Vorparlamentarisches Begutachtungs­verfahren

Wissenswertes zum vorparlamentarischen Begutachtungsverfahren

Vorparlamentarisches Begutachtungs­verfahren

Ein Ministerialentwurf ist ein Gesetzentwurf, der in einem Bundesministerium ausgearbeitet wurde. Dieser wird vor der Behandlung im Parlament einem vorparlamentarischen Begutachtungsverfahren unterzogen.

Dabei fordert das jeweils zuständige Bundesministerium andere Bundesministerien, Landesregierungen sowie Interessenvertretungen auf, binnen einer bestimmten Frist Stellungnahmen abzugeben. Während dieser Zeit können auch alle Bürger:innen und sonstige Organisationen über die Website des Parlaments Stellungnahmen abgeben.

Ministerialentwürfe und die dazu abgegebenen Stellungnahmen werden auf der Website des Parlaments veröffentlicht. Zu allen Ministerialentwürfen können Sie bis zum Ende der Begutachtungsfrist eine Stellungnahme abgeben. Wenn Sie keine eigene Stellungnahme schreiben wollen, können Sie Stellungnahmen anderer auch unterstützen.

Nach Ablauf der Begutachtungsfrist wird der Ministerialentwurf üblicherweise vom zuständigen Bundesministerium unter Zugrundelegung der Ergebnisse des Begutachtungsverfahrens überarbeitet. Erst dann behandelt der Ministerrat den vorgelegten Gesetzentwurf. Findet dieser die Zustimmung aller Regierungsmitglieder, wird er dem Parlament als Regierungsvorlage übermittelt.

Alle Begutachtungsentwürfe finden Sie auch im Rechtsinformationssystem des Bundes (RIS).

Rechtsgrundlagen

Der Nationalrat hat mit einer Entschließung am 16. Mai 2017 (200/E) die Grundlage für eine Teilnahmemöglichkeit aller Bürger:innen sowie Institutionen und Einrichtungen am sogenannten vorparlamentarischen Begutachtungsprozess eines Gesetzesvorhabens geschaffen.

Mit dem am 15. Juli 2024 in Kraft getretenen § 23b Abs. 3 und 4 GOG-NR wurde die gesetzliche Grundlage für die Veröffentlichung von Stellungnahmen im vorparlamentarischen Verfahren sowie eine gesetzliche Regelung zur datenschutzrechtlichen Verantwortlichkeit für den Inhalt von Stellungnahmen geschaffen (BGBl I Nr. 81/2024).

In diesem Begutachtungsverfahren können auch Stellen oder Personen, die nicht direkte Adressat:innen einer Einladung zur Begutachtung sind, zu Gesetzes­vorschlägen Stellungnahmen abgeben.

Wer wird zur Abgabe von Stellungnahmen eingeladen? Gibt es dafür rechtliche Vorgaben?

Es gibt keine gesetzliche Regelung des vorparlamentarischen Begutachtungsverfahrens auf Bundesebene (siehe Ausführungen zur seit 1999 in Kraft befindlichen Vereinbarung über einen Konsultationsmechanismus). Nur einzelne Bundesgesetze sehen vor, dass Gesetzentwürfe vor ihrer Einbringung in den Nationalrat bestimmten Institutionen – vor allem Kammern – zur Begutachtung vorzulegen sind. Beispiele sind etwa

§ 10 Wirtschaftskammergesetz: "(1) Gesetzentwürfe sind vor ihrer Einbringung in die gesetzgebende Körperschaft den jeweils zuständigen Kammern unter Einräumung einer angemessenen Frist zur Begutachtung zu übermitteln. [...]“

oder

§ 93 Arbeiterkammergesetz: "(2) Entwürfe von Gesetzen sind vor ihrer Einbringung in die jeweilige gesetzgebende Körperschaft der zuständigen Arbeiterkammer, wenn sie jedoch den Zuständigkeits­bereich einer Arbeiterkammer überschreiten, der Bundesarbeitskammer zur Stellungnahme, beziehungsweise Begutachtung, zu übermitteln. [...]“

