Parlamentskorrespondenz Nr. 168 vom 28.02.2024

Nationalrat: Neue Ausbildung in Allgemeinmedizin, Schritte gegen Ärztemangel, und aktualisierte Berufskrankheitenliste

Frauengesundheitsbebericht 2022 zeigt Lücken in der Verfügbarkeit frauenspezifischer Gesundheitsdaten auf

Wien (PK) – Die für die Einführung der Fachärztin bzw. des Facharztes für Allgemeinmedizin und Familienmedizin erforderliche gesetzliche Grundlage wurde in der heutigen Sitzung des Nationalrats einstimmig beschlossen. Für das neue Sonderfach ist eine insgesamt fünfjährige Ausbildung (neun Monate Basisausbildung und 51 Monate fachärztliche Ausbildung) vorgesehen, mit der frühestens ab 1. Juni 2026 begonnen werden kann. Die Vertreter:innen aller Fraktion zeigten sich einig darin, dass damit ein wichtiger Schritt in Richtung Stärkung des Berufsbildes sowie generell der Primärversorgung in Österreich gesetzt werde. Gesundheitsminister Johannes Rauch kündigte an, dass eine begleitende Verordnung bis zum Sommer vorliegen werde.

Von allen Fraktionen unterstützt wurden auch Änderungen im Krankenanstalten- und Kuranstaltengesetz, um Problemen des Ärztemangels in der ambulanten medizinisch-therapeutischen Betreuung zu begegnen.

Der Nationalrat hat heute auch grünes Licht für eine Modernisierung der Berufskrankheitenliste gegeben. Die Abgeordneten stimmten einhellig für eine von ÖVP und Grünen beantragte ASVG-Novelle, die unter anderem eine übersichtlichere Gliederung der anerkannten Berufskrankheiten und die Aufnahme von vier neuen Krankheiten in die Liste bringt. Ein Entschließungsantrag der SPÖ, der eine weitergehende Lösung forderte, fand keine Mehrheit.

Mehrheitlich angenommen wurden zudem Änderungen im Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetz.

Mit Stimmenmehrheit zur Kenntnis genommen wurde der Frauengesundheitsbericht 2022.

Neues Sonderfach für Allgemein- und Familienmedizin soll Primärversorgung verbessern

Mit einem Initiativantrag haben ÖVP und Grüne das neue Berufsbild des Facharztes bzw. der Fachärztin für Allgemeinmedizin und Familienmedizin auf den Weg gebracht. Das Aufgabengebiet des neuen Sonderfachs umfasst die ganzheitliche, kontinuierliche und koordinative medizinische Betreuung des gesamten menschlichen Lebensbereiches, was auch durch den Zusatz "Familienmedizin" im Titel zum Ausdruck kommen soll. Im Rahmen der fünfjährigen fachärztlichen Ausbildung werden die Mediziner:innen nicht nur Einblick in andere Fächer wie etwa innere Medizin oder Kinder- und Jugendheilkunde erhalten, sondern vor allem auch Erfahrungen im beruflichen Alltag sammeln. Eine Übergangsbestimmung sieht einen stufenförmigen Ausbau der Dauer der Ausbildung in der Sonderfach-Schwerpunktausbildung über mehrere Jahre hinweg vor. Es besteht zudem die Wahlmöglichkeit, alle vor dem 1. Juni 2026 begonnenen Ausbildungen entweder nach dem derzeit geltenden Recht abzuschließen oder in die neue fachärztliche Ausbildung überzutreten.

Im Zuge der Novelle wird außerdem eine langfristige Lösung für jene Ärzt:innen geschaffen, die etwa aus Krisengebieten geflohen sind und die mit einer während der Pandemie geltenden Ausnahmebestimmung seit einiger Zeit im heimischen Gesundheitswesen tätig sind. Das ermöglicht etwa ukrainischen Ärzt:innen, innerhalb von vier Jahren eine Nostrifikation abzuschließen, wenn sie den Antrag dafür bis spätestens Ende 2024 stellen.

Philip Kucher (SPÖ) sagte, seine Fraktion begrüße alle Maßnahmen, die die Allgemeinmedizin stärken. Zu befürchten sei aber, dass die grundsätzlich guten Schritte des Gesundheitsministers nicht ausreichen würden. Für eine Verbesserung des Gesundheitssystems werde neben mehr Geld für das System auch eine Erhöhung der Zahl der Medizinstudienplätze nötig sein, das fordere nicht nur die Sozialdemokratie. Rudolf Silvan (SPÖ) unterstrich die Forderung der SPÖ nach Maßnahmen gegen den Ärzt:innenmangel im öffentlichen Gesundheitswesen mit einem Entschließungsantrag, der jedoch keine Mehrheit fand.

