Parlamentskorrespondenz Nr. 743 vom 27.06.2023

Karner rechnet mit weiterer Verlängerung des Vertriebenen-Status für Ukrainer:innen

Aktuelle Aussprache im Menschenrechtsausschuss des Nationalrats, Oppositionsanträge vertagt

Wien (PK) – Das Thema Asyl, die Zunahme von Hassverbrechen gegen LGBTIQ-Personen, die Zukunft der in Österreich lebenden Vertriebenen aus der Ukraine und die neue Beschwerdestelle gegen Polizeigewalt standen heute im Mittelpunkt einer Aktuellen Aussprache mit Innenminister Gerhard Karner im Menschenrechtsausschuss des Nationalrats. Karner rechnet damit, dass der Vertriebenenstatus für Ukrainer:innen, der noch bis Ende Februar 2024 gilt, auf EU-Ebene ein weiteres Mal verlängert wird, auch wenn er die Hoffnung noch nicht aufgegeben hat, dass der Krieg bis dahin zu Ende ist. Außerdem wolle die Regierung Ukrainer:innen, die auch über Kriegsende hinaus in Österreich bleiben möchten, eine Perspektive bieten. Dazu soll im Sommer bzw. Frühherbst ein Vorschlag vorliegen, kündigte Karner an. Es sei zu erwarten, dass rund die Hälfte der Betroffenen hier blieben könnte.

Was die Frage einer etwaigen Zuerkennung eines Flüchtlingsstatus für den Chef der Söldnergruppe Wagner Jewgeni Prigoschin betrifft, meinte Karner, seine gestrigen Aussagen dazu seien "sehr verkürzt dargestellt worden". Für Kriegsverbrecher könne das Asylrecht selbstverständlich in keiner Weise angewendet werden, betonte er und verwahrte sich gegen eine "bewusste Missinterpretation" von Seiten der Abgeordneten. Karner war von SPÖ-Abgeordnetem Hermann Troch auf dieses Thema angesprochen worden.

Vom Ausschuss vertagt wurden Oppositionsanträge zu den Themenbereichen Asyl und Grundrechte.

Asyl: Deutlich mehr Schnellverfahren und Außerlandesbringungen

Was die Themen Asyl und Bekämpfung von Schlepperei betrifft, wiederholte Karner auf Fragen der Abgeordneten Martin Engelberg (ÖVP), Johann Weber (ÖVP), Petra Wimmer (SPÖ), Ewa Ernst-Dziedzic (Grüne) und Stephanie Krisper (NEOS) seine vergangene Woche im Innenausschuss getätigten Aussagen zur jüngsten Einigung auf EU-Ebene, bezüglich einer Zusammenarbeit mit Ungarn, zu unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen und zum Bootsunglück in Griechenland (siehe Parlamentskorrespondenz Nr. 711/2023). Gleiches gilt für Fragen von Hans Stefan Hintner (ÖVP) in Bezug auf Maßnahmen zur Attraktivierung des Polizeiberufs.

Ergänzend informierte er die Abgeordneten über einen Anstieg bei Rückführungen und Außerlandesbringungen von Fremden im vergangenen Jahr. Heuer sind ihm zufolge bisher – mit Stand Mai 2023 – 4.800 Außerlandesbringungen erfolgt. Auch habe es noch nie so viele Eil- und Schnellverfahren für Asylwerber:innen gegeben. Rund 23.000 Verfahrensentscheidungen seien 2022 auf diesem Weg erfolgt.

Was Abschiebungen nach Afghanistan betrifft, meinte Karner in Richtung der Grün-Abgeordneten Ernst-Dziedzic und Georg Bürstmayr, warum man etwa einen Talib nicht nach Afghanistan abschieben können soll. Ihm sei bewusst, dass es dafür mangels Abkommen mit den Taliban noch keine entsprechende Grundlage gebe, man müsse dieses Thema aber auf EU-Ebene diskutieren und vorantreiben. Zudem gebe es auch freiwillige Rückführungen nach Afghanistan und Syrien. Dänemark hat laut Karner das Projekt zur Zusammenarbeit mit Ruanda in Sachen Asylverfahren in Drittstaaten noch nicht ad acta gelegt, es sei Dänemark aber ein Anliegen, das auf breitere Beine zu stellen und auch andere EU-Länder einzubinden.

Bericht über Hassverbrechen 2022 soll im Juli vorliegen

Auch in Bezug auf die Einrichtung einer Beschwerdestelle gegen Polizeigewalt, das Thema "Bundestrojaner" und die mutmaßlichen Anschlagspläne gegen die Pride-Parade in Wien wiederholte Karner seine Aussagen von vergangener Woche. Es sei ihm ein wesentliches Anliegen, Maßnahmen gegen die zunehmenden Hassattacken gegen die LGBTIQ-Community zu ergreifen, versicherte er gegenüber Ernst-Dziedzic und SPÖ-Abgeordnetem Mario Lindner. Ein umfangreicher Bericht zum Thema "Vorurteilskriminalität" soll laut Sektionschef Mathias Vogl rund um den 22. Juli veröffentlicht werden, daraus wird auch die Zahl der Hassverbrechen im vergangenen Jahr hervorgehen. Über das Thema habe man sich auch beim gestrigen Roundtable im Justizministerium umfassend ausgetauscht, berichtete dieser.

