Bezüglich aller dieser Überlegungen ist allerdings zu beachten, dass sie auf der Annahme beruhen, dass staatliche Institutionen in Krisenzeiten nach wie vor verfassungsgemäß funktionieren. Jedoch zeigen nicht nur historische Beispiele, sondern auch gegenwärtige Entwicklungen rund um neo-autoritäre Tendenzen, dass gerade Krisen oft dazu genutzt werden, um Grundpfeiler demokratischer Systeme zu schwächen. Umso wichtiger ist es, die Qualität demokratischer Institutionen (Gewaltentrennung, Verantwortlichkeit und Kontrolle, Transparenz und Öffentlichkeit, Inklusivität etc.) durch eine starke Institutionalisierung präventiv abzusichern. Während der COVID-19-Pandemie wurde anhand der Situation von Parlamenten ersichtlich, mit welchen Herausforderungen dieser Anspruch einhergeht. Wie Publikationen von Griglio (2020) oder Bolleyer und Salát (2021) zeigen, wurden deren Funktionalität und Position oft auf die Probe gestellt – vor allem hinsichtlich ihrer ausgleichende Rolle gegenüber Regierungen bzw. der Exekutive.
Abgesehen davon geben wissenschaftliche Debatten Aufschluss über etliche weitere Risiken, welche Krisenzeiten immanent und dementsprechend von staatlichen Institutionen zu beachten sind. Die folgenden Fragestellungen sind beispielhaft dafür:
- Wie beeinflussen Krisen die Teilhabe von Medien an öffentlichen Debatten und politischen Auseinandersetzungen? Können Krisen dazu führen, dass Medien ihre Rolle als „vierte Gewalt“ im Staat nicht adäquat ausüben können?
- Welche Relevanz hat das Internationale System, bestehend aus internationalem Recht, internationalen Organisationen etc., in Krisenzeiten? Ändern einzelne Staaten ihren Umgang damit, z. B. indem sie dessen Autorität nicht mehr anerkennen?
- Welche Rolle können die Wissenschaft spielen? Inwiefern basieren politische Entscheidungsfindungen auf wissenschaftlichen Evidenzen? Wann und warum werden wissenschaftliche Erkenntnisse kritisch bzw. unkritisch rezipiert? Welche Rolle spielen die Sozialwissenschaften – in Ergänzung zu einem rein technokratischen Zugang zu möglichen Lösungen?
In Anbetracht dieser und weiterer sich oft überschneidender Herausforderungen ist gegenwärtig wieder zunehmend die Rede davon, dass sich die Gesellschaft inmitten einer multiplen Krise befindet. In Wissenschaft und Politik herrscht jedoch das Bewusstsein, dass diese auch Chancen für positive Veränderungen bietet, wenn aus den Erfahrungen gelernt und ein übergreifender Ansatz verfolgt wird, der politische Ebenen, staatliche Räume und Politikbereiche verbindet (siehe z. B. Tomczyk 2022).