21.08

Abgeordnete Angela Lueger (SPÖ): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Minister! Frau Ministerin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Österreich bekennt sich im Staats­bürgerschaftsrecht zu seiner Verantwortung für die Verbrechen während der NS-Zeit. Für Verfolgte selbst gibt und gab es bereits die Möglichkeit, aufgrund eines soge­nannten Sondererwerbstatbestands, die Staatsbürgerschaft zu erlangen. Das gab es aber nicht für die Nachkommen, und es gibt viel Kritik und oft Kritik daran, dass dem nicht so ist.

Die Initiative betreffend Forderung der Doppelstaatsbürgerschaft für Nachfahren von NS-Opfern wurde in Form eines Initiativantrags unserer Vorsitzenden Pamela Rendi-Wagner im Dezember des Vorjahres eingebracht. Warum im Dezember des Vorjah­res? – Ich kann mich gut erinnern, voriges Jahr war ein großes Gedenkjahr, in dem sich alle Parteien darauf verständigt haben, dass wir dieses Thema hier aufarbeiten. Was ist passiert? – Der Antrag ist dem Innenausschuss zugewiesen worden, ist dort von den damaligen Regierungsparteien ÖVP und FPÖ mit der Begründung, die Regie­rungsparteien arbeiten bereits an einem Entwurf und Bundesminister Kickl habe bereits einen Entwurf, vertagt worden. Dieser Entwurf ist uns weder bekannt gewesen, noch haben wir ihn bekommen. Dann ist die Regierung auf Initiative des Herrn Ex-Kanzlers Kurz explodiert – und nichts ist passiert.

Es gab dann drei Fristsetzungsanträge, drei Fristsetzungsanträge, die jedoch vom Inhalt her so kontroversiell waren, dass man sie in der Form nicht beschließen konnte. Das war dann auch der Grund dafür – da möchte ich mich beim Herrn Bundesminister sehr herzlich bedanken –, dass wir, da wir wussten, es gibt keine Sitzung des Innen­ausschusses, ein Gespräch im Ministerium hatten, mit der Aufforderung, aus diesen drei Anträgen einen kompatiblen, machbaren Antrag zu schaffen; ausgearbeitet auch mit der zuständigen Behörde, die das Ganze ja dann auch handeln muss. Es war immer das Ziel, eine gemeinsame Vorgehensweise zu erzielen, aber das war irgend­wie ein schwieriger Punkt. Daher haben wir, auch auf meine Initiative hin, noch einmal versucht, uns auch außerhalb des Ausschusses zusammenzusetzen und im Sinne der Verfolgten, im Sinne der Nachkommen eine Lösung zu finden.

Es ist gelungen, aber ich kann Ihnen sagen, wir haben vor zwei Stunden noch dis­kutiert, um zu einer Einigung zu kommen. Wir zäumen das Pferd – verzeihen Sie mir den Vergleich – jetzt zwar von hinten auf, denn Kollege Engelberg wird dann den ursprünglichen Abänderungsantrag einbringen. Ich bringe jetzt den weiter reichenden Abänderungsantrag ein, in dem es um Folgendes geht – ich muss ihn leider vorlesen –:

Abänderungsantrag

der Abgeordneten August Wöginger, Dr. Pamela Rendi-Wagner, MSc, Petra Steger, Dr. Nikolaus Scherak, Karl Mahrer, BA, Angela Lueger, Dr. Stephanie Krisper, Dr. Alfred Noll, Kolleginnen und Kollegen zum Antrag der Abgeordneten Dr. Pamela Rendi-Wagner, MSc, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 geändert wird, 536/A, TOP 20

Der Nationalrat wolle in zweiter Lesung beschließen:

Der oben zitierte Antrag (536/A, XXVI. GP) wird wie folgt geändert:

1. Vor Z 1 des Antrags wird folgende „Z 0“ eingefügt

„0. § 58c Abs. 1 lautet:

„(1) Ein Fremder erwirbt unter den Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z 2 bis 6 und 8 und Abs. 2 Z 1 und 3 bis 7 die Staatsbürgerschaft, wenn er der Behörde (§ 39) unter Bezugnahme auf dieses Bundesgesetz schriftlich anzeigt, sich als Staatsbürger oder Staatsangehöriger eines der Nachfolgestaaten der ehemaligen österreichisch-unga­rischen Monarchie oder Staatenloser jeweils mit Hauptwohnsitz im Bundesgebiet vor dem 15. Mai 1955 in das Ausland begeben zu haben, weil er Verfolgungen durch Organe der NSDAP oder der Behörden des Dritten Reiches mit Grund zu befürchten hatte oder erlitten hat oder weil er wegen seines Eintretens für die sozialdemokratische Republik Österreich - -“

Präsidentin Doris Bures: Die demokratische Republik.

