Nationalrat, XXVI.GPStenographisches Protokoll45. Sitzung, 25. Oktober 2018 / Seite 44

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arbeit von mehreren europäischen Ländern in dieser Frage erreichen werden. – Ich danke Ihnen sehr. (Beifall bei FPÖ und ÖVP.)

10.49


Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Kern. – Bitte. (Ruf bei der ÖVP: Wer ist denn das?)


10.49.27

Abgeordneter Mag. Christian Kern (SPÖ): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Geschätzte Zuschauer vor den Fernsehgeräten und auf der Galerie! Das ist heute mein zweiter Abschied aus dem Parlament; der erste ist über 20 Jahre her. Ich scheide heute als Abgeordneter aus diesem Haus aus, damals als Klubsekretär.

Ich kann Ihnen sagen, die Erfahrung, die ich damals mitgenommen habe, ist, dass einem insbesondere erst aus der Distanz die Bedeutung dieses Hauses für unsere Gesellschaft, auch für unsere Demokratie, wirklich im richtigen Licht erscheinen mag. Ich weiß, wie das gewesen ist, wieder in dieses Haus zurückzukommen, als ich damals meinen Chef Peter Kostelka gelegentlich besucht habe, der Klubobmann und mein Vorgänger in der SPÖ war. Du bist ob der Architektur dieses Hansen-Baus, dieser gewaltigen Architektur fast von Ehrfurcht erfasst. Du marschierst durch das Haus, es riecht nach Parlament, die Schritte in der Säulenhalle haben ein ganz eigenwilliges Geräusch, das dich sofort daran erinnert, wo du bist. Die Abgeordneten sind damals –sprichwörtlich – durch die Couloirs gewandelt, und in diversen Nischen haben sich Abgeordnete über alle Fraktionsgrenzen hinweg zur Konspiration getroffen.

Der Mittelpunkt damals, anders als heute, war die Cafeteria, die sogenannte Milchbar, in der das gesellschaftliche Leben des Parlaments über alle Parteigrenzen hinweg statt­gefunden hat. Mir ist eine Frage aus all den Erfahrungen damals geblieben, und zwar, warum das eigentlich Milchbar geheißen hat, denn in all der Zeit meiner teil­nehmenden Beobachtung habe ich dort alles Mögliche erlebt, aber Milch hat dort jedenfalls niemand bestellt. Ich darf Sie bitten, daraus keine weiteren Ableitungen vorzunehmen.

Was wir damals aber auch erlebt haben, war die große Zeit der Karriere des Jörg Haider im Parlament. Er war ein begabter Redner, der dort mit seltener drama­turgischer Brillanz seine Reden gehalten hat, aber auch mit einer Härte, mit einer Häme, mit einem Spott und mit permanenter Attacke, die immer wieder zu Tumulten und Aufregung geführt haben.

Es war der Beginn einer Ära, in der ganz klar abgesteckt worden ist, dass der Popu­lismus einen Platz in Österreich bekommen hat. Ich weiß, es macht keinen Sinn, wenn wir uns gegenseitig des Populismus bezichtigen, denn zwischen populärer Politik und Populismus ist oft nur ein schmaler Grat, und es ist wohl niemand von uns unverdächtig, diesen nicht auch einmal überschritten zu haben.

Was wir aber damals erlebt haben, ist, dass sich eine Spirale in Gang gesetzt hat, die von Journalisten, von Politikern angetrieben wird, mit der die Schlagzeile des nächsten Tages, der Kampf um die meisten Klicks, die meisten Retweets, die meisten Likes auf Facebook eine Art Tanz um das Goldene Kalb in der Demokratie geworden sind. Man bestätigt sich, stellt fest, die Schlagzeile hat gepasst, die Klicks haben gepasst, und am nächsten Tag geht es weiter.

Bei all dem war der Eindruck – und ich glaube, da besteht zwischen uns Einigkeit –, dass das eine schlechte Entwicklung ist, weil damit die Werte der Aufklärung, die unsere Demokratie umfassen, in immer weitere Ferne rücken. Es sind die Toleranz, die


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