Fachinfos - Fachdossiers 28.11.2023

Kann man Demokratie messen?

Demokratie in Zahlen

In der Beschreibung und Vermittlung demokratischer Entwicklungen wird oft auf Demokratieindizes verwiesen. Sie zielen darauf ab, die Qualität von Demokratie(n) messbar zu machen, um so das Verständnis aktueller Entwicklungen zu verbessern. 

In der österreichischen Öffentlichkeit wird zum Beispiel über den sogenannten Demokratie-Index diskutiert. Dieser stellte im Oktober 2023 fest, dass der Zustand der demokratischen Infrastruktur – vor allem aufgrund von Verschlechterungen bei Grundrechten und Medien – stagniert. Auch für das Parlament sind derartige Entwicklungen von Interesse: Als Kooperationspartner des Demokratie Monitor legt es dabei besonderen Wert auf die Interessen und Einstellungen der Gruppe der Jungwähler:innen (16- bis 26-Jährige). 

Das vorliegende Fachdossier bietet einen Überblick darüber, was es bei der Verwendung von Demokratieindizes zu beachten gilt, welche Indizes existieren und welche Aussagen über die österreichische Demokratie getroffen werden.

Kann man Demokratie messen?

Demokratieindizes verfolgen in der Regel den Zweck, nachvollziehbare Daten zur Entwicklung von Demokratien zu erheben und zur Verfügung zu stellen. Dadurch sollen Vergleiche gezogen werden können – zwischen politischen Einheiten (in den meisten Fällen Nationalstaaten) und/oder zwischen verschiedenen Zeitpunkten (um etwaige Trends zu identifizieren). Sie stellen diese Daten aber nicht nur zur Verfügung, sondern legen oft selbst großen Wert auf eine komprimierte, möglichst einprägsame Darstellung, z. B. anhand von Rankings und/oder bestimmten Punktesystemen. 

Immer wieder beziehen sich Einschätzungen zur Entwicklung von Demokratie insgesamt genauso wie zu Entwicklungen in einzelnen Fällen auf die entsprechenden Zahlen. Wie Coppedge et al. (2017) in einem Vergleich unterschiedlicher Indizes nachweisen konnten, werden diese einerseits sehr häufig als Basis für weiterführende Untersuchungen und Debatten genutzt, andererseits dienen sie oft aber auch als Referenz für die Formulierung zugespitzter, öffentlichkeitswirksamer Aussagen zu Demokratie. 

Der Versuch, einfach nachvollziehbare Antworten auf eine derart komplexe Fragestellung – wie entwickelt sich die Qualität von Demokratie(n)? – zu liefern, birgt aber auch Gefahren. Das beginnt damit, dass nie alle – weder die Fragenden noch die Befragten – dasselbe Verständnis von Demokratie mitbringen. Weiters verweisen Kritiker:innen nicht nur auf die Unterschiedlichkeit politischer Systeme, sondern z. B. auch auf die unterschiedlichen Datenlagen in verschiedenen Nationalstaaten. Daran anschließend stellt sich die Frage, ob Vergleiche und verallgemeinernde Aussagen, die sich darauf beziehen, aus methodisch-wissenschaftlicher Perspektive überhaupt zulässig wären (siehe dazu z. B. den Vergleich unterschiedlicher Indizes von Vaccaro 2021). Abgesehen davon sehen Sozialwissenschaftler:innen die Bewertung der Qualität von Demokratie generell kritisch: Üblicherweise beruht sie auf normativen – historisch und geografisch spezifisch (meist eurozentristisch) geprägten – Vorstellungen davon, was "gute Demokratie" ist. Darüber hinaus ist Demokratie immer ein dynamischer Prozess und daher nur sehr schwer durch Momentaufnahmen, wie sie Demokratieindizes darstellen, zu erfassen (siehe dazu die Überlegungen des Politikwissenschaftlers Fabio Wolkenstein zu einer Theorie demokratischer Regressionen).

Aber gerade in Phasen gesellschaftlicher Transformation scheint der Bedarf nach Orientierungshilfen in Form von Indizes groß zu sein. So erhielten Demokratieindizes mit dem allmählichen Ende der sogenannten Dritten Demokratisierungswelle Ende der 1990er/Anfang der 2000er zunehmend Aufmerksamkeit. Parallel dazu nahm auch die wissenschaftliche Beschäftigung damit zu. Das gegenwärtig wachsende Interesse wird darauf zurückgeführt, dass (scheinbar) etablierte demokratische Grundsätze zunehmend infrage gestellt werden und antidemokratische bis (neo-)autoritäre Entwicklungen zu beobachten sind (siehe z. B. Demirovic 2018 oder ein Interview mit dem Politikwissenschaftler Wolfram Schaffar über autoritäre Entwicklungen). 