Auch Standesvertretungen von freien Berufen werden für Entwürfe, die ihre Interessen berühren, auf gesetzlicher Ebene Begutachtungsrechte eingeräumt, etwa im Ärzte­gesetz (§§ 66c und 117e), in der Rechtsanwaltsordnung (§§ 28 und 36), der Notariatsordnung (§ 140a), dem Apothekerkammergesetz (§ 3) oder dem Tierärztekammergesetz (§ 3).

Begutachtungsrechte für Gesetzentwürfe, die die jeweiligen Interessen berühren, enthalten darüber hinaus auch so unterschiedliche Gesetze wie beispielsweise das Bundesgesetz vom 18. Juli 1924 betreffend das Verhältnis der land- und forstwirtschaft­lichen Hauptkörperschaften zu den Bundesbehörden (§ 1), das Hochschülerinnen- und Hochschülerschaftsgesetz (§ 4), das Bundesgesetz vom 6. Juli 1961 über äußere Rechtsverhältnisse der Evangelischen Kirche (§ 14), das Bundes-Gleich­behandlungsgesetz (§ 23, Begutachtungsrecht der Gleichbehandlungskommission), das Mediengesetz (§ 52, Begutachtungsrecht der kollektivvertragsfähigen Körper­schaften der im Medienwesen tätigen Arbeitnehmer und Arbeitgeber) und das Kraftfahr­gesetz (§ 130, Begutachtungsrecht des Kraftfahrbeirats).

Angemerkt sei dazu einerseits, dass in den gesetzlichen Bestimmungen jeweils generell von Gesetzesentwürfen (aber auch Verordnungsentwürfen) bzw. "Entwürfen von Gesetzen" die Rede ist. In der Praxis werden aber nur Gesetzentwürfe, die dem Nationalrat in der Folge von der Bundesregierung vorgelegt werden, zur vorparlamen­tarischen Begutachtung ausgesandt. Gesetzesanträge von Abgeordneten zum Nationalrat (Initiativanträge) oder Gesetzesanträge des Bundesrates werden nur in Ausnahmefällen in Begutachtung geschickt, allerdings erst nach ihrer Einbringung in den Nationalrat (siehe dazu die Ausführungen zum Thema Ausschussbegutachtung), bzw. seit August 2021 sind sie ja Gegenstand des parlamentarischen Begutachtungsverfahrens aufgrund von § 23b GOG-NR.

Weitere eingebundene Institutionen

In der Praxis werden weit über die gesetzlichen Verpflichtungen hinaus Institutionen zur Begutachtung von Ministerialentwürfen einge­laden. So werden diese jedenfalls an alle Bundesministerien versandt: Für das federführende Ressort ist es im Hinblick auf das Einstimmigkeitserfordernis im Ministerrat wichtig, über allfällige Einwände anderer Ressorts bereits möglichst frühzeitig informiert zu werden. Ebenso erhalten alle Ämter der Landesregierungen die Ministerial­entwürfe. Sie sind in der Folge ja auch in die Vollziehung vieler Gesetze eingebunden, und bundesrechtliche Vorschriften berühren auch die Länderinteressen.

Zudem sieht auch die seit 1999 in Kraft befindliche  Vereinbarung zwischen dem Bund, den Ländern und den Gemeinden über einen Konsultationsmechanismus und einen künftigen Stabilitätspakt der Gebietskörperschaften (BGBl. I Nr. 35/1999) eine Übermittlung von Gesetzentwürfen der Bundesministerien an die Ämter der Landes­regierungen, ebenso wie an die Verbindungsstelle der Bundesländer, den Öster­reichischen Gemeindebund und den Österreichischen Städtebund vor. Seit dem 2017 eingeführten erweiterten Begutachtungsverfahren werden zudem auch Stellungnahmen aufgenommen, die von Stellen oder Personen eingebracht wurden, die nicht direkte Adressaten der Begutachtung sind.

Stellungnahmen von Institutionen oder Privatpersonen, die nicht dazu eingeladen wurden

Mit Einführung des sogenannten erweiterten (vorparlamentarischen) Begutachtungs­verfahrens erhielten bereits im September 2017 auch nicht eingeladene Institutionen und Bürger:innen die Möglichkeit, Stellungnahmen zu Ministerialentwürfen auf einfache Weise über die Parlamentswebsite einzubringen. Zusätzlich konnten die Stellung­nahmen per Mausklick mit einer Zustimmungserklärung unterstützt werden. Die Abgabe einer Stellungnahme bzw. Zustimmung war bis zum Ende der jeweiligen Begutachtungs­frist möglich.

Wie heute galt als Voraussetzung jeweils die Vollendung des 14. Lebensjahres. Zudem mussten auch bisher die Stellungnahmen der Würde des Nationalrates entsprechen und durften nicht gegen das geltende Recht, insbesondere das Strafgesetzbuch, das Urheberrechtsgesetz und das Datenschutzrecht, verstoßen.

Mit dem Urteil des EuGH vom 16. Jänner 2024 im Vorabentscheidungsverfahren C-33/22, Österreichische Datenschutzbehörde wurde klargestellt, dass Datenverarbeitungen im Bereich der Gesetzgebung nicht nur vom Grundrecht auf Datenschutz (§ 1 DSG) erfasst sind sondern auch die DSGVO Anwendung findet. Mit den im BGBl I Nr. 81/2024 enthaltenen Änderungen im GOG-NR, welche am 15. Juli 2024 in Kraft getreten sind, hat der Gesetzgeber darauf reagiert und unter anderem auch das vorparlamentarische Begutachtungsverfahren sowie die Verantwortlichkeiten und die Rechte betroffener Personen gesetzlich geregelt.

Aber auch vor September 2017 war die Abgabe von Stellungnahmen auch für nicht eingeladene Institutionen und Bürger:innen möglich, da die zur Begutachtung ausge­sandten Ministerialentwürfe sowohl im RIS als auch auf der Parlamentswebsite (auf dieser auch die bereits dazu abgegebenen Stellungnahmen) online abrufbar sind bzw. waren. Dem ebenfalls online abrufbaren Begleitschreiben des aussendenden Bundes­ministeriums ist bzw. war auch die Adresse jener Organisationseinheit im Bundes­ministerium zu entnehmen, an die die Stellungnahmen (elektronisch) zu richten sind bzw. waren. Gleichzeitig war die abgegebene Stellungnahme an das Parlament zu übermitteln, wo sie auf der Seite des entsprechenden Ministerialentwurfs veröffentlicht wurde.

Gab eine Privatperson eine Stellungnahme ab, konnte diese – so wie auch heute – auf der Parlamentswebsite jeweils nur dann veröffentlicht werden, wenn die Person dem ausdrücklich zustimmte.

Veröffentlichung von Ministerial­entwürfen und Stellungnahmen auf der Parlamentswebsite

Warum werden Ministerialentwürfe und Stellungnahmen, die keine parlamentarischen Dokumente, sondern solche des vorparlamentarischen Verfahrens sind, auf der Parlamentswebsite veröffentlicht? Dazu zunächst ein kurzer Blick zurück in die Geschichte:

Um eine frühzeitige Infor­mation der Abgeordneten über eine bevorstehende Gesetzesinitiative der Regierung sicherzustellen, hat der Nationalrat bereits im Jahr 1961 (im Zusammenhang mit dem Beschluss des damaligen Geschäftsordnungsgesetzes 1961) eine Entschließung verabschiedet, in der die Bundesregierung ersucht wurde, darauf hinzuwirken, dass

