Parlamentskorrespondenz Nr. 1419 vom 07.12.2021

Justizausschuss bringt Neuregelung der Sterbehilfe auf den Weg

Paralleler Ausbau der Palliativ- und Hospizversorgung geplant

Wien (PK) – Der Justizausschuss hat heute mit breiter Mehrheit für die gesetzliche Neuregelung der Sterbehilfe gestimmt. Damit wird der Gesetzesentwurf der Regierung für ein Sterbeverfügungsgesetz, der nach einem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshof nötig wurde, ins Plenum geschickt. Geregelt wird darin, unter welchen Voraussetzungen es künftig zulässig sein soll, einer Person beim Suizid Hilfe zu leisten. Die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen bleibt weiterhin unangetastet. Parallel zur Neuregelung soll die Palliativ- und Hospizversorgung ausgebaut werden.

Ebenfalls breite Zustimmung gab es für die Verlängerung der Kronzeugenregelung um weitere sieben Jahre.

Sterbeverfügungsgesetz regelt Hilfeleistung beim Suizid

ÖVP, Grüne, SPÖ und NEOS stimmten für die Regierungsvorlage für ein Sterbeverfügungsgesetz sowie für Änderungen im Suchtmittelgesetz und Strafgesetzbuch (1177 d.B.). Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hatte das bisherige Verbot der Hilfeleistung beim Suizid mit Wirkung ab 1. Jänner 2022 aufgehoben, weshalb eine gesetzliche Neuregelung nötig wurde. Ein zentrales Anliegen ist der Regierung, das vom VfGH zentral betonte Grundrecht auf Selbstbestimmung auszuführen und zugleich gegen allfälligen Missbrauch abzusichern. Die Neuregelung beschränkt sich auf die Frage, unter welchen Voraussetzungen es künftig zulässig sein soll, jemandem beim Suizid Hilfe zu leisten. Bei der Tötung einer anderen Person auf deren Verlangen wird die Strafbarkeit nicht angetastet.

Darüber hinaus soll die Palliativ- und Hospizversorgung erweitert werden, da eine gut ausgebaute Versorgung den Wunsch nach frühzeitiger Beendigung des Lebens reduziere.

Das Prozedere im Detail

Die sterbewillige Person muss laut Vorlage volljährig und entscheidungsfähig sein und an einer unheilbaren bzw. schweren Krankheit im Sinne des Sterbeverfügungsgesetzes leiden. Die Entscheidungsfähigkeit muss zweifelsfrei gegeben sein. Der oder die helfende Dritte braucht eine hinreichende Grundlage dafür, dass die sterbewillige Person tatsächlich eine auf freier Selbstbestimmung gegründete Entscheidung zur Selbsttötung gefasst hat. Der Entwurf sieht daher ein einzuhaltendes Prozedere vor: Die sterbewillige Person muss über Alternativen aufgeklärt werden, und zwar von zwei ärztlichen Personen, von denen eine über eine palliativmedizinische Qualifikation verfügt. Eine krankheitswertige psychische Störung schließt die Entscheidungsfähigkeit aus. Bei Zweifeln, ob der Sterbewunsch in einer solchen Störung begründet liegt, muss zusätzlich eine Abklärung durch eine/-n PsychiaterIn oder eine/-n klinische/-n PsychologIn erfolgen. Die sterbewillige Person wird über die Dosierung und Einnahme des zum Tod führenden Präparats und dessen Auswirkungen sowie über konkrete Angebote für ein psychotherapeutisches Gespräch und suizidpräventive Beratung aufgeklärt.

Jene ärztliche Person, die über die Behandlungsalternativen aufklärt, muss bestätigen, dass die sterbewillige Person entweder an einer unheilbaren, zum Tod führenden Krankheit oder an einer schweren, dauerhaften Krankheit mit anhaltenden Symptomen leidet, deren Folgen sie in ihrer gesamten Lebensführung dauerhaft beeinträchtigen. In beiden Fällen muss die Krankheit einen für die sterbewillige Person nicht anders abwendbaren Leidenszustand mit sich bringen.

