Fachinfos - Fachdossiers 31.01.2022

Herausforderungen bei der Förderung ehrenamtlicher Tätigkeiten

Das Fachdossier beschäftigt sich mit der Bedeutung des Ehrenamts, bestehenden rechtlichen Rahmenbedingungen und Maßnahmen zur Förderung ehrenamtlicher Tätigkeit sowie Herausforderungen, die es diesbezüglich zu beachten gilt. (31.01.2022)

Welche Herausforderungen sind bei der Förderung ehrenamtlicher Tätigkeit zu beachten?

Das österreichische Parlament widmete im Jahr 2021 dem Thema Ehrenamt einen inhaltlichen Schwerpunkt. Die Erfahrungen rund um die COVID-19-Pandemie haben mehr denn je veranschaulicht, welche Bedeutung ehrenamtliches Engagement hat. Nun zeigt eine Studie im Auftrag des Sozialministeriums große Auswirkungen der Pandemie auf das Freiwilligenengagement – so beendeten 22 % der Freiwilligen ihre Tätigkeit in dieser Zeit. Der Österreichische Integrationsfonds wiederum, der im Rahmen des Integrationsgesetzes für die Abwicklung der Werte- und Orientierungskurse zuständig ist, setzt ab 2022 auf das Engagement von AsylwerberInnen in ehrenamtlichen Organisationen. Das Thema wird also weiterhin im Zentrum öffentlicher Diskussionen stehen. Dementsprechend beschäftigt sich das vorliegende Fachdossier mit der Bedeutung des Ehrenamts, bestehenden rechtlichen Rahmenbedingungen und Maßnahmen zur Förderung ehrenamtlicher Tätigkeit sowie Herausforderungen, die es diesbezüglich zu beachten gilt.

Was bedeutet Ehrenamt?

Der Begriff des Ehrenamts bezeichnet traditionell „freiwillige, unbezahlte und uneigennützige Tätigkeiten, deren Lohn die ‚Ehre‘ ist“ (Reifenhäuser et al. 2017, Seite 14). Begriffe wie Ehrenamt, Freiwilligentätigkeit oder zivilgesellschaftliches Engagement werden oft gleichbedeutend verwendet. Allerdings heben sie unterschiedliche Schwerpunkte hervor. Während das Ehrenamt Funktionen in Vereinen oder Organisationen (z. B. der freiwilligen Feuerwehr) bezeichnet, umfasst die Freiwilligentätigkeit darüber hinaus auch Engagement außerhalb formeller Organisationen (wie z. B. Nachbarschaftshilfe) und damit ein breiteres Spektrum. Zivilgesellschaftliches Engagement hebt die Organisation von Bürgerinnen und Bürgern hervor, in deren Rahmen sie sich für bestimmte Anliegen einsetzen. Allen gemeinsam ist, dass das jeweilige Engagement freiwillig, nicht auf materiellen Gewinn ausgerichtet sowie gemeinwohlorientiert ist und im öffentlichen Raum stattfindet. Beispielsweise in Deutschland wird mittlerweile von „bürgerschaftlichem Engagement“ gesprochen, da das Engagement in der Regel gemeinschaftlich ausgeübt wird und auf die Interessen und Bedürfnisse von BürgerInnen abzielt (siehe dazu den Bericht der Enquete-Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“). In Österreich beziehen sich zumindest zentrale rechtliche Grundlagen meistens auf „freiwilliges Engagement“ (siehe z. B. der alle fünf Jahre erscheinende Freiwilligenbericht oder das Freiwilligengesetz).

Rechtliche Rahmenbedingungen und Maßnahmen zur Förderung freiwilligen Engagements

Gemäß § 2 des Freiwilligengesetzes liegt freiwilliges Engagement vor, „wenn natürliche Personen freiwillig Leistungen für andere, in einem organisatorischen Rahmen, unentgeltlich, mit dem Zweck der Förderung der Allgemeinheit oder aus vorwiegend sozialen Motiven und ohne dass dies in Erwerbsabsicht, aufgrund eines Arbeitsverhältnisses oder im Rahmen einer Berufsausbildung, erfolgt, erbringen.“ Das Gesetz gibt seit 2012 einen rechtlichen Rahmen für ausgewählte Bereiche des freiwilligen Engagements und dessen Förderung vor. Es legt die Voraussetzungen für die Absolvierung eines freiwilligen Sozial-, Umweltschutz- oder Integrationsjahres und regelt die Eckpfeiler des Gedenk-, Friedens- und Sozialdienstes im Ausland. Außerdem richtet es den Österreichischen Freiwilligenrat sowie einen Anerkennungsfonds für freiwilliges Engagement ein und institutionalisiert mit dem Freiwilligenpass einen Nachweis über freiwilliges oder ehrenamtliches Engagement.