Von Seiten der Abgeordneten hatte sich Georg Bürstmayr (Grüne) davor skeptisch gezeigt, was die Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten betrifft. Seine Fraktionskollegin Ewa Ernst-Dziedzic verwies auf wiederholte Warnungen von UN-Menschrechtskommissar Volker Türk, Flüchtlinge angesichts der dortigen Lage nach Afghanistan abzuschieben. Petra Wimmer (SPÖ) hielt fest, das "spurlose Verschwinden" eines Großteils der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge sei ein Problem, das nicht ignoriert werden könne. Gudrun Kugler (ÖVP) hob hervor, dass auf illegalen Migrationsrouten eine große Gefahr der Ausbeutung von Flüchtlingen bestehe. Stephanie Krisper (NEOS) äußerte erhebliche Zweifel daran, dass sich durch die Einigung auf EU-Ebene konkret etwas verbessern wird.

Die in der vergangenen Woche vom Innenausschuss abgesegnete Beschwerdestelle gegen Polizeigewalt (siehe dazu Parlamentskorrespondenz Nr. 717/2023) wurde von den Abgeordneten Werner Herbert (FPÖ) und Melanie Erasim (SPÖ) zum Thema gemacht, allerdings mit unterschiedlichen Zugängen. So bekräftigte Herbert seine Kritik, dass die Exekutive durch die neue Stelle unter Generalverdacht gestellt werde, ohne dass diese einen Mehrwert für die Bevölkerung habe. Auch Polizist:innen seien Menschen und hätten Menschenrechte, meinte er. Erasim bedauerte demgegenüber, dass die Stelle im Sinne einer Stärkung der Unabhängigkeit nicht bei der Volksanwaltschaft oder beim Rechnungshof angesiedelt wird.

Ausschussvorsitzender Nikolaus Scherak (NEOS) wandte sich dezidiert gegen eine erneute Diskussion über den "Bundestrojaner". Der Verfassungsgerichtshof habe einen solchen zu Recht als unzulässig erklärt, da man mit der Installierung einer entsprechenden Software auf Handys tief in den höchstpersönlichen Lebensbereich von Personen eingreife. Er verstehe nicht, warum Innenminister Karner das Thema in Zusammenhang mit den möglichen Anschlagsplänen auf die Pride-Parade erneut aufs Tapet gebracht habe, zumal das mutmaßliche Attentat auch ohne Bundestrojaner verhindert worden sei, sagte er.

SPÖ und NEOS für Berücksichtigung der Gemeinden bei humanitärem Bleiberecht

Zum wiederholten Mal vertagt wurde ein Entschließungsantrag (1271/A(E)) von SPÖ und NEOS, in dem sie die Abschiebungen von drei Wiener Schülerinnen und deren Familienangehörigen nach Georgien bzw. Armenien verurteilen. Bei diesen "Härtefällen" sei gegenüber den völlig integrierten Menschen brutal und ungerechtfertigt vorgegangen worden, erläuterte Harald Troch (SPÖ). Gemeinsam mit Stephanie Krisper (NEOS) fordert er von der Bundesregierung, sich im Sinne der Menschenrechte zum humanitären Bleiberecht zu bekennen und die praktische Umsetzung zu überarbeiten. In Zukunft sollten im Verfahren über die Gewährung von humanitärem Bleiberecht die Länder bzw. Gemeinden von den Bundesbehörden verpflichtend angehört werden, um die lokalen Gegebenheiten berücksichtigen zu können, so der Vorschlag. Dass dies jüngst eingeschränkt wurde, wertete SPÖ-Mandatar Troch als "Fehlentscheidung". Auch wenn Bürgermeister:innen immer wieder gefordert sind, Stellung zu beziehen, habe die richterliche Entscheidung Vorrang vor subjektiven Stellungnahmen, gab Hans Stefan Hintner (ÖVP) zu bedenken. Der im Entschließungsantrag angeführte Fall "Tina" habe sich als rechtswidrig herausgestellt und zur Etablierung der Kindeswohlkommission geführt, sagte Georg Bürstmayr (Grüne). Die Zahl derartiger "Härtefälle" habe ihm zufolge in den letzten zwei Jahren abgenommen.

