Parlamentskorrespondenz Nr. 241 vom 12.03.2024
Justizausschuss: Neue Haftungsregeln im ABGB sollen unnötiges Zurückschneiden oder Fällen von Bäumen verhindern
Wien (PK) - Dem heutigen einstimmigen Beschluss im Justizausschuss über die Neuregelung der Haftungsbestimmungen für Schäden, die durch das Umstürzen von Bäumen oder das Herabfallen von Ästen entstehen, ist eine langjährige Diskussion vorausgegangen. Es wurde nämlich von vielen Seiten als unbefriedigend angesehen, dass oft aus Angst vor einer möglichen Haftung Bäume flächendeckend gefällt wurden, selbst wenn das aus Sicherheitsaspekten gar nicht erforderlich gewesen wäre. Bisher mussten Baumbesitzer:innen nämlich – analog zur Gebäudehaftung – in Schadensfällen nachweisen, dass sie keine Schuld trifft. Diese Beweislastumkehr soll nun entfallen; künftig müssen die Geschädigten nachweisen, dass Sorgfaltspflichten verletzt wurden. Die neu eingefügte Gesetzesbestimmung in das ABGB, die explizit nur für Bäume außerhalb des Waldes gilt, soll ab 1. Mai 2024 in Kraft treten.
Im Zuge der Debatte über den aktuellen EU-Vorhabensbericht ihres Ressorts informierte Ministerin Alma Zadić die Abgeordneten darüber, dass der belgische Ratsvorsitz intensiv an einer Lösung für das heftig in Diskussion stehende Lieferkettengesetz arbeite. Es werde derzeit über Kompromissvorschläge, die eine Einschränkung des Anwendungsbereichs (z.B. Ausnahmen für kleinere und mittlere Unternehmen) vorsehen, beraten. Der Bericht wurde einstimmig zur Kenntnis genommen.
Die Zustimmung aller Fraktionen fand auch ein Gesetzesantrag von ÖVP und Grünen, durch den die ordnungsgemäße Umsetzung der EU-Richtlinie zum Rechtsbeistand in Verfahren sichergestellt werden soll. Er enthält insbesondere Klarstellungen im Hinblick auf den Zugang zu einem Rechtsbeistand sowie die Berücksichtigung des Kindeswohls.
Änderungen im ABGB zur Lösung haftungsrechtlicher Fragen bei Bäumen
Die Haftung für Bäume soll durch Einfügung einer eigenen Gesetzesbestimmung in das Schadenersatzrecht des ABGB auf eine neue, spezifische Grundlage gestellt werden, sieht die von Justizministerin Alma Zadić vorgelegte und heute nun einstimmig beschlossene Regierungsvorlage vor (Haftungsrechts-Änderungsgesetz 2024, 2462 d.B.).
Nicht von der Neuregelung betroffen sind Bäume im Wald; die dafür geltenden Bestimmungen im Forstgesetz bleiben unberührt. Die neue Bestimmung bezieht sich auch nicht auf sämtliche mögliche Schadensfälle, die im Zusammenhang mit Bäumen denkbar sind. So unterliegt beispielsweise der Sturz eines Arbeiters, der Baumpflegemaßnahmen durchführt und dabei herabfällt, ebenso anderen Regeln wie etwa der Anprall eines stürzenden Schifahrers gegen einen Baum am Rand einer Piste, ist den Erläuterungen zu entnehmen. Nicht jeder im weitesten Sinn baumbezogene Schaden wird also von der neuen Gesetzesbestimmung erfasst, sondern nur jene Schadensereignisse, die in der bisherigen Rechtsprechung auch der Ansatzpunkt für die Analogie zur Gebäudehaftung waren, nämlich das Umstürzen eines Baumes sowie das Herabfallen von Ästen.
Zugleich soll zur Berücksichtigung des Gemeinwohls in den Regelungen ein besonderes Interesse an einem möglichst naturbelassenen Zustand eines Baumes als Abwägungskriterium eingeführt werden. Konkret wird im ABGB festgehalten, dass der oder die Halter:in des Baumes für den Ersatz des Schadens haftet, wenn er oder sie diesen durch Vernachlässigen der erforderlichen Sorgfalt bei der Prüfung und Sicherung des Baumes verursacht hat. Die Beweislast soll jedoch künftig den oder die Geschädigte treffen.
