Fachinfos - Fachdossiers 20.03.2024

Was macht die österreichische Neutralität aus?

Das Fachdossier fasst die Entstehung, die rechtliche Verankerung und das Verständnis der Neutralität in Österreich seit 1955 zusammen.

Dieses Fachdossier wurde am 21.03.2022 erstveröffentlicht und seither mehrmals aktualisiert, zuletzt am 20.03.2024 hinsichtlich des NATO-Beitritts Schwedens.

Was bedeutet Neutralität?

Im internationalen Kontext meint „Neutralität“ die Unparteilichkeit eines Staates im Falle gewaltsamer Auseinandersetzungen zwischen anderen Staaten. Ein neutraler Staat tritt nicht aktiv als Partei in einem bewaffneten Konflikt auf und leistet auch keine direkte oder indirekte militärische Unterstützung an eine der Konfliktparteien (z. B. Waffenlieferungen oder Truppentransporte). Als direkte Ergebnisse der internationalen Friedenskonferenzen von 1899 und 1907 legen die Haager Abkommen Nr. V und Nr. XIII die wesentlichen Inhalte von Neutralität im internationalen Recht fest.

Diese umfassen:

  • das Recht auf Unverletzlichkeit des Territoriums neutraler Staaten,
  • die Pflicht neutraler Staaten, die Verletzung ihres Status zu verhindern,
  • die Pflicht neutraler Staaten, sich zu enthalten in Hinblick auf Kampfhandlungen und die Begünstigung von Kriegsparteien.

Diese Rechte und Pflichten betreffen militärische Angelegenheiten. Sonstige diplomatische und wirtschaftliche Beziehungen zu kriegsführenden Parteien sind nicht betroffen. Staaten, die keinem Militärbündnis angehören, müssen nicht unbedingt neutral sein. Sie werden allgemein als bündnisfrei bezeichnet. Neutralität kann in einem konkreten Konflikt (ad hoc) oder permanent erklärt werden.

Wie wurde Österreich ein neutraler Staat?

Eine mögliche Neutralität wurde in Österreich seit dem Ende des 1. Weltkriegs diskutiert. Während der 1920er-Jahre wurde weitgehend eine neutrale Außenpolitik vertreten. Erst unter Bundeskanzler Dollfuß begann eine Annäherung an Italien und Ungarn.

Nach dem 2. Weltkrieg wurde Österreich in vier Besatzungszonen geteilt und befand sich zwischen den Einflusssphären der Großmächte USA und UdSSR. Eine Option, um eine daran anschließende dauerhafte Teilung Österreichs zu verhindern, war es, weder „West- noch Ostorientierung“ einzunehmen. Die UdSSR stand der Neutralität Österreichs zuerst skeptisch gegenüber und forderte eine klare Zuordnung zu einem der weltpolitischen Lager. Als sich aber die militärische Integration Westeuropas ab 1950 verstärkte, sprach sich die UdSSR für eine vertraglich verankerte Neutralität Österreichs aus. Nunmehr sahen die westlichen Alliierten den Vorschlag kritisch. Sie fürchteten, ein solcher Vertrag könnte zum Modell für Deutschland werden und dessen West-Integration in Frage stellen. Nichts desto trotz brachten die USA 1953 die Idee einer von Österreich allein nach Schweizer Vorbild erklärten Neutralität auf. Sie rechneten damit, wie die Historiker Gerald Stourzh und Wolfgang Mueller zeigen, dass sich die Schweiz und Österreich im Konfliktfall ohnehin auf die West-Seite schlagen würden.

Österreich wird neutral

Mit den Pariser Verträgen vom Oktober 1954 wurde die Teilung Deutschlands und die Aufnahme der Bundesrepublik in die NATO besiegelt. Die Auswirkungen dieser Entscheidung auf Österreich blieben zunächst unklar. Wie im Moskauer Memorandum am 15. April 1955 festgehalten, machte dann die UdSSR die permanente Neutralität von Österreich zur politischen Bedingung für die Unterzeichnung des Staatsvertrags. Der Politikwissenschaftler Martin Senn (2022) betont, dass dadurch aus Sicht der Sowjetunion ein neutraler Keil zwischen die europäischen NATO-Staaten geschlagen wurde. Einen Monat später, am 15. Mai 1955, wurde der Staatsvertrag von Wien abgeschlossen. Am 25. Oktober 1955 endete der Abzug aller Besatzungstruppen. Am 26. Oktober 1955 kam Österreich seiner Zusage nach, und der Nationalrat beschloss das Bundesverfassungsgesetz über die Neutralität Österreichs (Neutralitätsgesetz).