Abgeordnete Angela Lueger (fortsetzend): Entschuldigung, „für die demokratische Republik Österreich Verfolgungen ausgesetzt war oder solche zu befürchten hatte.““

2. Nach Z 1 des Antrags wird folgende „Z 1a“ eingefügt

„1a. Nach § 58c Abs. 1a wird folgender „Abs. 1b“ eingefügt:

„(1b) Als Nachkommen gemäß Abs. 1a gelten auch Wahlkinder, die als Minderjährige an Kindesstatt angenommen wurden.““

3. Nach Z 2 des Antrags wird folgende „Z 2a“ eingefügt

„2a. Nach § 58c Abs. 4 wird folgender „Abs. 5“ eingefügt:

„(5) Die Behörde kann im Verfahren nach Abs. 1 bzw Abs. 1a den Nationalfonds der Republik Österreich zur Beurteilung der Nachvollziehbarkeit des Vorliegens der Vor­aussetzungen gemäß Abs. 1 und Abs. 1a als Sachverständigen beiziehen. Zu diesem Zweck ist der Nationalfonds ermächtigt, personenbezogene Daten einschließlich sen­sibler Daten dem Antragssteller und der Behörde zu übermitteln.““

*****

Ich hoffe, dass wir im Sinne der Antragsteller den Nachfahren hiermit geholfen haben, mit dem Wissen, dass es ein enormer Aufwand werden wird und auch schwierig für die Behörde sein wird – die anderen beiden Anträge werden dann Kolleginnen und Kolle­gen dieses Hauses einbringen –, ich hoffe aber trotz dessen auf ganz große Zustim­mung. (Beifall bei der SPÖ.)

21.15

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Abänderungsantrag

der Abgeordneten August Wöginger, Dr.in Pamela Rendi-Wagner, Petra Steger, Dr. Nikolaus Scherak, Karl Mahrer, B.A., Angela Lueger, M.A., Dr. Stephanie Krisper, Dr. Alfred Noll, Kolleginnen und Kollegen

zum Antrag der Abgeordneten Dr.in Pamela Rendi-Wagner, MSc, Dr. Hannes Jarolim, Angela Lueger Genossinnen und Genossen, betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 geändert wird (536/A, XXVI. GP) TOP 20

Der Nationalrat wolle in zweiter Lesung beschließen:

Der oben zitierte Antrag (536/A, XXVI. GP) wird wie folgt geändert:

1. Vor Z 1 des Antrags wird folgende „Z 0“ eingefügt

„0. § 58c Abs. 1 lautet:

„(1) Ein Fremder erwirbt unter den Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z 2 bis 6 und 8 und Abs. 2 Z 1 und 3 bis 7 die Staatsbürgerschaft, wenn er der Behörde (§ 39) unter Bezugnahme auf dieses Bundesgesetz schriftlich anzeigt, sich als Staatsbürger oder Staatsangehöriger eines der Nachfolgestaaten der ehemaligen österreichisch-unga­rischen Monarchie oder Staatenloser jeweils mit Hauptwohnsitz im Bundesgebiet vor dem 15. Mai 1955 in das Ausland begeben zu haben, weil er Verfolgungen durch Organe der NSDAP oder der Behörden des Dritten Reiches mit Grund zu befürchten hatte oder erlitten hat oder weil er wegen seines Eintretens für die demokratische Republik Österreich Verfolgungen ausgesetzt war oder solche zu befürchten hatte.““

2. Nach Z 1 des Antrags wird folgende „Z 1a“ eingefügt

„1a. Nach § 58c Abs. 1a wird folgender „Abs. 1b“ eingefügt:

„(1b) Als Nachkommen gemäß Abs. 1a gelten auch Wahlkinder, die als Minderjährige an Kindesstatt angenommen wurden.““

3. Nach Z 2 des Antrags wird folgende „Z 2a“ eingefügt

„2a. Nach § 58c Abs. 4 wird folgender „Abs. 5“ eingefügt:

„(5) Die Behörde kann im Verfahren nach Abs. 1 bzw Abs. 1a den Nationalfonds der Republik Österreich zur Beurteilung der Nachvollziehbarkeit des Vorliegens der Vor­aussetzungen gemäß Abs. 1 und Abs. 1a als Sachverständigen beiziehen. Zu diesem Zweck ist der Nationalfonds ermächtigt, personenbezogene Daten einschließ­lich sen­sibler Daten dem Antragssteller und der Behörde zu übermitteln.““

Begründung

Zu Z 1 (§ 58c Abs. 1)

Die geltende Fassung von § 58c Abs. 1 definiert jene als „verfolgt“, die sich als Staats­bürger vor dem 9. Mai 1945 ins Ausland begeben haben aus Gründen der Verfolgung im Sinne des Gesetzes.

