Die Große Kammer des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) wies die Klage Ungarns ab. Zunächst wurde festgestellt, dass Art. 269 AEUV der Prüfung der Rechtmäßigkeit der Entschließung durch den EuGH nicht entgegenstehe. Die Bestimmung beschränke zwar die gerichtliche Überprüfung von Akten des Europäischen Rates und des Rates im Rahmen von Art. 7 EUV, eine Entschließung des Parlaments wie die vorliegende werde dadurch aber der gerichtlichen Kontrolle durch den EuGH nicht entzogen.
Die angefochtene Entschließung des EP stelle auch im Übrigen eine im Verfahren gemäß Art. 263 AEUV anfechtbare Handlung dar. Sie entfalte nämlich ab ihrer Annahme verbindliche Rechtswirkungen: Solange sich der Rat nicht zu den insoweit zu treffenden Folgemaßnahmen geäußert habe, bewirke die Entschließung, dass das für die Mitgliedstaaten grundsätzlich geltende Verbot entfalle, einen von ungarischen Staatsangehörigen gestellten Asylantrag zu berücksichtigen oder zur Bearbeitung zuzulassen. Die angefochtene Entschließung stelle auch keine Zwischenmaßnahme ohne eigenständige Rechtswirkungen dar, deren Rechtmäßigkeit nur im Rahmen eines Rechtsstreits über die endgültige Entscheidung, deren Vorbereitung sie dient, in Abrede gestellt werden könne. Das Parlament beurteile in der Entschließung eigenständig das Bestehen einer eindeutigen Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der in Art. 2 EUV genannten Werte durch einen Mitgliedstaat und die Rechtswirkungen der Entschließung könnten in einem Verfahren gegen eine vom Rat gemäß Art. 7 EUV getroffene Feststellung nicht vollständig beseitigt werden.
Zur Frage des Ausschlusses der Enthaltungen bei der Auszählung der abgegebenen Stimmen wies der EuGH in der Sache zunächst darauf hin, dass der Begriff „abgegebene Stimmen“ in den Verträgen nicht definiert sei, und dass dieser autonome Begriff des Unionsrechts daher entsprechend seinem üblichen Sinn im gewöhnlichen Sprachgebrauch auszulegen sei. Nach Auffassung des EuGH umfasst der Begriff in seinem üblichen Sinn jedoch nur die Äußerung eines befürwortenden oder ablehnenden Votums über einen bestimmten Vorschlag, während die als Weigerung, Stellung zu beziehen, verstandene Enthaltung nicht mit einer „abgegebenen Stimme“ gleichgestellt werden könne. Daher sei die in Art. 354 Abs. 4 AEUV vorgesehene Regel, die eine Mehrheit der abgegebenen Stimmen vorschreibe, so zu verstehen, dass sie die Berücksichtigung von Enthaltungen ausschließe.
Die Vorgangsweise verstoße auch nicht gegen das Demokratieprinzip, vor allem weil bei der Abstimmung über einen begründeten Vorschlag gemäß Art. 7 Abs. 1 EUV eine doppelte Mehrheit, nämlich die Zustimmung von mindestens der Hälfte der Mitglieder des EP und eine Zweidrittelmehrheit gefordert sei. Damit seien für dieses Verfahren besondere Schutzvorkehrungen getroffen. Entgegen dem Vorbringen Ungarns sei den Mitgliedern des EP (MEP), die ihre Befugnisse so ausüben wollten, dass sie sich bei der Abstimmung der Stimme enthielten, diese Möglichkeit nicht genommen worden. Denn die Enthaltungen hätten überprüft werden müssen, um festzustellen, ob die Mehrheit der Mitglieder des Parlaments dafür gestimmt hatte. Schließlich hätten die MEPs, die sich der Stimme enthielten, in Kenntnis der Sachlage gehandelt, da sie unstreitig im Voraus darüber informiert worden seien, dass Enthaltungen nicht als abgegebene Stimmen gezählt werden würden.
Vgl. zu diesem Verfahren die Pressemitteilung und den Volltext der Entscheidung.