Parlamentskorrespondenz Nr. 299 vom 16.03.2023

Migrationspolitik im Vordergrund: Innenausschuss debattiert EU-Jahresvorschau 2023 mit Bundesminister Karner

Meldung von NS-Wiederbetätigung per Online-Formular soll geprüft werden

Wien (PK) – Im Rahmen der Debatte um den Bericht des Innenministeriums zu den Vorhaben der Europäischen Kommission und des Rates für 2023 stand Innenminister Gerhard Karner in der heutigen Sitzung des Ausschusses für innere Angelegenheiten den Abgeordneten Rede und Antwort. Die Asyl- und Migrationsthematik stand dabei im Zentrum der Debatte. Der Bericht wurde ohne die Stimmen der Freiheitlichen mehrheitlich zur Kenntnis genommen. Ebenso wie jener zur Mittelverwendung aus dem COVID-19-Krisenbewältigungsfonds von Februar bis Dezember 2022.

Mit einer einstimmig angenommenen Entschließung regen die Ausschussmitglieder die Prüfung der Möglichkeit an, Verdachtsmeldungen an die Meldestelle NS-Wiederbetätigung künftig auch online einbringen zu können. Weitere Oppositionsanliegen wurden vertagt.

Jahresvorschau 2023: Innenminister Karner erörtert sicherheitspolitische Themen auf nationaler und europäischer Ebene

Das Innenministerium hat seinen Bericht zum Legislativ- und Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission für 2023, zum Achtzehnmonats-Programm des Rates der Europäischen Union sowie zur österreichischen Position bezüglich deren Vorhaben vorgelegt (III-865 d.B.). Positiv bewertet es darin Vorschläge, die den besseren EU-weiten Datenaustausch etwa zur Kriminalitätsbekämpfung betreffen – auch wenn datenschutzrechtliche Bedenken angeführt werden. Kritisch sieht das Innenressort viele migrationspolitische Initiativen, die aus seiner Sicht eine Anreizwirkung entfalten könnten.

Im Ausschuss begann Innenminister Gerhard Karner seine einleitende Stellungnahme mit einer Rückschau auf das Jahr 2022, das wesentlich durch den Ukraine-Krieg geprägt gewesen sei und sämtliche Innenminister:innen der EU vor besondere Herausforderungen gestellt habe. Es sei jedoch "eindrucksvoll" gewesen, mit welcher Geschlossenheit die EU reagiert habe, etwa bei dem Beschluss der Vertriebenenrichtlinie, durch die es zur Aufnahme geflüchteter Ukrainer:innen – auch in das Gesundheits- und das Sozialsystem - keiner Einzelfallprüfung bedürfe. Zur Zeit belaufe sich deren Anzahl in Österreich auf rund 65.000, von denen sich 52.000 in der Grundversorgung befänden, führte Karner aus.

Ein weiterer Bereich, der ebenfalls sämtliche Innenminster:innen Europas stark beschäftigt habe und immer noch beschäftige sei der zunehmende Asyldruck. Insbesondere die illegale Migration durch Menschen, die "unter dem Deckmantel des Asylrechts" nach Europa einreisen wollten, würde laut Karner speziell das österreichische Asylsystem überlasten. Österreich verzeichne nach Zypern die zweithöchste Anzahl an Asylanträgen in der EU und liege in absoluten Zahlen an vierter Stelle. Viele davon kämen aus Ländern ohne eine reale Chance auf Asyl in Österreich, wie etwa Indien, Tunesien, Bangladesch oder Marokko.

Hier sei jedoch schon gegengesteuert worden, etwa mit der Beendigung der Visafreiheit für Bürger:innen dieser Länder in Serbien. Wie Karner erklärte, brauche es nun eine Diskussion auf europäischer Ebene, wie der Außengrenzschutz sowohl technisch als auch rechtlich verbessert werden könne. Darüber seien sich sämtliche EU-Staaten einig. Es gehe um einen "robusteren" Grenzschutz – auch durch physische Barrieren – , raschere Verfahren an den EU-Außengrenzen oder in den Herkunftsländern und vermehrte Rücknahmeabkommen. Nur so könne man die Menschen von der oftmals gefährlichen Reise nach Europa abhalten und das Asylsystem soweit entlasten, damit jene Schutz finden können, die diesen wirklich benötigen, erklärte Karner.

Außerdem ging er auf die Cyberkriminalität ein, die immer stärker zunehme sowie das Erdbeben in der Türkei, bei dem der Katastrophenschutzmechanismus der EU sofort ausgelöst worden sei und auch Österreich mit 3 Mio. € Soforthilfe, Hilfsgütern und Rettungskräften "schnell und unbürokratisch" geholfen habe.

