News 17.10.2025, 08:27

Neutralität als Teil der österreichischen DNA

Am 26. Oktober 1955 hat der Nationalrat das Neutralitätsgesetz beschlossen. "Zum Zwecke der dauernden Behauptung seiner Unabhängigkeit nach außen und zum Zwecke der Unverletzlichkeit seines Gebietes erklärt Österreich aus freien Stücken seine immerwährende Neutralität. Österreich wird diese mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln aufrechterhalten und verteidigen", heißt es darin.

Österreich werde "in aller Zukunft keinen militärischen Bündnissen beitreten und die Errichtung militärischer Stützpunkte fremder Staaten auf seinem Gebiete nicht zulassen", steht im Verfassungsgesetz über die Neutralität Österreichs.

Studie erhebt Einstellungen zu Außenpolitik und Neutralität

Heute, 70 Jahre später, ist die Neutralität fest in der Identität der Österreicher:innen verankert. Das zeigen die aktuellsten Umfragedaten einmal mehr. 80 % der Befragten sehen die Neutralität demnach als Teil der österreichischen Identität.

Der Politikwissenschaftler Martin Senn führt an der Universität Innsbruck in Kooperation mit dem Außenministerium das "Austrian Foreign Policy Panel Project (AFP3)" durch. Das Team erhebt in der Langzeitstudie seit 2023 die Einstellungen der österreichischen Bevölkerung zur Außen- und Sicherheitspolitik – und damit auch zur Neutralität. Senn hat dem Parlament die Daten der dritten Befragungswelle vom Sommer 2025 zur Verfügung gestellt.

Neutralität ist für 80 % der Befragten Teil der staatlichen Identität Österreichs.

Dass die Neutralität so stark mit der Identität der Österreicher:innen verwoben ist, liegt laut Senn daran, dass sie Teil der politischen Erzählung ist, die in Österreich seit 70 Jahren vermittelt wird. "Die Neutralität ist Teil des Staatsbildungsprozesses der Zweiten Republik, sie ist ein wesentlicher Teil der Erzählung, was Österreich nach 1945 und 1955 ist und wer wir sein wollen. Und sie ist auch Teil der Erzählung, wer wir nicht sein wollen", sagt der Politikwissenschaftler. Sie sei eine Möglichkeit gewesen, einen klaren Trennstrich zur kriegerischen Vergangenheit zu ziehen.

Jüngere sehen Neutralität und Identität weniger stark verknüpft

88 % der Über-60-Jährigen stimmen der Neutralität als Identitätsmerkmal zu, während es bei den 18- bis 29-Jährigen nur 65 % sind. Für Martin Senn hängt das damit zusammen, dass die Neutralität in den vergangenen 20 Jahren im öffentlichen Raum wenig präsent war.

Die junge Generation sei in den prägenden Jahren ihrer politischen Sozialisation dementsprechend wenig mit der Neutralität in Berührung gekommen, erklärt Wissenschaftler Martin Senn die Daten.

Stabiles Bekenntnis zur Neutralität

Trotz mancher Veränderungen gibt es dennoch eine solide Mehrheit für die Beibehaltung der Neutralität in ihrer derzeitigen Form. 59 % der Befragten sprechen sich dafür aus. 36 % würden sich eine umfassendere Neutralität wünschen, 13 % sind für einen NATO-Betritt und nur 9 % würden die Neutralität aufgeben wollen, ohne der NATO beizutreten. Insgesamt konnte das Forschungsteam bei den Fragen zur Neutralität eine Konstanz über die Jahre hinweg feststellen.

"Das Bekenntnis zur Neutralität ist stabil", fasst der Neutralitätsforscher Martin Senn die Ergebnisse zusammen.

Experte forderte breite Debatte über Neutralität

Die Ergebnisse seiner Forschung zeigen für Senn, wie wirkmächtig die Neutralität als "politischer Mythos" ist. Ein politischer Mythos ist ein Bezugspunkt für Gemeinschaften, eine Erzählung, die Halt gibt. Er bietet Orientierung und ist vor allem wichtig, wenn die Umgebung stark im Wandel ist.

Doch Senn sieht darin ein Dilemma. Denn einerseits gibt die Erzählung über die Neutralität in der aktuellen Phase des Umbruchs Halt, andererseits sollte sie genau jetzt auf den Prüfstand gestellt und an die neuen Rahmenbedingungen angepasst werden.

Man müsse die Neutralität behutsam fit für das 21. Jahrhundert machen, sagt der Experte Martin Senn.

Er fordert daher eine breit angelegte Debatte mit der Bevölkerung über die Zukunft der Neutralität. Zum Beispiel müsse man die Menschen darauf vorbereiten, was ein europäischer Beistandsfall für Österreich bedeuten würde. Das Parlament könnte laut dem Politikwissenschaftler einen wichtigen Beitrag für diese Debatte leisten.