Nach Verstreichen einer Bedenkzeit ist auf zweiter Ebene eine Sterbeverfügung bei einem Notar oder einer Notarin bzw. einem oder einer rechtskundigen MitarbeiterIn der Patientenvertretungen zu errichten. Auch bei diesem Gespräch ist die Entscheidungsfähigkeit zu beurteilen und zu dokumentieren, ein umfassendes Gespräch über die im Aufklärungsgespräch thematisierten Punkte durchzuführen, auf Alternativen hinzuweisen und die sterbewillige Person insbesondere über die rechtlichen Auswirkungen ihrer Entscheidung zu belehren. Eine Sterbeverfügung kann nur wirksam errichtet werden, wenn die sterbewillige Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich hat oder österreichische Staatsangehörige ist. Unmittelbar nach der Errichtung einer Sterbeverfügung ist diese an das Sterbeverfügungsregister zu melden.

Regelungen der Strafbarkeit

Nach Vorlage einer wirksamen Sterbeverfügung dürfen gelistete Apotheken das letale Präparat in der in der Sterbeverfügung angegebenen Dosierung kontrolliert abgeben. Sie müssen die Abgabe an das Sterbeverfügungsregister melden. Der Entwurf sieht unter anderem auch ein verwaltungsstrafrechtlich zu ahndendes Werbeverbot für die gesamte Thematik vor. Das "Verleiten" bleibt weiterhin strafrechtlich relevant.

In ausgewählten Fällen bleibt die Hilfeleistung zur Selbsttötung strafbar. Das sind Suizid-Hilfeleistungen für minderjährige Personen und solche, die nicht an einer entsprechenden Krankheit im Sinne des Sterbeverfügungsgesetzes leiden. Ebenso strafbar ist die Hilfeleistung aus einem verwerflichen Beweggrund und wenn die sterbewillige Person nicht nach dem festgelegten Prozedere ärztlich aufgeklärt wurde.

Zadić: Gesetz ist eine moderne, ausgewogene Lösung

Nach der Aufhebung der bisherigen Regelung durch den Verfassungsgerichtshof sei die Bundesregierung vor einer immensen Herausforderung gestanden, führte Justizministerin Alma Zadić eingangs aus. Es sei darum gegangen, binnen eines Jahres eine Lösung für dieses hochsensible Thema zu finden, die Missbrauch verhindere und schwerkranken Menschen ein selbstbestimmtes Sterben in Würde ermögliche. Daher habe man mit einem Dialogforum im Ministerium einen breiten Prozess gestartet, bei dem VertreterInnen verschiedenster Institutionen vier Tage lang diskutiert haben. Es sei darum gegangen, das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes umzusetzen, verschiedene Wünsche zu berücksichtigen, aber auch Befürchtungen ernst zu nehmen. Man habe eine moderne, ausgewogene Lösung gefunden, zeigte sich die Ministerin überzeugt. Mit dem vorliegenden Gesetz biete man nun Rechtssicherheit, schütze den freien Willen und stelle den notwendigen Schutz vor Missbrauch sicher, so Zadić.

Sie betonte zudem, dass neben den vorgelegten Bestimmungen eine zweite Säule zentral sei: Parallel habe das Gesundheitsressort einen Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung auf den Weg gebracht. Ab 2022 soll es einen jährlichen Zweckzuschuss des Bundes an die Länder zur Finanzierung geben. Denn niemand solle den Weg des Sterbens wählen, wenn es auch andere Möglichkeiten gebe, sagte die Justizministerin. Insgesamt führte sie drei Aspekte an, die die Entscheidung geleitet haben: die Achtung der Menschenwürde, der Respekt vor dem Leben und der Respekt vor den höchstpersönlichen Entscheidungen schwerstkranker Menschen.

