Fachinfos - Fachdossiers 05.03.2025

Welche Bedeutung hat politische Bildung für eine Demokratie?

Dieses Fachdossier wurde am 19.04.2023 erstveröffentlicht und am 05.03.2025 aus Anlass der Aktionstage Politische Bildung 2025 aktualisiert.

Was ist politische Bildung?

Politische Bildung bezeichnet bewusst geplante und kontinuierliche Angebote und Maßnahmen von Bildungseinrichtungen, die Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen Wissen und Kompetenzen zur selbstständigen Teilnahme am politischen Leben vermitteln. Im Unterschied dazu beschränkt sich Staatsbürgerkunde darauf, Grundlagen der Staatsorganisation und des Rechts zu vermitteln. Beide Formen sind von politischer Erziehung in autoritären und diktatorischen Staaten zu unterscheiden, die Schulung im Sinne einer bestimmten politischen Ideologie ist (Deichmann 2017).

Welche Bildung braucht Demokratie?

Politische Bildung wird oft nur als Teil der Schulbildung oder von Integrationskursen gesehen. Sie ist demnach etwas, das jene brauchen, die (noch) nicht ihre staatsbürgerlichen Rechte ausüben können oder von denen angenommen wird, dass sie diese nicht in angemessener Weise ausüben (können).

Demgegenüber hat die Demokratietheorie seit ihren Anfängen im 18. Jahrhundert betont, dass keine Demokratie ohne Bildung funktionieren könne. Demokratie als Staats- und Lebensform setzt Wissen und Verständnis für eine aktive Teilnahme am politischen und gesellschaftlichen Leben voraus. Sie ist für ihren Bestand darauf angewiesen, dass sich Menschen weiterbilden und Überzeugungen entwickeln, die sicherstellen, dass demokratische Verfahren auch in Krisenzeiten nicht abgelehnt werden (Honneth 2012).

Diese Sichtweisen prägen die Debatten über politische Bildung in Mitteleuropa nach 1945: In Deutschland wurde sie als Teil einer umfassenden Politik der demokratischen Sozialisierung verstanden. In Österreich wurde allerdings lange keine Notwendigkeit dafür gesehen. Es wurde argumentiert, dass hier Demokratie zwischen 1938 und 1945 nur unterbrochen worden war (Filzmaier/Klepp 2017, S. 485).

Wie findet politische Bildung statt?

Politische Bildung geht über das Erlernen von Faktenwissen hinaus. Sie hat viel mit Persönlichkeitsbildung und damit auch mit Wertvorstellungen zu tun. Daher werden Prinzipien und Ziele für politische Bildung formuliert, die eine parteipolitische oder ideologische Vereinnahmung ausschließen sollen. Von internationaler Bedeutung dafür ist der Beutelsbacher Konsens, der 1976 für Deutschland formuliert wurde. Drei Punkte stehen im Zentrum: Erstens, es ist nicht erlaubt, Schüler:innen im Sinne "erwünschter Meinungen zu überrumpeln" und sie so an der Entwicklung selbstständiger Urteile zu hindern. Zweitens, was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, muss auch im Unterricht kontrovers sein. Drittens, Schüler:innen müssen in die Lage versetzt werden, eine politische Situation und eigene Interessen zu analysieren.

Im Mittelpunkt steht die selbstständige und reflektierte Auseinandersetzung mit politischen Ordnungen und Grundfragen des Zusammenlebens. Dazu gehört auch, dass unter Beachtung von Prinzipien wie jener des Beutelsbacher Konsenses im Unterricht über aktuelle politische Themen und auch mit Politiker:innen gesprochen wird (Mittnik u. a. 2018).

Wie ist politische Bildung an Österreichs Schulen organisiert?

Das Bundes-Verfassungsgesetz nennt Bildung, die das Verständnis von Demokratie fördert und zur Teilnahme an politischen Prozessen befähigt, als ein Ziel der österreichischen Schule (Art. 14 Abs. 5a B-VG). Das Schulorganisationsgesetz regelt die Aufgabe, junge Menschen zu "verantwortungsbewussten Gliedern der Gesellschaft und Bürgern der demokratischen […] Republik Österreich" heranzuziehen (§ 2 Abs. 1 SchOG). Außer in den Berufsschulen gibt es aber keinen Unterrichtsgegenstand Politische Bildung. Das Unterrichtsprinzip politische Bildung soll in allen Fächern berücksichtigt werden.

In der Regel ist ab der 9. Schulstufe vorgesehen, politische Bildung besonders auch als Teil des Geschichts- und Sozialkundeunterrichts zu vermitteln. In berufsbildenden Schulen gibt es die Unterrichtsgegenstände "Wirtschaft und Recht" sowie "Politische Bildung und Recht" (Übersicht zu den Lehrplänen).

