Parlamentskorrespondenz Nr. 328 vom 22.03.2023

Justizausschuss diskutiert Kostenersatz, Korruptionsbekämpfung, Jugendstrafvollzug, COVID-19-Entschädigungen und Gründungen

Oppositionsanträge unter Hinweis auf bereits laufende Gesetzesvorhaben vertagt

Wien (PK) – Mit einer breiten Palette von Anliegen der Oppositionsfraktionen zu Verbesserungen im österreichischen Rechtssystem befasste sich heute der Justizausschuss. Alle Anträge wurden - nach teilweise ins Detail gehender Diskussion des Für und Wider der Forderungen - mit den Stimmen von ÖVP und Grünen vertagt. Begründet wurden die Vertagungen von den Koalitionsfraktionen damit, dass zu diesen Themen, sei es die Korruptionsbekämpfung, der Jugendstrafvollzug oder die Erleichterung von Unternehmensgründungen, im Justizressort bereits umfangreiche Gesetzesnovellen in Ausarbeitung seien, etwa im Bereich der Beschuldigtenrechte. Es werde an einem Gesamtpaket gearbeitet, das mehrere der Anträge abdecken würde, argumentierten ÖVP und Grüne.

So zeigte sich zur Forderung der Freiheitlichen, wonach freigesprochene Angeklagte einen vollen Kostenersatz erhalten sollten, ein fraktionsübergreifender Konsens, dass die aktuelle Regelung nicht mehr ausreicht. Skeptischer gesehen wird die Forderung der Freiheitlichen nach umfassenden Entschädigungen für finanzielle Schäden, die Bürger:innen aufgrund von im Nachhinein wieder aufgehobenen COVID-19-Maßnahmen entstanden sind.

Zu einer lebhaften Debatte führte auch ein Antrag der SPÖ zur Reform des Strafvollzugs für Jugendliche. Hier wurde auf eine Arbeitsgruppe im Justizressort verwiesen. Die SPÖ-Forderung nach Verlängerung der Verjährungsfrist für Korruptionsdelikte soll laut Auskunft der Koalition im Paket Beschuldigtenrechte abgedeckt werden.

Im Sinne der Korruptionsbekämpfung wollen die NEOS die verpflichtende Veröffentlichung als Voraussetzung für die Rechtswirksamkeit von Verträgen über öffentliche Beschaffungsvorgänge. Den NEOS ist es zudem ein Anliegen, im Gesellschaftsrecht Änderungen herbeizuführen, die die Gründung von Gesellschaften mit beschränkter Haftung erleichtern sollen. Zu beiden Themen wurde auf bereits laufende Vorbereitungen zu Gesetzesnovellen verwiesen.

FPÖ fordert vollen Kostenersatz bei Freispruch im Strafverfahren

FPÖ-Justizsprecher Harald Stefan hält es für nicht vereinbar mit dem Prinzip eines fairen Verfahrens, dass Angeklagte, die nach einem kostenintensiven Verfahren freigesprochen werden, auf den Verfahrens- und Verteidigungskosten, die über den derzeit geltenden maximalen Kostenersatz von 10.000 € hinausgehen, sitzenbleiben. Stefan fordert daher in einem Initiativantrag auf Änderung der Strafprozessordnung (293/A ), um vollen Kostenersatz bei einem Freispruch zu garantieren.

NEOS-Vertreter Johannes Margreiter sprach von einem sehr unterstützenswerten Antrag, da es in dem angesprochenen Bereich ein rechtsstaatliches Defizit gebe. Im Zivilprozess gebe es zudem bereits ein bewährtes Instrument, an dem man sich orientieren könnte. Auch wenn es keine unbegrenzte Kostenerstattung geben sollte, so wäre eine deutliche Anhebung des Deckels von 10.000 € wünschenswert, meinte auch Petra Bayr (SPÖ). Prominente Beispiele würden zeigen, dass Verfahrenskosten Betroffene bis in den Ruin treiben können.

