Parlamentskorrespondenz Nr. 499 vom 09.05.2023

Schallenberg hält bessere Koordination der Außenpolitik der EU-Länder für notwendig

Afrika-Strategie soll noch vor dem Sommer vorliegen

Wien (PK) – Außenminister Alexander Schallenberg hat sich heute im Außenpolitischen Ausschuss des Nationalrats für eine besser koordinierte Außenpolitik der EU-Länder ausgesprochen. Schaue man sich die Besuchsdiplomatie der Außenminister der 27 EU-Länder in den letzten Jahren an, sehe man, dass es große weiße Flecken auf der Landkarte gebe. Das gelte auch für wichtige Konferenzen. Wenn alle die gleichen Staaten besuchen oder sich um die gleichen Krisenherde kümmern, dürfe man sich nicht wundern, dass Europa Schwierigkeiten habe, mit seinen Positionen Gehör zu finden. Gerade im Zusammenhang mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine finde schließlich auch "ein Kampf der Narrative" statt, gab Schallenberg zu bedenken, umso bedeutender sei es, die Haltung Europas zum Krieg "international zu erklären". Es brauche einen Austausch auf Augenhöhe mit den Ländern des globalen Südens, um nicht dem Narrativ Russlands oder anderen Narrativen das Feld zu überlassen. Vor diesem Hintergrund kündigte Schallenberg eine entsprechende Initiative auf EU-Ebene an.

Dass zwei Drittel der Ukraine in den letzten Tagen unter Luftalarm standen, sieht Schallenberg als Beleg dafür, dass Russland die gesamte Ukraine als Angriffsziel sieht. Österreich werde natürlich weiterhin hinter der Ukraine stehen, versicherte er. Er hob in diesem Zusammenhang auch hervor, dass Österreich bei der humanitären Hilfe die "Nummer 1" sei.

Die Lage am Westbalkan bezeichnete Schallenberg als nach wie vor "volatil". In den letzten Jahren seien zwar Fortschritte erzielt worden, unter der Oberfläche brodle es aber massiv, mahnte er. Europa müsse daher weiterhin einen besonderen Fokus auf die Region richten. Der Westbalkan sei der "geostrategische Elchtest" für die EU, meinte Schallenberg: Scheitere sie dort, werde die EU-Außenpolitik auch insgesamt nicht weiterkommen. Man müsse auch aufpassen, dass der Westbalkan nicht "am Pannenstreifen steht", während die Ukraine eine Fast Lane für einen EU-Beitritt eingeräumt bekomme. Das wäre massiv gegen die geostrategischen Interessen der EU gerichtet.

Was die von Bundeskanzler Karl Nehammer angekündigte Afrika-Strategie betrifft, zeigte sich Schallenberg zuversichtlich, diese noch vor dem Sommer vorlegen zu können. Sie werde auch Zukunftsthemen wie Energie oder Digitalisierung enthalten, kündigte er an. Man dürfe Afrika nicht auf Themen wie humanitäre Hilfe oder Migration reduzieren, unterstrich er. Noch offen ist laut Schallenberg, wo der Sonderbeauftragte der Regierung für Afrika angesiedelt wird.

Für notwendig hält es Schallenberg darüber hinaus, dem indopazifischen Raum als potentiellem Krisenherd mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Es sei wichtig, rechtzeitig starke Partnerschaften in der Region zu schmieden, sagte er. Zudem dürfe Österreich als Exportnation die größte Wachstumsregion weltweit nicht aus den Augen verlieren. Gleichzeitig gehe es um eine Diversifizierung von Importen, wobei etwa Vietnam, Südkorea und Indien eine wesentliche Rolle spielen könnten. Man müsse den Blick sowohl politisch als auch wirtschaftspolitisch weiten, so Schallenberg.

Weitere Themen der Aussprache waren u.a. die Lage im Sudan, die Situation der Frauen in Afghanistan, das Flüchtlingscamp Lipa in Bosnien und diverse internationale Konfliktherde.

Unterschiedliche Positionen zum Krieg in der Ukraine

Von Seiten der Abgeordneten hoben unter anderem Martin Engelberg (ÖVP) und Helmut Brandstätter (NEOS) die Notwendigkeit hervor, die Ukraine weiterhin zu unterstützen. Österreich sei nur militärisch, aber nicht politisch neutral, bekräftigte Engelberg. Das werde seinen persönlichen Erfahrungen nach auch "sehr geschätzt".

