Parlamentskorrespondenz Nr. 297 vom 22.04.2025

"Pause" für Familienzusammenführung passiert Innenausschuss

Wien (PK) – Nachdem der Innenausschuss in seiner letzten Sitzung die von der Koalition vorgeschlagene "Pause" bei der Familienzusammenführung einhellig in Begutachtung schickte, sprach er sich heute mehrheitlich für den entsprechenden Initiativantrag der Regierungsparteien aus. Unter Berücksichtigung eines Abänderungsantrags stimmten ÖVP, SPÖ und NEOS für die Änderung des Asylgesetzes, die es der Bundesregierung ermöglichen soll, die Bearbeitung von Anträgen auf Familienzusammenführung per Verordnung vorübergehend auszusetzen (167/A).

Für Innenminister Gerhard Karner stellt die Novelle einen wesentlichen Schritt zur Entlastung insbesondere des österreichischen Bildungssystems dar. Als "richtiges Signal" sehen sie die Koalitionsparteien. Die FPÖ bezeichnete die Gesetzesänderung hingegen als "Placebo", durch welches die wahren Probleme im Asyl- und Migrationsbereich nicht gelöst würden. Die Grünen zweifelten grundsätzlich an der Notwendigkeit der Novelle und führten rechtsstaatliche Bedenken ins Feld.

Keine Mehrheit fanden die Vorstöße der Opposition zu diesem Thema. Der FPÖ geht es um einen sofortigen und permanenten Stopp der Familienzusammenführung (83/A(E)), während die Grünen auf eine EU-rechtskonforme Regelung in derselben Frage pochen (162/A(E)).

Mit den Stimmen von ÖVP, SPÖ und NEOS vertagt wurden zudem zwei weitere FPÖ-Initiativen. Darin fordern sie einerseits eine "Asylstopp-Novelle" des Asylgesetzes (179/A) und andererseits die Erlassung der asylgesetzlichen Notverordnung (60/A(E)).

Gesetzesänderung für Koalition "richtungsweisend", für FPÖ "Placebo", für Grüne nicht notwendig

Österreich sei in den letzten Jahren besonders stark durch die Familienzusammenführung belastet gewesen, erklärte Innenminister Karner in seiner einleitenden Stellungnahme. In den vergangenen zwei Jahren seien mehr als 17.000 Schutzberechtigte nach Österreich "nachgezogen", viele davon schulberechtigte Kinder. Dies habe besonders in Wien zur Überlastung des Bildungssystems aber auch zu einer "massiven Steigerung" der Jugendkriminalität geführt, so Karner. Daher habe die Bundesregierung bereits im letzten Jahr unterschiedliche Maßnahmen gesetzt, wie den verstärkten Einsatz von DNA-Tests und Dokumentenprüfungen, wodurch eine "drastische Reduktion" der Nachzüge gelungen sei. In der nun vorliegenden Novelle des Asylgesetzes seien aus den Stellungnahmen abgeleitete "legistische Weiterentwicklungen" per Abänderungsantrag eingearbeitet worden, um das Aussetzen der Familienzusammenführung rechtlich abzusichern. In weiterer Folge soll laut Karner ein Kontingentsystem erarbeitet werden, das sowohl die Aufnahmekapazitäten der staatlichen Systeme als auch die Wahrung der durch die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte berücksichtigt.

Auf die Stellungnahmen ging auch Lukas Brandweiner (ÖVP) ein, der speziell jene der Stadt Wien hervorhob, die vom Familiennachzug "am härtesten betroffen" sei und den Gesetzesentwurf  "ausdrücklich begrüßt". Laut seinem Fraktionskollegen Andreas Minnich gehe man mit der Gesetzesänderung "neue Wege", wodurch Österreich nun im "Spotlight Europas" stehe. Für Robert Laimer (SPÖ) ist die Novelle "richtig und richtungsweisend". Sie setze "die richtigen Signale", um den gesellschaftlichen Zusammenhalt nicht weiter zu schwächen.

Kritik kam insbesondere von Seiten der Freiheitlichen, die einen "diametral" anderen Zugang verfolge, wie Gernot Darmann (FPÖ) ausführte. Die Novelle sei ein "Placebo" und betreffe nur eine "Nebenfront des gesamten Asylchaos". Über die Familienzusammenführung seien 17.000 Personen nach Österreich gekommen, insgesamt seien es in den letzten vier Jahren jedoch 250.000 Migrant:innen gewesen. Wenn die Bundesregierung für das Aussetzen der Familienzusammenführung mit der Wahrung der inneren Sicherheit argumentiere, so könne sie dies erst recht zu Gunsten eines "absoluten Asylstopps" tun, erklärte Darmann. Dies sei auch den Koalitionsparteien klar, doch man "traue sich nicht drüber" und die Staatsgrenze bleibe weiterhin ein "offenes Tor". Darmann bemängelte außerdem, dass in die Novelle mit den Ausnahmeregelungen in Bezug auf die EMRK bereits eine "Handlungsanleitung für die Asylindustrie und Schleppermafia" eingebaut sei, um die Regelung zu umgehen. Ähnlich sah dies Reinhold Maier (FPÖ), für den die Gesetzesänderung lediglich "Symbolpolitik" darstellt.

Die FPÖ ignoriere mit ihren Forderungen den EU- und völkerrechtlichen Rahmen, hielten Maximilian Köllner (SPÖ) und Sophie Wotschke (NEOS) den Freiheitlichen entgegen. Abweichungen vom sekundären EU-Recht müssten verhältnismäßig und begründet sein, um auch vor Gerichten zu halten, erklärte Wotschke.

Aus einem anderen Blickwinkel kritisierte Agnes-Sirkka Prammer von den Grünen die Novelle. Laut ihr sei es fraglich, ob die zuständigen Vertretungsbehörden die richtigen Entscheidungsgrundlagen für die Anwendung der Ausnahmereglungen hätten und, ob ein Merkblatt für die Information nicht alphabetisierter Personen sinnvoll sei. Generell erschließe sich Prammer die Notwendigkeit der Novelle nicht, wie sie ausführte, da Innenminister Karner selbst erklärt habe, dass bereits wirkungsvolle Maßnahmen im Rahmen der vorhandenen Rechtslage getroffen worden seien. Zudem stelle es eine "massive Werteumkehrung" dar, wenn die Antragsteller:innen mit der Novelle begründen müssten, warum ihnen ein Grundrecht zustehe.

Prammer verkenne, dass Österreichs Aufnahmekapazitäten insbesondere im Bildungssystem erschöpft seien, entgegnete Andreas Minnich (ÖVP). 60 % der Schüler:innen in Wien pflegten eine andere Umgangssprache als Deutsch, ergänzte Sophie Wotschke (NEOS).

Staatsekretär Jörg Leichtfried betonte, dass es um einen Mittelweg zwischen Menschlichkeit und Ordnungsgedanken gehen müsse. Sowohl die Rechtsstaatlichkeit als auch der soziale Frieden müssten bei allen Maßnahmen gewahrt bleiben.

Asylgesetz-Novelle soll Familienzusammenführung temporär aussetzen

Die Novelle soll es der Bundesregierung ermöglichen, eine Verordnung zu erlassen, wodurch Anträge auf Familienzusammenführung weiterhin gestellt werden können sollen, die zuständigen Behörden sich jedoch nicht an die sechsmonatige Entscheidungsfrist halten müssten. Voraussetzung dafür wäre, dass die Bundesregierung im Einvernehmen mit dem Hauptausschuss des Nationalrats feststellt, dass die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und der Schutz der inneren Sicherheit gefährdet sind. Angeführt werden im Antrag auch einige Ausnahmefälle, die insbesondere Minderjährige oder andere Antragsteller:innen betreffen, bei denen das Recht auf Privat- und Familienleben laut EMRK "zwingend geboten" ist. Bei diesen soll die halbjährige Entscheidungsfrist auch während der Gültigkeit der in Rede stehenden Verordnung eingehalten werden müssen. Die Koalition beruft sich dabei auf Artikel 72 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Dieser ermöglicht es den Mitgliedstaaten von einzelnen Bestimmungen des sekundären Asylrechts der EU abzuweichen,  um den Schutz der öffentlichen Ordnung und der nationalen Sicherheit aufrecht zu erhalten. Die Regelung soll laut Antrag mit Ende September 2026 außer Kraft treten.

Im Ausschuss brachten die Koalitionsparteien dazu einen gesamtändernden Abänderungsantrag ein, der Präzisierungen und zusätzliche Übergangsregelungen enthält. So sollen auch Personen, deren Verfahren bereits vor Inkrafttreten einer entsprechenden Verordnung anhängig waren, die Möglichkeit erhalten, nachträglich darzulegen, warum in ihrem Fall aus Gründen des Schutzes des Familienlebens gemäß EMRK eine Ausnahme von der Fristenhemmung geboten sei. Zudem wird festgelegt, dass alle Antragsteller ein Merkblatt in verständlicher Sprache erhalten müssen, das sie über die neuen Verfahrensregeln informiert. Auch bei der Beurteilung der Minderjährigkeit von Bezugspersonen – etwa in Fällen, in denen ein Elternteil zum minderjährigen Schutzberechtigten nachziehen möchte – wird klargestellt, dass der Zeitpunkt der Antragstellung maßgeblich ist, selbst wenn die Entscheidung erst nach Außerkrafttreten der Verordnung erfolgt.

FPÖ will generellen "Asylstopp"

Zwei weitere FPÖ-Initiativen wurden vertagt, darunter die Forderung nach einer "Asylstopp-Novelle" des Asylgesetzes. So stünde laut FPÖ-Mandatar Michael Schilchegger die Möglichkeit zur illegalen Einreise nach Österreich und in weiterer Folge der "Legalisierung des Aufenthalts durch Missbrauch des Asylrechts" weiterhin offen. Bereits gestellte Asylanträge sollten als nicht eingebracht gelten und Antragsteller:innen zurückzuführen seien, sofern ihr weiterer Aufenthalt im Bundesgebiet nicht gerechtfertigt ist. Österreich sei immerhin ausschließlich von sicheren Ländern umgeben, so die Antragsbegründung.Ebenfalls vertagt wurde die FPÖ-Forderung nach der Erlassung der asylgesetzlichen Notverordnung, um "illegale Massenmigration" durch Hinderung an der Einreise bzw. Zurückweisungen zu unterbinden.

Schilchegger teilte Innenminister Karners Befund der Überlastung des Schulsystems und verwies zusätzlich auf Herausforderungen im Sicherheitsbereich und im Gesundheitssystem. Ein "Asylstopp" – und nicht nur ein Aussetzen der Familienzusammenführung  - wäre daher ein "Gebot der Stunde". Denn auch der Attentäter von Villach sei nicht über die Familienzusammenführung, sondern als Asylwerber nach Österreich gekommen, gab Schilchegger zu bedenken.

Inhaltlich sah sich Wolfgang Gerstl (ÖVP) in dieser Frage nicht weit von den Freiheitlichen entfernt. Die ÖVP unterscheide sich jedoch "strikt" hinsichtlich der Umsetzung der politischen Ziele. Wenn Anträge von Fremden als nicht eingebracht gelten sollen "hört sich der Rechtsstaat auf", so Gerstl. In dieser Formulierung der FPÖ komme zum Ausdruck, dass ihnen die Menschenrechte "im Grunde egal" seien.

Schilchegger wies diesen Vorwurf entschieden zurück und erklärte, dass mit der Formulierung lediglich ausgedrückt werden soll, dass Österreich für die Bearbeitung der betreffenden Asylanträge nicht zuständig sei.

Auch das müsse jedoch erst in einem Verfahren festgestellt werden, entgegnete Agnes Sirkka Prammer (Grüne). Wenn Anträge von bestimmten Personengruppen als nicht eingebracht gelten sollen, könne sich dieses Prinzip künftig auch auf andere Personengruppen wie Arbeitslose ausweiten. Eine solche Praxis dürfe man "nicht einreißen lassen", so Prammer. Auch Maximilian Köllner (SPÖ) betonte bei allen Problemen des Asylsystems die Gültigkeit des Unions- und des Völkerrechts.

ÖVP und Grüne machten sich "lächerlich", wenn sie der FPÖ Grenzüberschreitungen unterstellen, konstatierte Gernot Darmann (FPÖ). Eine Formulierung wie jene im Antrag seiner Fraktion finde sich etwa im Verwaltungsrecht "überall". Zudem erwarte sich die Bevölkerung ein "konsequentes und rigoroses" Handeln, so Darmann. (Schluss) wit/fan