Die nachfolgende Karte zeigt die militärischen Bündnisse in Europa um 1955.

Quelle: Júlio Reis, Kolja21/wikipedia, https://creativecommons.org/licenses/by/3.0/deed.de. Haftungsausschluss: www.wikipedia.org, Änderungen: Parlamentsdirektion, Stand 21.3.2022.

Wo ist die Neutralität verankert?

Die österreichische Neutralität hat ihre rechtliche Grundlage im Neutralitätsgesetz, also in einem rein innerstaatlichen Akt. Das Moskauer Memorandum, das von Österreich und der UdSSR im Vorfeld unterzeichnet worden war, wurde als bloß politische Absichtserklärung gesehen. Das Neutralitätsgesetz hält fest, dass Österreich seine immerwährende Neutralität freiwillig erklärt und sie aufrechterhalten und verteidigen wird. Österreich wird keinen militärischen Bündnissen beitreten und die Errichtung militärischer Stützpunkte fremder Staaten auf seinem Gebiet nicht zulassen. 1994 wurden die rechtlichen Grundlagen anlässlich des EU-Beitritts um eine Bestimmung im Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) ergänzt: Art. 23f B-VG (heute: Art. 23j B-VG) passt die Neutralität an die EU-Mitgliedschaft an (siehe unten: Neutralität und EU-Mitgliedschaft).

Wie bewertet das Verfassungsrecht die Neutralität?

Das Neutralitätsgesetz wurde 1955 mit 2/3-Mehrheit im Nationalrat als Bundesverfassungsgesetz beschlossen. In den Erläuterungen zur Regierungsvorlage wurde betont, dass es sich „um eine Angelegenheit von höchster Bedeutung“ handle. Das Neutralitätsgesetz enthält Vorgaben für die Außenpolitik von Bund und Ländern. Es wird daher zu den Staatszielen gezählt (siehe dazu das Fachdossier „Welche Staatsziele gibt es in Österreich und was können sie bewirken?“).

In der österreichischen Verfassungsrechtslehre wird einhellig die Auffassung vertreten, dass die Neutralität nicht Teil der Grundprinzipien der Bundesverfassung sei. Daher könne das Neutralitätsgesetz vom Nationalrat und Bundesrat geändert werden, ohne dass es – mangels einer Gesamtänderung der Bundesverfassung im Sinne von Art. 44 Abs. 3 B-VG – zwingend einer Volksabstimmung bedürfe. Es sei aber nicht ausgeschlossen, eine Änderung des Neutralitätsgesetzes einer (fakultativen) Volksabstimmung über eine Teiländerung der Bundesverfassung zuzuführen.

Das Neutralitätsgesetz verpflichtet Österreich zu „immerwährender“ Neutralität. Allerdings kennt das Bundesverfassungsrecht nach herrschender Auffassung keine Inhalte, die nicht geändert werden dürfen. Selbst die Grundprinzipien der Bundesverfassung können im Rahmen einer Gesamtänderung geändert werden. Daher wäre es, wie Theo Öhlinger und andere Verfassungsrechtler:nnen herausgearbeitet haben, aus verfassungsrechtlicher Sicht zulässig, dass Österreich seine Neutralität von sich aus aufgibt (Details zu völkerrechtlichen Fragen siehe unten).

Welche Bedeutung hat das Völkerrecht für die Neutralität?

Auch wenn Österreich die Neutralität innerstaatlich verankert hat, so hat es alle anderen Staaten, zu denen damals diplomatische Beziehungen bestanden, davon in Kenntnis gesetzt. Die meisten Staaten antworteten im Sinne einer Anerkennung der österreichischen Position. Wie dieser Vorgang völkerrechtlich zu bewerten ist, blieb allerdings umstritten. Überwiegend wird vertreten, dass Österreich einen einseitigen Rechtsakt gesetzt habe, der zu einer Selbstbindung gegenüber der Völkerrechtsgemeinschaft führte.

