Parlamentskorrespondenz Nr. 593 vom 19.05.2021

Nationalrat gibt grünes Licht für das EU-Wiederaufbauprogramm und den EU-Eigenmittelbeschluss

Weitere Beschlüsse: ESM-Reform, IGA-Änderungsabkommen

Wien (PK) - Der sogenannte Eigenmittelbeschluss des EU-Rats hat heute durch die Zustimmung von den Abgeordneten der ÖVP, SPÖ, Grünen und den NEOS die erforderliche Zweidrittelmehrheit im Nationalrat erhalten. Abgestimmt wurde der EU-Eigenmittelbeschluss im Plenum namentlich, wobei 143 von 171 abgegebenen Stimmen auf ein "Ja" entfielen. Demnach können künftig bis zu 1,40% statt bislang 1,20% des Bruttonationaleinkommens zur Finanzierung des EU-Haushaltes von den Mitgliedsstaaten eingehoben werden. Für den österreichischen Beitrag bedeutet das eine Steigerung auf rund 3,8 Mrd. €. Durch den heutigen Beschluss gab es zudem grünes Licht für das insgesamt 750 Mrd. € schwere Aufbauinstrument "Next Generation EU", das die EU-Länder bei der Überwindung der Corona-Krise unterstützen soll. Die VerterterInnen von ÖVP, SPÖ, Grünen und NEOS begrüßten das EU-Wiederaufbauprogramm als wichtigen Schritt zur Bewältigung der Corona-Krise. Die Abgeordneten der FPÖ kritisierten hingegen den Schritt hin zu einer europäischen Schuldenunion.

Ein in der Debatte eingebrachter FPÖ-Entschließungsantrag, der "den Beitritt zu einer Schuldenunion in Verbindung mit dem EU-Wiederaufbaufonds auf EU-Ebene" ablehnt, blieb bei der Abstimmung in der Minderheit.

Eine breite Mehrheit gab es hingegen für zwei Regierungsvorlagen, die den Europäischen Stabilitätsmechanismus betreffen. Im Zentrum der Reform steht, dass der Eurorettungsschirm künftig auch als Letztsicherung für den Bankenabwicklungsfonds fungieren wird. Im Zusammenhang damit kommt es zu einem Änderungsabkommen des Bankenabwicklungsfonds (IGA-Änderungsabkommen), um eine vorzeitige Letztsicherung durch den ESM zu ermöglichen.

EU-Eigenmittelbeschluss: Obergrenze soll steigen, 750 Mrd. € für Wiederaufbau nach COVID-19-Krise

Der Eigenmittelbeschluss des EU-Rats regelt die Bestimmungen über das System der Eigenmittel für die Periode des Mehrjährigen Finanzrahmens 2021 bis 2027. Als Obergrenze der Eigenmittel, die die Europäische Kommission in einem bestimmten Jahr von den Mitgliedstaaten zur Finanzierung des EU-Haushalts abrufen kann, sind nun 1,40% statt bislang 1,20% des Bruttonationaleinkommens der EU vorgesehen. Damit soll auch nach dem Ausscheiden des Vereinigten Königreichs als wichtigem Nettozahler ein ausreichender Spielraum für den jährlichen EU-Haushalt gewährleistet werden. Der österreichische EU-Beitrag soll dadurch von rund 2,9 Mrd. € auf rund 3,8 Mrd. € ansteigen. Für den EU-Eigenmittelbeschluss ist auch die Zustimmung durch den Bundesrat notwendig.

Zuzüglich zum Mehrjährigen Finanzrahmen soll die Europäische Kommission ab 2021 auch Verpflichtungen in der Höhe von 750 Mrd. € für das neue Aufbauinstrument "Next Generation EU" (NGEU) zur Unterstützung der Erholung nach der COVID-19-Krise eingehen können. Davon sollen bis zu 360 Mrd. € für Darlehen und bis zu 390 Mrd. € für Ausgaben verwendet werden. Die Unterstützung soll zeitlich begrenzt sowie an Zielvorgaben des Aufbau- und Resilienzplans geknüpft sein. Die Finanzierung des NGEU-Instruments soll in den Jahren 2021 bis 2026 über im Namen der EU getätigte Schuldaufnahmen erfolgen, die bis spätestens 2058 aus dem EU-Haushalt zu tilgen sind.