FPÖ für Verschärfung des Asylrechts

Erneut vertagt wurde auch ein FPÖ-Antrag zur Verschärfung des Asylrechts (3019/A(E)) vor Hintergrund der "Migrantenkrawalle" in der Halloweennacht in Linz. Gefordert wird die Schaffung rechtlicher Instrumente, um unkontrollierte Zuwanderung zu verhindern und Abschiebungen zu vereinfachen, führte FPÖ-Abgeordnete Susanne Fürst aus. Konkret geht es ihr etwa um ein Herabsetzen des notwendigen Strafmaßes zur Aberkennung des Asylstatus bei Asylberechtigten auf sechs Monate, eine sofortige Aberkennung bei einer rechtlichen Verurteilung, bei Widerstand gegen die Staatsgewalt sowie vergleichbaren Delikten, eine sofortige Beendigung des Asylverfahrens bei unwahren Angaben sowie eine Befristung und regelmäßige Überprüfung von Asylberechtigungen. Verschärfungen des Asylrechts könnten nur im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten erfolgen, entgegnete dazu Johann Weber (ÖVP). Faika El-Nagashi (Grüne) und Stephanie Krisper (NEOS) meinten angesichts des Vorfalls gelte es vielmehr im präventiven Bereich und bei der Integrationspolitik anzusetzen und zu hinterfragen, warum die jugendlichen Burschen aus dem sozial schwachen Milieu zu Gewaltbereitschaft neigen. Laut Innenminister Gerhard Karner sei es nach den Vorfällen zu einzelnen rechtskräftigen Verurteilungen und der Einleitung von Asyl-Aberkennungsverfahren kommen.

NEOS-Initiative zur Novellierung des Fluggastdatengesetzes

Das auf einer EU-Richtlinie basierende Bundesgesetz über die Verarbeitung von Fluggastdaten (PNR-Gesetz) werten die NEOS wegen der Vorratsdatenspeicherung von Passagier:innen als einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Privatsphäre der Bürger:innen und fordert daher dessen Novellierung (3196/A(E)). In einem Auslegungsurteil des Europäischen Gerichtshofs in Bezug auf Belgien sei die PNR-Richtlinie hinsichtlich des Schutzes personenbezogener Daten kritisiert worden, erklärte NEOS-Mandatar Nikolaus Scherak. Bei der österreichischen Gesetzesauslegung sollte sich die Anwendung bei EU-Flügen auf das absolut Notwendige beschränken und etwa die Speicherdauer enger ausgelegt werden. Die Grenzen für den Vollzug der RNR-Richtlinie seien vom EuGH klar dargestellt worden, meinte auch Georg Bürstmayr (Grüne). Im Innenressort sei das Ergebnis mit der nationalen Regelung verglichen worden, welche großteils konform sei, sagte Gudrun Kugler (ÖVP) und informierte darüber, dass für kleine Korrekturen eine Novelle in Vorbereitung sei, was der NEOS-Antragsteller begrüßte. Der Antrag wurde vertagt.

NEOS gegen Gesichtserkennungssoftware im öffentlichen Raum

Die NEOS sehen das Risiko einer übermäßigen staatlichen Kontrolle aufgrund der weitreichenden technologischen Möglichkeiten der Digitalisierung. Speziell setzen sie sich für ein europaweites Verbot des Einsatzes von Software zur automatisierten und massenhaften Gesichtserkennung im öffentlichen Raum ein (1793/A(E)). Unter Bezugnahme auf einen Bericht von Amnesty International verweisen sie auf das hohe Risiko der Diskriminierung bereits marginalisierter Gruppen durch die Anwendung dieser Software. Der Einsatz automatisierter Gesichtserkennungssoftware sei sowohl bei live-Bildern als auch bei (Vorrats-)Datenspeicherung schwierig und fehleranfällig, sagte Nikolaus Scherak (NEOS). Zu befürchten sei eine Beschneidung der individuellen Grundrechte, speziell des Rechts auf Privatsphäre. Diese Einschätzung teilte Ewa Ernst-Dziedzic (Grüne). Es sei erwiesen, dass der massenhafte Einsatz derartiger Software nicht zu zielgerichteter Verfolgung führe, sondern lediglich in die Breite gehe. Durch die Entwicklung künstlicher Intelligenz (KI) habe die Thematik an zusätzlicher Brisanz gewonnen, meinte Peter Weidinger (ÖVP). Diesen Herausforderungen müsse man sich stellen, den zur Diskussion stehenden Antrag wertete er aber als überschießend. Melanie Erasim (SPÖ) hob positiv hervor, dass die Thematik auf EU-Ebene der Telekommunikations-Minister:innen verhandelt werde. Dies würde Objektivität gewährleisten und nicht ausschließlich auf sicherheitspolitische Aspekte fokussieren. Für Innenminister Gerhard Karner ist in dieser Hinsicht eine ausgewogene Regelung wichtig, die der Polizei die Möglichkeiten gibt, um für Sicherheit zu sorgen. Der Menschenrechtsausschuss vertagte auch diesen Entschließungsantrag. (Schluss) gs/fan