Das Neutralitätsgesetz lässt die inhaltliche Ausgestaltung der Neutralität weitgehend offen. Für eine genaue rechtliche Bestimmung wird auf das Völkerrecht verwiesen. Zur Frage, wer die Deutungshoheit hat, hat der Diplomat und Völkerrechtsexperte Franz Cede pointiert zwei Sichtweisen formuliert: Die „Korsett-Doktrin“ besagt, dass Österreich auch alle Änderungen der Neutralitätsverpflichtung anderen Staaten notifizieren müsste. Die „Frank-Sinatra-Doktrin“ sieht die Interpretation hingegen allein bei Österreich, frei nach dem Prinzip „I do it my way“.

Im Dezember 1955 trat Österreich den Vereinten Nationen (UN) bei. Durch den Beitritt und die Teilnahme am System kollektiver Sicherheit der UN ergab sich jedoch ein Spannungsverhältnis zur österreichischen Neutralität. Grundsätzlich sieht die Charta der Vereinten Nationen (UN-Charta) eine Pflicht zur Teilnahme an Zwangsmaßnahmen gegen Staaten vor, die gegen das Gewaltverbot verstoßen haben. Österreich entkräftete dieses Spannungsverhältnis mit der sog. „Verdross-Doktrin“, wonach bereits vor Beitritt Österreichs zu den UN den anderen Staaten das Neutralitätsgesetz zur Kenntnis gebracht worden sei. Es könne daher von Österreich nicht erwartet werden, mit Maßnahmen im System kollektiver Sicherheit gegen seine Neutralitätsverpflichtungen zu verstoßen.

Wie verhalten sich Neutralität und EU-Mitgliedschaft zueinander?

Bis Mitte der 1980er-Jahre wurde ein Beitritt zur EG bzw. EU in Österreich als unvereinbar mit der Neutralität angesehen. Mit der Einleitung des Beitrittsverfahrens kam es jedoch zu raschen Positionsänderungen in Wissenschaft und Politik. Im Beitrittsvertrag wurde auf jede Absicherung der Neutralität verzichtet. Die Schlussakte enthält vielmehr eine Gemeinsame Erklärung (Nr. 1) zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP), nach der sich Österreich verpflichtet, sich an dieser in vollem Umfang und aktiv zu beteiligen. International blieb diese Vorgangsweise unwidersprochen.

Mit Art. 23j B-VG wurde eine besondere Rechtsgrundlage für die Mitwirkung an der GASP geschaffen, die auch die Beteiligung des Nationalrates sicherstellt. In der Verfassungsrechtslehre herrscht Übereinstimmung, dass damit die Reichweite des Neutralitätsgesetzes eingeschränkt wurde. Österreich kann daher an polizeilichen und militärischen Aktivitäten der EU ebenso wie an Wirtschaftssanktionen mitwirken. Dabei ist jedoch zu beachten, dass Art. 42 Abs. 2 EUV die sogenannte „irische Klausel“ enthält: Die gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) darf „den besonderen Charakter […] bestimmter Mitgliedstaaten“ nicht berühren. Anlässlich der Neuregelung von Art. 23j B-VG im Jahr 2010 (anlässlich der Umsetzung des Vertrags von Lissabon) hat der Nationalrat dazu festgehalten, dass Österreich „auch in Zukunft selbst darüber entscheiden [könne], ob sowie auf welche Weise Unterstützung geleistet“ werde. In Bezug auf die Beistandsverpflichtung, wenn ein EU-Staat Ziel eines bewaffneten Angriffs wird (Art. 42 Abs. 7 EUV), betonte Österreich, dass auch dann die (militärische) Neutralität respektiert werden müsse. Österreich entscheidet also selbst, in welchem Umfang und auf welche Weise (z. B. Lieferung von Hilfsgütern) es Beistand leistet. Da EU-Beschlüsse im Rahmen der GASP und der GSVP immer einstimmig erfolgen müssen, wird davon ausgegangen, dass der besondere Status neutraler Staaten immer Berücksichtigung findet.

Wie hat sich das Verständnis der Neutralität im politischen Prozess entwickelt?

Martin Senn beschreibt drei Dimensionen der Neutralitätspolitik. Erstens, die Ausdeutung: Wie kann Neutralitätspolitik gestaltet werden? Debatten darüber finden innerstaatlich statt und werden aktuell, wenn sich innere und äußere Rahmenbedingungen ändern. Zweitens, die Attraktivität, bei der es um Maßnahmen geht, die die Absicherung der Neutralität nach außen vermitteln sollen (z. B. für die Mediation in Konflikten, die Beherbergung internationaler Organisationen, etc.). Drittens, die Abschreckung, also die Kommunikation nach außen, dass der Nutzen einer Verletzung der Neutralität in keinem vertretbaren Verhältnis zu den Kosten stünde, die auf potenzielle Aggressoren zukommen würden.

