Fachinfos - Judikaturauswertungen 07.02.2023

Interview eines Bürgermeisters zu Leerständen: hoheitliches Handeln?

OGH 14.9.2022, 1 Ob 80/22d

Der Oberste Gerichtshof (OGH) entschied zur Frage, inwieweit ein Handeln, das nicht selbst hoheitliche Aufgabe ist, sondern nur der Erfüllung von Aufgaben hoheitlicher Natur dient, aber einen hinreichend engen inneren und äußeren Zusammenhang mit einer hoheitlichen Aufgabe aufweist, selbst als hoheitliches Handeln im Sinne der Regelungen zur Amtshaftung angesehen werden muss. Nach der Entscheidung des OGH ist dies danach zu beurteilen, inwieweit das Handeln zum Kernbereich der jeweils in Betracht kommenden Verwaltungsmaterie gehört.

Sachverhalt

In einem Fernsehinterview, das der Innsbrucker Bürgermeister zur Problematik des Wohnungsleerstandes in der Landeshauptstadt gab, erklärte er unter anderem, dass „von 173 Wohnungen [eines von ihm konkret genannten Gebäudes] mehr als 90 Wohnungen, also rund die Hälfte der Wohnungen leer stehen“. Das habe sich im Zuge einer Leerstandserhebung, zu der die Stadt Innsbruck in einer Entschließung des Tiroler Landtages aufgefordert wurde, herausgestellt.

Das Immobilienunternehmen, welches das Gebäude zuvor errichtet hatte, klagte den Bürgermeister daraufhin auf Unterlassung und Widerruf dieser – so das klägerische Vorbringen – kreditschädigenden und unrichtigen Aussage.

Uneinigkeit bestand im Verfahren hinsichtlich der Frage, ob der Bürgermeister das Interview als Organ in Vollziehung der Gesetze oder als Privatperson gegeben hatte. Sowohl das Erst- als auch das Berufungsgericht waren der Ansicht, dass der Bürgermeister die Aussage als Organ im Sinne des Amtshaftungsgesetzes (AHG) getätigt hatte. Die klagende Partei erhob gegen diese Entscheidung einen Revisionsrekurs beim OGH.

Erleidet eine Person durch das Handeln eines Organs im Sinne des § 1 AHG einen Schaden in ihrem Erwerb oder Fortkommen, so kann sie die Haftung des Rechtsträgers (Stadt Innsbruck), dem das Organ zugerechnet wird, in Anspruch nehmen. Eine direkte Inanspruchnahme des Organs selbst, wie im vorliegenden Fall, wäre dann gemäß § 9 Abs. 5 AHG nicht möglich.

Entscheidung des Obersten Gerichtshofs

Der OGH teilte die Ansicht der Vorinstanzen nicht und gab dem Revisionsrekurs Folge: Handlungen, die der Erfüllung von Aufgaben hoheitlicher Natur dienten und einen hinreichend engen inneren und äußeren Zusammenhang mit einer hoheitlichen Aufgabe aufwiesen, hätten selbst hoheitliche Natur. Ob ein Interview hoheitliches Handeln darstelle, entscheide sich je nach Zugehörigkeit zum Kernbereich der jeweils in Betracht kommenden Verwaltungsmaterie.

Da das Tiroler Freizeitwohnsitz- und Leerstandsabgabengesetz (TFLAG) im vorliegenden Fall aber erst nach dem Zeitpunkt des Interviews beschlossen worden sei, bestehe kein Bezug zu einer hoheitlichen Handlung als „Vollziehung der Gesetze“. Bei der Äußerung über den (möglichen) Leerstand in einem ganz bestimmten Objekt handle es sich auch um keine Tätigkeit zur Vorbereitung eines Gesetzes.

Auch die vom Bürgermeister vorgenommene Bezugnahme auf seine Organfunktion an sich lässt aus Sicht des OGH keine Schlussfolgerung darauf zu, dass jede Tätigkeit dieser Person als Verwaltungshandeln bzw. als „Vollziehung der Gesetze“ zu klassifizieren wäre.

Der OGH sah in der inkriminierten Aussage des Bürgermeisters vor diesem Hintergrund eine bloße Bekräftigung seiner politischen Forderung nach einer Leerstandsabgabe. Diese sei der Privatsphäre des Bürgermeisters zuzurechnen und könne somit eine zivilrechtliche Unterlassungspflicht auslösen. Der von klägerischer Seite gewählte ordentliche Rechtsweg gegen den Bürgermeister selbst sei somit zulässig.

Vgl. zu diesem Verfahren den  Volltext der Entscheidung.