Als "sehr bedrückend" qualifizierte Brandstätter die heutige Rede des russischen Präsidenten Wladimir Putin anlässlich des 78. Jahrestags des sowjetischen Siegs über Nazi-Deutschland. So viel Realitätsverweigerung habe er in der Politik noch nicht erlebt, meinte er. Laut Putin greife der Westen gemeinsam mit Nazis Russland an. Auffällig sei aber auch gewesen, dass Putin "unglaublich schwach" gewirkt habe. Kein Verständnis hat Brandstätter für die Haltung der FPÖ zum Krieg: Er hofft in diesem Sinn, dass beim bereits geplanten nächsten Besuch der österreichisch-ukrainischen Freundschaftsgruppe auch FPÖ-Abgeordnete in die Ukraine mitfahren, um sich selbst ein Bild vor Ort zu machen. In Bezug auf Armenien bedauerte Brandstätter, dass es dort nach wie vor keine österreichische Botschaft gebe.

Weiterhin Kritik an der Russland-Politik Österreichs übten hingegen die beiden FPÖ-Abgeordneten Axel Kassegger und Christian Hafenecker. Statt die sofortige Einstellung der bewaffneten Auseinandersetzung im Sudan zu fordern, wäre es zielführender und für Österreich naheliegender, sich für einen sofortigen Waffenstillstand zwischen Russland und der Ukraine einzusetzen, erklärte Kassegger in Anspielung auf einen dem Ausschuss vorliegenden Entschließungsantrag. Viele Länder außerhalb Europas würden den "Russland-Ukraine-Krieg" aus einem "neutraleren Blickwinkel" sehen, diesen solle sich Österreich zum Vorbild nehmen. Nach Einschätzung von Hafenecker ist die militärische Neutralität Österreichs schon längst nicht mehr gegeben. Die Aussage von Außenminister Schallenberg, wonach nicht jedes Land, das Sanktionen gegen Russland nicht mitträgt, gleichzeitig als Putin-Versteher gesehen werden könne, muss ihm zufolge im Übrigen auch für heimische Parteien gelten.

Kassegger kritisierte auch die österreichischen Hilfen für die Ukraine und forderte eine sofortige Einstellung der Zahlungen, die sich ihm zufolge mittlerweile auf 1,8 Mrd. € belaufen. Die FPÖ habe Sorge, dass das Geld "nicht ganz zweckgemäß" verwendet werde. Das Geld solle stattdessen für Steuersenkungen in Österreich genutzt werden. Er vermisst außerdem ein Interesse an einer ernsthaften Aufklärung des Anschlags auf die Nord-Stream-Pipeline.

SPÖ kritisiert Umgang mit Oppositionsanträgen zum Thema Entwicklungszusammenarbeit

SPÖ-Parteichefin und Ausschussvorsitzende Pamela Rendi-Wagner äußerte sich besorgt über die Sicherheit des ukrainischen Atomkraftwerks Saporischschja und forderte Schallenberg dazu auf, sich aktiv für eine Sicherheitsvereinbarung zwischen Russland und der Ukraine einzusetzen. Die Internationale Atomenergieorganisation spreche zunehmend vor einer unberechenbaren Lage rund um das AKW, skizzierte sie. Auch die Lage im Sudan bereitet Rendi-Wagner Kopfzerbrechen: Der drohende Bürgerkrieg könnte ihrer Einschätzung nach eine ganze Region mitreißen.

Kritik äußerten Rendi-Wagner und ihre Fraktionskollegin Petra Bayr am Umgang der Koalitionsparteien mit Oppositionsanträgen zum Thema Entwicklungszusammenarbeit. Der zuständige EZA-Unterausschuss habe in dieser Legislaturperiode erst zweimal getagt, kritisierten sie. Zudem habe es im letzten Ausschuss zu den Anliegen der Opposition so gut wie keine Wortmeldungen gegeben. Bayr drängte außerdem auf humanitäre Visa für bedrohte Frauen in Afghanistan und forderte konkrete Schritte Österreichs in Zusammenhang mit dem harten Vorgehen des Irans gegen Demonstrant:innen und Regimekritker:innen.

Auch NEOS-Abgeordnete Henrike Brandstötter beklagte, dass der EZA-Unterausschuss nicht ernst genommen werde. Ihrer Meinung nach sollte sich Europa überdies überlegen, ob man die Verhandlungen im Sudan tatsächlich den USA überlassen wolle.

Grüne befürchten Internierung von Flüchtlingen in Bosnien

Ewa Ernst-Dziedzic (Grüne) machte darauf aufmerksam, dass einige Krisenherde in der öffentlichen Wahrnehmung zuletzt in den Hintergrund gerückt seien und verwies in diesem Zusammenhang etwa auf die Lage in Afghanistan und in Myanmar. So habe kaum jemand davon Notiz genommen, dass in Myanmar zuletzt mindestens 100 Zivilist:innen durch Militärangriffe getötet worden seien. Man höre – abseits der Lage der Frauen vor Ort in Afghanistan – außerdem "haarsträubende Dinge", was die Ausübung von Druck der Taliban auf die Diaspora betrifft.

