Fachinfos - Judikaturauswertungen 08.08.2024

Versammlungsrechtliche Entscheidungen des LVwG Vorarlberg

LVwG Vorarlberg 4.9.2023, LVwG-1-410/2023-R7 und LVwG Vorarlberg 1.12.2023, LVwG-1-421/2023-R10

Das LVwG Vorarlberg hob – mit ähnlicher Begründung wie bereits zuvor das LVwG Tirol in einem vergleichbaren Fall – in zwei Fällen die angefochtenen Straferkenntnisse der Bezirkshauptmannschaft (BH) Bregenz betreffend eine nicht angezeigte Versammlung im Sitzungssaal des Vorarlberger Landtages auf. Zwar sei eine Versammlung im Sinne von Art. 11 EMRK, Art. 12 StGG und des Versammlungsgesetzes 1953 (VersG) vorgelegen, die grundsätzlich gemäß § 2 Abs. 1 VersG anzeigepflichtig gewesen wäre. Allerdings sei das Verhalten der Beschwerdeführerinnen, denen im Übrigen weder eine individuelle noch eine kollektive Veranstalter:inneneigenschaft zugekommen sei, in der betreffenden Sitzung im Dezember 2022 schon durch die Ausübung der Sitzungspolizei durch den Landtagspräsidenten beendet worden, weshalb für nachträgliche Bestrafungen nach dem VersG kein Raum bleibe. Zudem verbiete § 7 VersG nur Versammlungen "unter freiem Himmel", nicht im Sitzungssaal selbst.

Konkret wurde zur sogenannten Bannmeilenregelung in § 7 VersG (in beiden der genannten Entscheidungen) sowie zur Ausübung der Sitzungspolizei durch den Landtagspräsidenten (insbesondere in der Entscheidung vom 4. September 2023) ausgeführt:

Gemäß § 7 VersG darf, während der Nationalrat, der Bundesrat, die Bundesversammlung oder ein Landtag versammelt ist, im Umkreis von 300 Metern von ihrem Sitze keine Versammlung unter freiem Himmel stattfinden. Eine Bestrafung wegen Übertretung dieser Regelung komme bei einer Versammlung im Sitzungssaal eines Landtages jedoch schon auf Grund des eindeutigen Wortlautes nicht in Betracht. Verboten seien nur Versammlungen "unter freiem Himmel", nicht im Sitzungssaal selbst. Dies ergebe sich auch aus den Gesetzesmaterialien, denen zufolge der Hintergrund der Bannmeilenregelung die Befürchtung sei, dass, sollte eine in unmittelbarer Nähe eines gesetzgebenden Organs durchgeführte Versammlung außer Kontrolle geraten, nicht zeitgerecht ausreichend Sicherheitsorgane herbeigeführt werden könnten, um ein Eindringen von Demonstrant:innen in den Sitzungssaal zu verhindern (Hinweis auf RV 874 d.B. XI. GP). Zudem ergebe sich aus der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (VfGH), dass die 300-Meter-Zone gemäß § 7 VersG nicht vom Mittelpunkt des Sitzungssaals, sondern von der Außengrenze des Gebäudes aus zu messen sei (Hinweis auf VfSlg. 14.365/1995).