Asyl und Migration dominieren Ausschussdebatte

Auch in den Fragen und Stellungnahmen der Abgeordnete stand die Asyl- und Migrationsthematik im Vordergrund. So sah SPÖ-Mandatar Reinhold Einwallner einen Widerspruch in Karners Haltung zur Verteilung von Migrant:innen bzw. Asylsuchenden auf nationaler Ebene und seiner Position innerhalb der EU. Während er eine Verteilung auf die Bundesländer befürworte, stehe er einem europäischen Solidaritätsmechanismus kritisch gegenüber. Karner beantwortete dies mit einem Verweis auf die suboptimale Unterbringungssituation in Großquartieren des Bundes. Auf europäischer Ebene müssten erst der Außengrenzschutz und das Schengen-System wieder zum Funktionieren gebracht werden, bevor man "über Solidarität" bezüglich der Verteilung sprechen könne. Wenn der Solidaritätsmechanismus greifen würde, müsste Österreich zu Zeit Asylanträge etwa nach Italien auslagern, gab Karner zu bedenken. Auf Einwallners Frage nach dem Verhandlungsstand mit Marokko, sagte Karner, dass bereits eine gemeinsame Erklärung unterzeichnet und Leitlinien zur Rückkehrzusammenarbeit definiert worden seien. Mit Indien gebe es ein entsprechendes Mobilitätsabkommen, das auch die Einreise von Fachkräften regle, so Karner.

Von Hermann Gahr (ÖVP) auf die Möglichkeit physischer Barrieren an der EU-Außengrenze angesprochen, nannte es Karner einen "großen Fortschritt", dass sich erstmals sämtliche EU-Länder einig seien, dass Mittel für technische Barrieren zur Verfügung gestellt werden. Auch dies sei ein Schritt in Richtung eines funktionierenden Schengen-Raums und der Einhaltung des Dubliner Übereinkommens.

FPÖ-Abgeordneter Hannes Amesbauer interessierte sich für Karners Position zu migrationspolitischen Vorstößen in Großbritannien, nach denen jede:r illegal Eingereiste verhaftet, außer Landes gebracht und mit einem lebenslangen Einreiseverbot bedacht werde. Die britische Diskussion demonstriere nur die Dysfunktionalität des europäischen Asylsystems, erklärte Karner. Damit Einzelstaaten nicht zu solchen Maßnahmen greifen, müsse es dringend verbessert werden, um schnellere und effizientere Rückführungen zu ermöglichen.

Kritik an Karners migrationspolitischer Linie übte Stephanie Krisper (NEOS), etwa was seine ablehnende Haltung zu Relokation in Krisensituationen oder im Rahmen von Search-and-Rescue-Operationen angehe. Österreich würde von einer "gerechten Verteilung" von Schutzsuchenden profitieren. Zudem sah sie das Entfallen von Einzelfallprüfungen bei Personen aus als sicher eingestuften Herkunftsländern im Rahmen einer Rückführungsrichtlinie als rechtswidrig an. Österreich sei ohnehin bereits "über Gebühr belastet", entgegnete Karner. Daher sollten nicht zusätzliche "Hoffnungen" auf eine mögliche Einreise über Relokation "geweckt" werden. Dies könne Menschen dazu animieren, sich in "kaputten Schlauchbooten" auf den Weg nach Europa zu machen und ihr Leben zu gefährden, so Karner. Eine Rückführungsrichtlinie ohne Einzelfallprüfungen sah er etwa für Menschen aus Indien als sinnvoll an.

Weiters interessierten sich Christina Kucharowits (SPÖ) und Agnes Sirkka Prammer (Grüne) für den Kampf gegen Kindesmissbrauch speziell im Internet. Karner zeigte sich überzeugt, dass hier grundrechtskonforme Lösungen gefunden werden müssten. Die Ausbildung von Expert:innen für die Bekämpfung von Cybercrime werde nach coronabedingten Einschränkungen nun wieder verstärkt fortgesetzt, wie Christian Ries (FPÖ) erfragte. 

