Parlamentskorrespondenz Nr. 714 vom 21.06.2023

Krisensicherheitsgesetz: Innenausschuss spricht sich für strukturelle Weiterentwicklung des staatlichen Krisenmanagements aus

Mehrheit für Bundeskrisenlager für den Gesundheitsbereich

Wien (PK) – Das neue Bundes-Krisensicherheitsgesetz (B-KSG) erhielt heute mit den Stimmen von ÖVP und Grünen die mehrheitliche Zustimmung des Innenausschusses. Es soll bereits bestehende Gremien und Prozesse des staatlichen Krisenmanagements erstmals gesetzlich definieren und strukturell weiterentwickeln. Mit der Erlassung des neuen Gesetzes sowie Änderungen des Bundes-Verfassungsgesetzes, des Wehrgesetzes und des Meldegesetzes will die Bundesregierung auf eine Vielfalt von Krisenszenarien und eine zunehmend von globalen Rahmenbedingungen abhängige Gefahrenlage reagieren. Die Regierungsvorlage konnte den Innenausschuss passieren, da eine einfache Mehrheit für die Beschlussfassung im Ausschuss auch für verfassungsrechtliche Bestimmungen ausreichend ist. Eine für das Nationalratsplenum notwendige Zweidrittelmehrheit zeichnet sich jedoch nicht ab.

Konkret vorgesehen sind die Schaffung von ressortübergreifenden Fachgremien, eines Bundes-Krisensicherheitskabinetts und die Einrichtung eines Bundeslagezentrums im Innenministerium sowie die Benennung von Kontaktstellen zur raschen Koordination im Krisenfall. Zudem beinhaltet das B-KSG die gesetzliche Definition eines Bundes-Krisenfalls, die Festlegung eines Verfahrens zur Ausrufung und Beendigung einer Krise, die Einrichtung eines/einer Regierungsberater:in im Bundeskanzleramt samt Stellvertreter:in und Beratungsgremium sowie eine Erweiterung der Aufgaben des Bundesheeres (2084 d.B.).

ÖVP und Grüne brachten im inhaltlichen Zusammenhang einen weiteren Antrag ein, der auf die Überführung des während der COVID-19-Pandemie eingerichteten "COVID-19-Lagers" in ein allgemeines Bundeskrisenlager für den Gesundheitsbereich abzielt. Im Bedarfsfall soll dieses einen Ausgleich von kurzfristigen Einschränkungen in der Versorgung mit Schutzausrüstung und sonstigen krisenrelevanten Gütern für den Gesundheitsbereich ermöglichen. Der Anwendungsbereich betrifft laut Antrag alle Krisen im Zusammenhang mit dem Auftreten einer respiratorischen Erkrankung, aufgrund derer eine Gefährdung des Gesundheitssystems zu befürchten ist. Soweit es für die zweckmäßige Lagerhaltung oder zur Bekämpfung einer anderen Krise erforderlich ist, könne der bzw. die Verteidigungsminister:in im Einvernehmen mit dem BMSGPK nicht mehr benötigte Güter jedoch unentgeltlich abgeben. Die Koalition sieht eine Befristung des Gesetzes bis 31. Dezember 2024 vor. Auch dieses wurde mit einer Stimmenmehrheit von ÖVP und Grünen angenommen.

Opposition sieht Gesetz als Fehlkonstruktion

Innenminister Gerhard Karner erläuterte im Ausschuss die Grundzüge des Krisensicherheitsgesetzes und verwies auf über 11.000 Stellungnahmen zur Materie, die zum Teil auch in die vorliegende Fassung eingeflossen seien.

Das Gesetz sei angesichts der "krisenanfälligeren Weltlage" eine Notwendigkeit, um den österreichischen Staat resilienter zu machen, damit dieser auch in Notsituationen effizient funktioniere, erklärte Johanna Jachs (ÖVP). Die verfassungsrechtlichen Änderungen ermöglichten dem Bundesheer, autarke Kasernen auszubauen und im Bedarfsfall Hilfe zu leisten. Wenn die Opposition ihre Zustimmung für die notwendige Zweidrittelmehrheit im Plenum verweigere, könnten diese Hilfeleistungen nicht in Anspruch genommen werden.

Auch eine Teilnahme des Bundesheeres bei Katastrophenübungen oder das Treffen von Vorsorgemaßnahmen seien dann nicht möglich, wie David Stögmüller (Grüne) ergänzte. Insbesondere gehe es beim Krisensicherheitsgesetz darum, bisher "undurchsichtige Prozesse" im Krisenmanagement zu klären und auch in der Definition, was eine Krise überhaupt ausmache, Klarheit zu schaffen. Die ins Gesetz eingeflossene Krisendefinition stütze sich auf wissenschaftliche Studien. Zudem werde der parlamentarischen Kontrolle mit der Einbeziehung des Hauptausschusses in die Feststellung bzw. Verlängerung einer Krise ein hoher Stellenwert eingeräumt, so Stögmüller. Außerdem habe man sich auch die im Gesetzwerdungsprozess eingegangenen Stellungnahmen "zu Herzen genommen" und so etwa die Rolle des Bundeskanzleramtes signifikant gestärkt.

