet werden können, sagte sie gegenüber Meri Disoski (Grüne). Die Mandatarin hatte die geringe Verurteilungsquote bei Gewalt an Frauen zur Sprache gebracht. Die Ministerin erhofft sich von den Gewaltambulanzen eine Quotensteigerung. Laut Faika El-Nagashi (Grüne) komme es im Kontext von Fällen sexualisierter Gewalt immer wieder zu Falschübersetzungen von Gerichtsdolmetscher:innen. Eine entsprechende Sensibilisierung wäre wichtig, meinte Zadić. Eine verpflichtende Schulung sei zwar nicht vorgegeben, sofern die Dolmetscher:innen über eine solche Ausbildung verfügen, könne das für ein Verfahren aber berücksichtigt werden, sagte sie.

Thema war auch die geplante EU-Verordnung zur Prävention und Bekämpfung von sexuellem Kindesmissbrauch, die umfangreiche Meldevorschriften für Privatunternehmen vorsieht. Während Zadić die Grundintention unterstützt, äußerte sie wie Mandatarin El-Nagashi (Grüne) grund- und datenschutzrechtliche Bedenken aufgrund der "anlasslosen Massenüberwachung". Susanne Fürst (FPÖ) thematisierte das von der Regierung vorgelegte Kinderschutzpaket, mit dem sich der Justizausschuss des Nationalrats am Donnerstag befassen wird. Dem Phänomen der Kindesmissbrauchsdarstellungen soll ganzheitlich begegnet werden, lies die Ministerin wissen.

Von Gudrun Kugler (ÖVP) auf die Leihmutterschafts-Problematik am Beispiel der dramatischen Situation in der Ukraine angesprochen, sagte die Justizministerin, dass Kindeswohl an erster Stelle stehe und das Verbot der Leihmutterschaft nicht umgangen werden dürfe. Das Europäische Parlament habe sie eine "Form der Ausbeutung" genannt. Die Kriegsfolgen würden insbesondere für vulnerable Frauen viele rechtliche Probleme und ethische Fragen aufwerfen. Generell würden in Zusammenhang mit dem Krieg gegen die Ukraine derzeit keine Ermittlungsverfahren in Österreich laufen, lies die Justizministerin ferner Christian Drobits (SPÖ) wissen. Der Angriffskrieg Russlands sei ein "Wake-Up-Call" für die EU-Annäherung des Westbalkans gewesen, meinte Zadić zu Ewa Ernst-Dziedzic (Grüne). Das größte Problem sei dort der Mangel an rechtsstaatlichen Kriterien und Korruption.

Nach der Gewährleistung der Menschenrechtsstandards im heimischen Maßnahmenvollzug fragte Johann Weber (ÖVP). Laut Zadić handelt es sich um eine sensible Materie, wobei mit dem nächsten Reformschritt die Unterbringung konformer ausgestaltet werden solle. Der Entwurf beinhalte die Ausweitung der individuellen Sozialtrainings, der Bewährungshilfe und des Therapieangebots und werde derzeit finalisiert. Martin Engelberg (ÖVP) und Nikolaus Scherak (NEOS) wurden informiert, dass bei den Koalitionspartnern Einigkeit über einen deckenden Kostenersatz für langdauernde Strafverfahren herrsche. Die Budgetverhandlungen würden laufen. Von den NEOS-Abgeordneten Stephanie Krisper und Nikolaus Scherak auf vakante Leitungsposten im Bundesverwaltungsgericht, beim Obersten Gerichtshof und bei der Datenschutzbehörde angesprochen, bat die Justizministerin unter Verweis auf Koordinierungsgespräche um Geduld.

Anträge von SPÖ, FPÖ und NEOS vertagt

Die von den Oppositionsparteien zur Diskussion stehenden Entschließungsanträge wurden von ÖVP und Grünen ein weiteres Mal mehrheitlich vertagt. Vor dem Hintergrund der angespannten Lage am heimischen Wohnungsmarkt setzt sich die SPÖ dafür ein, ein "Recht auf Wohnung" im Staatsgrundgesetz zu verankern (2437/A). Dabei sollen Maßnahmen wie Mieterschutz und sozialer Wohnbau sicherstellen, dass eine ausreichende Zahl an Wohnungen zu angemessenen Preisen und Bedingungen zur Verfügung steht.

Um Kinderehen wirksam bekämpfen zu können, fordert die FPÖ von der Bundesregierung eine detaillierte Statistik über in Österreich bestehende Ehen von Minderjährigen ein (1460/A(E)). In Österreich dürfe man zwar erst ab 18 Jahren bzw. in Ausnahmefällen ab 16 Jahren heiraten, es könne aber nicht ausgeschlossen werden, dass auch Minderjährige als Ehepartner zusammenleben, hält die Fraktion im Antrag fest.

Den NEOS bereitet eine geplante EU-Verordnung zur Bekämpfung der Darstellung von Kindesmissbrauch Sorge. Laut Oppositionsfraktion ist eine flächendeckende, automatisierte Analyse von privaten Chats, Nachrichten und E-Mails durch die jeweiligen Provider geplant, was de facto eine anlasslose Massenüberwachung und eine Abschaffung des digitalen Briefgeheimnisses bedeuten würde (2445/A(E)). (Schluss) fan/med