Diese Festlegung ist zu eng, da sie weder Fälle der verhinderten Rückkehr nach Österreich (im Sinne der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs zu den begünstigten Pensionen nach § 500 ff ASVG) noch Fälle der verspäteten Ausreise (ebenfalls im Sinne dieser Judikatur) berücksichtigt.

Damit sind nach geltendem Recht sowohl Personen, denen aus Gründen der Verfol­gung die Rückkehr nach Österreich nach 1938 nicht mehr möglich war, als auch jene Personen, die beispielsweise 1945 aus dem KZ befreit wurden und erst später ausge­wandert sind, nicht erfasst.

In der vorgeschlagenen Neufassung des Abs. 1 wird aus diesem Grund die Wortfolge „vor dem 9. Mai 1945“ durch die Wortfolge „vor dem 15. Mai 1955“ ersetzt, um auch dem genannten Personenkreis unter erleichterten Voraussetzungen die österreichische Staatsbürgerschaft zu ermöglichen, die als Folge der erlittenen Verfolgung erst nach dem Kriegsende am 9. Mai 1945 emigriert sind (beispielsweise weil sie in Österreich aufgrund der Nachwirkungen der Verfolgung nicht mehr Fuß fassen konnten).

Darüber hinaus wird der begünstigte Personenkreis der Definition von § 10 Abs. 4 Z 2 StbG angeglichen und nimmt somit Bedacht auf die spezifische Situation von Men­schen, die als Nachfahren von Bürgern der Donaumonarchie zwar nicht die österreichi­sche Staatsbürgerschaft besaßen, aber ihren Hauptwohnsitz im Bundesgebiet hatten und auf Grund des Naziregimes ihre Heimat Österreich, deren Staatsbürger sie zu diesem Zeitpunkt nicht waren, verlassen mussten.

Zu Z 2 (§ 58c Abs. 1b):

Als Nachkommen im Sinne des Abs. 1a sollen auch an Kindesstatt angenommene Personen und deren Nachkommen in direkter Linie gelten, sofern die adoptierte Per­son im Zeitpunkt der Annahme an Kindesstatt minderjährig war.

Zu Z 3 (§ 58c Abs. 5):

Der Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus wurde 1995 gegründet, um die besondere Verantwortung der Republik Österreich gegenüber den Opfern des Nationalsozialismus zum Ausdruck zu bringen.

Er erbringt unter anderem Leistungen an NS-Opfer, insbesondere an Personen, die keine oder eine völlig unzureichende Leistung erhielten, die in besonderer Weise der Hilfe bedürfen oder bei denen eine Unterstützung auf Grund ihrer Lebenssituation ge­rechtfertigt erscheint.

Der Nationalfonds der Republik Österreich hat darüber hinaus die gesetzlichen Auf­gabe, als Anlaufstelle für alle Opfer und ihre Nachfahren in verschiedensten Anliegen und aufgrund seiner Recherche im Rahmen der Antragsbearbeitung und Prüfung der Verfolgung für Entschädigungszahlungen (Nationalfonds sowie allgemeiner Entschäd­igungs­fonds) unterstützend zu wirken (vgl. § 2a Abs. 1 Z 6 des Bundesgesetzes über den Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus StF: BGBl. Nr. 432/1995).

Aufgrund seiner umfassenden Sachkunde und Kompetenz wird der Nationalfonds in diesem Zusammenhang dazu berufen, im behördlichen Verfahren zur Erlangung der Staatsbürgerschaft nach § 58c als Sachverständiger auf Verlangen der Behörde mitzuwirken.

Die Behörde kann somit im Verfahren nach § 58c den Nationalfonds der Republik Österreich zur Beurteilung der Nachvollziehbarkeit des Vorliegens der Voraussetzun­gen gemäß Abs. 1 und Abs. 1a als Sachverständigen beiziehen, sofern ihr dies erfor­der­lich erscheint.

Zu diesem Zweck wird der Nationalfonds auch ermächtigt, personenbezogene Daten einschließlich sensibler Daten oder andere ihm zur Verfügung stehende Unterlagen dem Antragssteller und der Behörde zu übermitteln, sofern diese Unterlagen für das behördliche Verfahren von Relevanz sind.

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Präsidentin Doris Bures: Der Abänderungsantrag ist ordnungsgemäß eingebracht und steht mit in Verhandlung.

Zu Wort gelangt Herr Abgeordneter Karl Mahrer. – Bitte.