  • die an die vorberatenden Körperschaften und Zentralstellen zur Begutachtung versendeten Gesetzesentwürfe von den mit der Ausarbeitung befassten Bundes­ministerien dem Präsidium des Nationalrates künftig in solcher Zahl übermittelt werden, dass sowohl die Mitglieder und Ersatzmitglieder des zuständigen Ausschusses des Nationalrates als auch die parlamentarischen Klubs damit beteilt werden können, und dass
  • auch die Stellungnahmen zu Gesetzentwürfen, die insbesondere von den Landes­regierungen und Interessenvertretungen bei den zuständigen Bundesministerien einlangen, in der gleichen Anzahl dem Präsidium des Nationalrates zugeleitet werden.

In der Folge wurden dem Präsidium des Nationalrates von jedem ausgesendeten Ministerialentwurf jeweils zunächst 20, später 25 Stück übermittelt, und die zur Stellung­nahme eingeladenen Stellen wurden ersucht, von ihrer Stellungnahme ebenso viele Exemplare dem Präsidium des Nationalrates zukommen zu lassen.

1998 wurde dann von der Präsidialkonferenz empfohlen, dass Gesetzentwürfe und Stellungnahmen in Hinkunft der Parlamentsdirektion nach Möglichkeit auf elektro­nischem Weg übermittelt und von dieser EDV-mäßig in einer Datenbank verwaltet werden sollen, wobei (neben einer nach Ressorts gegliederten Übersicht) der jeweilige Gesetzentwurf und die eingelangten Stellungnahmen im Volltext ausdruckbar sein sollen. (Die elektronische Übermittlung konnte allerdings vorerst – wie einem Rund­schreiben des BKA-VD zu entnehmen ist – die bisherige Form der Übermittlung in 25 Ausfertigungen nicht ersetzen; diese entfiel erst ab der XXIII. Gesetz­gebungs­periode.) Seit dem Jahr 2000 erfolgt eine Veröffentlichung im Internet.

Auf der Parlamentswebsite sind nunmehr unter „Beteiligung und Stellungnahmen" auch Ministerialentwürfe und Stellungnahmen ab dem Jahr 1996 abrufbar. Darüber hinaus wurden (so wie ein großer Teil der parlamentarischen Materialien) auch Ministerial­entwürfe und Stellungnahmen aus der Zeit vor 1996 (bis zurück zur XIV. Gesetz­gebungsperiode) digital rückerfasst und elektronisch abrufbar gemacht.

Details zur historischen Entwicklung des Begutachtungs­verfahrens

Bereits im Dezember 1848 – also vor mehr als 170 Jahren – sah ein Erlass des Ministeriums für Handel, Gewerbe und öffentliche Bauten vor, dass die Handels­kammern "über neue Gesetze und Verordnungen in Gewerbs- und Handelsangelegen­heiten, bevor dieselben erlassen, oder die bestehenden wesentlich abgeändert werden, um ihr Gutachten zu vernehmen" sind. Der Arbeiterkammer wurde bei deren Schaffung im Jahr 1920 ein entsprechendes Begutachtungsrecht eingeräumt.

Zur schrittweisen Entwicklung des Begutachtungsrechts sei auf den Artikel „Zur Praxis des Begut­achtungsverfahrens im Prozess der Bundesgesetzgebung" von Heinz Fischer (ÖZP 1972, S. 35ff.) verwiesen, der im abschließenden Kapitel schreibt: „Die Institution der Begutachtung von Gesetzentwürfen der Bundesgesetzgebung – [...] – reicht in die vorkonstitutionelle Zeit der Monarchie zurück, erzielte aber erst mit der Kammer­gesetzgebung am Beginn der Ersten Republik einen wirklichen Durchbruch und mit der zunehmenden Macht der Interessenvertretungen in der Zweiten Republik beziehungs­weise mit der wachsenden Bedeutung des Gesetzgebungsverfahrens in den letzten zehn Jahren ihre heutige Relevanz, [...]".