Heinz FISCHER: Es kann ja nicht sein, dass die ersten zwei Stunden nach Spielregeln des Präsidenten A laufen und dann die nächsten zwei Stunden der Präsident B ganz andere Maßstäbe hat.
Anneliese KITZMÜLLER: Man kriegt ein Croquis. Das ist ein wirklich wortwörtlich ein Drehbuch für die Sitzung, auch für die Abstimmung ein Drehbuch, wo man eben genau weiß, was wird abgestimmt.
Fritz NEUGEBAUER: Croquis ist sehr in Ordnung und auch die Kollegen, die einen betreuen, perfekt organisiert. Sie sind ganz hervorragende Könner der Materie.
Anna-Elisabeth HASELBACH: Also ich bin nicht aufs Präsidium gegangen, ohne das Croquis vorher angeschaut zu haben.
Jingle "Geschichten aus dem Parlament"
Clemens HAIPL: Einen wunderschönen guten Tag und herzlich Willkommen bei Geschichten aus dem Parlament. Wenn Sie schon einmal bei einer Nationalratssitzung oder Bundesratssitzung zugeschaut haben, wird es Ihnen vielleicht auch so gehen wie mir und Sie verlieren hier und da den Überblick darüber, was da genau passiert. Was machen die gerade? Worum geht es? Über welches Gesetz wurde gerade abgestimmt? Gab es davor eine Abänderung Und was kommt als nächstes? Damit das den Parlamentarierinnen und Parlamentariern nicht passiert, gibt es ein ganz interessantes Hilfsmittel. Während der letzten Gesetzgebungsperiode zwischen 2019 und 2024 wurden zum Beispiel fast 1000 Gesetze beschlossen. An dem muss man sich mal alle alle halten. Bei 183 Abgeordneten und 60 Bundesratsmitgliedern wird es dann schon ein bisschen schwierig, da den Überblick zu bewahren, wie Anneliese Kitzmüller, ehemalige dritte Nationalratspräsidentin beschreibt.
KITZMÜLLER: Aufstehen oder nicht Aufstehen zum Abstimmen. Das ist oft gar nicht so einfach, dass man da den Überblick bewahrt, wer alle aufgestanden ist und sitzt. Normalerweise weiß man eh von Fraktion zu Fraktion, wer aufstehen wird und wer sitzen bleibt. Also da hat man eben, aber man zählt ja nicht alleine und man schaut ja nicht alleine, sondern man hat ja von der Parlamentsdirektion Unterstützung.
HAIPL: Eva Glawischnig-Piesczek, früher auch dritte Nationalratspräsidentin:
Eva GLAWISCHNIG-PIESCZEK: Aber es ist natürlich schon eine Herausforderung. Du musst sehr konzentriert sein. Das schaut auch sehr leicht aus. Und natürlich gibt es auch sehr heikle Geschäftsordnungsfragen, die du dann ad hoc klären musst. Und wenn du da nicht viel Erfahrung hast, kannst du schon in große Fettnäpfchen hineintreten. Und dann bist du unendlich dankbar, wenn neben dir jemand sitzt, der solche Situationen schon erlebt hat.
HAIPL: Der jeweils Vorsitzende Präsident bzw. die Vorsitzende Präsidentin leitet unter anderem die Sitzungen, erteilt den Abgeordneten das Wort und führt Abstimmungen durch. Edgar Mayer, ehemaliger Bundesratspräsident:
Edgar MAYER: Es ist intensiv, weil man natürlich auch der Diskussion intensiv verfolgen muss und wenn es irgendwelche Probleme gibt, natürlich auch Unterbrechungen. Man sieht auch natürlich, wenn die Minister kommen, dass man das realisiert, dass die entsprechenden Beschlüsse gefasst werden, dass man das auch vorliest und dann, wenn es zur Abstimmung kommt, sich das entsprechend anschaut, wie die Mehrheitsverhältnisse sind. Also es ist ein intensiver Job, aber auch ein schöner Job, wenn man da oben als Präsident sitzt und mehr oder weniger den Überblick hat und sich aber auch der Verantwortung bewusst ist.
HAIPL: Also der Präsident oder die Präsidentin hat den Vorsitz während einer Sitzung und muss daher schauen, dass alles seinen korrekten Weg geht und keine Abstimmung und kein Abänderungsantrag übersehen wird. Daher braucht es eine Art Drehbuch. Anneliese Kitzmüller:
KITZMÜLLER: Die Abstimmung ist ja so: Man kriegt ein Croquis, das ist ein wirklich ein Drehbuch für die Sitzung, auch für die Abstimmung ein Drehbuch, wo man eben genau weiß, was wird abgestimmt. Weil man kann natürlich, wenn man Vorsitz führt, nicht 15 Änderungsanträge jetzt genau mitschreiben. Das macht eben die Parlamentsdirektion, Gott sei Dank, und sehr gewissenhaft. Und dann wird eben das vorgelesen und dann wird abgestimmt.