Da politische Bildung ein Unterrichtsprinzip und kein eigener Unterrichtsgegenstand ist, gibt es auch kein darauf spezialisiertes Lehramtsstudium. Um sie im Rahmen des Gegenstands "Geschichte und Politische Bildung" an AHS unterrichten zu können, braucht es den Abschluss des Lehramtsstudiums Geschichte, Sozialkunde und politische Bildung. Für alle anderen Lehrer:innen soll politische Bildung einen Teil ihrer gesamten Ausbildung ausmachen. An der JKU Linz gibt es ein Masterstudium Politische Bildung, das aber nicht auf Lehrer:innenausbildung ausgerichtet ist. Im Fokus stehen Jugendarbeit und Erwachsenenbildung.

Intensive Debatten über ein eigenständiges Fach Politische Bildung in der Sekundarstufe II (= AHS-Oberstufe) gab es in den 1970er-Jahren. Widerstand kam von der Lehrer:innengewerkschaft, die vor Kürzungen anderer Fächer warnte, sowie Medien, Unternehmerverbänden und politischen Parteien, die fürchteten, dass die SPÖ die politische Bildungsarbeit ideologisieren wollte. Diese Argumente wurden auch später immer wieder gebracht (Wolf 1998). 2022 forderten vier Parlamentsparteien in der Entschließung "Initiative Demokratiebildung" den Ausbau und die stärkere Vernetzung schulischer und außerschulischer Angebote der politischen Bildung in Österreich.

Der Nationale Bildungsbericht Österreich 2024 (III-91 d. B.) geht im Teil 3 "Ausgewählte Entwicklungsfelder" (S. 467-510) stellt die aktuelle Situation in den Schulen ausführlich dar. Die Autor:innen fordern eine Professionalisierung der Lehrer:innenausbildung und eine stärkere Verankerung der politischen Bildung in den Schullehrplänen. Das BMBWF geht in seiner Stellungnahme (S. 511-512) auf die damit verbundene Kritik ein und vertritt die Auffassung, dass es kein eigenständiges Fach Politische Bildung brauche.

Was soll politische Bildung in Österreich vermitteln?

Die Ziele politischer Bildung in Österreich sind im "Grundsatzerlass Politische Bildung" aus 2015 festgelegt. Ein Erlass ist eine interne Verwaltungsvorschrift, die eine übergeordnete Behörde an nachgeordnete Behörden oder Bedienstete (in diesem Fall die Schulen und Lehrer:innen) richtet. Der Inhalt des Grundsatzerlasses wird damit von dem:der Bundesminister:in für Bildung festgelegt. Neben dem Unterrichtsprinzip nennt der Erlass auch die Schulpartnerschaft von Lehrkörpern, Eltern und Schüler:innen als wichtigen Teil politischer Bildung in der Praxis.

Der Grundsatzerlass orientiert sich an internationalen Dokumenten wie der Europarats-Charta zur Politischen Bildung und Menschenrechtsbildung und am Beutelsbacher Konsens (siehe oben): Politische Bildung hat die Aufgabe, einen wesentlichen Beitrag zu Bestand und Weiterentwicklung von Demokratie und Menschenrechten zu leisten. Sie soll dazu befähigen, sich kritisch mit gesellschaftlichen Strukturen, Interessen, Wertvorstellungen und Machtverhältnissen auseinanderzusetzen. Die Prinzipien bauen auf dem österreichischen Kompetenzmodell für Politische Bildung auf.

Die Umsetzung dieser Ziele ist Gegenstand häufiger Debatten. Der Demokratie Monitor führt dazu in Kooperation mit dem Parlament eine jährliche Abfrage mit Fokus auf Menschen im Alter zwischen 16 und 26 Jahren durch. Die Erhebungen seit 2018 zeigen, dass junge Menschen die Qualität politischer Bildung in der Schule sehr kritisch bewerten. Wie der Bericht aus dem Jahr 2024 zeigt, ist besonders der Anteil jener deutlich über 50 % gestiegen, die die Vermittlung bestimmter Handlungskompetenzen (wie die Bewertung von Informationen in Medien oder das Führen politischer Debatten) als ungenügend betrachten.

Das Bildungsministerium hat das Zentrum polis – Politik Lernen in der Schule zur Unterstützung und Sicherung der Qualität politischer Bildung an Schulen eingerichtet. Außerdem existiert das Forum Politische Bildung, ein 1996 gegründeter Verein, der eng mit dem Bildungsministerium zusammenarbeitet und unter anderem die Informationen zur Politischen Bildung herausgibt.

Die Schulpraxis steht vor der Herausforderung, dass Politische Bildung als Unterrichtsprinzip neben neun anderen Unterrichtsprinzipien (u. a. Medienbildung oder Verkehrserziehung) und dem regulären Unterrichtsstoff zu vermitteln ist. Lehrer:innen fehlen oft Zeit und methodische Kenntnisse. Regelmäßig ist unklar, auf welche Weise und in welchem Umfang sie politische Bildung vermitteln können, ohne dass sie dem Vorwurf ausgesetzt sind, ihre persönlichen Ansichten in den Vordergrund zu stellen (vgl. Mittnik u. a. 2018).

