Parlamentskorrespondenz Nr. 119 vom 14.02.2024

Gesundheitsausschuss: Facharztausbildung für Allgemein- und Familienmedizin einstimmig beschlossen

Oppositionelle Forderungen vom Ausbau der Medizinstudienplätze bis hin zu neuem MTD-Gesetz

Wien (PK) –  Die für die Einführung der Fachärztin bzw. des Facharztes für Allgemeinmedizin und Familienmedizin erforderliche gesetzliche Grundlage wurde in der heutigen Sitzung des Gesundheitsausschusses einstimmig beschlossen. Für das neue Sonderfach ist eine insgesamt fünfjährige Ausbildung (neun Monate Basisausbildung und 51 Monate fachärztliche Ausbildung) vorgesehen, mit der frühestens ab 1. Juni 2026 begonnen werden kann. Die Vertreter:innen aller Fraktion zeigten sich einig darin, dass damit ein wichtiger Schritt in Richtung Stärkung des Berufsbildes sowie generell der Primärversorgung in Österreich gelungen sei.

Bedenken bezüglich einer Verlängerung der Ausbildung, die derzeit knapp vier Jahre betrage, entgegnete ÖVP-Gesundheitssprecher Josef Smolle mit dem Argument, dass die letzten Monate in Lehrpraxen verbracht und die Jungmediziner:innen somit schon aktiv tätig sein würden. Durch die schrittweise Anhebung der Ausbildungszeit würden auch keine "Lücken" entstehen.

Von allen Fraktionen unterstützt wurden auch Änderungen im Krankenanstalten- und Kuranstaltengesetz (3867/A), wodurch Problemen im Bereich der ambulanten medizinisch-therapeutischen Betreuung hinsichtlich der Versorgung mit Ärztinnen und Ärzten besser begegnet werden soll. Aus diesem Grund soll in allen Bereichen, wo fast ausschließlich nicht-ärztliche therapeutische Leistungen erbracht werden, keine dauerhafte Anwesenheit von Ärzt:innen erforderlich sein.

Neues Sonderfach für Allgemein- und Familienmedizin mit fünfjähriger Ausbildung

Der Facharzt bzw. die Fachärztin Allgemeinmedizin und Familienmedizin soll die erste Anlaufstelle für sämtliche gesundheitliche Anliegen sein, heißt es im Initiativantrag von ÖVP und Grünen (3865/A). Das Aufgabengebiet des neuen Sonderfachs ist breit gefächert und umfasst die ganzheitliche, kontinuierliche und koordinative medizinische Betreuung des gesamten menschlichen Lebensbereiches, was auch durch den Zusatz "Familienmedizin" im Titel zum Ausdruck kommen soll. Im Rahmen der fachärztlichen Ausbildung, die 33 Monate Sonderfach-Grundausbildung und 18 Monate Sonderfach-Schwerpunktausbildung beinhaltet, sollen die Mediziner:innen nicht nur Einblick in andere Fächer wie etwa innere Medizin oder Kinder- und Jugendheilkunde erhalten, sondern vor allem auch Erfahrungen im beruflichen Alltag sammeln.

Neben der Arbeit in Lehrpraxen, Lehrgruppenpraxen und Lehrambulatorien können Teile der Ausbildung auch in Akutambulanzen zur Erstversorgung absolviert werden. Eine Übergangsbestimmung sieht einen stufenförmigen Ausbau der Dauer der Ausbildung in der Sonderfach-Schwerpunktausbildung über mehrere Jahre hinweg vor. Es besteht zudem die Wahlmöglichkeit, alle vor dem 1. Juni 2026 begonnenen Ausbildungen entweder nach dem derzeit geltenden Recht abzuschließen oder in die neue fachärztliche Ausbildung überzutreten.

Im Zuge der Novelle wird außerdem eine langfristige Lösung für jene Ärzt:innen geschaffen, die etwa aus Krisengebieten geflohen sind und die aufgrund einer während der Pandemie geltenden Ausnahmebestimmung seit einiger Zeit im heimischen Gesundheitswesen tätig sind. So haben nun etwa ukrainische Ärzt:innen vier Jahre Zeit, um eine Nostrifikation abzuschließen, sofern sie den Antrag dafür bis spätestens Ende 2024 gestellt haben. Damit ist gewährleistet, dass sie bis 1. August 2028 unter Aufsicht von im Inland zur selbständigen Berufsausübung berechtigten Ärzt:innen arbeiten können.

