Transkript der Diskussionsveranstaltung "Menschenrechte im Iran und in Afghanistan"
Nana Walzer (Moderation): Einen wunderschönen Nachmittag! Herzlich willkommen, sehr verehrte Damen und Herren, bei der Diskussionsveranstaltung "Menschenrechte im Iran und in Afghanistan".
Ich möchte zu Beginn den Gastgeber der Veranstaltung sehr herzlich begrüßen: Parlamentsdirektor Harald Dossi. (Beifall.)
Ich freue mich sehr darauf, Sie heute durch ein vielschichtiges Programm führen zu dürfen. Es erwarten uns wirklich viele verschiedene Perspektiven auf das Thema, und den inhaltlichen Kick-off machen die Grußworte von Siroos Mirzaei, Sprecher der Ärztegruppe für Menschenrechte im Iran und des Iranischen Forums, Wien. – Herzlich willkommen, Herr Mirzaei! (Beifall.)
Im Anschluss daran erwarten uns zwei spannende Keynotes, und zwar von: Shoura Hashemi, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich; sie spricht in ihrer Keynote über "Das Recht auf Protest am Beispiel der iranischen Woman Life Freedom Bewegung". – Herzlich willkommen, Frau Hashemi! (Beifall.)
Und – ja, wir haben heute geballte Frauenpower hier – die zweite Keynote kommt auch von einer Dame, von Fahima Safa, Vereinsmitglied des Vienna Process for a Democratic Afghanistan. Sie spricht in ihrem Vortrag über das Thema "Systematische Menschenrechtsverletzungen sowie der Ausschluss von Frauen von Bildung und Arbeit durch die Taliban in Afghanistan seit August 2021". – Auch Ihnen ein sehr herzliches Willkommen! (Beifall.)
Im Rahmen des heutigen Abends werden wir außerdem ein moderiertes Gespräch im Zuge einer Podiumsdiskussion hören. Sie sehen, hier ist schon alles aufgebaut. Dazu darf ich jetzt zunächst die Menschenrechtssprecherinnen und Menschenrechtssprecher der Parlamentsklubs herzlich begrüßen: Gudrun Kugler, Harald Troch und Ewa Ernst-Dziedzic. – Einen Applaus bitte auch für sie. (Beifall.)
Aufgrund der aktuellen Lage – ich meine hiermit die Wetterlage – sind nicht nur einige im Publikum verhindert – es hätte laut Anmeldung ein knackevoller Saal sein sollen, ich nehme an, es liegt am Wetter –, es ist leider auch Abgeordnete Henrike Brandstötter verhindert, sie wird aber heute vertreten von Abgeordneter Stephanie Krisper, selbst eine Expertin im Metier – wir freuen uns auf Sie am Podium (Beifall) –, und in Vertretung der Abgeordneten Susanne Fürst nimmt Michael Schilchegger, Mitglied des Bundesrates a. D., am moderierten Gespräch teil. – Auch Ihnen ein herzliches Willkommen! (Beifall.)
Des Weiteren – wir sind schon in der Zielgerade der Grußworte, des Begrüßens – begrüße ich sehr herzlich alle anwesenden Abgeordneten zum Nationalrat und Mitglieder des Bundesrates, die Mitglieder von Association Roots Revival, die wir später hier in drei Stücken näher kennenlernen und hören werden – sie sitzen hier vorne –, und selbstverständlich auch Sie: Ein herzliches Willkommen an Sie, die Sie es hierher geschafft haben! Wir freuen uns, dass Sie hier sind. (Beifall.)
Und wenn ich "hier" sage, was meine ich mit "hier"? – Wir sind hier im Elise-Richter-Saal, und ich wage zu vermuten, dass ihr diese Thematik heute gefallen hätte. Richter selbst war eine Vorreiterin, was Frauenrechte betrifft; sie war die erste Frau, die sich tatsächlich an der Uni Wien habilitiert hat – das war 1905 –, und sie ist auch die erste Universitätsprofessorin gewesen. Sie wurde aber letztlich durch das wahrscheinlich jedes einzelne Menschenrecht absolut verachtende Naziregime in Theresienstadt ermordet.
Diese Spange zwischen dem Kampf für mehr Rechte – seien es Frauenrechte, seien es Menschenrechte im Allgemeinen – und der wirklich entsetzlichen, grausamen Realität wird uns heute beschäftigen: am Beispiel Iran und Afghanistan. Wie aktuell das Thema ist, das sehen, hören, lesen wir fast täglich in den Nachrichten, heute im ORF wieder – wenn Sie es vielleicht auch gelesen haben – im Zusammenhang mit Venezuela, den entsetzlichen Bedingungen dort. Ich erwähne jetzt hier zu unserem Themenfeld, zu den Regionen, die wir heute ansprechen, nur das neue Taliban-Gesetz, das derzeit weltweit für Empörung sorgt.
Empörung, wie wir alle wissen, ist zwar gut, aber bei Weitem nicht gut genug und reicht nicht. Wir werden daher heute von einigen Problemen hören, die vielleicht nur schwer auszuhalten, zu ertragen sind; wir werden vielleicht von einigen Lösungsvorschlägen hören, die vielleicht nur schwer durchzusetzen sind. Auch das ist eine Spange, eine Klammer, die uns heute beschäftigt: der Spagat zwischen dem hehren Ansatz, die Ideale der Menschenrechte tatsächlich erreichen und umsetzen zu wollen, und der viel zu oft blutigen Realität.
