Parlamentskorrespondenz Nr. 1448 vom 06.12.2018

Kompetenzbereinigung: Gesetzespaket hat Verfassungsausschuss im zweiten Anlauf passiert

Bund-Länder-Vereinbarung soll bundeseinheitliche Qualitätsstandards für "Kinder und Jugendhilfe" absichern

Wien (PK) – Das von der Regierung vorgeschlagene Gesetzespaket zur Kompetenzbereinigung hat den Verfassungsausschuss des Nationalrats passiert. Neben den Koalitionsparteien stimmte auch die SPÖ in der heutigen Sitzung für den Entwurf, nachdem dieser, was die geplante "Verländerung" der Kinder- und Jugendhilfe betrifft, geringfügig nachjustiert wurde. Damit dürfte die notwendige Zweidrittelmehrheit im Nationalrat gesichert sein. Die NEOS und die Fraktion JETZT sind dagegen weiter skeptisch: Ihrer Meinung nach müsste die Kinder- und Jugendhilfe Bundesmaterie sein.

Konkret sieht das Gesetzespaket nun vor, die Gesetzgebungskompetenzen für den Bereich "Mutterschafts-, Säuglings- und Jugendfürsorge" erst dann zur Gänze an die Länder zu übertragen, wenn eine Vereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern gemäß Artikel 15a B-VG zum Bereich Kinder- und Jugendhilfe vorliegt und Rechtskraft erlangt hat. Damit soll sichergestellt werden, dass das geltende Schutzniveau in diesem Bereich erhalten bleibt. Eine ähnliche Bestimmung hatte zwar schon die Regierungsvorlage (301 d.B. ) enthalten, allerdings war ursprünglich nur eine rechtsverbindliche Vereinbarung der Länder untereinander – ohne Einbindung des Bundes – in Aussicht genommen. Zudem wurde eine Ausschussfeststellung zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe gefasst.

Erfreut über die nunmehrige Zustimmung der SPÖ zeigten sich nicht nur die Abgeordneten der Koalitionsparteien, sondern auch Justizminister Josef Moser. Es sei wichtig, Kompetenzen klar zuzuordnen, bekräftigte er. Damit verhindere man, dass sich im Falle von konkreten Problemen Bund und Länder gegenseitig die Verantwortung zuschieben, wie das in der Vergangenheit immer wieder der Fall gewesen sei. Dass es bei der Kinder- und Jugendhilfe nun zu niedrigeren Standards kommen wird, ist laut Moser schon allein deshalb nicht zu erwarten, weil das geltende Grundsatzgesetz ohnehin wenig präzise sei. Er sieht in der Kompetenzübertragung vielmehr einen "enormen Fortschritt", da sich die Länder ausdrücklich dazu bekannt haben, einheitliche Standards zu schaffen und Verantwortung zu übernehmen.

Die weiteren in der Verfassungsnovelle verankerten Kompetenzverschiebungen treten Anfang 2020 in Kraft. Dabei geht es insbesondere um eine Reduzierung der Zahl jener Materien, in denen der Bund derzeit für die Grundsatzgesetzgebung zuständig ist und den Ländern die Erlassung von Ausführungsgesetzen obliegt. Überdies werden mit dem Paket die Datenschutzkompetenzen beim Bund gebündelt und wechselseitige Zustimmungsrechte von Bund und Ländern, etwa was die Festlegung von Bezirksgrenzen und Gerichtssprengeln betrifft, aufgehoben.

Mittels Abänderungsantrag wieder aus dem Paket gestrichen wurde dagegen jene Bestimmung, die eine Neuformulierung des Grundrechts auf Datenschutz zum Inhalt hatte. Damit steht auch der dritte diesbezügliche Anlauf vor dem Scheitern. Zuletzt ist das Vorhaben im April dieses Jahres trotz eines Drei-Parteien-Antrags erfolglos geblieben, da die SPÖ letztlich auf die Einführung einer Verbandsklage im Datenschutzbereich beharrte. Weitere Abänderungen betreffen klarstellende Präzisierungen, zudem wurde zu einigen Punkten eine Ausschussfeststellung gefasst, um Missinterpretationen zu vermeiden.

Weitere Kompetenzbereinigungen werden vorbereitet

Im Rahmen der Debatte bedankte sich Wolfgang Gerstl (ÖVP) für die konstruktiven Verhandlungen. Sowohl er als auch FPÖ-Verfassungssprecher Harald Stefan sehen in der Reform einen wesentlichen Schritt zur Entflechtung von Kompetenzen. Der Artikel 12 der Bundesverfassung sei immer schon eine Anomalie gewesen, sagte Gerstl, nun werde diese fast 100 Jahre alte Anomalie zumindest in Teilbereichen beseitigt. Bis jetzt sei es noch niemandem gelungen, diesen Knoten zu lösen, hielt Stefan fest. Die Befürchtung, dass die Länder die Standards für die Jugendhilfe senken könnten, teilt Stefan nicht. Nicht alles was zentral geregelt sei, sei automatisch besser.

"Da ist ein schönes Stück gelungen", betonte auch Klaus Fürlinger (ÖVP). Mit dem Paket werde der Boden für weitere Schritte gelegt. Laut Justizminister Moser ist sein Ressort gerade dabei, die restlichen drei Materien, die vorläufig im Artikel 12 der Bundesverfassung verbleiben, so aufzubereiten, dass darüber strukturiert diskutiert werden kann. Konkret geht es um einen Aufriss, wer tatsächlich welche Kompetenzen wahrnimmt und welche Lösungsvorschläge es für eine Entflechtung gibt. Vorliegen soll der Problemaufriss bis 18. März, dann will Moser mit den Ländern und den Parteien verhandeln.