Online-Formular für die Meldestelle NS-Wiederbetätigung

Die Einrichtung eines Online-Formulars, um einen Verdacht der NS-Wiederbetätigung bei der dem im Innenministerium angesiedelten Meldestelle vertraulich zu melden, soll gemäß einer gemeinsamen Initiative von ÖVP, SPÖ und Grünen geprüft werden. Durch die Vorgabe von Kategorien könnte die Genauigkeit von Meldungen erhöht und durch Verschlüsselung außerdem erhöhte Sicherheit gewährleistet werden, so die Idee. Mehr Wege für Verdachtsmeldungen zu schaffen, sei "sicher nicht verkehrt" meinte Georg Bürstmayr (Grüne), weil die faschistische Ideologie immer noch in zu vielen Köpfen "herumspukt", wie er sagte. Österreich trage besondere Verantwortung, weiter Aufklärungsarbeit zu leisten, auch wenn die Sensibilität in der Bevölkerung dafür in den letzten Jahren gestiegen sei, meinte Friedrich Ofenauer (ÖVP). Auch die beiden anderen Parlamentsfraktionen - FPÖ und NEOS - stimmten dem Entschließungsantrag zu.

Erfreut zeigte sich Sabine Schatz (SPÖ), wenngleich sie die Entschließung als "Weichspülen" ihres eigenen Anliegens wahrnimmt. Grundlage für die Ausschussentschließung ist nämlich eine Forderung der SPÖ hinsichtlich einer zusätzlichen Meldemöglichkeit für Bürger:innen bei der Meldestelle NS-Wiederbetätigung (1543/A(E)). Neben einer Meldung per E-Mail oder Post sollte dem Stand der Technik entsprechend auch eine Meldung via anonymisiertes Onlineformular möglich sein. Der SPÖ-Antrag wurde von keiner weiteren Fraktion unterstützt und somit abgelehnt. Christian Ries (FPÖ) machte deutlich, dass ihm daran die Möglichkeit zur anonymen Meldung missfiel. Eine Zeugenbefragung sollte möglich sein, meinte er.

Vertagte Forderungen der SPÖ: Mehr Polizei für Favoriten und Recht auf Datenverschlüsselung

Erneut vom Innenausschuss vertagt wurde die SPÖ-Forderung nach 500 zusätzlichen Polizist:innen für den Wiener Bezirk Favoriten (793/A(E)). Angesichts der 200.000 Bezirksbewohner:innen sei von einer Unterbesetzung auszugehen, meinte Reinhold Einwallner (SPÖ) und kritisierte, dass seit der Einbringung des Antrags im Jahr 2020 nichts passiert sei. Die ÖVP sei in seinen Augen nicht gewillt, dieses Problem zu lösen. ÖVP-Abgeordneter Wolfgang Gerstl sieht die Verantwortung für den "Kriminalitäts-Hotspot" hingegen bei der Wiener Stadtpolitik. Die grundlegenden Probleme im Bezirk, etwa die hohe Arbeitslosenquote unter den Jugendlichen, müsse man "an der Wurzel packen", meinte er. Leider gäbe es in Wien zu wenig Bewerbungen für diesen "wunderbaren" Beruf, meinte Innenminister Gerhard Karner dazu und betonte, dass die Exekutive in Favoriten "exzellente" Arbeit leiste. Douglas Hoyos-Trauttmansdorff (NEOS) sprach sich für die Attraktivierung des Polizeiberufs durch administrative Vereinfachungen und eine konkrete Lösung anstelle der wiederholten Vertagung aus. Inhaltliche Unterstützung für den Antrag kam von Dagmar Belakowitsch (FPÖ), die von einer "chronischen" Unterbesetzung in weiten Teilen Wiens sprach. Diese führte Georg Bürstmayr (Grüne) unter anderem auf schlechte Arbeitsbedingungen zurück.

Ebenso mit den Stimmen der Regierungsparteien vertagt wurde die SPÖ-Initiative zur Einhaltung des Grundrechts auf Verschlüsselung von privaten Nachrichten (1521/A(E)) angesichts eines entsprechenden EU-Vorhabens. Der Innenminister sollte den Kommissionsvorstoß, End-to-End-Verschlüsselungen aufzuheben, ablehnen und sich für das Recht auf Privatsphäre, Datenschutz und Verschlüsselung einsetzen. Katharina Kucharowits (SPÖ) geht es um eine grundrechtskonforme Regelung anstatt Massenüberwachungen per se zuzulassen, wie sie sagte.