Eine weitere Maßnahme zur Förderung des freiwilligen Engagements ist die Einrichtung des Freiwilligenweb, einer Informationsdrehscheibe und Vernetzungsplattform. Seit 1.1.2017 ist außerdem die steuerliche Absetzbarkeit von Spenden neu geregelt. Die Liste spendenbegünstigter Einrichtungen des Bundesministeriums für Finanzen umfasst neben Forschungs- und Wissenschaftseinrichtungen (z. B. Universitäten) sowie Museen auch freiwillige Feuerwehren, Landesfeuerwehrverbände sowie Vereine und Einrichtungen, die mildtätige Zwecke verfolgen, Entwicklungs- und Katastrophenhilfe betreiben oder für diese Zwecke Spenden sammeln. Auch die Förderung von gemeinnützigen Stiftungen gilt als Teil der Förderstruktur. Seit 1.9.2019 sehen mehrere Gesetze einen Rechtsanspruch auf Entgeltfortzahlung für freiwillige HelferInnen im Katastrophenfall vor (z. B. Angestelltengesetz, Landarbeitsgesetz, Katastrophenfondsgesetz). Bereits davor war in den Bundesländern vor allem in Feuerwehrgesetzen geregelt, dass freiwillige HelferInnen einen Anspruch auf den nachgewiesenen Verdienstentgang gegenüber dem jeweiligen Bundesland bzw. der Gemeinde haben. Auch Kollektivverträge können Regelungen enthalten, gemäß derer Entgeltfortzahlungen für ehrenamtlich tätige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei Rettungseinsätzen bzw. Ausbildungsveranstaltungen im Rahmen des freiwilligen Engagements vereinbart werden. Darüber hinaus unterstützen der Bund und die Bundesländer ehrenamtliche Tätigkeiten u. a. durch die Bereitstellung von Versicherungsschutz.

Wer engagiert sich freiwillig und warum?

Laut Freiwilligenbericht 2019 engagiert sich fast die Hälfte aller ÖsterreicherInnen ehrenamtlich – 46 % der Bevölkerung ab 15 Jahren. Inwiefern sich die bereits angedeuteten Entwicklungen infolge der COVID-19-Pandemie mittel- und langfristig auf diese Zahl auswirken, kann gegenwärtig noch nicht beurteilt werden.

Die ÖsterreicherInnen wenden im Wochenschnitt zwischen drei und fünf Stunden für ihre freiwilligen Tätigkeiten auf. Die meisten Menschen engagieren sich im Sektor Sport und Bewegung, gefolgt von Katastrophen- und Rettungsdiensten sowie Kunst, Kultur und Freizeit. Anhand der demografischen Merkmale lässt sich feststellen, dass sich die Art des Engagements stark nach Geschlecht unterscheidet. 82 % der in Katastrophen- und Rettungsdiensten Tätigen sind männlich, außerdem fast zwei Drittel in den Bereichen politische Arbeit und Interessenvertretung sowie Sport und Bewegung. Frauen sind dahingegen vor allem in den Bereichen Bildung, Kirchen und Religion sowie dem Sozial- und Gesundheitsbereich überrepräsentiert.

Unterscheidung des Freiwilligenengagements nach Geschlecht

Die Grafik „Freiwilligenengagement nach Geschlecht“ zeigt den Prozentsatz an ehrenamtlicher Arbeit von Frauen und Männern in den einzelnen Sektoren. Hier zeigt sich, dass Frauen mit 52 % eine höheres Engagement im Bereich der ehrenamtlichen Arbeit aufweisen, als Männer mit insgesamt 48 %.

Quelle: Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz: Bericht zum freiwilligen Engagement in Österreich (2020, Seite 22), Stand 31.1.2022, eigene Darstellung. 

Motivation für Freiwilligenengagement

Laut dem neuesten Jugendbericht im Rahmen des Demokratie-Monitors für das österreichische Parlament / PDF, 604 KB von SORA (Seite 25) sind trotz Pandemie rund ein Fünftel der jungen Menschen ehrenamtlich engagiert – dabei steht Engagement in Blaulichtorganisationen sowie dem Kunst- und Kulturbereich im Zentrum.

