Parlamentskorrespondenz Nr. 303 vom 23.03.2022

Nationalrat: Einstimmigkeit für Zivilverfahrens-Novelle zur Digitalisierung

Ausdehnung des Europäischen Auslieferungsübereinkommens auf Gibraltar einhellig angenommen

Wien (PK) - Vorrangiges Ziel der Zivilverfahrens-Novelle 2022 des Justizministeriums ist die Anpassung der Verfahren an die fortschreitende Digitalisierung der Justiz, insbesondere der digitalen Aktenführung. Der Nationalrat nahm die Vorlage in seiner heutigen Sitzung einstimmig an. Mit einem Abänderungsantrag hatten die Abgeordneten bereits im Ausschuss festgelegt, bei den Gerichtsgebühren die nächste Erhöhung, die inflationsbedingt bereits 2022 zu erwarten wäre, auf das Jahr 2023 zu verschieben.

Ein in der Sitzung eingebrachter Entschließungsantrag der NEOS, mit der die Fraktion eine grundsätzliche Neukodifikation der Zivilprozessordnung fordert, blieb in der Minderheit.

Um die im Rahmen des Europarats vorgeschlagene Ausdehnung des Anwendungsbereichs des Europäischen Auslieferungsübereinkommens auf Gibraltar zu vollziehen, bedarf es außerdem einer Ausweitung der in diesem Bereich getroffenen Vereinbarung zwischen der Republik Österreich und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland. Die dementsprechende Regierungsvorlage wurde im Nationalrat ebenso einstimmig angenommen. Eine FPÖ-Forderung für einen Abschluss von Staatsverträgen zur Forcierung einer Haftverbüßung der in Österreich verurteilten AusländerInnen im Heimatland blieb in der Minderheit.

Zivilverfahrens-Novelle mit Regelungen für digitale Aktenführung

Laut der Vorlage zur Zivilverfahrens-Novelle 2022 werden weitere Verbesserungen des Verfahrensrechts angestrebt, die eine Erleichterung der Verfahrensführung und eine Verbesserung des Zugangs zum Recht bewirken sollen, ebenso wie eine Rechtsbereinigung in diesem Bereich, um eine leichtere Auffindbarkeit und einen besseren Überblick über die Rechtslage für die RechtsanwenderInnen zu ermöglichen. Justizministerin Alma Zadić betonte, mit der Novelle setze man einen weiteren Schritt in Richtung effiziente, moderne und bürgernahe Justiz.

Die verfahrensrechtlichen Vorgaben und Abläufe sollen demnach grundsätzlich nicht verändert werden. Dort, wo die digitale Aktenführung Sonderregelungen erfordere, wie dies etwa bei der Unterschriftsleistung der Fall ist, sollen neue Regelungen geschaffen werden, die parallel zu den für auf Papier geführten Akten gelten. Unter anderem soll mittels einer Neuregelung der Gebühren für die Akteneinsicht für elektronische Kopien, die auf von der Justiz zur Verfügung gestellten Datenträgern erstellt werden, ein neuer, nach dem Datenvolumen gestaffelter Gebührenansatz zur Anwendung gelangen. Neben Justizministerin Zadić hob dies auch Agnes Sirkka Prammer (Grüne) als wichtigen Punkt für einen leichteren Zugang zum Recht hervor, ebenso wie die Aussetzung der Valorisierung der Gerichtsgebühren für 2022. Zadić, aber auch Klaus Fürlinger (ÖVP), Gertraud Salzmann (ÖVP) und Harald Stefan (FPÖ) betonten insgesamt, dass die österreichische Justiz im Bereich Digitalisierung eine Vorreiterrolle einnehme. Das stelle auch einen Standortvorteil dar, so Stefan. Zu erwähnen ist aus dem Paket laut der Ministerin etwa auch die Erhöhung der Stundensätze der psychosozialen Prozessbegleitung und die stetigen Qualitätsverbesserungen im Sachverständigenwesen.