Die Reform der Ausbildung für Allgemeinmedizin sei einer von vielen Schritten, die in den letzten Monaten zur Umsetzung der Reform des Gesundheitssystems gesetzt worden seien, betonte Ralph Schallmeiner (Grüne). Die Facharztausbildung für Allgemeinmedizin werde aber auch entsprechende Zahl von Ausbildungsplätzen benötigen, das werde Aufgabe der Länder sein. Er brachte einen Abänderungsantrag der Koalitionsfraktionen ein, der neben redaktionellen und technischen Änderungen und Klarstellungen den vom Gesundheitsausschuss beschlossenen Antrag um Regelungen betreffend Sprachprüfungen und den Erwerb der Bezeichnung Fachärztin bzw. Facharzt ergänzte.

Die Bundesländer hätten sich mit nicht zutreffenden Argumenten lange gegen die neue Facharztbildung gesträubt, erinnerte Fiona Fiedler (NEOS). Die nun getroffene Regelung werde aus ihrer Sicht für die Allgemeinmediziner:innen und die Patient:innen viele Vorteile bringen, da die neuen Fachärzte viele kleine Behandlungen selbst durchführen würden können. Damit könne man Überweisungen vermeiden und Wartezeiten verkürzen.

Von einem "sehr erfreulichen Tag für die Gesundheitsversorgung" sprach Josef Smolle (ÖVP). Die neue gesetzliche Lage werde der Wichtigkeit der Rolle der Allgemeinmediziner:innen gerecht. Auch Martina Diesner-Wais (ÖVP) zeigte sich erfreut über den Beschluss, von dem sie sich vor allem auch eine bessere ärztliche Versorgung des ländlichen Raums erhofft. Die Verlängerung der Ausbildung werde so angelegt, dass es zu keiner Lücke in der Verfügbarkeit von ausgebildeten Ärzt:innen kommen werde, zeigte er sich zufrieden. Werner Saxinger (ÖVP) begrüßte die Änderung, die das Berufsbild Allgemeinmedizin attraktiver mache. Eine klare Absage müsse er der SPÖ-Forderung nach einer Termingarantie für Fachärzt:innen erteilen, das sie der Realität im Gesundheitswesen nicht entspreche.

Dagmar Belakowitsch (FPÖ) führte aus, dass der beschrittene Weg in die richtige Richtung weise und ihre Fraktion ihn auch unterstütze. Ob damit der Beruf tatsächlich attraktiver und dem Ärztemangel im niedergelassenen Bereich abgeholfen werde, werde sich noch zeigen müssen.

Liste der Berufskrankheiten wird aktualisiert

Mit einer per Initiativantrag auf den Weg gebrachten ASVG-Novelle wird die Berufskrankheitenliste um vier Krankheitsbilder erweitert, während Erkrankungen durch Thomasschlackemehl mangels Relevanz gestrichen werden. Damit umfasst die Liste künftig 73 Krankheiten. Mit einem Abänderungsantrag im Gesundheitsausschuss stellten die Abgeordneten sicher, dass auch Personen, die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes an einer der neu aufgenommenen Berufskrankheiten erkrankt sind, ab März 2024 Anspruch auf Leistungen der Unfallversicherung haben. Gleiches gilt für Hinterbliebene der betroffenen Personen.

Seitens der SPÖ begrüßte Rudolf Silvan die seit langem geforderte Anpassung. Seine Fraktion hätte sich aber eine wesentlich umfangreichere Erweiterung gewünscht, da Österreich deutlich hinter Deutschland hinterherhinke. Dort werde etwa auch Long COVID bei Personen im Gesundheitsbereich als Berufskrankheit anerkannt. Auch die Aufnahme von Erkrankungen des Bewegungs- und Stützapparats bei Schwerarbeiter:innen wäre aus seiner Sicht wichtig.

Markus Koza (Grüne) führte aus, die Liste und die Definition von Berufskrankheiten sei wichtig, da aus diesen Krankheitsbildern auch gewisse Versicherungsansprüche abgeleitet werden können. Die Liste werde auch neu strukturiert und damit übersichtlicher, sie werde aber zweifellos immer wieder an die Berufswelt angepasst werden müssen. Auch Werner Saxinger (ÖVP) wies darauf hin, dass die Aktualisierung überfällig war, nachdem die Liste zuletzt 2006 geändert wurde.

Ein von SPÖ-Abgeordnetem Robert Silvan bereits Anfang 2021 eingebrachter Entschließungsantrag, der auf eine umfassende Überarbeitung der Berufskrankheitenliste abzielt, fand keine Mehrheit.

Bundesgesetz über Krankenanstalten und Kuranstalten

Mit der Novellierung des Krankenanstalten- und Kuranstaltengesetzes soll eine bessere ärztliche Versorgung im Bereich der ambulanten medizinisch-therapeutischen Betreuung sichergestellt werden. Aus diesem Grund soll in allen Bereichen, wo fast ausschließlich nicht-ärztliche therapeutische Leistungen erbracht werden, keine dauerhafte Anwesenheit von Ärzt:innen erforderlich sein. Martina Diesner-Wais (ÖVP) betonte, dass das eine sinnvolle Änderung sei. Im Nationalratsplenum brachten die Abgeordneten von ÖVP und Grünen noch einen Abänderungsantrag mit redaktionellen Änderungen ein.