Kritisch zum Gesetzespaket äußerten sich Nikolaus Scherak (NEOS) und Alfred Noll (JETZT). Sie begrüßten zwar das Vorhaben, die Materien, in denen der Bund für die Grundsatzgesetzgebung und die Länder für die Ausführungsgesetze zuständig sind, zu reduzieren. Sowohl Scherak als auch Noll sind aber überzeugt, dass die Kinder- und Jugendhilfe besser beim Bund aufgehoben wäre. Die Kompetenzübertragung an die Länder sei "falsch", meinte Scherak. Die SPÖ mache sich zum Erfüllungsgehilfen von ÖVP und FPÖ und falle "ohne Not um", ergänzte Noll. Auch die geplante Bund-Länder-Vereinbarung ist für Scherak nur eine "hatscherte Lösung".

Auch von der SPÖ kritisiert wurde, dass der Evaluierungsbericht zum 2013 beschlossenen Kinder- und Jugendhilfegesetz bislang nicht vorgelegt wurde. Katharina Kucharowits (SPÖ) kündigte in diesem Sinn einen Entschließungsantrag im Plenum des Nationalrats an. Grundsätzlich betonte Kucharowits, dass Kinderschutz für die SPÖ höchste Priorität habe. Ein Kind sei ein Kind, unabhängig davon, welche Eltern es habe oder ob es ohne Eltern aufwachse. In diesem Sinn hält sie die Sicherstellung hoher Qualitätsstandards in diesem Bereich für ganz zentral. Ihr Fraktionskollege Johannes Jarolim sprach von einer "seltsamen Gesetzeswerdung" und interpretierte die "Verländerung" der Materie so, dass Bundeskanzler Sebastian Kurz die Kinder- und Jugendhilfe offenbar egal, den Ländern aber ein wichtiges Anliegen sei.

Bund und Länder werden sich Gesetzgebungskompetenz nur noch in wenigen Materien teilen

Im Konkreten sieht der Gesetzentwurf vor, nur noch die Kompetenztatbestände Armenwesen, Heil- und Pflegeanstalten sowie Elektrizitätswesen im Artikel 12 der Bundesverfassung zu belassen, welcher jene Materien umfasst, in denen dem Bund die Grundsatzgesetzgebung obliegt und den Ländern die Ausgestaltung der Ausführungsgesetze und die Vollziehung zukommt. Dazu gehören etwa auch die Mindestsicherung und die Krankenhäuser. Von den neun übrigen Kompetenztatbeständen wird ein Großteil in die alleinige Zuständigkeit der Länder wandern. Das betrifft etwa die Säuglings- und Jugendfürsorge, den Pflanzenschutz, die Bodenreform, natürliche Heilvorkommen (Thermalwasser) und Kuranstalten. Dem Bund werden demgegenüber die alleinigen Gesetzgebungskompetenzen für Bevölkerungspolitik, Arbeitsrecht im Bereich Land- und Forstwirtschaft und die außergerichtliche Streitvermittlung in Angelegenheiten des Zivilrechtswesens und des Strafrechtswesens übertragen. Gemeindevermittlungsämter, Antidiskriminierungsstellen, Beratungsstellen und ähnliche Einrichtungen sind davon laut Erläuterungen jedoch nicht umfasst.

Reduzierung der wechselseitigen Zustimmungsrechte von Bund und Ländern

Mit dem Gesetzespaket werden darüber hinaus die wechselseitigen Zustimmungsrechte von Bund und Ländern reduziert. Das betrifft nicht nur die Festlegung der Grenzen von politischen Bezirken als künftig alleinige Kompetenz der Länder und von Gerichtssprengeln als alleinige Kompetenz des Bundes, sondern auch die Organisation der Ämter der Landesregierung, die Bestellung von LandesamtsdirektorInnen und die Verleihung des Stadtrechts an Städte mit mehr als 20.000 EinwohnerInnen. In diesen drei Bereichen wird der Bund künftig ebenfalls kein Vetorecht mehr haben. Außerdem ist eine einheitliche Vorgangsweise bei verbleibenden Einspruchsrechten der Bundesregierung gegen einzelne Landesgesetze vorgesehen.

Ungeachtet der geplanten neuen Bestimmungen will die Regierung die Interessen der Länder bei einer Änderung der Sprengel der Bezirksgerichte jedoch weiter berücksichtigen, wie in den Erläuterungen zum Gesetzespaket festgehalten wird. Zudem ist dort die Zusage festgehalten, dass in jedem Bundesland zumindest ein Landesgericht bestehen soll.

Zugunsten von mehr Flexibilität bei Postenbesetzungen gestrichen wird die Bestimmung, wonach  LandesamtsdirektorInnen und MagistratsdirektorInnen aus dem Kreis der BeamtInnen kommen müssen. Weiters können in Hinkunft die Rechtsvorschriften aller Behörden, also etwa auch von Bezirksverwaltungsbehörden, Gemeinden, Gemeindeverbänden und von in den Ländern eingerichteten Selbstverwaltungskörpern (z.B. Ärztekammern), sowie von Verwaltungsgerichten im Rechtsinformationssystem des Bundes (RIS) kundgemacht werden. (Fortsetzung Verfassungsausschuss) gs