Nationalrat, XXII.GP Stenographisches Protokoll 96. Sitzung / Seite 135

Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite

mir wirklich vorgekommen, ich sage es Ihnen nicht, wie ich mir vorgekommen bin –: Aus mir ist auch etwas geworden und aus meinem Buben auch!

Einer, der von den Nazis als Asozialer am Spiegelgrund mit Injektionen durch Herrn Dr. Gross und so weiter behandelt wurde, glaubt, sich 60 Jahre, nachdem das alles vorbei ist, mir gegenüber noch rechtfertigen und sagen zu müssen: Aus mir und aus meinen Kindern ist auch etwas geworden.

Wissen Sie, wofür das spricht? – Dafür, dass wir in dieser Republik nichts, aber auch gar nichts getan haben, um das mit den „Asozialen“ – zwischen Anführungszeichen – aufzuarbeiten. Es ist so. Sie wissen genauso gut wie ich, dass die Begriffe auch in der Republik herumgeistern und lange herumgegeistert sind. Und wenn sich sogar einer, der es dann geschafft hat, ein Buch über seine schrecklichen Erlebnisse zu schreiben, noch immer beschwert gefühlt hat und glaubt, sich rechtfertigen zu müssen – aus ihm ist etwas geworden, obwohl er ein Asozialer war, jedenfalls für einen Asozialen gehal­ten wurde –, dann, sage ich Ihnen, ist nach wie vor nichts in Ordnung.

Und wenn Sie, Herr Kollege Haupt, sagen, im Nationalfondsgesetz sind sie drinnen, dann beantworten Sie mir bitte die Frage: Warum sind dann nicht alle Opfer des Natio­nalsozialismus im Opferfürsorgegesetz drinnen? Warum dort, aber nicht da? Das ist Diskriminierung, anhaltende Diskriminierung, die es gibt!

Ich kann nicht sagen, im Opferfürsorgegesetz gibt es dann auf einmal nur einge­schränkt Opfer – aber sicher nicht! –: Die Asozialen waren keine Opfer, die Homosexu­ellen waren keine Opfer, die Deserteure waren auch keine Opfer. – Das ist Diskrimi­nierung! Machen Sie sich da nichts vor.

Wenn Sie das weiter betreiben wollen, dann ist das zwar nicht Ihr gutes Recht, aber dann ist es Ihre Verantwortung. Aber gut und eine Aufarbeitung der nationalsozialis­tischen Schulden ist das mit Sicherheit nicht. Ich könnte Ihnen aus diesem Buch (der Redner hält ein Buch in die Höhe) – das gibt es in der Parlamentsbibliothek – zitieren, wer und was von den Nazis für asozial gehalten wurde (Präsident Dr. Khol gibt das Glockenzeichen) – erschreckend, schlimm! –, und Sie könnten sich dann die Frage stellen, ob man sich gedanklich nicht auch dabei erwischt, dass man den einen oder die andere tatsächlich auch irgendwie für nicht normal hält. Genau da fängt das Problem an, und darum braucht es eine seriöse Aufarbeitung und eine Nichtdiskrimi­nierung aller Opfer – und das ist gefordert. (Beifall bei den Grünen und der SPÖ.)

16.48


Präsident Dr. Andreas Khol: Zum Wort ist dazu niemand mehr gemeldet. Die Debatte ist geschlossen.

Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Antrag der Abgeordneten Mag. Ul­rike Lunacek, Kolleginnen und Kollegen, dem Ausschuss für Arbeit und Soziales zur Berichterstattung über den Antrag 86/A der Abgeordneten Öllinger, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Opferfürsorgegesetz geändert wird, eine Frist bis 30. März 2005 zu setzen.

Ich bitte jene Damen und Herren, die für den Fristsetzungsantrag eintreten, um ein Zei­chen der Zustimmung. – Das ist die Minderheit. Der Fristsetzungsantrag wird daher nicht angenommen, sondern abgelehnt.

16.49.33Fortsetzung der Tagesordnung

 


Präsident Dr. Andreas Khol: Ich nehme die Verhandlungen über den Punkt 5 der Tagesordnung wieder auf.

 


Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite