Parlamentskorrespondenz Nr. 629 vom 01.07.2025
Neu im Innenausschuss
Wien (PK) – Die Bundesregierung will der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) künftig die Überwachung auch verschlüsselter digitaler Kommunikation ermöglichen. Dafür hat sie eine umfangreiche Novelle des Staatsschutz- und Nachrichtendienst-Gesetzes (SNG), des Sicherheitspolizeigesetzes, des Telekommunikationsgesetzes des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes und des Richter- und Staatsanwaltschaftsdienstgesetzes vorgelegt (136 d.B.).
Die Messenger- bzw. Gefährder-Überwachung soll ausschließlich der Abwehr besonders schwerwiegender verfassungsgefährdender Angriffe als "ultima ratio" dienen und strengen rechtlichen und technischen Kontrollvorgaben unterliegen. Dafür ist ein mehrstufiges Rechtsschutzsystem vorgesehen, in dem insbesondere das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) sowie ein:e unabhängige:r Rechtsschutzbeauftragte:r zentrale Prüf- und Genehmigungsaufgaben erhalten sollen.
Weitere Neuerungen betreffen die Flexibilisierung der Aufgabenzuteilung innerhalb der DSN, die Möglichkeit, polizeiliches Einschreiten zur Sicherung nachrichtendienstlicher Aufgaben aufzuschieben, die Erweiterung des Deliktskatalogs, Berichtspflichten an das Parlament und flankierende Änderungen etwa im Telekommunikationsgesetz.
Nachrichtenüberwachung soll vor schwerwiegenden verfassungsgefährdenden Angriffen schützen
Bisher habe das SNG lediglich die Ermittlung von Verkehrsdaten, nicht jedoch von Kommunikationsinhalten erlaubt, heißt es in den Erläuterungen. Praktische Erfahrungen im Zusammenhang mit dem vorbeugenden Schutz vor verfassungsgefährdenden Angriffen – insbesondere im Hinblick auf die Abwehr geplanter terroristischer Anschläge – sowie der internationale Vergleich hätten gezeigt, dass das Fehlen dieser Möglichkeit eine effiziente Aufgabenerfüllung der Verfassungsschutzbehörden unmöglich macht. Die österreichischen Verfassungsschutzbehörden seien in vielen Fällen auf Informationen von Partnerdiensten angewiesen.
Daher sollen im SNG nunmehr die Rechtsgrundlagen geschaffen werden, um in bestimmten, gesetzlich klar definierten Fällen die Überwachung von Inhaltsdaten zu ermöglichen. Aufgrund der zunehmenden Verlagerung auf internetbasierte, zumeist end-to-end-verschlüsselte Kommunikation (wie etwa über WhatsApp, oder Signal) sei diese Möglichkeit auch auf verschlüsselte Nachrichten zu erstrecken.
Dabei soll die Überwachung sowohl von unverschlüsselten als auch verschlüsselten Nachrichten auf die Vorbeugung besonders schwerwiegender verfassungsgefährdender Angriffe beschränkt werden, die im Falle ihrer Verwirklichung zumindest mit bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe bedroht wären, oder den Tatbestand der Spionage zum Nachteil Österreichs erfüllen. Die Aufnahme des letzteren Tatbestandes ist laut Erläuterungen insbesondere vor dem Hintergrund der geopolitischen Entwicklungen "besonders bedeutend". Die Überwachung konventioneller wie auch verschlüsselt kommunizierter Nachrichten soll nur als "ultima ratio" zulässig sein, wenn anderer Ermittlungsmaßnahmen aussichtslos wären.
Technische Beschränkungen und Anforderungen
Die Behörden sollen ausdrücklich nur Nachrichten überwachen dürfen, die im Zusammenhang mit einem Übertragungsvorgang stehen, heißt es in den Erläuterungen. Eine Online-Durchsuchung des gesamten betroffenen Computersystems inklusive lokal gespeicherter Daten sei nicht zulässig. Zudem soll die notwendige gerichtliche Bewilligung die Überwachung auf jene Applikationen und jenen künftigen Zeitraum beschränken, der zur Aufgabenerfüllung voraussichtlich erforderlich ist. Diese Beschränkung sei auch technisch sicherzustellen.
Die Überwachung unverschlüsselter Nachrichten benötige keinen zusätzlichen Eingriff in das Kommunikationsmedium der zu überwachenden Person, wie in den Erläuterungen ausgeführt wird. Bei verschlüsselten Datenströmen müsse jedoch ein Programm in das betreffende Computersystem (auch Smartphones und Tablets) eingebracht werden, um gesendete, übermittelte oder empfangene Nachrichten und Informationen noch vor deren Verschlüsselung bzw. nach deren Entschlüsselung ermitteln zu können. Diese Software müsse vor ihrer Einbringung auf das zu überwachende Computersystem und die zu beachtenden Überwachungsbeschränkungen abgestimmt werden. Bei der Einbringung des Programms dürften keine neuen Sicherheitslücken geschaffen werden und es bestehe auch keine Verpflichtung der Telekommunikationsanbieter, bestehende Sicherheitslücken offen zu halten.