Wir nähern uns diesem Spagat in Form von fünf Fragen, die ich heute auch in der Diskussion erörtern möchte, Fragebereiche wie: Warum gelten die Menschenrechte nicht in aller Welt, obwohl sie dies laut Völkerrecht müssten und wir auch von einer universellen Gültigkeit derselben sprechen? Beziehungsweise anders gefragt: Warum ist es so leicht, sie zu verletzen, und das offensichtlich konsequenzlos?
Zweites Themenfeld: Welche sind denn die Argumente, ich möchte sagen Ausreden, für die Missachtung der Menschenrechte? – Zum Beispiel dass die Menschenrechte bloßer Ausdruck westlichen Imperialismus wären und die Universalität der Menschenrechte eine bloße Behauptung, die autoritäre Regimes einfach als kulturfremdes Gedankengut ablehnen könnten.
Drittes Thema: Wer ist denn eigentlich für die Umsetzung und die Durchsetzung der Menschenrechte zuständig? Ist das die UNO auf der globalen Ebene, ist das die EU nur im europäischen Bereich oder ebenso auf globaler Ebene? Sind das einzelne Nationen wie etwa die USA, wenn wir an deren Einsatz besonders in Afghanistan denken? Oder ist das jede Nation nur für sich alleine? Welche Rollen spielen die NGOs, Medien, Kunst, Kultur, aber auch ganz generell die Zivilgesellschaft in all dem?
Viertes Themenfeld – ganz wesentlich natürlich –: Wie geht man am besten vor, um die Menschenrechte zu sichern? Muss Veränderung zum Beispiel von innen erkämpft werden, weil alles, was von außen herangetragen ist, einfach zu kurz greift, nicht nachhaltig wirkt, weil sich ja nicht nur Systeme von außen ändern müssen, sondern auch Einstellungen und ganze Werthaltungen?
Und last, but not least – und am allerallerwichtigsten –: Was können wir alle denn tun, um effektiv und schnell zu helfen?
Mit diesen Themenfeldern, von denen jedes einzelne wahrscheinlich unendlich lang besprochen werden könnte, möchte ich die einleitenden Worte meinerseits beenden und als ersten Redner Parlamentsdirektor Harald Dossi um seine Eröffnungsworte bitten. – Bitte schön. (Beifall.)
Eröffnungsworte
Harald Dossi (Parlamentsdirektor): Ich heiße Sie herzlich willkommen im österreichischen Parlament! Warum dieser Saal eine gute Wahl für diese Veranstaltung mit dieser Thematik ist, ist schon gesagt und erklärt worden. Auf die Frage: Warum so eine Veranstaltung überhaupt im Parlament?, habe ich zwei Antworten: einerseits, weil wir mit solchen und ähnlichen Veranstaltungen zeigen wollen, dass auch in diesen Bereichen das Parlament ein Ort der Diskussion und des Dialogs ist, und andererseits, weil Teil eines modernen Parlaments und modernen Parlamentarismus auch der internationale Bereich, die parlamentarische Diplomatie, ist. Wir versuchen, die Abgeordneten für diese internationale Tätigkeit einerseits inhaltlich zu unterstützen – also alles, was etwa auch in dieser Veranstaltung gesagt wird, diskutiert wird, dient der Information oder auch der Information der Abgeordneten –, und wir wollen natürlich mit solchen Veranstaltungen den Abgeordneten eine Plattform bieten, um ihre jeweiligen politischen Grundhaltungen zu wichtigen Themen zu artikulieren.
Warum dieses Thema? – Österreich steht ganz grundsätzlich im internationalen Bereich für die Herrschaft des Rechts und für die Einhaltung der Grund- und Menschenrechte. Das ist eine Grundlinie, eine Grundkonstante der österreichischen Außen- und Sicherheitspolitik, und das Parlament bemüht sich im Rahmen seiner Tätigkeiten, diese Grundlinien der österreichischen Außen- und Sicherheitspolitik zu fördern und zu unterstützen. Das heutige Thema, die Situation der Menschenrechte im Iran und in Afghanistan, ist daher nicht nur wichtig, sondern vor diesem Hintergrund, den ich genannt habe, auch naheliegend.
Diese beiden Länder sind vielleicht auch deswegen heute Gegenstand dieser Veranstaltung, weil aus beiden Ländern sehr große Exilgemeinden in Österreich leben. Ich freue mich deswegen auch, dass so viele aus dem Bereich dieser beiden Exilgemeinden heute hier bei uns zu Gast sind.
Die Veranstaltung hat aus meiner Sicht drei Ziele – das ist auch schon erwähnt worden –: Wir wollen wirklich sagen, wie die Situation in diesen beiden Ländern ist. Wir wollen natürlich über Lösungsmöglichkeiten nachdenken. Ich glaube, es wird in der Folge auch noch ein wichtiger Aspekt sein, dass diese Lösungsmöglichkeiten nicht allein von der etablierten Politik, von der Diplomatie gefunden werden können, sondern dass auch die sogenannte Zivilgesellschaft, die Zivilgesellschaft hier in Österreich, aber auch die Zivilgesellschaft im Iran und in Afghanistan, da einen wichtigen Beitrag wird leisten müssen. Und wir werden natürlich – drittens – darüber nachdenken, welche guten Möglichkeiten des Dialogs es unabhängig davon gibt, ob man jetzt einer Lösung nahesteht oder nicht, denn auch das ist aus meiner Sicht Kern der parlamentarischen Diplomatie, die ja manchmal gerade in Situationen, in denen man auf Regierungsebene nicht mehr redet, nicht mehr reden kann oder nur mehr sehr eingeschränkt Kontakt hat, trotzdem einen Dialog führen kann – das ist nicht zuletzt in humanitären Angelegenheiten ein wichtiger Aspekt.