In der umfassenden Vorlage seien auch viele Regelungen mitgenommen worden, die sich in der Pandemie bewährt haben, ergänzte Agnes Sirkka Prammer seitens der Grünen. Bei Videoverhandlungen hätten sich hingegen viele Problemfelder ergeben, daher würden diese bewusst nicht in Dauerrecht aufgenommen. Ebenso wie Christian Drobits (SPÖ) strich sie die nunmehrige Regelung des streitwertunabhängigen Zugangs zum Obersten Gerichtshof nach dem Behindertengleichstellungsgesetz hervor.

Selma Yildirim (SPÖ) meinte, Österreich sei im europäischen Vergleich in der Digitalisierung zwar relativ gut aufgestellt, allerdings bringe das aus ihrer Sicht etwa nur bei Massenverfahren Erleichterung. In komplexen Verfahren sei sie aufgrund der umfassenden Akten nicht mehr so sehr von den Vorteilen überzeugt. Außerdem ersetze selbst die beste Digitalisierung fachkundige und hilfsbereite Menschen nicht, so Yildirim im Hinblick auf die ihr zufolge ohnehin sehr stark unter Druck geratene Personalsituation in der Justiz. Ähnlich wie Harald Stefan (FPÖ) meinte sie, es gebe noch Potenzial, weiter an der Thematik zu arbeiten.

Johannes Margreiter (NEOS) brachte den Entschließungsantrag der NEOS ein und sprach sich dafür aus, eine Arbeitsgruppe einzurichten, die eine umfassende Neukodifikation der Zivilprozessordnung (ZPO) in die Wege leiten soll. Es gelte, die ZPO zu einem Instrument moderner Konfliktregelung weiterzuentwickeln, wies Margreiter unter anderem darauf hin, dass derzeitige Regelungen "da und dort" in die Jahre gekommen zu sein scheinen. Etwa die Wahrheitsfindung sei aus seiner Sicht ein eher aussichtloses Unterfangen und führe nicht immer zu den gewünschten Ergebnissen. Trotz des erfreulichen Digitalisierungsgrads der österreichischen Justiz im Europavergleich könne die Novelle nur ein Zwischenschritt sein.

Europäisches Auslieferungsübereinkommen auf Gibraltar

Zur Ausdehnung des Anwendungsbereichs des Europäischen Auslieferungsübereinkommens auf Gibraltar betonte Bettina Zopf (ÖVP), damit würde eine weitere Verbesserung der Strafverfolgung bei grenzüberschreitender Kriminalität in Europa gesetzt. Das spiele insbesondere eine wichtige Rolle bei organisierter Kriminalität, so Harald Troch (SPÖ), der allerdings eine Diskussion über andere völkerrechtliche Verträge wie den UN-Migrationspakt oder die Ratifizierung der UN-Kinderrechtskonvention einmahnte. Auch das Ukraine-Thema blieb in der Debatte nicht außen vor. Troch sprach ein "Ja zur Neutralität" aus. In humanitären Angelegenheiten gelte es aber, ganz klar Stellung zu nehmen. Georg Bürstmayr (Grüne) nahm das Abkommen als kleinen, guten Schritt zu einem einheitlichen Europa als gemeinsamer Ort der Sicherheit, des Rechts und des Friedens zum Anlass, seine Trauer über den "verbrecherischen Angriffskrieg" am anderen Ende Europas zu artikulieren.

Christian Lausch (FPÖ) brachte den FPÖ-Entschließungsantrag zur Haftverbüßung der in Österreich verurteilten AusländerInnen im eigenen Heimatland ein. Er stellte die Praxistauglichkeit mancher Abkommen in Frage und bemängelte, dass es etwa für manche afrikanische Länder keinerlei Abkommen zur Strafverfolgung gebe. (Fortsetzung Nationalrat) mbu

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