Darüber hinaus wurde von Ernst-Dziedzic das Flüchtlingscamp Lipa in Westbosnien angesprochen. Sie befürchtet, dass im dort in Bau befindlichen Internierungstrakt auch Asylsuchende untergebracht werden könnten, die sich nichts zuschulden kommen lassen haben. Gleichzeitig werde eine kleine österreichische NGO durch Klagen "eingeschüchtert". Österreich dürfe bei Push-Backs an den Balkangrenzen nicht wegsehen, sondern müsse das aufzeigen, mahnte sie. Ihre Fraktionskollegin Faika El-Nagashi sprach das Thema Menschenhandel an, wobei sie darauf hinwies, dass Menschenhandel – etwa in Form von Arbeitsausbeutung, Organhandel und Leihmutterschaft – zunehmend in die Gesellschaft eingebettet sei.

Schallenberg schließt Beteiligung Österreichs an Minensuchhilfe in der Ukraine nicht aus  

In Beantwortung der Fragen bekräftigte Außenminister Schallenberg unter anderem die militärische Neutralität Österreichs. Für Munitionslieferungen an die Ukraine gebe es kein Geld von österreichischer Seite, betonte er. Auch erachtet er es nicht für legitim, genehmigte Waffentransporte durch Österreich mit der Ukraine bzw. der Neutralität in Verbindung zu bringen. Ein Rätsel sind ihm die von der FPÖ genannten 1,8 Mrd. € für Ukraine-Hilfen – ihm zufolge wurden bisher 129 Mio. € für bilaterale humanitäre Hilfe und 153 Mio. € für EU-Finanzhilfen bereitgestellt. Auch den Vergleich zwischen der Ukraine und dem Sudan hält Schallenberg für unstatthaft: Es sei ein Unterschied, ob ein Staat einen anderen angreife oder ob es Kämpfe zwischen zwei Gruppen in einem Land gebe. Einem etwaigen Einsatz geächteter Waffen wie Streumunition oder Uranmunition steht der Minister ablehnend gegenüber.

Gegenüber Abgeordnetem Brandstätter schloss Schallenberg eine Beteiligung Österreichs an einer über die OSZE laufenden Minensuchhilfe in der Ukraine für die Zukunft nicht aus, hält eine solche während laufender kriegerischer Auseinandersetzungen aber nicht für sinnvoll. Das Thema Sportboykott sieht er seinen Angaben nach ähnlich wie Vizekanzler und Sportminister Werner Kogler, wobei er sich dagegen wandte, Sportler:innen, die einen russischen Pass haben, generell von den Olympischen Spielen auszuschließen.

Der Konflikt im Sudan hat Schallenberg zufolge gezeigt, wie wichtig ein internationales Vertretungsnetz ist. Es sei – unter anderem mit Hilfe von Deutschland und den Niederlanden – gelungen, alle Österreicher:innen, die das wollten, aus dem Land zu bringen. Insgesamt betraf das 55 Personen, darunter 27 Kinder.

In Richtung FPÖ-Abgeordnetem Martin Graf stellte Schallenberg klar, dass es keinen Schuldenerlass für den Sudan gegeben habe. Dieser hatte die kriegerischen Auseinandersetzungen im Land mit einem solchen Schuldenerlass in Zusammenhang gebracht und sich kritisch dazu geäußert.

Was die Lage in Afghanistan betrifft, hob Schallenberg hervor, dass Europa auf die muslimische Welt bauen müsse. Diese werde am ehesten bei den Taliban Gehör finden. Ausdrücklich verurteilt wurden von ihm auch die Angriffe in Myanmar, es brauche hier Aufklärung. Keine Änderung gibt es ihm zufolge bei der österreichischen Position zum Thema Westsahara, Österreich unterstütze weiterhin die UNO-Bemühungen. Als sehr schwierig bezeichnete der Minister das Regime im Iran – aufgrund der drohenden Inhaftierung von Reisenden habe man erstmals seit Jahrzehnten auch eine Reisewarnung für das Land ausgesprochen.

In den Bau eines Internierungstrakts im Flüchtlingscamp Lipa ist Österreich laut Schallenberg in keiner Weise involviert. Die Türkei will er daran messen, ob für die bevorstehenden Wahlen Wahlbeobachter:innen in das Land gelassen werden. Angepeilt werden von Schallenberg auch zusätzliche österreichische Botschaften – es brauche dazu aber nachhaltige Finanzierungszusagen. (Fortsetzung Außenpolitischer Ausschuss) gs