Neben dem Umstand – das wird heute sicherlich noch erwähnt werden –, dass heute ein trauriger Jahrestag in Bezug auf die Situation der Menschenrechte im Iran besteht – Sie wissen, wovon ich spreche –, ist es, zufälligerweise natürlich, aus meiner Sicht ein guter Tag, weil heute ein österreichischer Staatsbürger nach fast zweijähriger Haft im Iran freigekommen ist. Ich weiß, dass auch Abgeordnete an den Verhandlungen und Gesprächen mit dem Iran beteiligt waren, um das zu erreichen, und ich möchte mich aus diesem Anlass und auch von diesem Platz bei allen, die sich bemüht haben, dieses Ziel zu erreichen, sehr herzlich für die jeweilige Beteiligung bedanken.
In diesem Sinne werden wir – was in der kurzen Zeit dieses heutigen Nachmittags möglich ist – einen Input von Expert:innen bekommen. Wir werden den Abgeordneten – vielen, vielen Dank, dass Sie trotz der aktuellen Situation das Hochwasser betreffend und trotz der Situation, dass Sie alle im Wahlkampf sind, bereit waren, sich da zu beteiligen – die Möglichkeit geben, sich auch politisch zu diesen Fragen zu äußern.
Ich bin sicher, dass wir gewissermaßen den dritten Abschnitt dieses Nachmittags – nämlich das, was dann im Anschluss noch an Zusammenstehen und Zusammensitzen möglich sein wird – nutzen können, um miteinander zu reden und uns zu vernetzen.
In diesem Sinne: Herzlichen Dank für Ihr Kommen, herzlichen Dank für Ihr Interesse! Ich wünsche uns allen einen interessanten Nachmittag. (Beifall.)
Nana Walzer: Vielen Dank, Herr Parlamentsdirektor.
Es folgen nun, wie erwähnt, die eher inhaltlich orientierten Grußworte des Sprechers der Ärztegruppe für Menschenrechte. – Lassen Sie sich noch Zeit, ich würde Sie gerne ein bisschen vorstellen. Mir ist es immer ein Anliegen, die hier vorne Sprechenden ein bisschen näher vorzustellen, damit Sie wissen, wer zu Ihnen spricht und was für eine geballte Expertise da mitkommt. Das ist gerade bei Ihnen ein unglaublicher - - Ja, Ihr Lebenslauf ist ewig lang und es ist fast anmaßend, ihn auf nur fünf Sätze reduzieren zu wollen, trotzdem darf ich diesen Versuch wagen: Als sogenannter Austro-Iraner sind Sie im Iran geboren, kamen 1980 nach Wien, promovierten hier in Medizin und halten auch einen MBA von der WU. Seit 2007 sind Sie Abteilungsvorstand am Institut für Nuklearmedizin in der Klinik Ottakring, vulgo – vielen von uns hier noch bekannt unter – Wilhelminenspital. Seit fünf Jahren sind Sie Präsident des Europäischen Fachärzteverbands, Sektion Nuklearmedizin. Ihr Buch "Abbilder der Folter" beschreibt Ihre Arbeit mit traumatisierten Geflüchteten, und Ihr Roman "Irdische Träume im Paradies" ist ein glühendes Plädoyer für die Einhaltung der Menschenrechte. Es gäbe noch unendlich viel mehr über Sie zu sagen, nur: Die Liste Ihrer wissenschaftlichen Publikationen ist länger als die Ihrer Auszeichnungen.
Hiermit darf ich um einen riesengroßen Applaus für Herrn Mirzaei bitten. – Bitte schön. (Beifall.)
Grußworte
Siroos Mirzaei (Sprecher der Ärztegruppe für Menschenrechte im Iran und des Iranischen Forums, Wien): Vielen herzlichen Dank für die nette Einleitung! Hohes Haus! Sehr geehrter Herr Parlamentsdirektor! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete des Nationalrates! Sehr geehrte Gäste! Liebe Freunde! Es ist mir eine große Ehre, Sie im Namen der Ärzte für Menschenrechte im Iran, des Komitees für Menschenrechte im Iran, des Iranischen Forums in Österreich – bestehend aus vielen Gruppen wie der kurdisch-demokratischen Partei, wie der linken Partei und einigen anderen, also es sind zehn Organisationen drinnen – und ISDO mit ihrem Vorsitzenden Amir Tavassoti, der sehr viel zur heutigen Veranstaltung beigetragen hat, begrüßen zu dürfen. Wir freuen uns, heute mit Ihnen im österreichischen Parlament über die Menschenrechtssituation im Iran und in Afghanistan zu sprechen.
Wir sind uns bewusst, dass dies keine Selbstverständlichkeit ist, und sind daher sehr dankbar, dass wir als Nichtregierungsorganisation die Gelegenheit erhalten, die katastrophale Menschenrechtslage in diesen beiden Ländern unter religiöser Diktatur darzustellen.