Zadić: "Angstschnitte" sollen der Vergangenheit angehören
Ministerin Zadić zeigte sich sehr froh darüber, dass nach vielen Jahren nun eine Neuregelung der Baumhaftung umgesetzt werden könne. Sie ging nicht nur auf die Eckpunkte des Entwurfs ein, sondern wies unter anderem darauf hin, dass die Sorgfaltspflichten des Baumhalters insbesondere vom Standort und der damit verbundenen Gefahr, von der Größe, dem Wuchs und dem Zustand des Baumes abhängen. Es müsse berücksichtigt werden, dass für Bäume auf einem Kinderspielplatz andere Kriterien gelten würden als für Bäume in einem Hinterhof, betonte sie. Nähere Details dazu werden in einem Baummanagement-Leitfaden zusammengefasst, informierte die Ministerin. Auch das Interesse an einem möglichst naturbelassenen Zustand eines Baumes, die Bedeutung des Baumes für die natürliche Umgebung sowie die Eigenverantwortung der Menschen wurden in den Gesetzesentwurf aufgenommen.
Die Bäume hätten es sich verdient, einen eigenen Paragraphen zu bekommen, verlieh Ulrike Fischer (Grüne) ihrer Freude über die Regierungsvorlage Ausdruck. Nachdem bisher auf ein "Hilfskonstrukt" zurückgegriffen wurde, komme es nun zu einer "normalen" Regelung der Beweislast im Schadenersatzrecht, erläuterte Agnes Sirkka Prammer (Grüne). Damit werde ein Missstand behoben.
Auch Abgeordnete Gertraud Salzman (ÖVP) lobte die gut gelungene Lösung in der Frage der Baumhaftung, die im Sinne der Rechtssicherheit schon dringend notwendig gewesen sei.
Es sei gut, dass es zu einer Neudefinition im ABGB komme, meinte Christian Ragger (FPÖ). Er erinnerte daran, dass im letzten Jahr in Kärnten zwei kleine Kinder aufgrund von umstürzenden Bäumen gestorben seien. Daraus hätten sich nun langwierige Rechtsstreitigkeiten ergeben.
Eine Entschärfung der Haftungsregeln sei zu befürworten, erklärte SPÖ-Abgeordnete Selma Yildirim. Sie hoffe, dass damit mehr Bäume in den Gemeinden und Städten gerettet werden können. Zustimmung kam auch von Nikolaus Scherak (NEOS), zumal sich die Judikatur in den angesprochenen Fällen bisher einer "Krücke" bedienen musste.
EU-Vorhaben: Lieferketten, Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Kindesmissbrauch, Reparatur von Waren, SLAPP-Klagen
Zum Legislativ- und Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission für das Jahr 2024 und dem bis 31. Dezember 2024 reichenden 18-Monats-Arbeitsprogramm der Trio-Ratspräsidentschaft Spaniens, Belgiens und Ungarns hat Justizministerin Alma Zadić dem Nationalrat den Vorhabensbericht für das Jahr 2024 für ihr Ressort vorgelegt, der heute im Ausschuss auf der Agenda stand (III-1102 d.B.). Die Ministerin ging im Ausschuss auf einige prioritäre Themenbereiche näher ein und beantwortete damit in Zusammenhang stehende Fragen der Abgeordneten.
Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen
Die in Verhandlung stehende Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt zeige deutlich, dass dieses wichtige Thema auch verstärkt auf EU-Ebene in Angriff genommen werde, hob Zadić hervor. Ihrer Ansicht nach brauche es eine europaweite Harmonisierung, weshalb die bereits erzielte Einigung mit dem Europäischen Parlament in dieser Frage sehr positiv zu bewerten sei. Mit einer finalen Annahme könne im April gerechnet werden.
Keine Einigung gab es über die Aufnahme des Tatbestands der Vergewaltigung ("only yes means yes"), weshalb Österreich gemeinsam mit zehn anderen Ländern eine protokollarische Erklärung abgegeben habe, stellte die Ressortchefin gegenüber Harald Stefan (FPÖ) fest. Was die von SPÖ-Abgeordneter Selma Yildirim angesprochenen Gewaltambulanzen betrifft, so seien die diesbezüglichen Pläne schon weit fortgeschritten. Es konnte bereits ein Vertrag mit einer Einrichtung in Graz abgeschlossen werden. Ein besonderer Wert werde darauf gelegt, dass die Ambulanzen rund um die Uhr erreichbar sind und nicht nur mobile Teams zur Verfügung stehen, sondern auch ausgebildete Forensiker:innen.