Fristverlängerungen im Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetz

Mit in Verhandlung stand auch ein weiterer von den Koalitionsfraktionen eingebrachter Initiativantrag mit Änderungen im Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetz. Inhalt sind im Wesentlichen die Verlängerung von Bestimmungen zu COVID-19-Tests und zur Abgabe von Heilmitteln.

Frauengesundheitsbericht 2022 zur Notwendigkeit frauenspezifischer Versorgung

Mit breiter Mehrheit zur Kenntnis genommen wurde der Frauengesundheitsbericht 2022, der nach über zehn Jahren  nun wieder Informationen zur gesundheitlichen Lage von Frauen und Mädchen liefert. Die zentrale Erkenntnis: Zu zahlreichen frauenspezifischen Gesundheitsfragen liegen in Österreich keine repräsentativen Daten vor. Dabei haben Frauen und Mädchen häufig andere Erkrankungsrisiken sowie Krankheitsverläufe als Männer und werden dementsprechend oft unzureichend diagnostiziert. Der Bericht zeigt unter anderem, dass Frauen rund 20 ihrer durchschnittlich 84 Lebensjahre in mittelmäßiger bis schlechter Gesundheit verbringen und deutlich häufiger von Depressionen und Demenz betroffen sind als Männer. Auch gynäkologische Erkrankungen tragen bedeutend zur Krankheitslast von Mädchen und Frauen bei.

Es gebe einen "Gender Data Gap" in der Medizin, betonte Gesundheitsminister Johannes Rauch. Der Bericht leiste einen wertvollen Beitrag, um das sichtbar zu machen. Studienergebnisse zur Menstruationsgesundheit mit Fokus auf Endometriose sowie zur Machbarkeit von kostenfreier Verhütung, kündigte Rauch für  das erste Quartal 2024 an.

Frauenspezifische Berichte würden wichtige Anhaltspunkte für eine bessere Versorgung von Frauen bieten, betonte auch Meri Disoski (ÖVP). Sie hob insbesondere den Bedarf für mehr Forschung über Endometriose sowie einen flächendeckenden Zugang zu einem Schwangerschaftsabbruch hervor. Ralph Schallmeiner (Grüne) zeigte sich überzeugt, dass Endometriose die am besten erforschte Krankheit der Welt wäre, wenn Männer davon betroffen wären.

Für Eva-Maria Holzleitner (SPÖ) liefert der Bericht klare Handlungsanleitungen für die Politik. Es brauche einen guten Zugang und eine Kostenübernahme für Schwangerschaftsabbrüche sowie mehr Forschungsgelder und eine bessere Ausbildung für frauenspezifische Medizin. Im Bereich der sozialen Medien sprach Holzleitner sich für eine Kennzeichnungspflicht von bearbeiteten Bildern aus. Weil umfassende Änderungen notwendig seien, brachte die Abgeordnete  einen Entschließungsantrag ein, mit dem sie einen "Nationalen Aktionsplan Frauengesundheit" einmahnte. Auch Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) unterstrich diese Forderung. Der Antrag blieb aber in der Minderheit. Mario Lindner (SPÖ) sprach sich unter anderem für eine Gratis-HPV-Impfung für alle Menschen bis 30 Jahren aus.

Henrike Brandstötter (NEOS) plädierte dafür, in der Gender-Medizin aktiver zu werden. Nach über 50 Jahren könnte man aus ihrer Sicht außerdem darüber nachdenken, ob die Fristenlösung noch zeitgemäß sei.

Die wichtigste Erkenntnis sei, dass es mehr Daten zu frauenspezifischen Gesundheitsthemen brauche, meinte Elisabeth Pfurtscheller (ÖVP). Sie hielt zur Position der ÖVP zum Thema Abtreibung fest: "Wir rütteln nicht an der Fristenlösung und haben nicht vor, Änderungen vorzunehmen". Für Gudrun Kugler (ÖVP) waren Themen wie Unterstützungsmöglichkeiten rund um Konfliktschwangerschaften, Gewalt an Prostituierten und Gender-Medizin, im Bericht nicht umfassend genug abgebildet.

Auch Rosa Ecker (FPÖ) bezeichnete den Bericht als "lückenhaft". Sie forderte unter anderem Psychotherapie als Kassenleistung sowie eine bessere Betreuung von Müttern. Gerald Hauser (FPÖ) führte als Grund der Ablehnung an, dass Daten aus der Corona-Zeit wie etwa Impfnebenwirkungen nicht berücksichtigt worden seien. (Fortsetzung Nationalrat) sox/kar

HINWEIS: Sitzungen des Nationalrats und des Bundesrats können auch via Livestream mitverfolgt werden und sind als Video-on-Demand in der Mediathek des Parlaments verfügbar.