Senn beschreibt vier Phasen der Entwicklung der österreichischen Neutralität. Beginnend mit dem Beschluss des Neutralitätsgesetzes 1955 beginnt die Phase der Konsolidierung, in der Österreich eine eigenständige, engagierte Form der permanenten Neutralität praktiziert. Anfang der 1970er bis Mitte der 1980er-Jahre setzt dann eine Phase der Expansion ein. Österreich legt seine Neutralität globaler und umfassender aus und engagiert sich intensiv in der Weltpolitik. Daran anschließend beginnt eine Phase der Reorientierung. Bedingt durch das Ende des Ost-West-Konfliktes, das Fortschreiten der europäischen (EG/EU) und transatlantischen Integration (NATO) und das Aufbrechen neuer Konflikte sowie innenpolitische Änderungen (Ende der SPÖ-Alleinregierungen) verlagerte sich der Fokus der österreichischen Außenpolitik auf das europäische Umfeld. Wie Öhlinger (2018) beschreibt, wird die Neutralität im Zuge dessen zusehends auf ihren militärischen Kern reduziert.

Folgende Schritte führen nun zu einem Verständnis der „differentiellen Neutralität“: Das offizielle Österreich interpretiert den Golfkrieg 1990/91 nicht als internationalen bewaffneten Konflikt, sondern als „Polizeiaktion“ im Rahmen des Systems kollektiver Sicherheit, ordnet die eigene Neutralität den Beschlüssen der Vereinten Nationen unter, tritt der EU bei und verpflichtet sich zur aktiven Teilnahme an der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) (s. o.). Ab 1995 hat sich Österreich zudem an der NATO-Partnerschaft für den Frieden (Partnership for Peace – PfP) beteiligt. Das sind Partnerschafts- und Kooperationsprogamme insbesondere in den Bereichen Friedenssicherung und Katastrophenhilfe, die in der Regel einen UN-Beschluss umsetzen (z. B. KFOR im Kosovo). Sie werden daher von Österreich nicht als Beeinträchtigung der Neutralität gesehen (siehe z. B. die Anfragebeantwortungen 1721/AB, XX. GP; 3080/AB, XXI. GP; 9924/AB, XXV. GP).

Vor allem vonseiten der ÖVP gibt es zu dieser Zeit zunehmend Vorstöße in Richtung einer weiteren Annäherung an die bzw. einen Beitritt zur NATO (siehe Prutsch 2006). Auch die FPÖ hatte sich im Laufe der 1990er-Jahre kritisch gegenüber der Neutralität positioniert. Die SPÖ allerdings sah den Beitritt Österreichs zur vertieften Partnerschaft für den Frieden, einem Programm der NATO, als maximal mögliche Annäherung an die NATO und verteidigte die Neutralität weiterhin. Dann kommt es zur vierten historischen Phase, der Stagnation, die mit einer De-Politisierung der Neutralität einhergeht. Mit Ausnahme von NEOS bekennen sich seit Mitte der 2000er-Jahre alle Parlamentsparteien zur Neutralität. Es kommt kaum zu Debatten über die Neutralität und auch zu keiner Weiterentwicklung. Rund um die Intervention der NATO im Kosovo und die Anschläge vom 11. September 2001 steigt aber innerhalb der Bevölkerung die Zustimmung zur Aufrechterhaltung der Neutralität. Diese Zustimmung wird auch von der ÖVP und der FPÖ wieder verstärkt aufgegriffen. Bekenntnisse zur Neutralität finden sich in den aktuellen Grundsatzprogrammen der Grünen (2001), der FPÖ (2011) sowie der SPÖ (2018). Im jüngsten Grundsatzprogramm der ÖVP aus dem Jahr 2015 wird die Neutralität nicht genannt, sondern die „Weiterentwicklung hin zu einer Verteidigungsunion mit dem langfristigen Ziel einer gemeinsamen europäischen Armee“ (Seite 43) als zentrale Frage identifiziert. Auch NEOS (2019) argumentieren für die (langfristige) Institutionalisierung einer Europäischen Armee (Seite 100). Das Regierungsprogramm 2020-24 betont, dass mit einer „[aktiven] Neutralitätspolitik ein eigenständiger Beitrag Österreichs zu Frieden und Sicherheit in Europa (im Rahmen der GASP) und in der Welt“ geleistet werde (Seite 126).