Laut Regierungsvorlage ist sicherzustellen, dass keine über die für die Überwachung notwendigen Eingriffe hinausgehenden Veränderungen des Computersystems und der auf ihm gespeicherten Daten erfolgen. Nach Beendigung der Ermittlungsmaßnahme müsse die eingebrachte Software vollständig entfernt oder funktionsunfähig werden. Dies sei etwa durch die Ausstattung des Programms mit einem sogenannten "Kill-Switch" sicherzustellen, mit dem die Überwachungssoftware spätestens nach Ablauf der vorgegebenen Frist vollständig gelöscht werden könne.
Besonders zu achten sei auf die eindeutigen Zuordnung des Zielcomputers zur zu überwachenden Person. Dies soll etwa durch entsprechende begleitende Ermittlungsmaßnahmen sichergestellt werden. Das Zielgerät müsse sich demnach zumindest längerfristig in der Verfügungsgewalt des Betroffenen befinden, damit eine Überwachung unbeteiligter Dritter oder öffentlich zugänglicher Computersysteme ausgeschlossen ist. Zudem sieht die Regierungsvorlage umfangreiche Dokumentationspflichten für sämtliche Maßnahmen der Überwachungseinsätze vor.
Genehmigung der Überwachung durch das Bundesverwaltungsgericht
Aufgrund der "spezifischen Eingriffsintensität" der neuen Ermittlungsmaßnahmen, soll mit der Novelle laut Erläuterungen auch ein "neuartiges Rechtsschutzsystem" im Sinne besonderer Bewilligungs- und Kontrollverfahren eingeführt werden. Jede Nachrichtenüberwachung bedürfe demnach einer Genehmigung durch das Bundesverwaltungsgericht(BVwG). Der Antrag müsse ausführlich begründet werden und Angaben etwa zu Identifizierungsmerkmalen der zu überwachenden Person, zum befürchteten verfassungsgefährdenden Angriff, die Art der Nachrichtenüberwachung und deren begehrte Dauer enthalten. Letztere dürfe höchstens drei Monate betragen. Für eine Verlängerung der Bewilligung sei ein erneuter Antrag zu stellen.
Um ein möglichst hohes Prüfniveau zu gewährleisten, soll ein Dreirichtersenat beim BVwG über den Antrag entscheiden. Lediglich bei Gefahr im Verzug soll auch eine Einzelrichterin oder Einzelrichter die Genehmigung erteilen können. Für bestimmte Eilverfahren ist am BVwG zudem die Einrichtung einer Rufbereitschaft bzw. eines Journaldienstes vorgesehen.
Sollte sich die Überwachungsmaßnahme gegen Personen richten, die einem Amts- oder Berufsgeheimnis unterliegen, sei stets ein Senatsbeschluss erforderlich. In diesem Fall seien generell strengere Regelungen und zusätzliche Erfordernisse insbesondere für die Datenverarbeitung anzuwenden.
Die überwachte Person ist nach Abschluss der Maßnahme über Art, Dauer, Zweck und Rechtsgrundlage zu informieren und habe dann das Recht, innerhalb einer sechswöchigen Frist Revision beim BVwG oder Beschwerde zu erheben. Gleiches gelte für Kommunikationspartner:innen, soweit deren Identität feststellbar ist.
Die Rolle des:der Rechtsschutzbeauftragten
Noch bevor der Antrag beim BVwG gestellt wird, sei er einem:einer Rechtsschutzbeauftragten zur Stellungnahme vorzulegen, dem:der dafür drei Werktage eingeräumt werden sollen. Diesem:dieser obliege die begleitende Kontrolle der Nachrichtenüberwachung. Er oder sie soll umfassende Einsichtsrechte erhalten, die Beendigung einer Maßnahme verlangen können, wenn Voraussetzungen entfallen oder die Maßnahme unverhältnismäßig wird, und Revision beim BVwG erheben können. Vor dem erstmaligen Einsatz der Überwachungssoftware sei diese dem:der Rechtsschutzbeauftragten zur Prüfung vorzulegen, der insbesondere auf die vorgabengemäße Beschränkung der Überwachung zu achten habe.
Dem:der Rechtsschutzbeauftragten und seinen Stellvertreter:innen sollen neben den zur Bewältigung ihrer administrativen Tätigkeit notwendigen Personal- und Sacherfordenissen ausdrücklich auch die notwendigen technischen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Dazu zählen laut Regierungsvorlage insbesondere wissenschaftliche Mitarbeiter:innen, die die entsprechende technische Expertise des:der Rechtsschutzbeauftragten gewährleisten sollen.
Mit der Novelle soll auch die Möglichkeit der Abberufung eines:einer Rechtsschutzbeauftragten geregelt werden – etwa aufgrund von Pflichtverletzungen oder Unvereinbarkeiten.
