Parlamentskorrespondenz Nr. 1088 vom 06.10.2022

Bundesrat: Neuerliche Debatte über Russland-Sanktionen anlässlich der Umsetzung von EU-Vorgaben

Sondergesetz zur einheitlichen Vorgangsweise bei öffentlichen Aufträgen passiert auch die Länderkammer

Wien (PK) – Nur drei Tage nach der Sondersitzung des Nationalrats fand die kontroverse politische Debatte über die Russland-Sanktionen ihre Fortsetzung in der Länderkammer. Ausgangspunkt dafür war eine Gesetzesinitiative der Koalitionsparteien, durch die

für bestimmte Ausnahmegenehmigungen bei der öffentlichen Auftragsvergabe an russische Personen und Einrichtungen eine bis Ende 2023 befristete Bundeskompetenz eingeführt werden soll. Durch die verfassungsmäßig erforderliche ausdrückliche Zustimmung des Bundesrats können die – bis Ende 2023 befristeten – Bestimmungen nun in Kraft treten.

Als einzige Partei stellte sich erneut die FPÖ gegen den Antrag, deren Verteter:innen die Russland-Sanktionen generell in Frage stellten. Dieses Instrument habe noch nie Wirkung gezeigt, war etwa Johannes Hübner (FPÖ/W) überzeugt.

Die von der SPÖ im Laufe der Sitzung eingebrachten Entschließungsanträge betreffend Verschiebung der Einführung der CO2-Steuer sowie zur Einführung eines nationalen Gaspreisdeckels bzw. einer Gaspreisbremse wurden abgelehnt.

Mit Stimmenmehrheit legte der Bundesrat keinen Einspruch gegen die ebenfalls zur Diskussion stehenden Änderungen im Kinderbetreuungsgeldgesetz ein. Nachdem bereits die Möglichkeit geschaffen wurde, dass Vertriebene aus der Ukraine Anspruch auf Familienbeihilfe erhalten, wird dies nun auch im Bereich des Kinderbetreuungsgeldes nachvollzogen. Die Regelung soll rückwirkend ab 12. März gelten und mit dem Tag der Beendigung des Aufenthaltsrechtes, spätestens jedoch am 4. März 2024, außer Kraft treten. Der dazu eingebrachte Entschließungsantrag der Freiheitlichen, in dem sie für die Umsetzung eines Förderkonzepts zur finanziellen Unterstützung von Eltern, die keine institutionelle Kinderbetreuung in Anspruch nehmen, eintreten, fand keine Mehrheit.

Zadic: Länder haben sich zentrale Abwicklung der Ausnahmegenehmigungen explizit gewünscht

Die umfassenden Sanktionen gegenüber Russland würden klar zum Ausdruck bringen, dass "der völkerrechtswidrige Angriffskrieg gegen die Ukraine nicht ohne Konsequenzen bleibe", betonte Justizministerin Alma Zadić. Europa müsse in dieser Frage weiterhin geschlossen auftreten. Was den Antrag der Regierungsfraktionen betrifft, so soll die Zuständigkeit für ausnahmsweise Genehmigungen von bestimmten öffentlichen Aufträgen bzw. Konzessionen an russische Personen, Organisationen oder Einrichtungen gemäß aktueller EU-Verordnungen beim Justizministerium liegen, auch wenn es um den Kompetenzbereich der Länder gehe. Ohne die nun vorgesehenen Ausnahmeregelungen wäre es künftig nämlich nicht mehr möglich, wichtige Rohstoffe wie Nickel, Palladium oder vor allem Erdgas aus Russland zu beschaffen, gab die Ressortchefin zu bedenken. Um bundesweit eine einheitliche Vorgangsweise sicherzustellen, sei es sinnvoll, eine zentrale Stelle im Justizressort zu etablieren. Damit entspreche man auch den Wünschen der Länder, die sich diese Vorgangsweise explizit gewünscht haben.

FPÖ kritisiert Eingriff in den Föderalismus und stellt grundsätzlich Sanktionspolitik in Frage

Das heute zur Diskussion stehende Sondergesetz zu den Russland-Sanktionen "suche seinesgleichen", konstatierte Bundesrat Andreas Arthur Spanring (FPÖ/N). Der Bund soll durch eine Verfassungsbestimmung temporär die Möglichkeit erhalten, in die Kompetenzen der Länder einzugreifen. Normalerweise würde es sich dabei um eine heikle Angelegenheit handeln, urteilte Spanring, aber wie in der Coronakrise würden auch hier wieder Maßnahmen nach dem Motto "koste, was es wolle" von einer Vierparteien-Allianz mitgetragen. Spanring gab zu bedenken, dass dadurch das Mitbestimmungsrecht der Bundesländer in Sachen öffentliches Auftragswesen ausgehebelt werde. Kritik übte er insbesondere an der kurzfristigen Vorlage des Gesetzes, obwohl schon im April eine entsprechende EU-Verordnung erlassen wurde. Nun müssen alle Unternehmen, die öffentliche Aufträge haben, bis kommenden Montag überprüfen, ob es Beteiligungen von russischen Staatsbürger:innen gibt. Während dies bei kleineren Betrieben noch einfach sei, könne dies bei Konzernen oder bei Kooperationen zwischen Gesellschaften recht schwierig werden. "Letztklassig" sei es vor allem, dass diese Bürde den Unternehmen umgehängt werde, die bei Zuwiderhandeln mit Strafen rechnen müssen.