Gemäß § 15 Abs. 2 zweiter Satz der Geschäftsordnung für den Vorarlberger Landtag (GO-LT) obliegt dem Präsidenten insbesondere die Ausübung der Sitzungspolizei und des Hausrechts in den Räumen des Landtages. Er hat für die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung im Sitzungssaal und in den Räumen des Landtages zu sorgen und kann die Räumung des Zuhörerraumes oder die Entfernung einzelner Ruhestörer verfügen (§ 44 Abs. 7 GO-LT). Die Protestaktion habe im Sitzungssaal und somit innerhalb der Räumlichkeiten des Landtages stattgefunden. Die Beschwerdeführerinnen hätten als Besucherinnen den Ablauf der betreffenden Sitzung derart gestört, dass sie zunächst aufgefordert worden seien, die Besuchergalerie zu verlassen und letztlich gemäß § 44 Abs. 7 GO-LT aus dem Sitzungssaal entfernt wurden. Die angefochtenen Straferkenntnisse der BH Bregenz würden das Verhalten der Beschwerdeführerinnen nach dem VersG ahnden, obwohl dieses bereits im Rahmen der durch die GO-LT abschließend geregelten Ausübung der Sitzungspolizei eingestellt worden sei. Für eine nachträgliche Bestrafung nach dem VersG bleibe aber in Fällen wie den vorliegenden kein Raum. Dies ergebe sich aus der Rechtsprechung des VfGH, der dies in Bezug auf eine nachträgliche Bestrafung wegen Störung der öffentlichen Ordnung gemäß § 81 des Sicherheitspolizeigesetzes während einer Sitzung des Nationalrates ausdrücklich ausgesprochen habe (Hinweis auf VfSlg. 19.990/2015).

Hinsichtlich der Entscheidung vom 1. Dezember 2023 wurde vom LVwG Vorarlberg die Erhebung einer ordentlichen Revision zugelassen, da Rechtsprechung zu der Frage fehle, ob die Veranstaltereigenschaft insbesondere bei kleineren Versammlungen wie der vorliegenden – wie in den Straferkenntnissen der BH Bregenz vertreten worden war – auch auf das Kollektiv, also auf alle Beteiligten ausgedehnt werden könne. Der Verwaltungsgerichtshof wies eine in diesem Zusammenhang von der BH Bregenz erhobene Amtsrevision mit Beschluss vom 8. April 2024, Ro 2024/01/0001, zurück.

Vgl. zu diesen Verfahren die Volltexte der Entscheidungen (hier und hier).

LVwG Vorarlberg 10.6.2024, LVwG-1-915/2023-R10

Das LVwG Vorarlberg bestätigte in einem weiteren rezenten Fall ein angefochtenes Straferkenntnis der BH Bregenz betreffend eine nicht angezeigte Versammlung vor dem Vorarlberger Landhaus.

Konkret wurde in dieser Entscheidung zu sogenannten Zutrittshindernissen im Rahmen des § 7 VersG ausgeführt:

Dass der Vorarlberger Landtag am betreffenden Tag im Juli 2023 um 9:00 Uhr zu einer Sitzung zusammengetreten sei, sei unstrittig. Unstrittig sei auch, dass die Beschwerdeführerin an diesem Tag in der Zeit von 8:25 Uhr bis 8:45 Uhr vor dem Landhaus und damit innerhalb der Bannmeile an einer Versammlung teilgenommen habe, die jedoch um 8:45 Uhr für aufgelöst erklärt worden sei, bevor der Landtag faktisch zusammengetreten bzw. die Sitzung eröffnet worden sei. Es stelle sich daher die Frage, ob das Versammlungsverbot gemäß § 7 VersG bereits vor dem faktischen Zusammentreten des Landtages zu beachten gewesen sei.