Wo gibt es politische Bildung außerhalb der Schule?

Politische Bildung ist nicht auf die Schule beschränkt. In Österreich kommt vor allem der Demokratiebildung im Parlament eine wichtige Rolle zu. Die Angebote umfassen die Demokratiewerkstatt, das Jugend- und das Lehrlingsparlament, die mobilen Workshops Demokratie in Bewegung und die Wanderausstellung Parlament on Tour. Dazu kommen das Demokratikum als interaktives Informationszentrum im neuen Parlamentsgebäude und das Führungsangebot im Parlament. Auch in den Landtagen entstehen vermehrt solche Bildungsangebote (Burgenland, Kärnten, Niederösterreich, Oberösterreich, Salzburg, Steiermark).

Die Aktionstage Politische Bildung machen jährlich im April und Mai auf das große Angebot für politische Bildung in Schulen, in der Jugendarbeit, der Erwachsenenbildung, aber z. B. auch in Museen und Kultureinrichtungen aufmerksam. 2024 standen sie unter dem Motto "Demokratie, Menschenrechte & Rechtsstaatlichkeit". 2025 stehen sie unter dem Motto "Demokratie und Digitalität" sowie "#Erinnern2025".

Im Rahmen der Initiative #DNAUSTRIA des BM für Bildung werden Initiativen, Projekte und Veranstaltungen zur Wissenschafts- und Demokratiebildung gesammelt und regelmäßig beworben.

Die Österreichische Gesellschaft für Politische Bildung ist ein Verein, der seit 1977 besteht, um politische Erwachsenenbildung zu fördern. Das Demokratiezentrum Wien ist eine unabhängige wissenschaftliche Einrichtung, die politische Bildung durch Forschung unterstützt. Die Interessengemeinschaft Politische Bildung ist ein seit 2009 bestehendes Netzwerk von Personen, die in allen Bereichen politischer Bildung tätig sind. An Universitäten und pädagogischen Hochschulen bestehen etwa das Zentrum für Politische Bildung an der PH Wien oder das Zentrum für Geschichts- und Politikdidaktik an der PH Salzburg. An der Universität Wien gibt es den Arbeitsbereich Didaktik der Politischen Bildung am Zentrum für Lehrer*innenbildung.

In Österreich kommt außerdem den politischen Parteien traditionell eine große Bedeutung zu. Das Bundesgesetz über die Förderung politischer Bildungsarbeit und Publizistik 1984 ermöglicht jeder politischen Partei, die mit mindestens fünf Abgeordneten im Nationalrat vertreten ist, die Einrichtung einer Parteiakademie für die "staatsbürgerliche Bildungsarbeit" der Partei. Sie werden jährlich mit öffentlichen Mitteln gefördert.

Wie funktioniert politische Bildung in anderen Staaten?

Einen vergleichenden Überblick über den Politikunterricht an europäischen Schulen bietet eine Studie des EU-Bildungsinformationsnetzes Eurydice aus 2017 (Aktualisierung ist angekündigt). Eine interaktive Karte der NGO CIVICS Innovation Hub liefert einen europaweiten Überblick über Akteur:innen und Stakeholder, die politische Bildung anbieten.

Die aus Österreich bekannten Fragen zur Organisation politischer Bildung wurden und werden auch in anderen Staaten diskutiert. Eine Auswahl von Beispielen kann zeigen, wie unterschiedlich sie beantwortet werden können:

In England wurde politische Bildung zunächst 1990 als fächerübergreifendes Prinzip im Lehrplan eingeführt, das jedoch wenig Beachtung fand. 1998 wurde "Citizenship Education" als ein eigenständiges, verpflichtendes Schulfach eingeführt.

In Frankreich hat politische Bildung eine lange Tradition. Die Formalisierung als Schulfach begann in den 1880er-Jahren mit der Einführung der "instruction civique" (staatsbürgerliche Unterweisung). Heute ist "Enseignement moral et civique" ein wichtiger Teil des Lehrplans französischer Schulen: Sie wird sowohl als eigenes Unterrichtsfach unterrichtet und ist auch in andere Fächer wie Geschichte oder Geografie integriert.

In Deutschland hat politische Bildung große Bedeutung für die Sozialisierung in der Demokratie. Sie ist ein eigenes Unterrichtsfach, das unter verschiedenen Bezeichnungen wie "Sozialkunde", "Gemeinschaftskunde" oder "Staatsbürger:innenkunde" in den Lehrplänen der Bundesländer verankert ist.

In Tschechien ist politische Bildung als fächerübergreifendes Unterrichtsfach in Sozialkunde oder Geschichte integriert. Hier gab es nach dem Ende des Kommunismus lange Vorbehalte gegenüber einem solchen Unterricht. Erst 2009 begann dessen systematische Einführung.

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