Sein Fraktionskollege Johannes Hübner (FPÖ/W) stellte die Sinnhaftigkeit der Sanktionen gegenüber Russland grundsätzlich in Frage und ging auf deren Genese detailliert ein. Es habe sich in der Vergangenheit immer wieder gezeigt, dass Sanktionen nichts bringen, weder jene im Fall von Syrien noch jene gegenüber Afghanistan oder Irak. Mit diesem Instrument treffe man nämlich nie die Elite, sondern vor allem die sozial Schwächeren in den jeweiligen Ländern.

Zentrale Stelle für Ausnahmegenehmigungen soll geschaffen werden

Marco Schreuder (Grüne/W) verwahrte sich dagegen, dass mit diesem Gesetz der Föderalismus abgeschafft werden soll. Es sei ausdrücklich zu befürworten, dass die EU die Vergabe von öffentlichen Aufträgen an russische Unternehmen, die direkt mit dem Regime und somit dem Krieg verbunden sind, stark einschränken wolle. Damit soll verhindert werden, dass noch mehr Menschen getötet, verschleppt, vergewaltigt oder zwangsadoptiert werden, unterstrich Schreuder. Er wies darauf hin, dass in bestimmten Bereichen Ausnahmegenehmigungen für die Vergabe von Aufträgen erteilt werden können, was unter anderem auf Erdgas, Nickel oder Palladium zutreffe. Da es für die Abwicklung dieser Fälle noch keine zentrale Stelle gebe, soll diese nun im Justizministerium geschaffen werden. Was die Sanktionen an sich angeht, so war Schreuder überzeugt davon, dass die Einigkeit innerhalb der EU ungeheuer wichtig sei und auch seine Wirkung zeige.

Gesetzesänderung ermöglicht Ausnahmegenehmigungen für sensible Bereiche

Der Gesetzesvorschlag diene dazu, die im Zusammenhang mit den Russland-Sanktionen stehenden Ausnahmegenehmigungen im Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe richtig umzusetzen, erläuterte Bundesrätin Christine Schwarz-Fuchs (ÖVP/V). Gemäß den Beschlüssen in der EU ist es der öffentlichen Hand grundsätzlich verboten, Aufträge oder Konzessionen an Personen, Organisationen oder Einrichtungen aus der Russischen Föderation zu vergeben bzw. derartige Aufträge oder Konzessionen fortzuführen. In sensiblen Bereichen wie etwa der Grundversorgung mit Erdgas können aber Ausnahmen gemacht werden. Über die dafür erteilten Genehmigungen müssen alle EU-Staaten sowie die Kommission innerhalb von einer Frist von zwei Wochen informiert werden, erläuterte Schwarz-Fuchs. Auf nationaler Ebene brauche es dafür eine Verfassungsbestimmung, der auch die Länderkammer zustimmen müsse. Dies sei erst heute möglich, da zunächst noch der Verfassungsdienst die Kompetenzverteilung prüfen musste. Ebenso wie die Justizministerin legte Schwarz-Fuchs Wert auf die Feststellung, dass der Beschluss von den Ländern ausdrücklich mitgetragen werde.

SPÖ beklagt spätes Handeln der Bundesregierung

Bundesrat Stefan Schennach (SPÖ/W) übte Kritik daran, dass die Bundesregierung im vorliegenden Fall monatelang säumig war, da das fünfte Sanktionspaket auf EU-Ebene bereits im April beschlossen wurde. Die Form der Umsetzung halte er jedoch für gut, da die Maßnahmen einerseits limitiert seien und es andererseits von den Ländern auch so gewünscht wurde. Um Schaden von heimischen Betrieben abzuwenden, brauche es einfach eine klare, kompetenzrechtliche Zuständigkeit. Schennach machte zudem darauf aufmerksam, dass bei bereits vergebenen Aufträgen ein Nostrifizierungsverfahren durchgeführt werde, um den EU-Vorgaben zu entsprechen. Außerdem brachte er zwei Entschließungsanträge ein, die neben der Verschiebung der Einführung der CO2-Steuer auf die Einführung eines nationalen Gaspreisdeckels bzw. einer Gaspreisbremse abzielten.

NEOS: Beschleunigter Ausbau der erneuerbaren Energien als Reaktion auf Abhängigkeit von Russland

Im Mittelpunkt des Sondergesetzes stehe die Schaffung eines neuen Kompetenzbestandes, um Rechtsakte im Zusammenhang mit der Vergabe von Aufträgen oder Konzessionen an russische Einrichtungen setzen zu können, erläuterte Karl-Arthur Arlamovsky (NEOS/W). Seiner Einschätzung nach hätte man versuchen können, diese Verordnungsermächtigungen im Rahmen von bereits bestehenden Bestimmungen zu subsumieren. Was das Thema Sanktionen gegen Russland angeht, so können diese nicht ursächlich für die Teuerungen verantwortlich gemacht werden, stellte er in Richtung der Freiheitlichen fest. So seien etwa Gas, Getreide oder Düngemittel von den Sanktionen gar nicht erfasst. Die Ursache für die Energiekrise liege in der Erpressung durch Russland, das die europäische Abhängigkeit ausnutze, meinte Arlamovsky. Deshalb müsse man die entsprechenden Lehren daraus ziehen und vor allem den Ausbau der erneuerbaren Energien massiv beschleunigen. (Fortsetzung Bundesrat) sue

HINWEIS: Sitzungen des Nationalrats und des Bundesrats können auch via Livestream mitverfolgt werden und sind als Video-on-Demand in der Mediathek des Parlaments verfügbar.


Format