Wie die Professorin für Sozialarbeitspolitik Ursula Weber in ihrer Publikation Bürgerschaftliches Engagement und Ehrenamt in der Sozialwirtschaft feststellt, ist aus der sozialwissenschaftlichen Forschung bekannt, dass Personen mit einem niedrigeren oder mittleren Bildungsabschluss seltener für ehrenamtliche Tätigkeiten zu gewinnen sind. In Bezug auf dieses demografische Merkmal bedürfte es in Österreich aber noch tiefer gehender Untersuchungen.

Laut psychologischer Freiwilligenforschung werden als Motivationen, sich freiwillig zu engagieren, das Übernehmen von Verantwortung, Gerechtigkeitssinn sowie Gemeinwohlorientierung/Altruismus genannt. Darüber hinaus erfüllt die Tätigkeit aber auch andere Funktionen: So werden dadurch Werte zum Ausdruck gebracht, Erfahrungen und Kontakte gesammelt, soziale Integration gefördert, der Selbstwert gesteigert, politisch partizipiert oder einfach nur die Zeit vertrieben. Insgesamt lässt sich feststellen, dass freiwillige Tätigkeit vor allem intrinsisch motiviert ist – also aus einem inneren Antrieb heraus funktioniert. Wie die Psychologen Stukas, Snyder und Clary (1999) argumentieren, kann die Motivation dementsprechend verloren gehen, wenn Freiwilligenarbeit extrinsischer, also von außen kommender Kontrolle oder Belohnung unterworfen wird.

Aktuelle und zukünftige Herausforderungen

Der Umgang mit den Motivationslagen von (möglichen) Freiwilligen ist Teil jener Herausforderungen, mit denen sich das Ehrenamt konfrontiert sieht. Dazu zählen Individualisierung, infolge derer sich Freiwillige nicht an spezifische Organisationen binden, und Digitalisierung, die es ihnen ermöglicht, sich abseits dieser Organisationen im Sinne einer bestimmten Sache zu verpflichten. Um darauf zu reagieren, müssen Organisationen lernen, über die Grenzen der eigenen Strukturen hinauszudenken, sowie die Chance nutzen, neue Zielgruppen anzusprechen und für sich zu gewinnen. Eine andere im Zuge der COVID-19-Pandemie vielfach diskutierte Thematik ist die Frage der Wertschätzung ehrenamtlicher Tätigkeiten, die sich auf die Motivation möglicher Freiwilliger auswirken kann. Weniger offensichtlich sind dahingegen politische und rechtliche Rahmenbedingungen, die sich ebenso auf Dynamiken innerhalb des Bereichs der Freiwilligentätigkeit auswirken können. In einer Studie des Kompetenzzentrums für Non-Profit-Organisationen und Social Entrepreneurship der Wirtschaftsuniversität Wien verweisen More-Hollerweger und Pennerstorfer (2016) auf die Professionalisierung ehrenamtlichen Engagements, welche durch die Bereitstellung finanzieller Mittel, die Festlegung rechtlicher Rahmenbedingungen (inklusive rechtlicher Absicherung für Freiwillige) und die Definition von Qualitätskriterien angeregt wird. Ein ungewollter Nebeneffekt davon kann sein, dass die damit verbundene Bürokratisierung und Formalisierung Organisationen sowie Individuen davon abschreckt, ehrenamtlich tätig zu werden.

In den vergangenen Jahren war das Ehrenamt einerseits Thema, wenn Freiwillige für die Bewältigung einer Krise (z. B. Hochwasser, COVID-19-Pandemie) unverzichtbar waren. Andererseits stand es im Zentrum, wenn es um die Verpflichtung von Menschen in Bereichen ging, die zu einem wesentlichen Teil von Freiwilligenorganisationen abgedeckt werden. So wurde im Rahmen der Volksbefragung über die Wehrpflicht (2013) der Erhalt des Zivildienstes als wesentliches Argument für die Beibehaltung der Wehrpflicht ins Treffen geführt. Gegenwärtig betrifft diese Thematik etwa die vom Österreichischen Integrationsfonds abgehaltenen Werte- und Orientierungskurse, die für Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte ab dem vollendeten 15. Lebensjahr sowie für Drittstaatsangehörige und Asyl- und subsidiär Schutzberechtige, die Sozialhilfe beziehen, verpflichtend sind. Seit 2022 ist darin ein eigenes Kursmodul zum Thema Ehrenamt enthalten, in dessen Rahmen eine ehrenamtliche Organisation besucht und näher kennengelernt werden kann. Im November 2021 war das Ehrenamt auch Thema im vom österreichischen Parlament online abgehaltenen Jugendparlament – Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka erklärte darauf folgend, dass die dort erarbeiteten Ideen zum Ehrenamt aufgegriffen werden sollen.

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