Wir können leider die Zeit nicht zurückdrehen, aber wir können gemeinsam die Hintergründe dieser Zustände besser beleuchten. Den Ausweg aus dem schwarzen Loch ihrer aktuellen Geschichte müssen die Völker dieser Staaten selbst finden. Wir können jedoch erwarten, dass die für die gravierenden Menschenrechtsverletzungen Verantwortlichen nicht ohne Weiteres im Ausland, insbesondere in Österreich, hofiert werden.
Der Faschismus beruht auf Furcht vor dem bösen Anderen. Die religiöse Diktatur hingegen beruht auf Hass – im Nahen Osten auf Hass gegenüber dem Westen und insbesondere auf Israel – sowie auf der Furcht vor elektoraler Demokratie, Freiheit für Frauen, freiem Journalismus und Meinungsfreiheit. All dies spiegelt sich in der Anzahl der politischen Gefangenen in diesen Ländern wider.
Die liberale Demokratie ist mehr als nur freie und geheime Wahlen, sie ist geprägt von der Idee der Menschenwürde und anderen universellen Werten. Sie basiert auf Gewaltenteilung, Minderheitenschutz, Pressefreiheit und der Unabhängigkeit der staatlichen Institutionen.
Die Instrumente der religiösen Diktatur sind einfach und zugleich erschreckend, wie Gewalt, Folter, Unterdrückung von Frauen und Minderheiten, Terror im In- und Ausland. Die iranischen Revolutionsgarden sind aktiv beim Aufbau einer Kopie von ihnen, der paramilitärischen Gruppe von al-Schaabî im Irak. Die Atomenergie dient als weiteres Instrument des Terrors, Geiselnahmen – wir haben es gehört, es ist heute wieder ein Österreicher freigekommen: auch eine Geisel, die zwei Jahre dort in Haft gewesen ist – als diplomatisches Mittel, und schließlich wird der Beitritt zur FATF verweigert, um die dubiose finanzielle Unterstützung des Terrors zu verschleiern und das System der Kleptokratie zu optimieren.
Die Revolutionsgarden sind eine Terrororganisation und wurden von den USA und Kanada als solche eingestuft. Wenn wir einen wesentlichen Schritt in Richtung Bekämpfung des Terrors setzen wollen, sollte die EU dem Beispiel der USA und Kanadas folgen.
Die Achtung der Menschenrechte bedingt, dass die für massive Unterdrückung, Folter und Terror Verantwortlichen nicht die Möglichkeit erhalten, sich in demokratischen Ländern Besitztümer zu erkaufen, Geschäfte zu eröffnen und islamische Zentren, wie das Imam-Ali-Zentrum in Wien 21, aufzubauen. Ein ähnliches Zentrum in Hamburg wurde kürzlich nach Jahrzehnten geschlossen, und der Vorsitzende wurde außer Landes gewiesen.
Mündliche Bekenntnisse zur Einhaltung der Menschenrechte sind nicht ausreichend. Die aktuelle Situation hat wieder einmal gezeigt, was passieren kann, wenn man brutalen Diktaturen nicht rechtzeitig Grenzen setzt. Terrorismus und Krieg breiten sich vom Jemen über Afghanistan, Iran, Irak, Syrien und Libanon bis nach Israel und in die Ukraine aus. Mit den Shanghai- und Brics-Abkommen haben sich viele Länder, die mehrheitlich die westlichen Werte der Humanität nicht teilen, zusammengeschlossen. Wir brauchen mehr denn je eine Allianz der Staaten und Organisationen, die noch Freiheit, Menschenleben und Menschenwürde respektieren.
Im heutigen Iran gibt es Szenen, die aus George Orwell’s Buch "1984" stammen könnten und die leider die Fiktion zur Realität werden lassen. Ich zitiere aus dem Buch: "In den Tag und Nacht hell erleuchteten Räumen" – sprich Gefängnis für politisch Inhaftierte – "ist ihm jedes Zeitgefühl abhandengekommen. Zwischen den brutalen Schlägen und Tritten verliert er immer wieder das Bewusstsein. Nach stundenlangen quälenden Verhören unterschreibt er, was man von ihm verlangt, und gesteht Verbrechen, die er nie begangen hat." – Auf diese Weise wurde beispielsweise Navid Afkari im Jahr 2020 in der schönen historischen Stadt Schiras hingerichtet. – Wieder aus dem Buch: "Eines Tages, so meint er, werden die Proles, die sich unberührt von Lügen und Hass ihr Herz bewahrt haben, die Welt" – sprich die religiöse Diktatur in diesen zwei Ländern – "umstürzen." – Das ist ein Faktum!
Abschließend möchte ich die Nobelpreisträgerin Narges Mohammadi zitieren, die kürzlich – vorige Woche war das, glaube ich – Folgendes äußerte: "Wir werden die feministische und mütterliche Liebe nicht den Theokraten überlassen. Wir werden leben. Wir werden die Sonne küssen und eine Welt voller Leben und Hoffnung erschaffen. Wir werden gewinnen."
In diesem Sinne, meine Damen und Herren, bedanke ich mich im Namen des Iranischen Forums und freue mich auf den heutigen Austausch über die Menschenrechte im Iran und in Afghanistan. Frau, Leben, Freiheit! (Beifall.)
Nana Walzer: Vielen Dank für diese berührenden Worte.