Um die Integrität und Unabhängigkeit der Kontrollmechanismen sicherzustellen, sieht die Regierungsvorlage verpflichtende Vertrauenswürdigkeitsprüfungen vor. Diese gelten für den:die Rechtsschutzbeauftragte:n, seine Stellvertreter:innen und Mitarbeiter:innen sowie für jene Richter:innen des Bundesverwaltungsgerichts und dessen Bedienstete, die mit Anträgen auf Nachrichtenüberwachung befasst sind. Sie sind alle fünf Jahre oder im Anlassfall zu wiederholen.
Aufgabenübertragung innerhalb der DSN
Neben der Einführung der Nachrichtenüberwachung regelt die Novelle auch die Möglichkeit, in bestimmten Einzelfällen Aufgaben zwischen dem Nachrichtendienst und dem Staatsschutzbereich innerhalb der DSN zu übertragen. Die Praxis habe gezeigt, dass die strikte Aufgabenzuweisung eine rasche, zweckmäßige und effiziente Aufgabenerfüllung in gewissen Fallkonstellationen erschweren könne. Nun soll es unter engen Voraussetzungen möglich sein, dass der:die Direktor:in der DSN dem Nachrichtendienst auch staatsschutzpolizeiliche Aufgaben überträgt, etwa wenn sich aus nachrichtendienstlicher Beobachtung ein:e konkrete:r Gefährder:in ergibt, gegen den gefahrenabwehrende Maßnahmen erforderlich sind. Eine solche Aufgabenübertragung müsse schriftlich dokumentiert, zweck- und personenbezogen begründet und jederzeit widerrufbar sein. Jede Aufgabenübertragung soll einer eigenen Ermächtigung des Direktors bzw. der Direktorin bedürfen, wobei sowohl die Leiterin oder der Leiter der Informationsschnittstelle zwischen beiden Bereichen, als auch ein:e Rechtsschutzbeauftragte:r einbezogen werden müssten.
Aufschub polizeilichen Einschreitens zur Sicherung nachrichtendienstlicher Maßnahmen
Darüber hinaus soll mit der Novelle eine Rechtsgrundlage dafür geschaffen werden, in bestimmten Fällen ein polizeiliches Einschreiten oder kriminalpolizeiliche Ermittlungen aufzuschieben, sofern dies hinsichtlich der Aufgaben des Verfassungsschutzes erforderlich ist. Der Aufschub soll nur erfolgen dürfen, wenn dadurch keine Gefahr für Leben, Gesundheit und Freiheit Dritter besteht und dafür Vorsorge getroffen ist, dass ein aus der Tat entstehender Schaden zur Gänze gutgemacht wird. Über Gründe für den Aufschub sei der Staatsanwaltschaft unverzüglich Bericht zu erstatten. Diese soll dann anordnen können, den Aufschub zu beenden, falls sie es für erforderlich hält.
Berichtspflichten, Erweiterung des Deliktskatalogs und weitere Neuregelungen
Vorgesehen sind auch umfassende Berichtspflichten des Innenministers gegenüber dem Ständigen Unterausschuss des Ausschusses für innere Angelegenheiten. So solle der Ausschuss etwa über die erstmalige Inbetriebnahme eines Überwachungsprogramms, die Kosten der Überwachungen und über Aufgabenübertragungen innerhalb der DSN informiert werden. Eine "anlassbezogene unverzügliche Berichtspflicht" gelte, wenn innerhalb eines Kalenderjahres mehr als 30 Nachrichtenüberwachungen durchgeführt werden. Auch der:die Rechtsschutzbeauftragte habe dem Unterausschuss für Auskünfte zur Verfügung zu stehen.
Im Rahmen der Novelle ist auch der Deliktskatalog der für den Verfassungsschutz relevanten Tatbestände geplant. Er soll nunmehr auch die Beteiligung an einer religiös motivierten extremistischen Verbindung, die Auslieferung eines:einer Österreicher:in an eine ausländische Macht, schwere waffenrechtliche Verstöße und die Umgehung der sicherheitsrelevanten Investitionskontrolle (etwa strategische wirtschaftliche Beeinflussung) umfassen.
Zudem beinhaltet die Novelle die rechtliche Grundlage für die Einrichtung eines internetbasierten Hinweisgebersystems, über das der unabhängigen Kontrollkommission Verfassungsschutz Vorwürfe über die Tätigkeiten der DSN anonym gemeldet werden können.
Weiters sollen auch Anpassungen am Telekommunikationsgesetz vorgenommen werden, um etwa die erforderliche Mitwirkung der Anbieter der Kommunikationsdienste an der Nachrichtenüberwachung zu gewährleisten und einen angemessenen Kostenersatz für die Mitwirkung an den Ermittlungsmaßnahmen zu regeln.
Die neuen Regelungen sollen am Tag nach der Kundmachung in Kraft treten. Die Nachrichtenüberwachung solle jedoch erst erfolgen, sobald alle technischen Voraussetzungen für den Einsatz des Programms erfüllt sind, was dann vom Innenminister per Verordnung kundzumachen sei. (Schluss) wit