LVwG Vorarlberg 21.10.2024, LVwG-1-863/2023-R13
Während das LVwG Vorarlberg in der bereits hier ausgewerteten Entscheidung vom 10. Juni 2024, LVwG-1-915/2023-R10, ein angefochtenes Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft (BH) Bregenz betreffend eine nicht angezeigte Versammlung vor dem Vorarlberger Landhaus bestätigte, vertrat das Verwaltungsgericht in einem weiteren aktuellen Fall, der dieselbe Versammlung im Juli 2023 betraf, ausdrücklich eine gegenteilige Rechtsansicht, hob das nunmehr angefochtene Straferkenntnis der BH Bregenz teilweise auf und stellte das Verwaltungsstrafverfahren insoweit ein.
Konkret wurde in dieser Entscheidung zur sogenannten Bannmeilenregelung in § 7 des Versammlungsgesetzes 1953 (VersG) ausgeführt:
Am betreffenden Tag im Juli 2023 sei um 9:01 Uhr eine Sitzung des Vorarlberger Landtages eröffnet worden. Die Beschwerdeführerin habe an diesem Tag in der Zeit von 8:25 Uhr bis 8:45 Uhr vor dem Landhaus und damit grundsätzlich innerhalb der Bannmeile an einer Versammlung teilgenommen, die um 8:45 Uhr behördlich für aufgelöst erklärt worden sei. Die von der belangten Behörde vertretene Rechtsauffassung zur Strafbarkeit der Beschwerdeführerin nach § 7 VersG wurde von der erkennenden Richterin in diesem Fall – anders als in der oben zitierten Entscheidung, der derselbe Sachverhalt zugrunde gelegen war – jedoch ausdrücklich nicht geteilt.
Die in § 7 VersG genannte Bannmeile bestehe dem Wortlaut zufolge "während […] ein Landtag [am Sitze] versammelt ist". Diese Regelung sei vor dem Hintergrund des strafrechtlichen Legalitätsprinzips (§ 1 Abs. 1 Verwaltungsstrafgesetz 1991, Art. 7 EMRK, Art. 18 B‑VG) zu verstehen. Auch im Verwaltungsstrafrecht bilde der äußerst mögliche Wortsinn die Grenze belastender Strafrechtsgewinnung (Analogieverbot); erbringe bereits die objektive Auslegung einer Regelung nach dem Wortlaut ein klares und eindeutiges Ergebnis, bestehe für eine weitergehende Interpretation nach anderen Methoden grundsätzlich kein Raum mehr (Hinweis auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes [VwGH]). Konkret beziehe sich § 7 VersG auf den Zeitraum, in dem das Organ Landtag am Sitz versammelt sei. Der Landtag sei begrifflich erst "versammelt", wenn die Abgeordneten am Sitz des Landtages (hier: im Landhaus) zur Landtagssitzung zusammenkommen bzw. tagen, nicht jedoch bereits, wenn die einzelnen Abgeordneten zum Sitz des Landtages anreisen würden. Durch die Verwendung des Begriffs "während" ergebe sich, dass das Versammlungsverbot innerhalb der Bannmeile auf den tagenden Landtag abstelle und zeitlich nur für die Dauer der Sitzungen gelte (Hinweis auf eine gegensätzliche Formulierung in § 16 Abs. 2 der Vorarlberger Landesverfassung).
Ebenso stünden die Materialien im Einklang mit der am eindeutigen Gesetzeswortlaut orientierten Interpretation (Hinweis auf RV 874 d.B. XI. GP). Daraus gehe hervor, dass die Funktionsfähigkeit der gesetzgebenden Körperschaften durch einen ungestörten Verlauf der Sitzungen geschützt werden solle, indem während der Dauer der Sitzungen in der Verbotszone ein Versammlungsverbot bestehe. Dass der Gesetzgeber etwas anderes gewollt habe, als er durch die Verwendung der Formulierung "während […] ein Landtag [am Sitze] versammelt ist" zum Ausdruck gebracht habe, nämlich dass auch der Zeitraum vor den Sitzungen vom Verbot umfasst sein solle, ergebe sich aus den Materialien nicht.
Die von der belangten Behörde und der Literatur vertretene Auffassung, dass durch § 7 VersG auch der Zugang zu den Tagungsgebäuden gewährleistet sein solle und das gesetzliche Versammlungsverbot daher bereits vor Beginn einer Landtagssitzung gelte, finde im Gesetz und in den Materialien keine Grundlage. Wenn die belangte Behörde die Bestimmung teleologisch interpretiert auf den vorliegenden Fall anwenden wolle, sei ihr deren klarer Wortlaut entgegenzuhalten. Die von der belangten Behörde vorgenommene Auslegung überschreite den äußerst möglichen Wortsinn ("während" vs. "vor") zulasten der Beschwerdeführerin und sei unzulässig. Auch führe eine solche Auslegung zu dem Ergebnis, dass die Grenzen des strafrechtlich Verbotenen nicht verlässlich bestimmt werden könnten. Es sei unklar, welcher Zeitraum vor einer Landtagssitzung vom gesetzlichen Versammlungsverbot umfasst sein solle – etwa der Zeitraum, in dem die Abgeordneten üblicherweise anreisen oder im Einzelfall auch davor. So ergebe sich aus einer Stellungnahme der Landtagsdirektion, dass die Anreise der Abgeordneten individuell erfolge, meist im Zeitraum zwischen 7:45 Uhr und kurz vor 9:00 Uhr, manchmal aber auch schon vor 7:45 Uhr.
Zudem habe der Verfassungsgerichtshof in seiner Entscheidung VfSlg. 14.365/1995 indirekt zum Ausdruck gebracht, dass er bei einer Übertretung des § 7 VersG auf den Sitzungsbeginn abstelle. Auch habe er in seiner Entscheidung bei der Prüfung, ob der Gesetzesinhalt mit Art. 11 Abs. 2 EMRK in Einklang stand, Bezug auf die bereits zusammengetretene gesetzgebende Körperschaft genommen.
Da die Beschwerdeführerin den Tatbestand somit in objektiver Hinsicht nicht erfüllt habe, sei sie zu Unrecht nach § 7 VersG bestraft worden. Aus diesem Grund sei der Beschwerde insoweit Folge zu geben.
Die Erhebung einer ordentlichen Revision wurde vom LVwG Vorarlberg in diesem Fall nicht zugelassen. Zwar bestehe keine Rechtsprechung des VwGH zu der Frage, ab welchem Zeitpunkt das Versammlungsverbot nach § 7 VersG gelte, doch werde damit keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG aufgeworfen. Auch das Bestehen von Divergenzen innerhalb der Judikatur eines Verwaltungsgerichts (hier: des LVwG Vorarlberg) reiche für die Revisionszulassung nicht aus.
Vgl. zu diesem Verfahren den Volltext der Entscheidung.