Der VfGH hielt die Anträge für unzulässig. Zunächst stellte er fest, dass der erste Antrag, mit dem die Einschreiter:innen begehrten, der VfGH möge feststellen, dass das Verhalten der Bundesminister:innen rechtswidrig sei, in den einschlägigen Bestimmungen des Bundes-Verfassungsgesetzes und des Verfassungsgerichtshofgesetzes keine Rechtsgrundlage finde (siehe dazu auch schon VfGH 25.8.2022, UA 5-6/2022 und die diesbezügliche Judikaturauswertung sowie VfSlg. 19.973/2015).
Der zweite Antrag sei unzulässig, weil die Voraussetzungen für eine Meinungsverschiedenheit zwischen dem einschreitenden Viertel der Mitglieder und den aufgeforderten Bundesminister:innen (noch) nicht vorgelegen seien:
Die VO-UA stelle eine Beteiligung der Minderheit im Verfahren sicher, vermittle ihr jedoch keine beherrschende Stellung im Verfahren. Dies zeige sich unter anderem darin, dass die Minderheitsrechte auf ergänzende Beweisanforderungen und Ladung von Auskunftspersonen unter Vorbehalt stünden: Die Mehrheit des UsA könne den sachlichen Zusammenhang solcher Verlangen mit dem Untersuchungsgegenstand durch Beschluss bestreiten. Der Minderheit stünde zur Absicherung ihrer Rechte wiederum die Möglichkeit offen, diesen Beschluss der Mehrheit im Verfahren vor dem VfGH anzufechten.
Im vorliegenden Fall habe das einschreitende Viertel der Sache nach ergänzende Beweisanforderungen erhoben, ohne jedoch zuvor ein entsprechendes Verlangen gestellt zu haben. Vielmehr habe das einschreitende Viertel unmittelbar eine Aufforderung an die informationspflichtigen Organe gerichtet.
Dies widerspreche dem System der Zuständigkeitsregelungen des VfGH in Art. 138b Abs. 1 Z 3 und Z 4 B-VG und der VO-UA: Denn räumte man einem Viertel der Mitglieder die Möglichkeit ein, in jedem Fall unmittelbar eine Aufforderung nach § 27 Abs. 4 VO-UA gegenüber einem informationspflichtigen Organ vorzunehmen, so wäre der Mehrheit des UsA die Möglichkeit genommen, einen Beschluss zu fassen, mit dem der sachliche Zusammenhang des Verlangens mit dem Untersuchungsgegenstand bestritten wird (§ 25 Abs. 2 und 3 VO-UA; vergleiche auch VfGH 29.6.2022, UA 4/2022 und die Judikaturauswertung 2. Quartal 2022).
Da es sich der Sache nach um ergänzende Beweisanforderungen handle, hätte das einschreitende Viertel der Mitglieder des UsA, so der VfGH, ein entsprechendes Verlangen erheben müssen. Erst wenn ein solches Verlangen gestellt worden sei, die Mehrheit des UsA den sachlichen Zusammenhang des Verlangens mit dem Untersuchungsgegenstand nicht bestritten habe oder ein solcher Bestreitungsbeschluss in einem Verfahren nach Art. 138b Abs. 1 Z 3 B-VG vom VfGH als rechtwidrig erklärt worden sei (und in der Folge das informationspflichtige Organ der auf § 27 Abs. 4 VO‑UA gegründeten Aufforderung zur Vorlage von Akten oder Unterlagen oder Durchführung von Beweiserhebungen nicht oder ungenügend nachgekommen sei), könne dies zum Gegenstand einer Meinungsverschiedenheit im Verfahren nach Art. 138b Abs. 1 Z 4 B‑VG gemacht werden.
Das einschreitende Viertel der Mitglieder des UsA habe den Antrag auf Entscheidung einer Meinungsverschiedenheit somit zu einem Zeitpunkt gestellt, zu dem eine solche noch gar nicht entstanden sein konnte.
Vgl. zu diesen Verfahren die Pressemitteilung und den Volltext der Entscheidung zu UA 75/2022, UA 83/2022; die Volltexte der weiteren Entscheidungen sind in der Pressemitteilung verlinkt.