Erfreut über den Gesetzesantrag, der nach intensiven Beratungen und Einbindung aller Stakeholder nun heute beschlossen werden könne, zeigte sich Ralph Schallmeiner (Grüne). Damit schaffe man eine Ausbildung, die sich an internationalen Standards orientiere.

Dieser Aussage schloss sich auch Josef Smolle (ÖVP) an, der zudem die Erweiterung in Richtung Familienmedizin sowie die "guten und tragbaren Übergangsbestimmungen" hervorhob.

Auch Philip Kucher (SPÖ) beurteilte die Änderungen positiv. Man dürfe jedoch nicht davon ausgehen, dass diese Maßnahme ausreichen werde, um die Allgemeinmedizin generell zu stärken. Wenn man eine Harmonisierung der Leistungen oder die Vereinheitlichung des Leistungskatalogs anstrebe, dann bräuchte es deutlich mehr Mittel. 

Von einem guten Beispiel für eine konstruktive Zusammenarbeit über alle Parteigrenzen hinweg sprach Gerhard Kaniak (FPÖ). Ansetzen könnte man noch bei der Basisausbildung, die seiner Meinung nach kürzer gestaltet werden sollte, sowie bei den Gehältern in den Lehrpraxen, die niedriger seien als in den Kliniken. Wenn man zudem nach der Ausbildung die Möglichkeit hätte, eine Primärversorgungseinheit alleine zu leiten, dann wäre das auch ein guter Anreiz, war er überzeugt.

Gesundheitsminister Johannes Rauch gab noch bekannt, dass die konkrete Ausgestaltung der Ausbildung in Form einer Verordnung bis zum Sommer vorliegen werde. In Richtung der Abgeordneten Fiona Fiedler (NEOS) stellte der Ressortchef klar, dass auch Primärversorgungseinheiten Lehrpraxen sein können.

SPÖ mahnt die versprochene Patientenmilliarde ein und fordert eine Termingarantie für medizinische Behandlungen

Das heimische Gesundheitssystem "krache an allen Ecken und Enden", kritisiert die SPÖ erneut in einem Entschließungsantrag, wobei die Probleme von fehlendem Personal, langen Wartezeiten auf Operationen bis hin zur mangelnden finanziellen Ausstattung reichen würden (3791/A(E)). Vor allem während der "schwarz-blauen" Regierungsperioden seien dem Gesundheitssektor Millionenbeträge entzogen und durch die "Zerschlagung der Krankenkassen" ein enormer Schaden angerichtet worden. Allein die ÖGK habe im Jahr 2023 einen Bilanzverlust von rund 386 Mio. € aufgewiesen, zeigt SPÖ-Klubobmann und Gesundheitssprecher Philip Kucher auf. Auch die versprochene Patientenmilliarde sei niemals eingelöst worden. Es wurde mittlerweile auch vom Rechnungshof bestätigt, dass es sich dabei um einen "Schmäh" gehandelt habe.

Abgeordnete Juliane Bogner-Strauß (ÖVP) führte ins Treffen, dass seit dem Jahr 2020 insgesamt 3,3 Mrd. € mehr für die Patient:innen zur Verfügung gestellt wurden. Sie vertrat auch die Meinung, dass die Fusion der Kassen viel gebracht habe und führte Leistungsharmonisierungen in den verschiedensten Bereichen an.

SPÖ für Verdoppelung der Medizinstudienplätze im Kampf gegen den Mangel an Ärzt:innen

Dringenden Handlungsbedarf sehen die Sozialdemokrat:innen auch in der Frage des Ärztemangels, der immer virulenter werde. Gründe dafür würden unter anderem in der Altersstruktur der Mediziner:innen und der hohen Teilzeitquote liegen. Um den Status quo zu erhalten, müssten mindestens 1.450 Personen pro Jahr das Medizinstudium absolvieren, derzeit seien es aber nur 840. Aus Sicht der SPÖ sei es daher erforderlich, nicht nur die Studienplätze zu verdoppeln, sondern auch die Aufnahmetests zu evaluieren (2947/A(E)).