EU-Lieferkettengesetz: Belgischer Ratsvorsitz sucht Kompromisslösung
Einen wichtigen Beitrag zur nachhaltigen Verbesserung der menschenrechtlichen, sozialen und ökologischen Situation entlang der gesamten Lieferkette werde nach Ansicht der Ministerin die Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit leisten, also das sogenannte EU-Lieferkettengesetz. Nachdem der belgische Ratsvorsitz sehr engagiert an einer Lösung arbeite, sehe sie einer Einigung optimistisch entgegen, sagte die Ministerin.
EU-Recht auf Reparatur
Mit dem Vorschlag für eine EU-Richtlinie zur Förderung der Reparatur von Waren werde man einer echten Kreislaufwirtschaft und dem Ziel der EU, bis 2050 klimaneutral zu werden, näherkommen, schloss sich die Ministerin der Wortmeldung von Abgeordneter Ulrike Fischer (Grüne) an. So sollen die Produzent:innen von Haushaltswaschmaschinen, Haushaltsgeschirrspülern, Kühlgeräten und Staubsaugern verpflichtet werden, Mängel innerhalb und auch außerhalb der Gewährleistungsfrist zu beheben. Zudem sei geplant, eine Online-Plattform einzurichten, die eine Suche nach Betrieben und den Kauf von "Refurbished-Produkten" ermögliche.
Umweltkriminalität, Kampf gegen Korruption und Abschöpfung von Vermögenswerten
Ein wachsendes Problem stelle die Umweltkriminalität dar, wobei jedoch die Verurteilungsrate noch viel zu niedrig sei, führte die Ministerin weiter aus. Die Einigung über den Richtlinienvorschlag, der Teil eines umfassenderen Pakets von Initiativen im Rahmen des europäischen Green Deals sei, werde daher ausdrücklich begrüßt. Durch die Aufnahme von neuen Straftatbeständen sollen unter anderem Sachverhalte wie die illegale Abfallverbringung über die Entsorgung von Schiffen oder der Handel mit illegal geschlägertem Holz abgedeckt werden.
Handlungsbedarf gibt es nach Ansicht von Zadić auch in der Bekämpfung von organisierter Drogenkriminalität, die vor allem in Belgien und in den Niederlanden sehr präsent sei. Durch die Richtlinie zur Abschöpfung von Vermögenswerten sollen die Möglichkeit der Behörden ausgeweitet und die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen den Ländern verbessert werden. Einheitliche und klare Regeln brauche es auch im Kampf gegen Korruption, zeigte sich Zadić überzeugt, ein entsprechender Richtlinienvorschlag stehe derzeit zur Diskussion. Österreich lege dabei Wert darauf, dass weder die derzeit geltende institutionelle Zuordnung von Ermittlungsbehörden zu Ministerien noch das verfassungsrechtlich vorgesehene Verfahren zur Aufhebung der Immunität durch das Parlament geändert werden müssen.
Die Ministerin stimmte mit Abgeordneter Gertraud Salzmann (ÖVP) überein, dass im Bereich der Schlepperkriminalität ein "altes" Rechtsinstrument vorliege, das dringend adaptiert werden müsse. Im Zuge dessen müsse aber auch klargestellt werden, dass humanitäre Hilfe nicht strafbar sein könne.
Dem FPÖ-Mandatar Harald Stefan teilte die Ministerin mit, dass es bezüglich der Sanktionenpolitik gegenüber Russland eine große Einigkeit zwischen den einzelnen Ländern gebe. In einem gemeinsamen Markt müsse man danach trachten, dass alle Schlupflöcher geschlossen werden, betonte sie. Zu den ebenfalls von Stefan angesprochenen Initiativen zum Schutz vor sogenannten SLAPP-Klagen, stellte Zadić fest, dass die derzeit geltende österreichische Rechtslage wohl ausreichen werde.
Bezüglich des Verordnungsvorschlags zur Anerkennung von öffentlichen Urkunden in Fragen der Elternschaft, der von Abgeordneter Gudrun Kugler (ÖVP) aufgeworfen wurde, bekräftigte Zadić, dass am Verbot der Leihmutterschaft in Österreich festgehalten werde.
Präzisierungen zur Umsetzung der EU-Richtlinie Rechtsbeistand
Um "jegliche Zweifel" an der ordnungsgemäßen Umsetzung der EU-Richtlinie zum Thema Rechtsbeistand in Verfahren auszuschließen, sollen mit einem Initiativantrag der Koalitionsparteien zur Änderung der Strafprozessordnung, des Jugendgerichtsgesetzes, des Finanzstrafgesetzes und des Verwaltungsstrafgesetzes einzelne Regelungen in diesem Bereich präzisiert werden (3822/A). Der Antrag wurde von allen Fraktionen positiv bewertet und daher einstimmig in der Fassung eines Abänderungsantrags, der nur kleine Korrekturen enthielt, angenommen.