HAIPL: Dieses Drehbuch - also das Croquis, klingt nur wie ein Gummischuh, ist aber keins - das Wort Croquis leitet sich aber vom französischen Wort "croquer" ab, was skizzieren, schnell zeichnen oder knabbern bedeutet. Dieses Croquis jedenfalls gibt den gesamten Sitzungsverlauf wieder, damit der Vorsitz weiß, was als nächstes kommt, was er wie sagen soll und auf was zu achten ist. Das alles, damit nichts übersehen oder formal falsch durchgeführt wird. Während der Sitzungen sitzen neben dem jeweiligen Präsidenten der jeweiligen Präsidentin immer zwei Mitarbeiterinnen bzw. Mitarbeiter der Parlamentsdirektion, die den Vorsitz während einer Sitzung unterstützen. Und das ist auch die wichtigste Aufgabe der Parlamentsdirektion: Sie bereitet Ausschuss- und Plenarsitzungen vor und sorgt für einen reibungslosen Ablauf der gesamten Sitzungen. Dazu der ehemalige zweite Nationalratspräsident Fritz Neugebauer:
NEUGEBAUER: Croquis ist sehr in Ordnung und auch die Kollegen, die ihn betreuen, perfekt organisiert. Sie sind ganz hervorragende Könner der Materie. Wenn du einmal selber nicht weiterweißt, die können dir sagen, im Paragraphen sowieso und wenn du mal einen Paragraph zitierst, der Geschäftsordnung, ist eh schon wieder eine Ruhe. Über die Geschäftsordnung geht nichts. Nein, das war gut, bestens servisiert. Man fragt auch nicht, ob der irgendeiner Fraktion angehört. Die arbeiten alle derartig zu, weil sie von dem, was sie da tun müssen, wirklich überzeugt sind. Das spürt man. Das ist ganz toll.
HAIPL: Das Croquis ist also kein striktes Drehbuch, das schon zu Beginn der Sitzung fix und fertig vorliegt. Schließlich passiert während einer Sitzung so einiges. Daher deckt es einerseits Eventualitäten ab, andererseits kann es sich auch ändern, weil zum Beispiel Abänderungsanträge oder Sonderinstrumente wie dringliche Anfragen eingebracht werden. Eine ganz wichtige Vorbereitung für die Vorsitzführung, wie der ehemalige dritte Nationalratspräsident Herbert Haupt unterstreicht:
Herbert HAUPT: Es gibt auf der einen Seite ein hervorragendes Croquis, das man zur Verfügung gestellt kriegt, die Parlamentspräsidenten und die Präsidiale und die Vorbereitung ist hervorragend. Man kriegt auch alle Eventualitäten schon rechtzeitig vorgelegt, sodass man sich beim letzten, vorletzten Rennen einlesen kann.
HAIPL: Das Croquis ist dabei so detailliert, dass es die Sitzungsleitung selbst ohne Vorbereitung erlaubt, wie die frühere Bundesratspräsidentin Anna Elisabeth Haselbach unterstreicht.
HASELBACH: Man hat halt nicht lesen dürfen: "Geschieht." Aber ansonsten war es also wirklich so vorbereitet, dass man sich darauf verlassen konnte. Ich habe allerdings, ich weiß nicht, das war noch eine Angewohnheit, die mir die Frau Bundesminister Firnberg eben anerzogen hat. Also ich bin nicht aufs Präsidium gegangen, ohne das Croquis vorher angeschaut zu haben.
HAIPL: Es stehen also gewissermaßen Regieanweisungen drinnen. Also was kann passieren, wie geht eine Abstimmung aus oder ähnliches. Und für alle planbaren Fälle gibt es dann im Croquis eine weitere Vorgehensweise. Und diese Vorgehensweise muss auch immer einheitlich sein. Der ehemalige Nationalratspräsident Heinz Fischer weiß, der Präsident, die Präsidentin…
FISCHER: … der muss auch mit dem zweiten und dem dritten Präsidenten vernünftig zusammenarbeiten, weil man sich in der Vorsitz-Führung abwechselt und es kann ja nicht sein, dass die ersten zwei Stunden nach Spielregeln des Präsidenten A laufen und dann die nächsten zwei Stunden der Präsident B ganz andere Maßstäbe hat.
HAIPL: Sollte einmal etwas übersehen werden, muss im schlimmsten Fall das Gesetzgebungsverfahren neu aufgerollt werden, wie Christian Brünner weiß, früher für die ÖVP im Nationalrat.
Christian BRÜNNER: Ich schaue plötzlich und ich finde nichts, wo er aufruft, diesen Antrag. Und zwei Minuten später habe ich mich zur Geschäftsordnung gemeldet. Da habe ich gesagt, Herr Präsident über diesen Antrag ist nicht abgestimmt worden. Dann hat er die Sitzung unterbrochen. Er hat eine Klubleute-Konferenz einberufen, ja, und das Ergebnis war dann, dass gleichsam das Prozedere oder das Gesetzgebungsverfahren abgebrochen wurde und die ganze Geschichte von neuem, ich glaube, über die Wiederregierungsvorlage einbringen ins Parlament begonnen hat.
HAIPL: Zum Glück passiert so etwas dank des Croquis so gut wie nie. Das reimt sich und wäre ein guter Filmtitel und ich würde sehr gerne das Drehbuch dafür schreiben. Oder das Croquis, je nachdem, wie man es halt gerade nennt. Wenn Sie sich mal wieder denken, das Parlament ist echt filmreif, dann liegt das vielleicht daran, dass es dort ja wirklich ein Drehbuch gibt, eben das Croquis. Wenn Ihnen diese Folge gefallen hat, dann hinterlassen Sie uns doch bitte gerne ein Abo oder eine Bewertung.
Fragen, Kritik oder Anmerkungen können Sie uns bitte an diese E-Mail-Adresse: podcast@parlament.gv.at oder auf den Social-Media-Kanälen des österreichischen Parlaments schicken. Ich bin Clemens Haipl und bis zum nächsten Mal bei "Geschichte(n) aus dem Parlament"