Mit dem Eigenmittelbeschluss und dem Wiederaufbauprogramm sei man in ein "neues Zeitalter der europäischen Schulden" gekommen, kritisierte Petra Steger (FPÖ). Dies könne zu fatalen Konsequenzen führen, da Österreich nun erstmals auch für Schulden von "EU-Pleitestaaten" haften würde. Dieser Umstand gleiche einem "Verrat an den österreichischen SteuerzahlerInnen", so die FPÖ-Mandatarin. Stegers Fraktionskollege Axel Kassegger sprach von einem "planwirtschaftlichen Umverteilungsmodell auf Pump". Österreich bekomme zwar 3,7 Mrd. € aus dem Wiederaufbaufonds, müsse aber im Gegensatz rund 12 Mrd. € zurückzahlen.

Reinhold Lopatka (ÖVP) widersprach den Aussagen der FPÖ-Abgeordneten. Der Wiederaufbaufonds bedeute keinen Einstieg in eine europäische Schuldenunion, denn nicht-rückzahlbare Zuschüsse seitens der EU sollten keine "Dauereinrichtung" werden. Die EU müsse jedoch "Neuland" zur Bekämpfung der Auswirkungen der Corona-Krise betreten. Es gehe um "gelebte Solidarität" innerhalb der EU. Für Jakob Schwarz (Grüne) ist der Eigenmittelbeschluss und das Wiederaufbauinstrument ein "historischer Schritt und die richtige Reaktion auf die Krise". Die Vorteile würden die Kosten für Österreich überwiegen, denn in einem vernetzten Europa würden die Investitionen in den Nachbarländern auch die heimische Wirtschaft stärken.

Man müsse die Möglichkeiten und Chancen des Wiederaufbaufonds erkennen, betonten Reinhold Einwallner und Katharina Kucharowits (beide SPÖ). Die EU-Gelder sollten Österreich "einen Schub geben, um aus der Krise zu kommen". Einwallner vermisste jedoch neue und innovative Projekte im Rahmen des nationalen Aufbauplans. Nur vier Prozent der von Österreich eingereichten Projekte würden neue Vorhaben betreffen. Auch Kucharowits sah im nationalen Aufbauplan ein "Umtopfen bestehender Projekte" und forderte mehr Mittel für den digitalen Ausbau in Österreich.

Karin Doppelbauer (NEOS) signalisierte ebenso Zustimmung zum Eigenmittelbeschluss sowie zur "temporären Aufnahme von Schulden durch die EU". Die proeuropäische Haltung der NEOS würde eine innereuropäische Solidarität voraussetzen. Das Wiederaufbauinstrument solle zu einer tranformativen und digitalisierten europäischen Wirtschaft beitragen.

Österreich werde sich "jeden Euro, der uns zusteht, abholen", unterstrich Finanzminister Gernot Blümel. Es gehe beim Wiederaufbauinstrument um die Bewältigung der Corona-Krise und nicht um die Einrichtung einer permanenten Schuldenunion, hielt Blümel in Richtung der FPÖ-Abgeordneten fest. Als kleine und offene Volkswirtschaft werde Österreich auch von den Investitionen in den Nachbarländern profitieren.

ESM-Reform soll Eurozone besser gegen Finanzkrisen wappnen

Um die Eurozone künftig besser gegen Finanzkrisen zu wappnen, soll der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) reformiert werden. Der Nationalrat hat dazu das bereits von den EU-Staats- und Regierungschefs gebilligte Übereinkommen zur Reform des ESM mehrheitlich angenommen. Im Zentrum der Reform steht, dass der Eurorettungsschirm künftig auch als Letztsicherung für den Bankenabwicklungsfonds (Common Backstop) fungieren wird. Mit den vorgeschlagenen Änderungen sollen Ansteckungseffekte zwischen den ESM-Mitgliedstaaten sowie die wechselseitige Abhängigkeit von öffentlichen Haushalten und Banken weiter reduziert werden.

Im Zusammenhang mit der ESM-Reform gab es zudem grünes Licht für ein Änderungsabkommen des Bankenabwicklungsfonds (IGA-Änderungsabkommen). Das bestehende Übereinkommen wird geändert, um eine vorzeitige Letztsicherung durch den ESM zu ermöglichen. (Fortsetzung Nationalrat) med

HINWEIS: Sitzungen des Nationalrats und des Bundesrats können auch via Livestream mitverfolgt werden und sind als Video-on-Demand in der Mediathek des Parlaments verfügbar.


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