Abgeordneter Christian Stocker (ÖVP) zeigte grundsätzlich Verständnis für das Anliegen, verwies aber auf die laufenden Gespräche über eine generelle Neuregelung der Beschuldigtenrechte, und begründete damit einen Vertagungsantrag. Auch Agnes Sirkka Prammer von den Grünen hielt es für nicht hinnehmbar, dass freigesprochene Personen alle Kosten selbst zu tragen hätten. Abgeordneten Margreiter gegenüber meinte sie, die Herausforderung sei, dass zwar im Zivilverfahren feste Tarife für Anwaltsleistungen festgelegt seien, aber noch nicht im Strafverfahren. Einigkeit bestehe darüber, dass es dafür eine "ordentliche Lösung" brauche, betonte sie. Das Gesamtpaket sei jedoch noch nicht fertig ausverhandelt.

SPÖ für Verlängerung der Verjährungsfrist bei Korruptionsdelikten für Politiker:innen

Die SPÖ setzt sich für eine Verlängerung der Verjährungsfrist bei Korruptionsdelikten für Politiker:innen ein (3108/A(E) ). Eine Verjährungsfrist von fünf Jahren ist aus Sicht der Sozialdemokrat:innen zu kurz. "Zufallsfunde" bei Ermittlungsmaßnahmen würden oft zu spät stattfinden, sodass eine Verfolgung nach dem derzeit geltenden Strafrecht wegen Verjährung der Strafbarkeit nicht mehr möglich sei. Eine sachgerechte Lösung des Problems sei die Verlängerung der Verjährung der Strafbarkeit bei den genannten Delikten um das "Eineinhalbfache".

ÖVP-Abgeordnete Corinna Scharzenberger stellte einen Vertagungsantrag mit dem Hinweis auf das in Arbeit befindliche Gesamtpaket "Beschuldigtenrechte". Da eine Ausweitung des Strafrahmens für Korruptionsdelikte vorgesehen sei, ergebe sich daraus auch eine Verlängerung der Verjährungsfrist. Auch Sirkka Prammer (Grüne) verwies auf das Paket, das noch abzuwarten sei. Für Christian Ragger (FPÖ) wäre in diesem Zusammenhang auch zu klären, wie die angesprochenen "Zufallsfunde" in Strafverfahren grundsätzlich be- und verwertet werden können.

SPÖ verlangt Alternativen zur Haft von Jugendlichen

Bereits seit längerer Zeit fordert SPÖ-Justizsprecherin Selma Yildirim (SPÖ) unter Verweis auf eine im internationalen Vergleich ausgesprochen hohe Inhaftierungsrate von Jugendlichen in Österreich Alternativen zur Haft von jungen Menschen. So sollten ihrer Meinung nach zusätzliche Jugendkompetenzzentren geschaffen werden, deren Schwerpunkte in den Bereichen Lernen und Entwicklung mit konstanten Bezugspersonen liegen. Yildirim kritisiert vor allem die im Gewaltschutzgesetz 2019 enthaltenen Verschärfungen für junge Erwachsene (897/A(E)). Aus Sicht von SPÖ-Abgeordneter Petra Bayr ist der Antrag weiterhin aktuell, da sich die nach wie vor bestätige, dass die Auflösung des Jugendgerichtshofs im Jahr 2003 langfristig negative Folgen für den Umgang mit jugendlichen Straftäter:innen habe.

Für Christian Lausch (FPÖ) ist der Antrag hingegen größtenteils überholt, da Österreich unterdessen bei der Inhaftierungsrate von Jugendlichen und jungen Erwachsenen sehr niedrige Zahlen aufweise. Er stimme aber zu, dass sinnvolle Alternativen zu Haftstrafen für Jugendliche, wie der durch eine Fußfessel elektronisch überwachte Hausarrest, sinnvoll wären. Lausch plädierte auch dafür, die Zunahme von Straftaten von 12- bis 14-Jährigen nicht außer Acht zu lassen. Hier müsse die Strafjustiz stärker aktiv werden können. Da das Problem oft in den Familien der Kinder liege, sollte sowohl über eine Herabsetzung der Strafmündigkeit und über die Möglichkeit einer temporären Unterbringung in betreuten Wohngruppen nachgedacht werden.