Um die Aussagekraft von Demokratieindizes einschätzen zu können, bedarf es einer kritischen Betrachtung der Organisationen bzw. Institutionen, die für deren Erstellung verantwortlich sind, sowie der angewandten Untersuchungsmethoden. Als Grundlage dafür listet der folgende Überblick existierende Demokratieindizes auf, gibt einen kurzen Einblick in die organisatorischen Hintergründe und unterschiedlichen Herangehensweisen und vergleicht die Ergebnisse anhand des Beispiels Österreich. 

Die österreichische Demokratie in internationalen Indizes

Unterschiedliche Organisationen versuchen mithilfe von Indizes, demokratische Entwicklungen in möglichst vielen Staaten regelmäßig und vergleichend zu analysieren. Zu jenen mit den aktuellsten Daten (für das Jahr 2022) zählen der Democracy Index (erstellt von der EIU Economist Intelligence Unit), Freedom in the World (Freedom House), Democracy Report (V-Dem Institute) und Stateness Index (Universität Würzburg). Sie ordnen Staaten in Kategorien und/oder ein Ranking ein. Wie Österreich dabei abschneidet, zeigt die folgende Tabelle:

Ein weiterer Index namens The Global State of Democracy (International IDEA) stuft jeden der 174 analysierten Staaten in unterschiedlichen Kategorien separat ein. Demnach ist Österreich Nummer 16 (-4) in der Kategorie Partizipation, Nummer 24 (-3) in der Kategorie Rechte, Nummer 32 (-1) in der Kategorie Repräsentation und Nummer 36 (-8) in der Kategorie Rechtsstaatlichkeit. Wie die Zahlen in Klammern zeigen, hat sich Österreich in allen Kategorien im internationalen Vergleich seit dem Vorjahr verschlechtert. Dementsprechend nennt der zum Index dazugehörige Bericht Österreich auch als Beispiel für jene Länder, die lange Zeit Vorreiter in Sachen Demokratie waren, sich aber momentan auf mehreren Ebenen negativ entwickeln (IDEA 2023, 102). 

Auch die in Tabelle 1 inkludierten Indizes sehen für Österreich eine negative (Democracy Report und Stateness Index) oder keine (Democracy Index und Freedom in the World) Tendenz. Als Gründe für die schlechteren Bewertungen werden angeführt: ein Abbau der Meinungs- und Pressefreiheit (IDEA 2023, 104), fehlende Transparenz – z. B. in der Gesetzgebung (V-Dem Institute 2023, 14) oder bzgl. der Tätigkeiten von Regierungsmitgliedern außerhalb ihrer Regierungstätigkeit (IDEA 2023, 110) – sowie die fehlende Berechenbarkeit der Umsetzung von Gesetzen (IDEA 2023, 102; V-Dem Institute 2023, 14). Vor allem die Abstufung Österreichs aus der Kategorie "Liberal Democracy" in die Kategorie „Electoral Democracy“ durch das V-Dem Institute (Democracy Report 2022) erhielt politische Aufmerksamkeit und wurde z. B. in einem Entschließungsantrag von Nationalratsabgeordneten der SPÖ, mit dem ein Demokratie- und Transparenzpaket gefordert wurde, thematisiert. 

Alle Organisationen, die für die oben genannten Indizes verantwortlich sind, verstehen sich in irgendeiner Form als Forschungsinstitutionen. Sie sind direkt angesiedelt an oder stehen in enger Beziehung zu Universitäten (V-Dem Institute; Universität Würzburg), NGOs (Freedom House), internationalen Organisationen (International IDEA) oder Medien (EIU). Neben den Auswertungen stellen sie mehr oder weniger detaillierte Informationen über die Methode (Wie wurde der Index erstellt?) sowie meist auch die erhobenen Daten frei zugänglich zur Verfügung.

Weitere bekannte internationale Indizes sind die Polity5 Data Series sowie das Democracy Barometer. Beide haben aber in den vergangenen Jahren keine aktuellen Zahlen und Untersuchungen mehr angeboten. Darüber hinaus gibt es eine Reihe von Indizes, die sich auf einzelne Komponenten von Demokratie fokussieren, wie z. B. Menschenrechte (Human Freedom Index; CIRI Human Rights Data Project), Rechtsstaatlichkeit (WJP Rule of Law Index), Informations- und Pressefreiheit (Global Right to Information Rating; World Press Freedom Index), ideologische Freiheit (Moral Freedom Index), ökonomische Freiheit (Economic Freedom of the World; Index of Economic Freedom), Wahlen (Perceptions of Electoral Integrity dataset) oder den Umgang mit Korruption (Corruption Perceptions Index).