Vertagte Forderungen der FPÖ: "Klimaextremismus" im Verfassungsschutzbericht und Verschärfung des Asylrechts

Die Intensivierung und Radikalisierung der Aktionen von Klima-Aktivist:innen bezeichnet FPÖ-Mandatar Hannes Amesbauer als "Klimaterrorismus bzw. –extremismus" und schlägt vor, dafür ein eigenes Kapitel im Verfassungsschutzbericht zu schaffen (3050/A(E)). Auch wenn man sich an der Begrifflichkeit stoßen könne, würde die Zunahme der Klimakleber:innen-Aktivitäten mehr Polizeikräfte binden und zu mehr Unmut in der Bevölkerung führen, untermauerte er die Aktualität seines Anliegens. Robert Laimer (SPÖ) sprach sich dafür aus, die Begrifflichkeiten sauber zu definieren. Es sei überschießend, von Terrorismus bzw. Extremismus zu sprechen, vielmehr handle es sich um zivilen Ungehorsam, meinte er. Auch Corinna Scharzenberger (ÖVP) und Georg Bürstmayr (Grüne) waren dagegen, die Begriffe inflationär zu verwenden. "Kleben und kleben lassen" meinte Scharzenberger. Stephanie Krisper (NEOS) konnte dem Ansinnen nichts abgewinnen, dem Verfassungsschutz Berichtsinhalte vorzuschreiben. Die Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DNS) würde die Gefährdungslage selbst erkennen. Der Antrag wurde vom Innenausschuss erneut mehrheitlich vertagt.

Unter Verweis auf die Ausschreitungen in Linz zu Halloween 2022 setzt sich die FPÖ im Sinne einer "selbstbewussten Sicherheits- und Migrationspolitik" und zum Schutz des österreichischen Wertefundaments dafür ein, dass Asylberechtigungen befristet und regelmäßig überprüft werden (3046/A(E)). Bei unwahren Angaben oder rechtskräftiger Verurteilung sollten Asylverfahren negativ bescheinigt werden, so das Ziel des heute ebenfalls vertagten Entschließungsantrags. Während Georg Bürstmayr (Grüne) meinte, es sei verfehlt, die Vorfälle an eine Asylrechtsdebatte zu knüpfen, war Ernst Gödl (ÖVP) der Meinung, dass sie indirekt mit Asylrecht zu tun haben. Es stehe für ihn außer Frage, dass die rechtlichen Möglichkeiten hinsichtlich der Abschiebungen für straffällige Asylweber:innen nachgeschärft werden sollten. Mit einer weiteren vertagten Initiative fordert die FPÖ zur Wiederaufnahme der Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien auf (3084/A(E)).

Vertagte Forderungen der NEOS: Verteilung im EU-Asylsystem und Unterbringungsverpflichtungen der Bundesländer

Für eine faire Verteilung von Schutzsuchenden innerhalb der EU spricht sich NEOS-Mandatarin Stephanie Krisper mit einem Entschließungsantrag (2757/A(E)) aus, der heute vom Ausschuss unter Verweis auf den Einsatz für eine europäische Lösung vertagt wurde. Österreich würde von einem Solidaritätsmechanismus profitieren, meinte sie.

Ferner orten die NEOS Missstände bei der Unterbringung von Asylwerber:innen und kritisieren, dass die meisten Bundesländer ihre Quoten nicht erfüllen. Um diese "Verteilungs- und Managementkrise" zu beenden, wird sowohl ein Durchgriffsrecht des Bundes zur Bereitstellung von Quartieren (3030/A(E)), als auch ein Sanktionsmechanismus (3131/A(E)) angeregt, wenn Länder und Gemeinden ihren Unterbringungsverpflichtungen nicht nachkommen. Dass zur Unterbringung Zelte aufgestellt werden müssen, wertete NEOS-Mandatarin Stephanie Krisper als ein Zeichen dafür, dass die Grundversorgung weiterhin nicht funktional laufe. Mit ihren Vorschlägen könnte man den menschlichen, organisatorischen und budgetären Missständen entgegenwirken, meinte sie. Die beiden Forderungen wurden auch vertagt.

3,5 Mio. € aus dem COVID-19-Krisenbewältigungsfonds für Februar bis Dezember 2022

Für das Jahr 2022 waren laut Bericht vom Jänner 2022 (III-578 d.B.) keine Mittel aus dem COVID-19-Krisenbewältigungsfonds für das Innenministerium budgetiert. Aus dem Bericht für Februar bis Dezember 2022 (III-870 d.B.) geht jedoch hervor, dass ein entsprechender Antrag auf Mittel in der Höhe von 3.495.056,38 € beim Finanzministerium eingebracht wurde. 2.495.056,38 € davon entfielen auf den Personalaufwand im Zusammenhang mit Verdienstentgang aufgrund von Absonderungsmaßnahmen von Exekutivbediensteten. 1.000.000 € wurden für Sachaufwand wie Atemschutzmasken, Antigen- und PCR-Tests aufgewendet. Der Bericht wurde mehrheitlich ohne die Stimmen der Freiheitlichen zur Kenntnis genommen. (Schluss Innenausschuss) wit/fan