Es ist wirklich an der Zeit, das erste Stück zu verarbeiten, und Zeit für Musik. Musik verbindet die Kulturen, wie wir wissen; ist aber auch eine Methode, um Zeit zu überdauern, ein Instrument, um Gefühle im Hier und Jetzt spürbar zu machen, um vergangene Erlebnisse aktuell und nachvollziehbar zu halten. Das erste Stück der Musikformation Association Roots Revival, das wir jetzt gleich hören werden, stammt aus der Feder von Abe Mirza, alias Dilara. Sie lebte in den 1960er-Jahren in einem Dorf in Zentralafghanistan, war dort Sängerin, Musikerin, Schriftstellerin und auch Mutter, wurde dann jedoch verhaftet, und Jahre später nach ihrer Freilassung bis zu ihrem Tod vor wenigen Jahren hat sie dann tatsächlich keinen einzigen Ton mehr gesungen. Wir hören jetzt ihr Stück "Rafiq Jan", arrangiert von Mehdi Aminian. Ich darf Sie hier jetzt gemeinsam auf die Bühne bringen. Mehdi ist ein Teil dieser Formation, er ist auch Gründer von Roots Revival, und ihr Anliegen ist es, verschiedene Musikstile von Minderheiten zu erhalten. – Bitte schön. (Beifall.)
*****
(Es folgt ein Musikstück.)
*****
Nana Walzer: Vielen herzlichen Dank für dieses erste Stück! Wir werden Sie noch zwei weitere Male bewundern und belauschen dürfen.
Unsere erste Keynote-Sprecherin ist ebenfalls aus dem Iran, ist dort geboren. Ihre Familie war Teil der Widerstandsbewegung gegen das Mullah-Regime. Sie kamen gemeinsam in den späten 1980er-Jahren nach Österreich, wo sie dann selbst Rechtswissenschaften studierte und die Diplomatische Akademie absolvierte. Heute ist sie Geschäftsführerin von Amnesty International in Österreich. Als Iranexpertin und Menschenrechtsaktivistin hat sie diese Aufgabe vor ungefähr einem Jahr übernommen, nach 15 Jahren im Diplomatischen Dienst im Außenministerium.
Eines der Kernanliegen ihrer Arbeit – habe ich herausgefunden – liegt darin, die Probleme der Bevölkerung zu adressieren. Wir werden heute versuchen, diesem Anliegen so nahe wie möglich zu kommen, gerecht zu werden, sehenden Auges vor den Herausforderungen hier vor unserer eigenen Tür, in unserer eigenen Gesellschaft. Viel zu oft nämlich ist es so, dass wir in den demokratischen Staaten die strukturellen Voraussetzungen für das friedliche Zusammenleben in aller Vielfalt, sei das jetzt die demokratische Verfasstheit, die Rechtsstaatlichkeit, die Grund- und Menschenrechte – wir haben es vorhin schon vom Herrn Parlamentsdirektor gehört –, die Gewaltentrennung, die Säkularität, all das als Selbstverständlichkeit sehen.
Sie wird in der jetzigen Keynote das Recht auf Protest als ganz wesentliche zentrale Säule inmitten all dieser Prinzipien herausstellen. Am Beispiel der iranischen Woman-Life-Freedom-Bewegung wird sie uns das auch ausführen.
Bitte begrüßen Sie sehr, sehr herzlich mit mir Shoura Hashemi! – Bitte schön. (Beifall.)
Keynote I: "Das Recht auf Protest am Beispiel der iranischen
Woman Life Freedom Bewegung"
Shoura Hashemi (Geschäftsführerin, Amnesty International Österreich): Vielen Dank für die sehr nette Einleitung! Einen schönen guten Nachmittag, meine Damen und Herren! Bevor ich anfange, möchte ich zunächst auch noch der Parlamentsdirektion und dem Herrn Parlamentsdirektor meinen Dank aussprechen. Ich bin ja, wie Sie gerade gehört haben, Vertreterin einer Menschenrechtsorganisation der sogenannten Zivilgesellschaft, und ich muss sagen, es ist nicht selbstverständlich, dass wir so gut behandelt werden, wie wir in Österreich tatsächlich behandelt werden – von der Politik, vom Parlament, von der Gesellschaft insgesamt. Ich stehe heute zum, ich glaube, dritten oder bereits vierten Mal, seit "Woman, Life, Freedom" im Iran begonnen hat, im Parlament und darf darüber sprechen, und ich weiß von meinen Amnesty-Kolleginnen und -Kollegen aus anderen Ländern, dass das nicht unbedingt üblich ist. Daher: Vielen Dank von unserer Seite! Danke für den Austausch mit der Zivilgesellschaft und für die Offenheit! Auch wir versuchen immer, Gesprächskanäle zur Politik aufrechtzuerhalten. (Beifall.)
Heute stehe ich vor Ihnen – es wurde in der Einleitung schon angekündigt –, um über ein Thema zu sprechen, das grundlegend für unser Verständnis von Demokratie und Menschenrechten ist: das Recht auf Protest. Dieses Recht ist nicht nur ein abstrakter juristischer Begriff, ein politischer Begriff, sondern der lebendige Atem einer freien Gesellschaft. Um die Bedeutung und die Herausforderungen dieses Rechts zu veranschaulichen, möchte ich mich auf ein aktuelles und für mich persönlich seit zwei Jahren sehr bewegendes Beispiel konzentrieren: die "Frau, Leben, Freiheit"-Bewegung im Iran.