Seit dem Jahr 2014 sei die Anzahl der Studienplätze kontinuierlich gestiegen, gab Josef Smolle (ÖVP) zu bedenken. Ein Problem bestehe darin, dass etwa in Wien bis zu 18 Monate auf einen Platz für die Basisausbildung gewartet werden müsse. Auch Gerhard Kaniak (FPÖ) verwies auf die langen Wartezeiten und regte die Einführung einer Ausbildungsplatzgarantie an. Nicht nur die Ausbildungsplätze seien ein Problem, sondern auch die Arbeitsbedingungen, die attraktiver gestaltet werden müssten. So habe etwa eine Evaluierung der Ärztekammer ergeben, dass die Jungmediziner:innen mit der Ausbildungsqualität in den Spitälern nicht zufrieden seien.

FPÖ: Berufsrechts-Novelle der gehobenen medizinisch-technischen Dienste (MTD) sowie Verbesserung der unfallchirurgischen Versorgung in Österreich

Eine Novelle des Berufsrechts der gehobenen medizinisch-technischen Dienste (MTD) forderte FPÖ-Gesundheitssprecher Gerhard Kaniak mittels Entschließungsantrag (3380/A(E)). Diese sei "dringend" notwendig, da das seit 30 Jahren geltende MTD-Gesetz nicht mehr aktuellen Anforderungen an die sieben MTD-Berufe (Biomedizinische Analytik, Diätologie, Ergotherapie, Logopädie, Orthoptik, Physiotherapie und Radiologietechnologie) entspreche.

Abgeordneter Ralph Schallmeiner (Grüne) informierte darüber, dass ein neues MTD-Gesetz in Verhandlung sei und beantragte deshalb die Vertagung der FPÖ-Initiative.

Gefahr in Verzug orteten die Freiheitlichen auch bei der unfallchirurgischen Versorgung in Österreich (3337/A(E)). FPÖ-Abgeordneter Gerhard Kaniak verweist dabei auf einen offenen Brief der diesbezüglichen Fachgesellschaft, die davor warne, dass die Versorgung von Schwerverletzten vor dem Kollaps stehe. Die Probleme reichten von dramatischen Personalproblemen in den Spitälern, Ausbildungslücken im Sonderfach "Orthopädie und Traumatologie" bis hin zur mangelnden Umsetzung von sogenannten Traumanetzwerken in zahlreichen Bundesländern. Es gelte daher, diese im Forderungskatalog der Österreichischen Gesellschaft für Unfallchirurgie (ÖGU) enthaltenen Maßnahmen rasch umzusetzen, drängt der FPÖ-Gesundheitssprecher. Überdies brauche es dringend einen Ausbau der OP-Kapazitäten sowie eine Attraktivierung des Spitalsarztberufs.

NEOS für bessere Steuerung der Fächerverteilung in der Medizin

Von den NEOS lag ein Antrag zum Thema Ärzt:innenmangel vor, wobei es ihnen vor allem um eine bessere Steuerung der Fächerverteilung in der Medizin ging (2930/A(E)). Große Engpässe würden derzeit vor allem bei Kinderärzt:innen, Kinder- und Jugendpsychiater:innen sowie bei Allgemeinmediziner:innen insbesondere in ländlichen Regionen bestehen, gab Fiona Fiedler (NEOS) zu bedenken. Außerdem gebe es seit längerer Zeit einen Mangel an Gerichtsmediziner:innen, was zu Problemen bei der Strafverfolgung vor allem im Bereich der Gewaltdelikte führe. Ziel müsse es sein, eine zukunftsgerichtete Fächerbesetzung zu gewährleisten, lautete die zentrale Forderung.

Diagnosedokumentation in Arztpraxen

Ein weiterer NEOS-Vorschlag zielte auf eine verpflichtende ICPC-2-Diagnosedokumentation im niedergelassenen Bereich ab (1426/A(E)). Dabei handelt es sich um eine Klassifizierung, die speziell für die Primärversorgung und die Hausarztmedizin erarbeitet wurde. In Deutschland sei die Anwendung bereits seit 2009 gängige Praxis, in österreichischen Primärversorgungspraxen werde die ICPC-2-Codierung teilweise - aber nicht flächendeckend - angewandt.

Alle auf der Tagesordnungen stehenden Entschließungsanträge der Opposition wurden mit den Stimmen von ÖVP und Grünen vertagt. (Fortsetzung Gesundheitsausschuss) sue