Fachinfos - Fachdossiers 02.03.2020

Was passiert im Europäischen Semester?

Was ist das Europäische Semester?

Das Europäische Semester wurde 2011 als Reaktion auf die Finanz- und Schuldenkrise eingeführt. Es bildet den Rahmen für die Koordination der Wirtschafts- und Haushaltspolitik der EU-Mitgliedstaaten. Der Schwerpunkt liegt auf einer möglichst frühen Diskussion der Budgetpläne der Mitgliedstaaten und einem größeren Informationsaustausch. Entscheidend ist, dass noch vor der Beratung und Beschlussfassung in den nationalen Parlamenten eine Behandlung auf EU-Ebene erfolgt. Vor 2011 gab es nur einzelne Instrumente, die im Wesentlichen eine nachträgliche Bewertung der Haushaltspolitik der Mitgliedstaaten ermöglichten und zum Teil ausschließlich die Euro-Staaten betrafen.

Rechtliche Grundlage

Das Europäische Semester hat seine rechtliche Grundlage in Art. 2a der Verordnung des Europäischen Parlaments (EP) und des Rates Nr. 1175/2011 (Änderung der VO 1466/97). Dieser bildet die Schnittstelle zwischen den EU-Verträgen, und weiteren Rechtsakten. Die wichtigsten davon sind:

Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP): Er bildet die Grundlage für die Koordinierung und Überwachung der Wirtschafts- und Fiskalpolitik der EU-Mitgliedstaaten. Ziel sind die Einhaltung der Haushaltsregeln und die Vermeidung übermäßiger Defizite.

Sixpack“: Das sind fünf EU-Verordnungen und eine EU-Richtlinie, die den SWP erweitern. Sie regeln Verfahren für die Überwachung der Vorgaben des Pakts, präventive Maßnahmen und Sanktionen.

Twopack“: Das sind zwei EU-Verordnungen, die die Regelungen des SWP speziell für die Euro-Mitgliedstaaten verstärken. Die Euro-Mitglieder müssen auch die nationalen Budgetpläne vorab an die Kommission übermitteln.

Mit den Berichtspflichten und Dialogformaten soll die Androhung von Sanktionen der EU gegen Mitgliedstaaten weitgehend vermieden werden. Gleichzeitig sollen negative Effekte, die von einem Mitgliedstaat auf andere übergreifen, verhindert werden.

Wer macht was im Europäischen Semester?

Die Europäische Kommission hat eine führende Rolle. Sie definiert in der Jährlichen Strategie für nachhaltiges Wachstum (früher: Jahreswachstumsbericht) die Schwerpunkte des Europäischen Semesters. Sie prüft u.a. die Nationalen Reformprogramme und die Umsetzungsschritte der Mitgliedstaaten und erstellt auf dieser Basis Empfehlungen für den Rat, z.B. die Verwarnung von Mitgliedstaaten oder den Beschluss von Sanktionen.

Der Rat (FachministerInnen der Mitgliedstaaten) befasst sich mit den Berichten der Mitgliedstaaten und trifft die formellen Beschlüsse in unterschiedlichen Zusammensetzungen (z.B. Wirtschaft und Finanzen – ECOFIN, Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und Verbraucherschutz – EPSCO). Er beschließt mit qualifizierter Mehrheit (= Zustimmung von 55% der Mitgliedstaaten, die mind. 65% der EU-Bevölkerung vertreten). Grundlage für die Beschlüsse sind die Empfehlungen der Kommission. Der Rat kann sie unter Angabe von Gründen ändern.

Der Europäische Rat (Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten) hat die Reformziele für die EU und die Mitgliedstaaten zu bewerten. Er legt die fiskal- und wirtschaftspolitischen Prioritäten für die EU und die Mitgliedstaaten fest.

Das Europäische Parlament steht in einem laufenden Austausch mit den anderen EU-Organen. Wenn Empfehlungen oder Sanktionen gegenüber Mitgliedstaaten ausgesprochen werden sollen, kann das EP auch VertreterInnen dieser Staaten zu einem Austausch einladen. Im Februar und im September kommen Mitglieder des EP und der nationalen Parlamente in der Interparlamentarischen Konferenz über Stabilität, wirtschaftspolitische Koordinierung und Steuerung in der EU („Art. 13-Konferenz“) zusammen.

Die nationalen Regierungen sind über den Rat und den Europäischen Rat direkt in die Entscheidungsprozesse eingebunden. Sie beschließen jeweils das Nationale Reformprogramm und das Stabilitätsprogramm (bzw. Konvergenzprogramm in Nicht-Euro-Staaten) und legen diese der Kommission vor. Die Regierungen der Euro-Staaten müssen weiters eine Übersicht über ihre Haushaltsplanung vorlegen.

Ablauf des Europäischen Semesters

Die nachfolgende Grafik zeigt den zeitlichen Verlauf des Europäischen Semesters 2020 samt den wichtigsten Eckdaten, inhaltlichen Schwerpunkten sowie den zentralen AkteurInnen. Aus österreichischer Sicht zählen dazu unter anderem die Europäische Kommission (legt die Jährliche Strategie für nachhaltiges Wachstum vor), das Europäische Parlament (trifft den Ratsvorsitz zu einer allgemeinen Aussprache über das Europäische Semester), das Bundesministerium für Finanzen (erstellt in Österreich das Stabilitätsprogramm) und das Bundeskanzleramt (koordiniert das Nationale Reformprogramm).

Nachdem die Kommission ihre länderspezifischen Empfehlungen und Stellungnahmen erstellt hat, werden diese, nach Befassung in den Gremien und Räten (insbesondere ECOFIN und EPSCO), vom Europäischen Rat gebilligt und abschließend vom ECOFIN-Rat angenommen.

Was sind die Schwerpunkte im Europäischen Semester 2020?

Am 17. Dezember 2019 hat die neue Kommission unter der Führung von Ursula von der Leyen das Herbstpaket für das Europäische Semester 2020 vorgelegt. Aufgrund der Europawahlen erfolgte die Vorlage diesmal später. Der besondere Fokus liegt auf langfristigen Herausforderungen und Initiativen im Umwelt- und Klimabereich (europäischer Green Deal) sowie der Alterung der Bevölkerung und der Digitalisierung. Eine zentrale Rolle im Europäischen Semester sollen künftig auch die nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen (Sustainable Development Goals) einnehmen. Der Budgetdienst des Parlaments hat eine umfassende Information über den Ablauf und die Schwerpunkte des Europäischen Semesters 2020 erstellt und dabei auch die Bewertungen und Empfehlungen für Österreich zusammengefasst.

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