Lassen Sie mich zunächst den Kontext kurz skizzieren – Sie alle kennen ihn grundsätzlich –: Am 16. September 2022, also vor sehr genau zwei Jahren, starb die 22-jährige iranische Kurdin Jina Mahsa Amini im Polizeigewahrsam in Teheran. Sie wurde von der sogenannten Sittenpolizei vor Ort festgenommen, weil sie angeblich ihr Kopftuch nicht vorschriftsgemäß trug. Ihr Tod, ihre Tötung, ihr Mord war der Funke, der eine landesweite Protestbewegung entfachte, die bis heute in unterschiedlichen Formen anhält und weit über die Grenzen des Iran hinaus Resonanz gefunden hat.
Die "Frau, Leben, Freiheit"-Bewegung ist ein Paradebeispiel dafür, warum das Recht auf Protest so essenziell ist. Sie zeigt uns, dass Protest mehr ist als nur ein Ventil für Frustration. Es ist ein kraftvolles Instrument für sozialen und gesellschaftlichen Wandel. Die "Frau, Leben, Freiheit"-Bewegung hat es geschafft, jahrzehntelang unterdrückte Forderungen nach Gleichberechtigung, persönlicher Freiheit und politischer Teilhabe in den Mittelpunkt zu rücken – in den Mittelpunkt der öffentlichen Debatte im Iran, aber auch weltweit.
Was genau aber umfasst dieses Recht auf Protest? – Es ist mehr als nur das Recht, sich zu versammeln oder Parolen zu rufen. Es ist ein komplexes Geflecht aus verschiedenen Menschenrechten: dem Recht auf Versammlungsfreiheit, auf freie Meinungsäußerung, dem Recht auf Vereinigungsfreiheit und dem Recht auf Teilhabe am öffentlichen Leben. Diese Rechte sind, das wissen Sie alle, in zahlreichen Abkommen gesetzlich verankert, insbesondere in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte. Diese Rechte sind nicht verhandelbar und gelten für alle Menschen, unabhängig von Nationalität, Geschlecht oder sozialer Stellung.
Die "Frau, Leben, Freiheit"-Bewegung hat uns eindrücklich vor Augen geführt, wie diese Rechte in der Praxis aussehen und wie brutal sie unterdrückt werden können. Wir haben Bilder von mutigen Frauen gesehen, Frauen, die ihre Kopftücher ablegten und ihre Haare abschnitten – kraftvolle Symbole des Widerstands gegen repressive Gesetze. Wir haben Tausende von Menschen beobachtet, die trotz massiver Einschüchterung und Gewalt auf die Straßen gingen, um ihre Stimmen zu erheben.
Wir haben aber auch die Schattenseiten gesehen. Die iranische Regierung hat mit beispielloser Härte auf die Proteste reagiert: Hunderte Demonstrierende wurden getötet, Tausende verletzt und Zehntausende verhaftet. Die iranischen Gefängnisse sind voll, voll mit politischen Gefangenen. Die Behörden haben das Internet gedrosselt, soziale Medien blockiert und Journalist:innen an ihrer Arbeit gehindert. All dies sind schwere Verletzungen des Rechts auf Protest und schwere Menschenrechtsverletzungen.
Diese Ereignisse werfen wichtige Fragen auf: Wie können wir das Recht auf Protest effektiv schützen? Wie gehen wir aber auch mit den Herausforderungen um, die Proteste für die öffentliche Ordnung darstellen? Und wie können wir sicherstellen, dass die Stimmen der Protestierenden nicht nur gehört, sondern danach auch – und das ist mir wichtig – konkret in politische Maßnahmen umgesetzt werden?
Lassen Sie mich dazu einige Vorschläge aus menschenrechtlicher Perspektive machen:
Wir müssen das Recht auf Protest – und das klingt vielleicht für unsere europäisch geprägten, rechtsstaatlich geprägten Ohren banal, aber das ist es eben nicht überall auf der Welt – in Gesetzen und Institutionen verankern. Das bedeutet, dass wir klare rechtliche Rahmenbedingungen schaffen müssen, die das Recht auf friedlichen Protest schützen und gleichzeitig die Grenzen dieses Rechts definieren. Diese Grenzen sollten aber eng gefasst sein und nur dann greifen, wenn eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit droht.
Zweitens: Sicherheitskräfte müssen angemessen geschult und ausgerüstet sein, um mit Protesten umzugehen. Der Einsatz von Gewalt sollte immer das letzte Mittel sein und muss verhältnismäßig bleiben. Fälle von Polizeigewalt müssen gründlich und unabhängig untersucht werden.
Drittens – und das haben wir ganz besonders innerhalb der "Frau, Leben, Freiheit"-Bewegung im Iran gesehen –: Wir müssen die digitale Dimension von Protesten anerkennen und schützen. In einer zunehmend vernetzten Welt spielen soziale Medien und Onlineplattformen eine entscheidende Rolle bei der Organisation und Verbreitung von Protesten. Der Zugang zu diesen Plattformen muss geschützt werden, und Regierungen dürfen das Internet nicht als Instrument der Zensur missbrauchen.
Viertens – und daran glauben wir bei Amnesty ganz besonders –: Wir müssen den Dialog zwischen Protestierenden und Entscheidungsträger:innen, wie Sie es sind, fördern. Proteste sind oft ein Zeichen dafür, dass die gewöhnlichen Kanäle der politischen Partizipation nicht ausreichend funktionieren. Wir müssen Mechanismen schaffen, die es ermöglichen, Anliegen von Protestierenden in politische Prozesse einzubringen.
