Fachinfos - Judikaturauswertungen 15.12.2022

U-Ausschuss: Verweigerung der Aktenvorlage ausreichend begründet

Der Verfassungsgerichtshof wies Anträge einer Minderheit des ÖVP-Korruptions-U-Ausschusses zurück bzw. ab. Die aufgeforderte Bundesministerin sei ihrer Begründungspflicht zur Ablehnung der Aktenvorlage ausreichend nachgekommen (15. Dezember 2022)

VfGH 23.9.2022, UA 77/2022, UA 85/2022

Die Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK) kam einem ergänzenden Beweisverlangen auf Vorlage von Akten und Unterlagen betreffend den Klimarat nicht nach. Auch nach entsprechender Aufforderung durch den ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss (UsA) nahm sie von einer Aktenvorlage weiterhin Abstand. Das verlangende Viertel der UsA-Mitglieder bestritt jeweils die Begründungen der BMK und wandte sich schließlich wegen dieser Meinungsverschiedenheit an den Verfassungsgerichtshof (VfGH). Dieser wies den Antrag zum Teil zurück, zum Teil ab.

Sachverhalt

Im Juli 2022 forderte ein Viertel der Mitglieder des UsA drei näher bezeichnete Bundesminister:innen gemäß § 27 Abs. 4 der Verfahrensordnung für parlamentarische Untersuchungsausschüsse (VO-UA) auf, ihrer Verpflichtung aus dem grundsätzlichen Beweisbeschluss nachzukommen und Akten und Unterlagen zu Stellenbesetzungen und öffentlichen Aufträgen binnen zwei Wochen vorzulegen.

Im August 2022 wiesen die drei Bundesminister:innen jeweils darauf hin, dass der Rüge gemäß § 27 Abs. 4 VO-UA keine ergänzende Beweisanforderung vorausgegangen sei und somit kein „wechselseitiger Kommunikationsprozess“ stattgefunden habe, wie ihn der VfGH voraussetze.

Das Viertel der Mitglieder des UsA war jedoch der Ansicht, dass sich die Verpflichtung zur Vorlage der Akten und Unterlagen schon aus dem grundsätzlichen Beweisbeschluss ergebe und daher keine ergänzenden Beweisanforderungen vor der Fristsetzung erforderlich gewesen seien. Sie begehrten daher gemäß Art. 138b Abs. 1 Z 4 B-VG, der VfGH möge feststellen, dass die Weigerung der Bundesminister:innen, ihrer Aufforderung nachzukommen, rechtswidrig sei und sie unverzüglich dem grundsätzlichen Beweisbeschluss zu entsprechen und die Akten und Unterlagen dem UsA zu übermitteln hätten.

Entscheidung des Verfassungs­gerichtshofs

Der VfGH hielt die Anträge für unzulässig. Zunächst stellte er fest, dass der erste Antrag, mit dem die Einschreiter:innen begehrten, der VfGH möge feststellen, dass das Verhalten der Bundesminister:innen rechtswidrig sei, in den einschlägigen Bestimmungen des Bundes-Verfassungsgesetzes und des Verfassungsgerichtshofgesetzes keine Rechtsgrundlage finde (siehe dazu auch schon VfGH 25.8.2022, UA 5-6/2022 und die diesbezügliche Judikaturauswertung sowie VfSlg. 19.973/2015).

Der zweite Antrag sei unzulässig, weil die Voraussetzungen für eine Meinungsverschiedenheit zwischen dem einschreitenden Viertel der Mitglieder und den aufgeforderten Bundesminister:innen (noch) nicht vorgelegen seien:

Die VO-UA stelle eine Beteiligung der Minderheit im Verfahren sicher, vermittle ihr jedoch keine beherrschende Stellung im Verfahren. Dies zeige sich unter anderem darin, dass die Minderheitsrechte auf ergänzende Beweisanforderungen und Ladung von Auskunftspersonen unter Vorbehalt stünden: Die Mehrheit des UsA könne den sachlichen Zusammenhang solcher Verlangen mit dem Untersuchungsgegenstand durch Beschluss bestreiten. Der Minderheit stünde zur Absicherung ihrer Rechte wiederum die Möglichkeit offen, diesen Beschluss der Mehrheit im Verfahren vor dem VfGH anzufechten.

Im vorliegenden Fall habe das einschreitende Viertel der Sache nach ergänzende Beweisanforderungen erhoben, ohne jedoch zuvor ein entsprechendes Verlangen gestellt zu haben. Vielmehr habe das einschreitende Viertel unmittelbar eine Aufforderung an die informationspflichtigen Organe gerichtet.

Dies widerspreche dem System der Zuständigkeitsregelungen des VfGH in Art. 138b Abs. 1 Z 3 und Z 4 B-VG und der VO-UA: Denn räumte man einem Viertel der Mitglieder die Möglichkeit ein, in jedem Fall unmittelbar eine Aufforderung nach § 27 Abs. 4 VO-UA gegenüber einem informationspflichtigen Organ vorzunehmen, so wäre der Mehrheit des UsA die Möglichkeit genommen, einen Beschluss zu fassen, mit dem der sachliche Zusammenhang des Verlangens mit dem Untersuchungsgegenstand bestritten wird (§ 25 Abs. 2 und 3 VO-UA; vergleiche auch VfGH 29.6.2022, UA 4/2022 und die Judikaturauswertung 2. Quartal 2022).

Da es sich der Sache nach um ergänzende Beweisanforderungen handle, hätte das einschreitende Viertel der Mitglieder des UsA, so der VfGH, ein entsprechendes Verlangen erheben müssen. Erst wenn ein solches Verlangen gestellt worden sei, die Mehrheit des UsA den sachlichen Zusammenhang des Verlangens mit dem Untersuchungsgegenstand nicht bestritten habe oder ein solcher Bestreitungsbeschluss in einem Verfahren nach Art. 138b Abs. 1 Z 3 B-VG vom VfGH als rechtwidrig erklärt worden sei (und in der Folge das informationspflichtige Organ der auf § 27 Abs. 4 VO‑UA gegründeten Aufforderung zur Vorlage von Akten oder Unterlagen oder Durchführung von Beweiserhebungen nicht oder ungenügend nachgekommen sei), könne dies zum Gegenstand einer Meinungsverschiedenheit im Verfahren nach Art. 138b Abs. 1 Z 4 B‑VG gemacht werden.

Das einschreitende Viertel der Mitglieder des UsA habe den Antrag auf Entscheidung einer Meinungsverschiedenheit somit zu einem Zeitpunkt gestellt, zu dem eine solche noch gar nicht entstanden sein konnte.

Vgl. zu diesen Verfahren die Pressemitteilung und den Volltext der Entscheidung zu UA 75/2022, UA 83/2022; die Volltexte der weiteren Entscheidungen sind in der Pressemitteilung verlinkt.