Umfassende Debatte über sensibles Thema

Selma Yildirim (SPÖ) bezeichnete die Thematik als einer der sensibelsten in ihrer bisherigen Tätigkeit. Sie drückte die Zustimmung ihrer Fraktion zum Gesetzesentwurf aus, weil sie den Eindruck habe, dass das Erkenntnis des VfGH im Fokus gehalten worden sei. Sie habe jedoch einen breiteren, gesellschaftlichen Diskurs vermisst, insbesondere eine Einbeziehung des Parlaments. Yildirim bezeichnete den Ausbau des Hospiz- und Palliativwesens ebenfalls als wichtig und hoffte auf rasche Umsetzung durch die Länder. Ihr Fraktionskollege Harald Troch (SPÖ) kritisierte, dass schwerstens leidende Menschen, die ihrem Leben ein Ende setzen wollten, vom Gesetzgeber jahrzehntelang alleine gelassen worden seien. Der nun vorliegende Gesetzesentwurf sei nicht perfekt, aber ein großer Fortschritt im Vergleich zur Situation davor.

Die NEOS werden das Gesetz befürworten, sagte Johannes Margreiter, wenngleich viele Probleme noch ungelöst seien. Aus seiner Sicht könne die vorliegende Lösung nur ein erster Schritt sein. Er begrüßte, dass der Verfassungsgerichtshof mit seinem Erkenntnis einen gesellschaftlichen Wandel aufgegriffen habe und erkannt habe, dass Suizide aus der sozialen Ächtung herausgeholt werden müssten. Suizide seien deshalb nicht gewünscht, im Gegenteil müsse man sie mit aller Kraft verhindern. Sie seien jedoch Realität, weshalb man einen modernen Umgang damit brauche. Er wies auch auf die tragischen Auswirkungen von gescheiterten Selbstmordversuchen für alle Beteiligten hin. Nikolaus Scherak (NEOS) zeigte sich als "überzeugter Liberaler" froh über den Schritt. Denn er sei der Meinung, dass man den Menschen die Entscheidung über Leben oder Sterben freistellen müsse. Er habe nie verstanden, wieso man Menschen gerade am Ende ihres Lebens eine selbstbestimmte Entscheidung aberkenne. Der Gesetzesvorschlag sei seiner Meinung nach ausgewogen. Insbesondere vor dem Hintergrund der Probleme der ÖVP mit der Regelung bezeichnete er den gefunden Kompromiss als tragfähig. Kritik äußerte er am Weg zum Gesetz, nämlich an der fehlenden Einbindung des Parlaments und der kurzen Begutachtungsfrist.

Harald Stefan (FPÖ) bezeichnete das Thema als "unglaublich heikel". Er sah zwar positive Ansätze an der Regelung, etwa, dass psychisch kranke Personen ausgenommen seien, drückte jedoch insgesamt seine Ablehnung aus. Es gebe einige Schwachstellen, etwa, was Unterstützung für diejenigen Personen betreffe, die beim Suizid assistieren. Statt der Bezeichnung "sterbewillige Person" sei der Begriff "suizidwillige Person" vorzuziehen, da nicht jeder Mensch, der einen Willen zum Sterben äußere auch Suizid begehen wolle. Für Stefan bestehe zudem die Gefahr, dass ein hochwirksames Gift, das durch die Apotheken ausgegeben werde, in Umlauf geraten könne, wenn es nicht oder nicht vollständig verabreicht werde.