Aus Sicht von Gudrun Kugler (ÖVP) ist der Antrag veraltet und geht nicht auf die aktuellen Probleme des Strafvollzugs von Jugendlichen ein. Diese gebe es durchaus und würden im Bericht der Volksanwaltschaft "Jugend in Haft" aufgezeigt. Zu lösen sei etwa die Frage der Ausbildung straffälliger Jugendlicher. Auch brauche man Lösungen für die kleinere Gruppe straffälliger Mädchen. Da das Justizressort aber diese Fragen bereits engagiert bearbeite, sei eine Vertagung des Antrags gerechtfertigt, meinte Kugler.

Johannes Margreiter (NEOS) meinte hingegen, der Antrag sei weiterhin sinnvoll, da die entscheidende Zahl nicht die der Inhaftierten sei, sondern die Höhe der Rückfallquote. Einen elektronisch überwachten Hausarrest als Alternative zur Haftstrafe halte er für sinnvoll.

Einer Herabsetzung der Strafmündigkeit wurde in der Diskussion von den anderen Fraktionen eine Absage erteilt. Wichtig sei es gerade junge Straftäter:innen intensiv zu begleiten und ihnen die Chance der Wiedereingliederung zu geben, sagte Gertraud Salzmann (ÖVP). FPÖ-Abgeordneter Lausch stellte klar, es gehe ihm nicht darum, Kinder und Jugendliche einzusperren, sondern die Voraussetzung für ein früheres Eingreifen der Justiz zu schaffen. Dem hielt Sirkka Prammer (Grüne) entgegen, dass bereits jetzt die Justiz in Gestalt der Pflegschaftsgerichte die Möglichkeit des Eingreifens besitze und daher die Einbeziehung der Strafgerichte nicht notwendig sei. Sie sehe ebenfalls bereits intensive Überlegungen des Justizressorts, zu den angesprochenen Probleme, die zweifellos gelöst werden müssten.

Bundesministerin Alma Zadić bestätigte, dass die Zahl der inhaftierten Jugendlichen tatsächlich gesunken sei. Ihr Ressort habe bereits vor der Veröffentlichung des Berichts der Volksanwaltschaft eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die sich mit Verbesserungen des Strafvollzugs befasse. Dabei gehe es unter anderem um die Zukunft der Jugendstrafanstalt Gerasdorf, deren Neukonzipierung die Volksanwaltschaft anrege. Was die Neugestaltung des Strafvollzugs betreffe, so stehe sie dem verstärkten Einsatz der Fußfessel offen gegenüber, sagte die Justizministerin. Einer Herabsetzung der Strafmündigkeit könne sie allerdings nichts abgewinnen.

FPÖ beharrt auf Entschädigungszahlungen für COVID-19-Krisenmaßnahmen

Entschädigungszahlung an Personen, die "durch gesetzwidrige Verordnungen und verfassungswidrige Gesetze psychisch, physisch sowie auch finanziell Schaden genommen haben", fordert die FPÖ mit einem Entschließungsantrag (2321/A(E)). Die Kritik der Freiheitlichen entzündet sich an einer Reihe von ab dem Frühjahr 2020 getroffenen COVID-19-Maßnahmen der Bundesregierung. Als überschießende bzw. unzulässige Einschränkungen der Grund- und Freiheitsrechte der Österreicher:innen werten die Freiheitlichen etwa Lockdowns, Ausgangssperren, Demonstrationsverbote, Kontaktbeschränkungen, Maskenpflicht, Zutrittsbeschränkungen, die Testpflicht und die Impfpflicht. Die Entwicklungen in der Politik würden den Freiheitlichen immer mehr Recht geben, meinte FPÖ-Abgeordneter Stefan zur Forderung seiner Fraktion.

