Der EGMR verneinte zunächst, dass es sich bei dem Ausschluss der Wählbarkeit und der Aberkennung des Abgeordnetenmandats um Strafen gemäß Art. 7 EMRK (keine Strafe ohne Gesetz) handelt. Das Rückwirkungsverbot sei daher nicht anwendbar. Die Aberkennung des Mandats sei zwar in Folge einer strafrechtlichen Verurteilung wegen Korruption erfolgt, sie sei allerdings nicht selbst strafrechtlichen Charakters, sondern verfolge das Ziel des guten Funktionierens und der Transparenz sowie der freien Entscheidungsfindung der Organe. Das Verfahren, wonach die parlamentarische Aberkennung des Mandats erfolgt sei, sei im Zuge der Evaluierung durch GRECO eingeführt worden und diene dem Ziel der Prävention und Bekämpfung von Korruption in den staatlichen Institutionen. Zudem habe der italienische Verfassungsgerichtshof den Ausschluss der Wählbarkeit und die Amtsenthebung auch nicht als Strafen oder auch nur Wirkungen strafrechtlicher Verurteilungen angesehen. Sie beruhten vielmehr auf dem Verlust der Voraussetzungen des Zugangs zu Ämtern und ihrer Ausübung. Gewählte Repräsentanten würden ihres Amtes enthoben, weil sie ihre moralische Integrität verlieren, die wesentliche Bedingung für die fortgesetzte Repräsentation der Wähler sei. Zudem sei das aktive Wahlrecht der Betroffenen nicht berührt. Allein das Recht, sich in ein Amt wählen zu lassen, werde aberkannt. Das Verfahren im italienischen Parlament sei zudem nach in der Verfassung und der Geschäftsordnung des Parlaments festgelegten Regeln in mehreren vorgegeben Schritten erfolgt. Zwar handle es sich bei der Aberkennung des Mandats und des passiven Wahlrechts um gravierende Sanktionen, dies allein könne den strafrechtlichen Charakter aber nicht begründen.
In Hinblick auf die behauptete Verletzung der Rechte des Bf. gemäß Art. 3 ZP 1 EMRK (Recht auf freie Wahlen) stellte der EGMR fest, dass es sich bei der Aberkennung des Mandats und dem Ausschluss vom passiven Wahlrecht jeweils um einen Eingriff in die Rechte des Bf. gemäß Art. 3 ZP 1 EMRK handelt, dieser allerdings gerechtfertigt ist: Die Maßnahmen verfolgten das legitime Ziel, gerichtlich verurteilte Repräsentanten aus dem Parlament auszuschließen sowie die Funktionsfähigkeit des Parlaments und damit die Integrität des demokratischen Prozesses zu schützen. Diese Ziele stünden im Einklang mit den Zielen der Konvention, insbesondere jenem der Vorherrschaft des Rechts. Zum Schutz vor einer willkürlichen und/oder politisch motivierten Entscheidung des Parlaments existierten hinreichende Sicherungen.
Für den Ausschluss vom passiven Wahlrecht sei eine endgültige strafrechtliche Verurteilung für bestimmte, im Gesetz festgelegte, schwerwiegende Delikte Voraussetzung. Der Mangel an Vorhersehbarkeit der Sanktion für den Bf. sei dadurch relativiert, dass den Mitgliedstaaten ein weiter Beurteilungsspielraum hinsichtlich ihres Wahlrechts zukomme und der italienische Staat zur Erreichung des legitimen Ziels nachvollziehbar handle. Es sei auch nachvollziehbar, dass für den Ausschluss der Wählbarkeit der Zeitpunkt der endgültigen Verurteilung durch das Gericht und nicht der Zeitpunkt der Begehung des Delikts herangezogen würde. Die endgültige Verurteilung sei nach innerstaatlichem Recht schließlich notwendige Voraussetzung. Der Ausschluss vom passiven Wahlrecht sei zudem zeitlich beschränkt (für sechs Jahre). Vor diesem Hintergrund sei er weder willkürlich noch unverhältnismäßig.
Die Aberkennung des Mandats sei hingegen nicht ex lege, sondern in einem parlamentarischen Verfahren erfolgt. Es sei jedenfalls gerechtfertigt, dass das Parlament selbst über eine Möglichkeit verfüge, die demokratische Ordnung zu verteidigen, das eigene Funktionieren sicherzustellen und Mitglieder, die die Rechtsordnung missachteten, unter gewissen Voraussetzungen auszuschließen. Der Grundsatz der Gewaltenteilung legitimiere dies. Die Möglichkeit der Aberkennung des Mandats bei strafrechtlicher Verurteilung sei für den Bf. auch vorhersehbar gewesen. Das parlamentarische Verfahren beinhalte zudem hinreichende und adäquate prozessuale Sicherungen gegen willkürliche Entscheidungen: Der Bf. habe die Möglichkeit erhalten, schriftliche Stellungnahmen einzureichen, er habe sich durch einen Anwalt vertreten lassen und mündlich im Parlament aussagen können. Nach Erörterung im zuständigen Ausschuss des Parlaments habe eine öffentliche und damit transparente Debatte stattgefunden, im Anschluss an welche die Entscheidung getroffen worden sei.
Vor diesem Hintergrund sei festzustellen, dass weder der Ausschluss vom passiven Wahlrecht noch die Aberkennung des Mandats willkürlich oder unverhältnismäßig erfolgt seien und auch adäquate und hinreichende prozessuale Sicherungen im parlamentarischen Verfahren vorhanden gewesen seien. Die Beschwerde sei daher offensichtlich unbegründet.
In Hinblick auf die behauptete Verletzung von Art. 13 EMRK (Recht auf wirksame Beschwerde) stellte der EGMR fest, dass die Gewaltenteilung ein wichtiger Pfeiler der demokratischen Ordnung ist und die Autonomie und die Souveränität des Parlaments wichtige verfassungsrechtliche Sicherungen dessen sind. Im Bereich des Parlamentsrechts komme den Mitgliedstaaten zudem ein großer Beurteilungsspielraum zu, weshalb die innerstaatliche verfassungsrechtliche Stellung des Parlaments von entscheidender Bedeutung sei. Dabei seien die Unabhängigkeit (auch von der Judikative) und die Funktionsfähigkeit des Parlaments Faktoren von hoher Bedeutung. Sehe die Verfassung in diesem Sinne und zu diesem Zweck vor, dass das Parlament selbst – ohne die Möglichkeit (nachträglicher) richterlicher Überprüfung – über seine Zusammensetzung und den Ausschluss von Abgeordneten bei strafrechtlicher Verurteilung entscheide, und sei hierfür ein mehrstufiges Verfahren mit prozessualen Garantien im Parlament vorgesehen, sei die Garantie gemäß Art. 13 EMRK nicht dadurch verletzt, dass von Betroffenen kein gerichtlicher Rechtsschutz erlangt werden könne.
Vgl. zu diesem Verfahren die Pressemitteilung und den Volltext der Entscheidung.