Der Erstentwurf des Gesetzes sei angesichts der zahlreichen Stellungnahmen nur geringfügig adaptiert worden und die Koalition habe die Opposition lediglich ein einziges Mal für eine halbe Stunde inhaltlich konsultiert, warf SPÖ-Mandatar Reinhold Einwallner ein. Eine Zustimmung der Sozialdemokratie für die notwendige Zweidrittelmehrheit brauchten sich ÖVP und Grüne daher nicht erwarten. Das Bundesheer könne auch bereits jetzt in Krisenfällen eingesetzt werden und auch die Kasernen würden bereits in Richtung Autarkie ausgebaut, wie Verteidigungsministerin Tanner regelmäßig berichte.

Den Soldat:innen ihre bisherigen Leistungen abzusprechen sei eine "Frechheit dem Bundesheer gegenüber", sagte NEOS-Wehrsprecher Douglas Hoyos-Trauttmansdorff. Auch er bemängelte, dass die Koalitionsparteien nicht auf die Opposition zugegangen seien, obwohl man aus der COVID-19-Pandemie gelernt haben müsste, dass Krisen nur gemeinsam zu bewältigen seien. Hoyos-Trauttmansdorff äußerte zudem seine Zweifel, dass der vorgesehe Regierungsberater für Krisenfälle unabhängig besetzt werde.

Ähnliche Kritikpunkte bezüglich der Einbeziehung der Opposition und der Aufgabenerweiterung des Bundesheeres brachte auch Hannes Amesbauer (FPÖ) ein. Besonders stieß er sich an der seiner Ansicht nach unbestimmten Definition eines Krisenfalls. Mit der vorliegenden Bestimmung hätte die Regierung angesichts von Pandemie, Ukraine-Krieg, Teuerung und Massenmigration seit 2020 durchgehend den Krisenzustand ausrufen können. Amesbauer warnte in diesem Zusammenhang vor der Ermöglichung einer "Ausschaltung des Parlaments" im Krisenfall und bezeichnete die neu einzurichtenden Gremien als "sinnlose Bürokratie".

Georg Bürstmaye (Grüne) und Wolfgang Gerstl (ÖVP) widersprachen Amesbauer vehement. Das Gesetz und insbesondere die Krisendefinition seien bewusst so spezifisch ausgestaltet worden, dass demokratiepolitische Bedenken ausgeräumt werden könnten, hielt Gerstl fest.

Eckpunkte des Krisensicherheitsgesetzes

Dem laut Bundesregierung zunehmenden Bedarf an ressortübergreifender Abstimmung relevanter Akteure bei der Krisenvorsorge und -bewältigung sollen mehrere strukturelle Maßnahmen Rechnung tragen. Neben der Einrichtung ressortübergreifender Fachgremien, eines Koordinationsgremiums und eines Bundes-Krisenkabinetts unter der Leitung des/der Bundeskanzler:in, sieht das B-KSG die Verpflichtung der zuständigen Mitglieder der Bunderegierung vor, die notwendigen Vorkehrungen für ein effektives Krisenmanagement zu treffen. Dazu zählen die Erstellung von Krisenplänen und die Benennung permanenter Kontaktstellen, die eine rasche Koordination betroffener Behörden und Einrichtungen in Krisenfällen sicherstellen und auch außerhalb von Krisenzeiten einen regelmäßigen Austausch gewährleisten. Zur Bereitstellung ausreichender räumlicher und technischer Ressourcen soll mit dem B-KSG auch die dauerhafte Einrichtung eines ressortübergreifenden Bundeslagezentrums für die Bundesregierung im Innenministerium gesetzlich verankert werden.

Für eine rasche Handlungsfähigkeit im Krisenfall ist laut Erläuterungen außerdem die gesetzliche Definition einer Bundeskrise sowie eines Verfahrens zur Ausrufung und zur Beendigung einer solchen wesentlich. Dieses soll über den Verordnungsweg erfolgen, wobei zur Krisenfeststellung ein Einvernehmen mit dem Hauptausschuss des Nationalrats hergestellt werden muss. Eine Krise liegt laut B-KSG dann vor, wenn eine "Gefahr außergewöhnlichen Ausmaßes" für das Leben oder die Gesundheit der Bevölkerung oder eines großen Personenkreises, für die öffentliche Gesundheit, Ordnung oder Sicherheit, für die nationale Sicherheit, die Umwelt oder für das wirtschaftliche Wohl der Republik vorliegt und deren Abwehr oder Bewältigung unverzügliche Maßnahmen im Zuständigkeitsbereich des Bundes dringend erforderlich macht.

Das Verfassungsgesetz sowie das Wehrgesetz werden durch die vorgesehene Erweiterung der Aufgaben des Bundesheeres berührt. Dieses soll künftig Assistenzleistungen im Krisenfall sowie Präventionsmaßnamen erbringen können. Zur Sicherstellung eines gesamthaften strategischen Überblicks umfasst das B-KSG weiters die Einrichtung einer/eines neutralen, von Ressortaufgaben losgelösten Regierungsberaterin bzw. Regierungsberaters sowie einer/eines Stellvertreter:in und eines Beratungsgremiums im Bundeskanzleramt. Eine Änderung des Meldegesetzes soll außerdem im Krisenfall die Durchführung einer Verknüpfungsanfrage im Zentralen Melderegister (ZMR) zur Erlangung persönlicher Kontaktdaten ermöglichen. (Fortsetzung Innenausschuss) wit