So soll in der Strafprozessordnung (StPO) sichergestellt werden, dass von der Beiziehung eines Rechtsbeistands auch bei Anhaltung des bzw. der Beschuldigten nur dann abgesehen werden darf, wenn dies aufgrund besonderer Umstände unbedingt erforderlich erscheint, um etwa eine erhebliche Gefahr für die Ermittlungen abzuwenden, erläuterte ÖVP-Abgeordnete Corinna Scharzenberger. Vorgeschlagen wird weiters, die Regelungen in der StPO zur Belehrung des bzw. der Beschuldigten zu erweitern. Im Jugendgerichtsgesetz soll ferner ein Redaktionsversehen im Zusammenhang mit der Beiziehung von Jugendpsychiater:innen betreffend junge Erwachsene behoben werden. Beim Thema einer Verständigung eines Erziehungsberechtigten über den Freiheitsentzug soll außerdem festgeschrieben werden, dass die Verständigung unabhängig davon, ob ihr das Kind widerspricht, immer zu unterbleiben hat, wenn sie dem Kindeswohl zuwiderliefe.
SPÖ-Vertreterin Selma Yildirim schloss sich dem Antrag an, weil damit ein besserer Zugang zu Recht und eine Stärkung der Beschuldigtenrechte verbunden sei. Grundsätzlich positiv äußerte sich Harald Stefan von den Freiheitlichen, der sich aber eine Begutachtung gewünscht hätte. Georg Bürstmayr (Grüne) brach eine Lanze für den Berufsstand der Rechtsanwält:innen, die in Österreich ein sehr hohes Niveau im Bereich des Rechtsbeistandes gewährleisten würden.
Ministerium legt Berichte über Ausgaben zu COVID-19-Krisenbewältigungsfonds vor
Den Berichten zufolge wurden für das Ressort im Jahr 2023 für Maßnahmen im Zusammenhang mit COVID-19 wie auch im Vorjahr insgesamt 4,5 Mio. € budgetiert. Davon sind im Bereich des Straf- und Maßnahmenvollzugs 1,8 Mio. € und im Bereich der Gerichte und Staatsanwaltschaften 2,7 Mio. € vorgesehen. Wie bereits in den Vorjahren betreffen die Mittel im Justizbereich auch im Jahr 2023 vor allem die Beschaffung von Schutzausrüstung und die Durchführung bzw. Anschaffung von Tests. Im Jahr 2023 erfolgten keine zentralen Beschaffungen. Die Auszahlungen betrugen von Jänner bis Dezember 2023 in Summe 317.139,58 €. Ministerin Alma Zadić informierte darüber, dass im Jahr 2024 keine Mittel mehr veranschlagt seien.
Die Berichte für die Monate September (III-1045 d.B. ), Oktober (III-1061 d.B. ), November (III-1075 d.B .) und Dezember 2023 (III-1089 d.B. ) wurden einstimmig zur Kenntnis genommen. (Fortsetzung Justizausschuss) sue
Links
- III-1075 d.B. - Bericht nach § 3 Abs. 5 des Bundesgesetzes über die Errichtung des COVID-19-Krisenbewältigungsfonds für November 2023
- 3822/A - Strafprozeßordnung 1975, Jugendgerichtsgesetz 1988, Finanzstrafgesetz und Verwaltungsstrafgesetz 1991
- 2462 d.B. - Haftungsrechts-Änderungsgesetz 2024 – HaftRÄG 2024
- 1/A-JU - Justizausschuss
- III-1102 d.B. - Bericht der Bundesministerin für Justiz betreffend Jahresvorschau des BMJ für 2024
- III-1045 d.B. - Bericht nach § 3 Abs. 5 des Bundesgesetzes über die Errichtung des COVID-19-Krisenbewältigungsfonds für September 2023
- III-1061 d.B. - Bericht nach § 3 Abs. 5 des Bundesgesetzes über die Errichtung des COVID-19-Krisenbewältigungsfonds für Oktober 2023
- III-1089 d.B. - Bericht nach § 3 Abs. 5 des Bundesgesetzes über die Errichtung des COVID-19-Krisenbewältigungsfonds für Dezember 2023