Gudrun Kugler (ÖVP) sagte, es sei kein Geheimnis, dass die Volkspartei mit dem Erkenntnis des VfGH nicht glücklich gewesen sei. Gleichzeitig sei die Entscheidung zu respektieren, weshalb ihre Fraktion sich produktiv an der neuen Regelung beteiligt habe. Man habe im Prozess auch die besten Ideen aus anderen Ländern übernommen und werde dadurch der Forderung des Verfassungsgerichtshofes gerecht, Missbrauch zu verhindern. Für Kugler ist es eine der wichtigsten Aufgaben des Staates, beim Leben zu helfen. Mit der Regelfinanzierung der Hospiz- und Palliativversorgung gelinge hier ein wichtiger Schritt. Wolfgang Gerstl (ÖVP) stellte in Frage, ob es Aufgabe des VfGH sei, rechtspolitische Entscheidungen zu treffen. Aus seiner Sicht habe das Parlament als Vertretung des Volkes derartige Entscheidungen zu treffen. Ein politischer Zugang, der sich in der Volksvertretung nicht durchsetzen konnte, sei nun zum Verfassungsgerichtshof getragen worden, wo mit einfacher Mehrheit entschieden worden sei. Das bezeichnete er als "Dammbruch". Gerstl war der Meinung, dass es zu diesem Urteil nicht gekommen wäre, wenn nicht ein Anwalt der NEOS den Antrag beim VfGH eingebracht hätte. Nikolaus Scherak (NEOS) stellte richtig, dass der betroffene Anwalt nicht Anwalt der NEOS sei. Er sei Mitglied der NEOS, habe den Antrag aber nicht im Auftrag der Partei, sondern für seine MandantInnen beim VfGH eingebracht.

Agnes Sirkka Prammer (Grüne) wollte das Infragestellen der Entscheidung des Höchstgerichts so nicht stehen lassen. Alle RichterInnen im Verfassungsgerichtshof würden bei jeder Rechtssache ihre Entscheidungen in ihrem freien richterlichen Ermessen treffen und seien dabei an die österreichische Bundesverfassung gebunden. Das vorliegende Gesetz bezeichnete sie insgesamt als gut. Auch aus ihrer Sicht ist das Gesamtpaket mit dem Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung elementar wichtig. Als positiv strich sie auch hervor, dass im Gesetzestext eine sensible Sprache gewählt wurde. Das Gesetz werde freilich nicht jedem Wunsch gerecht, entspreche aber dem, was die Gesellschaft insgesamt brauche.

Kronzeugenregelung wird um weitere sieben Jahre verlängert

Ebenfalls mit breiter Mehrheit, ohne die Stimmen der NEOS, wurde die Verlängerung der "großen Kronzeugenregelung" angenommen, die mit Jahresende auslaufen würde. Mit der Änderung der Strafprozessordnung (1175 d.B.) wird die Regelung um weitere sieben Jahre verlängert. Zudem wird die Kriminalpolizei in den Kreis der Behörden einbezogen, an die der Kronzeuge/die Kronzeugin herantreten kann. Zusätzlich zu um Kronzeugenstatus ansuchende Unternehmen können künftig auch die einzelnen MitarbeiterInnen ihr Wissen offenbaren. Mit einem Abänderungsantrag haben ÖVP und Grüne im Ausschuss den Entwurf noch adaptiert, um inzwischen in Kraft getretene Änderungen der StPO im Gesetzestext zu berücksichtigen.

Justizministerin Alma Zadic bezeichnete die Kronzeugenregelung als weiterhin wichtiges Instrument im Kampf gegen Korruption und Wirtschaftskriminalität. Mit der Verlängerung sei auch eine grundlegende Evaluierung vorgesehen, so die Ministerin.

Christian Stocker (ÖVP) und Agnes Sirkka Prammer (Grüne) befürworteten die Verlängerung und betonten die Wichtigkeit der geplanten Evaluierung. Selma Yildirim (SPÖ) begrüßte die Verlängerung ebenfalls, vermisste jedoch die Transparenz bei den vorangegangenen Evaluierungen. Christian Ragger (FPÖ) hieß die Verlängerung zwar gut, hätte sich aber einen grundlegenden Reformprozess gewünscht. Johannes Margreiter (NEOS) legte dar, dass er die Verlängerung zwar grundsätzlich begrüße, der Regelung jedoch nicht zustimmen werde, weil die Stakeholder nicht ausreichend in den Prozess einbezogen worden seien. (Fortsetzung Justizausschuss) kar