Fünftens: Wir müssen die internationale Solidarität stärken. Die "Frau, Leben, Freiheit"-Bewegung hat gezeigt, wie wichtig internationale Unterstützung sein kann. Wir müssen Wege finden, Menschenrechtsverteidiger:innen und ‑aktivist:innen in autoritären Staaten zu unterstützen, ohne sie zusätzlichen Risiken auszusetzen.
Lassen Sie mich nun auf die spezifische Situation im Iran zurückkommen: Die "Frau, Leben, Freiheit"-Bewegung steht vor enormen Herausforderungen. Die Repressionen sind brutal, und viele Aktivist:innen haben einen sehr hohen persönlichen Preis gezahlt. Dennoch gibt es aus meiner Sicht Grund zur Hoffnung – ich finde, Menschenrechtsarbeit ohne Hoffnung geht nicht –: Die Bewegung hat eine breite Basis innerhalb der Bevölkerung und wird von verschiedenen sozialen Gruppen getragen. Sie hat es geschafft, internationale Aufmerksamkeit zu erregen und Solidarität zu mobilisieren.
Was aber können wir als internationale Gemeinschaft tun, um die "Frau, Leben, Freiheit"-Bewegung zu unterstützen?
Wir müssen den Druck auf die iranische Regierung aufrechterhalten. Das bedeutet, Menschenrechtsverletzungen konsequent zu dokumentieren und zu verurteilen. Es bedeutet auch, gezielte Sanktionen gegen diejenigen zu verhängen, die für schwere Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind.
Wir müssen Wege finden, die iranische Zivilgesellschaft zu unterstützen. Das hat nichts mit einem Regime-Change zu tun, das kann zum Beispiel durch Förderprogramme für Menschenrechtsverteidiger:innen oder durch Bereitstellung von Kommunikationskanälen oder durch die Unterstützung von Exil-Iraner:innen passieren.
Wir müssen sicherstellen, dass die Stimmen der iranischen Protestierenden in internationalen Foren besser gehört werden. Das bedeutet, ihnen Zugang zu UN-Mechanismen zu verschaffen und ihre Anliegen in ohnehin stattfindenden bilateralen und multilateralen Gesprächen zu thematisieren.
Wir müssen aber auch die Gleichstellung der Geschlechter als zentrales Anliegen der internationalen Politik und auch als zentrales Anliegen der österreichischen Außenpolitik verankern. Die "Frau, Leben, Freiheit"-Bewegung hat sehr eindrücklich gezeigt, dass Frauenrechte natürlich Menschenrechte sind und dass der Kampf für Gleichberechtigung untrennbar mit dem Kampf für Demokratie und Freiheit verbunden ist.
Es ist mir wichtig, zu betonen: Das Recht auf Protest ist nicht nur in autoritären Regimen bedroht. Auch in etablierten Demokratien sehen wir besorgniserregende Entwicklungen: Gesetze werden verschärft, um Proteste einzuschränken, friedlich Demonstrierende werden kriminalisiert, und der Einsatz von Überwachungstechnologien nimmt zu. Wir müssen wachsam sein und sehr rigide Tendenzen durchaus bekämpfen.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Rolle der Medien bei Protesten. Freie und unabhängige Medien sind essenziell, um Stimmen von Protestierenden zu amplifizieren und Machtmissbrauch aufzudecken. Wir müssen Journalist:innen schützen, die über Proteste berichten, und gegen Versuche vorgehen, die Pressefreiheit einzuschränken.
Die "Frau, Leben, Freiheit"-Bewegung hat uns gelehrt, wie wichtig auch intersektionale Ansätze sind. Die Proteste im Iran haben gezeigt, dass der Kampf für Frauenrechte untrennbar mit dem Kampf gegen andere Formen der Unterdrückung verbunden ist. Wir müssen anerkennen, dass verschiedene Formen der Diskriminierung oft miteinander verwoben sind und ganzheitliche Lösungen erfordern.
Ein weiterer Punkt, den ich ansprechen möchte, ist die Notwendigkeit, langfristig zu denken. Proteste können manchmal schnelle Veränderungen bewirken, aber nachhaltige Transformation erfordert anhaltenden Einsatz. Wir müssen Strukturen schaffen – und die gibt es tatsächlich im Iran noch nicht –, die es ermöglichen, die Energie der Straße in langfristiges politisches Engagement umzuwandeln. Eine Graswurzelbewegung ist großartig, sie ist großartig für den Anfang, für eine gewisse Zeit, aber danach brauchen wir Strukturen – und dafür brauchen wir Ihre Hilfe.
Lassen Sie mich auch eine Sache ansprechen, die meines Erachtens immer zu kurz kommt, das ist die Rolle der Wirtschaft. Unternehmen haben eine Verantwortung, Menschenrechte zu respektieren und nicht mit repressiven Regimen zu kollaborieren. Wir müssen Mechanismen stärken, die Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen zur Rechenschaft ziehen.
Schließlich möchte ich betonen, dass der Schutz des Rechts auf Protest eine kollektive Verantwortung ist. Es reicht nicht, wenn nur Regierungen oder NGOs sich dafür einsetzen. Jeder Einzelne, jede Einzelne von uns kann einen Beitrag leisten, sei es durch aktive Teilnahme an Protesten, durch Solidaritätsbekundungen oder durch die Unterstützung von Organisationen, die sich für Menschenrechte einsetzen.