Welche Indizes konzentrieren sich auf Österreich?

In Österreich existiert der Österreichische Demokratie Monitor. Laut eigener Definition soll er die Demokratieentwicklung in Österreich beobachten, auf Probleme aufmerksam machen und Lösungen vorschlagen. Die Daten werden seit 2018 jährlich erhoben und veröffentlicht. Eine breite Palette an Kooperationspartner:innen, darunter auch das österreichische Parlament, soll die breite Unterstützung der Zivilgesellschaft repräsentieren. Die sogenannte "Jugend-Studie" im Auftrag des Parlaments, die in diesem Rahmen durchgeführt wird (s. o.), ist nicht zu verwechseln mit der Studie zu Jugend und Demokratie im Auftrag der Jugendstaatssekretärin, welche als Monitoring bezeichnet wird, obwohl sie nur einmalig durchgeführt wurde. 

Bis März 2023 führte außerdem das Austrian Democracy Lab ADL halbjährlich Umfragen in der österreichischen Bevölkerung durch. Das sogenannte Demokratieradar erhob und veröffentlichte repräsentative Daten über das Stimmungs- und Meinungsbild der Menschen in Österreich. Das ADL war allerdings ein zeitlich begrenztes Projekt, das nach fünf Jahren abgeschlossen wurde.

Letztlich gibt es noch den Demokratie-Index, der jährlich von einer Gruppe bestehend aus sieben österreichischen NGOs erstellt wird. Bezugnehmend auf das Buch „Freiheit, Gleichheit, Ungewissheit. Wie schafft man Demokratie?“ des Politikwissenschaftlers Jan-Werner Müller wird die kontinuierliche Entwicklung von sieben zentralen Aspekten der kritischen Infrastruktur von Demokratie in Österreich beobachtet und bewertet. Die Mitglieder dieser Initiative machen klar, dass ihre Herangehensweise keiner streng wissenschaftlichen Methode folgt, und stellen ihre Berechnungen öffentlich zur Diskussion.

Welchen Beitrag leisten Demokratieindizes zu öffentlichen Debatten?

Wie bereits angedeutet, dienen Demokratieindizes oft als Referenz für prägnante Aussagen über – meist negative – Entwicklungen von Demokratie. Das beweist ein kurzer Blick auf die mediale Berichterstattung im Anschluss an die Veröffentlichung neuer Zahlen. Als der Demokratie-Index Ende Oktober 2023 seine Ergebnisse präsentierte, wurde vor allem auf Einschränkungen der Pressefreiheit und einen Rückfall in Sachen Grundrechte verwiesen (für einen Überblick über Berichte in diversen Medien siehe: Der Demokratie-Index 2023 in den Medien). Als die Ergebnisse des Demokratie-Monitors am 1. Österreichischen Demokratietag 2022 zur Diskussion gestellt wurden, wurde in zahlreichen Artikeln und Reportagen über einen massiven Vertrauensverlust in das politische System, die Regierung und/oder das Parlament berichtet (siehe Google-News-Suche zu "Demokratiemonitor 2022"). Spezifischere Beiträge fokussierten z. B. darauf, dass sich 26 % der Befragten einen „starken Führer“ wünschen (siehe Kolumne in Der Standard vom 28.12.2022). 

Es ist jedoch darauf zu achten, dass derartige Zuspitzungen auf Teilergebnisse nicht zu einer verkürzten Darstellung gesellschaftlicher Entwicklungen führen. Für wissenschaftlich fundierte Aussagen bedarf es einer genauen Betrachtung der angewandten Methode sowie einer Kontextualisierung und tiefergehenden Analyse der spezifischen Daten. Z. B. in Bezug auf die oben erwähnte Erkenntnis wären Fragen zu stellen wie: Was verstehen die Befragten unter einem „starken Führer“? Wer wurde befragt? Wie genau wurde die Frage formuliert? Welche weiteren Fragen stehen damit in Zusammenhang? Welche Geschehnisse dominierten öffentliche Debatten in jenem Zeitraum, in dem die Befragung durchgeführt wurde? 

Wie dieser kurze Einblick zeigen soll, können Demokratieindizes dennoch zumindest dazu beitragen, die Aufmerksamkeit auf aktuelle Entwicklungen von Demokratie zu lenken. Sie können ein Bewusstsein dafür schaffen, dass Demokratie kein fixer Zustand ist, sondern ein ständiger Prozess.