Insgesamt existieren nur wenige relevante politische Dokumente, die sich mit der Neutralität beschäftigen. So stellen etwa die Sicherheitsstrategie 2013 und die Teilstrategie Verteidigungspolitik 2014 fest, dass solidarische Sicherheitspolitik dem Umstand Rechnung trage, „dass die Sicherheit des neutralen Österreichs und der EU heute weitestgehend miteinander verbunden sind“ (Sicherheitsstrategie, Seite 4).

Wie wird die Neutralität in anderen europäischen Staaten praktiziert?

In Europa verstehen sich neben Österreich insbesondere Irland und die Schweiz als neutrale Staaten (außerdem sind Bosnien-Herzegowina, Malta, Serbien und Zypern bündnisfrei). In jedem dieser Staaten ist Neutralität anders entstanden und geregelt und jeder Staat praktiziert eine besondere Neutralitätspolitik.

Die Neutralität der Schweiz geht auf das 17. Jhdt. zurück und wurde am Wiener Kongress 1815 international anerkannt. Die Bundesverfassung bestimmt die Wahrung der Neutralität als Aufgabe von Bundesrat (= Regierung) und Parlament. Die Schweizer Neutralität ist selbstgewählt und zentraler Bezugspunkt für das staatliche Selbstverständnis sowie die Politik. Von besonderer Bedeutung sind zum einen eine starke Milizarmee, zum anderen das aktive Zur-Verfügung-Stellen „guter Dienste“ in internationalen Konflikten (z. B. Vermittlungsangebote). Es ist üblich, dass Parlament und Regierung die Neutralitätspraxis im Lichte internationaler Konflikte evaluieren.

Schweden hat sich seit 1814 als neutral verstanden. Anlass war die deutliche Verkleinerung des Territoriums nach den napoleonischen Kriegen. Die schwedische Neutralität wurde jedoch nie rechtlich festgeschrieben. Die Neutralitätspolitik ist daher durch ein hohes Maß an Flexibilität geprägt und könnte jederzeit aufgegeben werden. Allerdings wurden Neutralität und EU-Mitgliedschaft auch hier bis 1990 für unvereinbar angesehen. Seit Mitte der 1990er-Jahre kooperiert Schweden militärisch eng mit den anderen nordischen Staaten und diskutierte regelmäßig über einen NATO-Beitritt. Infolge des Russland-Ukraine-Kriegs erklärte Schweden am 5. Juli 2022 seinen Beitritt zur NATO. Seit 7. März 2024 ist Schweden offiziell Mitglied der NATO.

Die Neutralität Irlands ist selbstgewählt und wurde 1939 formell erklärt. Einerseits wollten die Ir:innen jeden Kampfeinsatz gemeinsam mit der früheren britischen Kolonialmacht vermeiden. Andererseits wurde die Neutralität als Mittel zur inneren Festigung des neuen Staats gewählt. Irland sieht sich als selbstbestimmt im Hinblick auf die Definition von Neutralität und trat dementsprechend bereits 1973 der EG bei. Im Unterschied zu Österreich ist die irische Neutralität jedoch ein zentrales Thema bei jeder Änderung der EG-/EU-Verträge geblieben. Die maßgeblichen Initiativen zur Berücksichtigung militärischer Neutralität in der EU gehen darauf zurück (siehe oben: „irische Klausel“). In Irland spielt die Neutralität eine zentrale Rolle in der mittelfristigen Verteidigungsplanung.

Bis zum 4. April 2023 war auch Finnland neutral. Wie Österreich galt Finnland seit 1955 als neutral. Die Neutralität wurde aber nie rechtlich formalisiert. Aufgrund der unmittelbaren Nähe zur UdSSR und vertraglicher Bindungen mit ihr blieb Finnland während des ganzen Kalten Kriegs international zurückhaltend (und nahm z. B. auch keine Marshall Plan-Hilfen an). Seit dem EU-Beitritt 1995 verstand sich Finnland als bündnisfrei. Es baute eine enge Zusammenarbeit mit der NATO auf und erklärte zeitgleich mit Schweden 2022 seinen Beitritt zur NATO. Seit 4. April 2023 ist Finnland Mitglied der NATO.

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