Fachinfos - Judikaturauswertungen 06.07.2023

Informationsanspruch aus Grundbuch für Journalist:innen

OGH 5.12.2022, 5 Ob 178/22w

Der Oberste Gerichtshof (OGH) hat – ähnlich dem Verfassungsgerichtshof in einer Entscheidung im Jahr 2021 (Zugang zu Informationen über Bezugsfortzahlungen) – entschieden, dass Journalist:innen bei Darlegung eines hinreichenden Interesses im Einzelfall in ihrer Rolle als „public watchdog“ einen Anspruch auf Zugang zu Informationen aus dem Personenverzeichnis des Grundbuchs haben können. Der OGH begründete seine Entscheidung mit einer – an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) orientierten – verfassungskonformen Auslegung des Begriffes des „rechtlichen Interesses“.

Sachverhalt

Der für das österreichische Grundbuch geltende Publizitätsgrundsatz, wonach jede:r in das Grundbuch Einsicht nehmen kann, wird unter anderem durch § 5 Abs. 4 Grundbuchsumstellungsgesetz (GUG) eingeschränkt:

In das Personenverzeichnis des Grundbuchs können, abgesehen von den darin eingetragenen Personen, nur jene Personen Einsicht nehmen, die ein rechtliches Interesse daran darlegen können. Ein solches rechtliches Interesse muss über ein bloß wirtschaftliches Interesse oder Interessen der Information, der Pietät, des Anstands oder der Ethik hinausreichen und beispielsweise der Klärung eines Rechtsverhältnisses dienen.

Das Vorliegen eines solchen rechtlichen Interesses begründeten zwei Journalisten im gegenständlichen Verfahren mit ihrer Rolle als „public watchdog“ und der damit verbundenen Wahrnehmung öffentlicher Interessen. Sie forderten im Zuge ihrer Recherche zur Umsetzung der aufgrund des Kriegs in der Ukraine verhängten Sanktionen Einsicht in das Personenverzeichnis des Grundbuchs an. Mit Hilfe dieser Informationen wollten sie feststellen, ob bzw. wie die Sanktionen in Österreich umgesetzt werden und ob es über die sanktionierten Personen hinaus exorbitante russische Vermögenswerte in Österreich gibt.

Entscheidung des Obersten Gerichtshofs

Nachdem die unterinstanzlichen Gerichte kein rechtliches Interesse im Sinne des § 5 Abs. 4 GUG begründet gesehen hatten, nahm der OGH eine verfassungskonforme Interpretation des Begriffs des „rechtlichen Interesses“ vor:

Ein Recht auf Zugang zu Informationen gemäß Art. 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) liege nach Rechtsprechung des EGMR unter anderem dann vor, wenn dieser Zugang für die Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung maßgeblich sei. Neben einer Abwägung der Grundrechte der betroffenen Personen müsse die Informationserteilung zudem verhältnismäßig sein, widrigenfalls kein Recht auf Zugang zu Informationen bestehe.

In Bezug auf die Daten jener im Antrag der Journalisten angeführten Personen, die auch in der Sanktionsliste der EU (Anhang I der VO (EU) 269/2014) angeführt seien, liege – so der OGH – ein überwiegendes öffentliches Interesse und somit ein Recht auf Zugang der Journalisten zu den diese Personen betreffenden Informationen aus dem Personenverzeichnis des Grundbuchs vor. Bei jenen Personen hingegen, die nur von anderen Staaten oder gar nicht mit Sanktionen belegt worden seien, verneinte der OGH mangels ausreichender Darlegung eines hinreichenden Interesses ein Recht der Journalisten auf Zugang zu den gewünschten Informationen aus dem Personenverzeichnis des Grundbuchs.

Vgl. zu diesem Verfahren die Pressemitteilung und den Volltext der Entscheidung.