Sirkka Prammer (Grüne) sah den Antrag der FPÖ als "nicht zu Ende gedacht" und ortete eine Argumentation, die das gesamte System des Schadenersatzes und der Einhaltung rechtsstaatlicher Normen in Frage stellen könnte. Johanna Jachs (ÖVP) sprach sich für eine Vertagung aus und verwies auf aktuelle Pläne Niederösterreichs, Entschädigungen im Zusammenhang mit COVID-19 zu regeln. Für Nikolaus Scherak (NEOS) geht der Antrag der Freiheitlichen zwar insgesamt zu weit. Er plädiere aber dafür, sich zu überlegen, wie man mit der Tatsache umgehen wolle, dass viele Menschen gerade zu Beginn der Pandemie für einfaches Spazierengehen mit hohen Strafen belegt worden seien. Der Verfassungsgerichtshof habe unterdessen bestätigt, dass es zu überzogenen Eingriffen in Grundrechte gekommen sei.

NEOS für Rechtsverbindlichkeit von öffentlichen Beschaffungen erst mit Veröffentlichung

Die NEOS fordern weiters, dass öffentliche Beschaffungen bzw. Vergaben zivilrechtlich erst nach Veröffentlichung in einem Register Rechtsverbindlichkeit erlangen sollen (3034/A(E)). Dem Veröffentlichen von Informationen in Vergabeverfahren komme eine entscheidende Rolle im Kampf gegen Korruption zu, so die Argumentation. Ein öffentliches Register, in das jede öffentliche Beschaffung eingetragen werden muss, könnte den NEOS zufolge einen wichtigen Beitrag zur Nachvollziehbarkeit von staatlichem Handeln leisten. Erst mit der Veröffentlichung würde der Vertrag dann rechtsverbindlich.

In anderen Staaten der Europäischen Union würden Vergabeverfahren bereits so gehandhabt, wie sie seine Fraktion fordere, stellte NEOS-Abgeordneter Nikolaus Scherak fest. Gertraud Salzmann stellte einen Vertagungsantrag unter Verweis auf derzeit im Justizministerium stattfindende Überlegungen zur Neugestaltung des Vergaberechts. Zu lösen sei noch das Problem, dass es zu keiner längeren Phase der Rechtsunsicherheit nach Abschluss eines Vertrags kommen solle. Aus Sicht von Sirkka Prammer ist die Forderung nach Transparenz berechtigt, weshalb sie davon ausgehe, dass der Vorschlag des Justizministeriums der Forderung der NEOS weitgehend entsprechen werde.

Justizministerin Alma Zadić betonte, dass bei der geplanten umfassenden Neuregelung des Vergaberechts das Prinzip der Transparenz an oberster Stelle stehen solle. Bedenken zur Rechtssicherheit von Verträgen kämen vor allem von den Ländern, mit diesen gebe es noch Abstimmungsbedarf.

NEOS wollen neue Gesellschaftsform für unkompliziertes Gründen

Im Bereich des Gesellschaftsrechts treten die NEOS für ein Gesetz zur Einführung einer neuen Gesellschaftsform für unkompliziertes Gründen aus. So sollte die Gründung ohne Notariatsaktspflicht und in englischer Sprache möglich sein sowie internationalen Vorbildern folgend einfache Möglichkeiten der Mitarbeiter:innenbeteiligung vorgesehen werden (3195/A(E)). Was den Notariatsakt betrifft, soll aus Sicht der NEOS die Möglichkeit zur GmbH-Gründung erweitert werden, um dem Bedarf in der Praxis zu entsprechen. Johannes Margreiter (NEOS) hielt fest, dass auch das Regierungsprogramm ein unkomplizierteres Gründen als Ziel nenne. Er wolle daher wissen, wann mit dem angekündigten "Gründer-Paket" zu rechnen sei.

Karl Schmidhofer (ÖVP) verwies darauf, dass die Verhandlungen zum "Gründer-Paket" bereits im Laufen seien, und stellte einen Vertagungsantrag. Sirkka Prammer (Grüne) sagte, sie gehe davon aus, dass das Ergebnis die Punkte, die im Antrag der NEOS angeführt werden, weitgehend berücksichtigen werde. (Schluss Justizausschuss) sue/sox