§ 7 VersG solle die Sitzungen eines gesetzgebenden Organs vor Beeinträchtigungen durch eine Versammlung unter freiem Himmel bewahren und insbesondere einen durch die Versammlung ausgeübten – physischen oder psychischen – "Druck der Straße" auf die Abgeordneten verhindern. Dabei solle nicht nur die Funktionsfähigkeit der gesetzgebenden Körperschaft geschützt, sondern auch der Zugang zu den Tagungsgebäuden gewährleistet werden. Diesen Ausführungen folgend erlange die Regelung ihrem Zweck nach schon vor dem eigentlichen Zusammentreten etwa eines Landtages im Sitzungssaal Geltung. Es sei notorisch bekannt, dass Abgeordnete eines Landtages am Tag einer Sitzung anreisen und an dieser Örtlichkeit – konkret: im Landhaus – Vorbereitungen im Hinblick auf die von der Tagesordnung umfassten Agenden tätigen würden. Das Versammlungsverbot solle daher auch gewährleisten, dass den Abgeordneten eine Anreise ohne Gefahr von Beeinträchtigungen und Einflussnahmen ermöglicht werde. Weiters solle sichergestellt werden, dass eine Anreise in einem solchen zeitlichen Rahmen vor dem faktischen Zusammentreten im Sitzungssaal ermöglicht werde, dass die notwendigen Vorbereitungshandlungen entsprechend organisiert bzw. verrichtet werden können. Es würde dem Zweck des § 7 VersG entgegenstehen, wenn die Regelung unter Heranziehung einer restriktiven Wortinterpretation dahingehend ausgelegt werden würde, dass nur Versammlungen innerhalb der Bannmeile erfasst wären, die ab dem faktischen Zusammentreten bzw. der Eröffnung der Sitzung stattfinden.

Aus den Gesetzesmaterialien ergebe sich der Hintergrund der Bannmeilenregelung. Die Befürchtung sei, dass, sollte eine in unmittelbarer Nähe eines gesetzgebenden Organs durchgeführte Versammlung außer Kontrolle geraten, nicht zeitgerecht ausreichend Sicherheitsorgane herbeigeführt werden könnten, um ein Eindringen von Demonstrant:innen in den Sitzungssaal zu verhindern (erneuter Hinweis auf RV 874 d.B. XI. GP). Nichts anderes habe wohl zu gelten, wenn Teilnehmer:innen einer anstehenden Sitzung ein gefahrloses und zeitgerechtes Betreten des Tagungsgebäudes gewährleistet werden solle.

Darüber hinaus könnten sich aus verbotenen Versammlungen Einschränkungen der demokratisch gewählten Volksvertreter:innen dahingehend ergeben, dass diese durch Störungen bei der Anreise und der daraus resultierenden Verkürzung ihrer Vorbereitungszeit ihre Arbeit nicht ordnungsgemäß verrichten könnten, oder gar die Teilnahme an der Sitzung als solche gänzlich verunmöglicht werde. Sinn und Zweck des in Rede stehenden Versammlungsverbots könnten dann aber dadurch umgangen werden, dass bis kurz vor Beginn einer Sitzung Versammlungen stattfinden würden, aufgrund derer schlussendlich ein tatsächlicher Sitzungsbeginn vereitelt werden könnte. Aus dem VersG lasse sich in diesem Zusammenhang kein Zeitraum ableiten, wie lange vor dem Zusammentreten das Versammlungsverbot zu gelten habe. Der Zeitraum im vorliegenden Fall ab 8:25 Uhr sei aber jedenfalls umfasst, zumal die versammelten Personen teilweise erst bis 9:14 Uhr aus der Bannmeile verwiesen bzw. entfernt hätten werden können. Dies insbesondere auch deshalb, da die Versammlungsteilnehmer:innen offensichtlich versuchen würden, durch ihre Aktionen Politiker:innen unter einen gewissen Druck zu setzen.

Diese Ausführungen würden auch durch eine Stellungnahme der Landtagsdirektion zu den – an Sitzungstagen üblicherweise gegebenen – Zeitpunkten des Betretens und Verlassens des Landhauses durch Landtagsabgeordnete bestätigt. In Anbetracht dessen habe das LVwG Vorarlberg keine Zweifel, dass das Versammlungsverbot in § 7 VersG jedenfalls auch jenen Zeitraum mitumfasse, den die Abgeordneten zur Anreise sowie zur ordnungsgemäßen Vorbereitung auf die anstehende Sitzung – hier des Vorarlberger Landtages – benötigten. Die Beschwerdeführerin habe somit in objektiver (und im vorliegenden Fall im Übrigen auch in subjektiver) Hinsicht gegen § 7 VersG verstoßen.

Vgl. zu diesem Verfahren den Volltext der Entscheidung.