Das Recht auf Protest ist, wie eingangs erwähnt, nicht nur ein juristisches Konzept, es ist der Herzschlag einer lebendigen Demokratie. Es ist das Mittel, durch das marginalisierte Gruppen ihre Stimme erheben können. Es ist der Weg, auf dem neue Ideen in eine Gesellschaft eingebracht werden. Und es ist oft der letzte Ausweg für diejenigen, deren Rechte systematisch verletzt werden.
Die "Frau, Leben, Freiheit"-Bewegung hat uns auf eine dramatische Art und Weise daran erinnert, wie kostbar und zerbrechlich all diese Rechte sind. Sie hat uns gezeigt, dass der Kampf für Menschenrechte nie endet und dass jede Generation aufs Neue für ihre Freiheit einstehen muss.
Als Vertreterin von Amnesty International rufe ich Sie und fordere ich Sie alle dazu auf, sich diesem Kampf für Demokratie und Freiheit anzuschließen. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, das Recht auf Protest zu schützen und zu stärken – hier in unserem Land und überall anders auf der Welt, denn letztendlich geht es beim Recht auf Protest um sehr viel: Es geht um das Recht, gehört zu werden. Es geht um das Recht, die Gesellschaft, in der wir leben, mitzugestalten. Und es geht um das Recht, Mensch zu sein – mit all unseren Hoffnungen, Ängsten und Träumen.
Die "Frau, Leben, Freiheit"-Bewegung hat uns gezeigt, dass Veränderung möglich ist, selbst unter den widrigsten Bedingungen. Sie hat uns auch vor Augen geführt, dass wir alle – unabhängig von unserer Nationalität oder unserer Position – eine Verantwortung tragen, auch für die Rechte anderer einzustehen.
Lassen Sie uns diese Verantwortung annehmen! Lassen Sie uns das Recht auf Protest verteidigen, nicht nur mit Worten, sondern mit Taten, denn nur so können wir eine Welt schaffen – das klingt vielleicht für Sie nach Utopie –, in der jeder Mensch in Würde und Freiheit leben kann. – Danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall.)
Nana Walzer: Vielen Dank.
Nach diesem Blick in den Iran folgt jetzt der Blick nach Afghanistan, ein Land, in dem unter den Taliban schwerste und systematische Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung sind. 2021, wie wir alle wissen, haben die Taliban das Land wieder übernommen und besonders ab dann die Rechte von Frauen und Mädchen nach und nach eingeschränkt, insbesondere in den Feldern Freiheit, Gerechtigkeit, Bildung und Arbeit.
Vor Kurzem verurteilte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen erneut die kontinuierliche Geschlechterdiskriminierung und -unterdrückung durch die Taliban-Herrschaft, besonders die aktuelle Verschärfung der unerträglichen Umstände in Form des Tugendgesetzes, das etwa das Erheben der Stimme einer Frau außerhalb des eigenen Zuhauses verbietet.
Das ehemalige Ministerium für Frauen ist jetzt im Ministry on the Promotion of Virtue and Prevention of Vice aufgegangen, das Frauen dazu verpflichtet, nur in Anwesenheit eines männlichen Verwandten rauszugehen, Kleidungspflichten und Verhaltensregeln einzuhalten – und bei Verstößen werden Frauen inhaftiert, Gewalt wie Folter und Vergewaltigungen folgen. Männer können übrigens auch bestraft werden, wenn Frauen nicht den Regeln entsprechen.
Schon letztes Jahr wurde eine UN-Resolution verabschiedet, die die Einhaltung der Grund- und Menschenrechte in Afghanistan vehement einfordert, anscheinend ohne Konsequenzen. Im Oktober dieses Jahres wird darüber abgestimmt, ob Gender-Apartheid – so der relativ neue Begriff für die systematische und institutionalisierte Unterdrückung eines Geschlechts – im internationalen Recht verankert und strafrechtlich verfolgbar wird, um hier stärkere diplomatische und rechtliche Hebel zu schaffen.
Unsere nächste Keynote-Rednerin gibt uns jetzt einen tieferen Einblick in die Situation der Menschenrechte in Afghanistan. Sie kennt die Lage aus erster Hand, wird auch von ihrem Lebensweg etwas erzählen. – Ich bitte um einen herzlichen Applaus für Fahima Safa von Vienna Process for a Democratic Afghanistan. (Beifall.)
Keynote II: "Systematische Menschenrechtsverletzungen sowie
der Ausschluss von Frauen von Bildung und Arbeit durch die Taliban
in Afghanistan seit August 2021"
Fahima Safa (Vereinsmitglied des Vienna Process for a Democratic Afghanistan): Sehr geehrte Parlamentarier! Liebe Gäste! Liebe Freunde! Zunächst möchte ich mich bei den Gastgebern und den Organisatoren der heutigen Diskussionsveranstaltung zu den Menschenrechten im Iran und in Afghanistan bedanken.
Kurzbericht und Analyse der Menschenrechtslage in Afghanistan und Informationen über mich:
Ich studierte an der Engineering-Fakultät in Kabul Elektrotechnik. Diese wurde damals von den USA finanziert, weshalb viele unserer Lehrer von dort kamen. An allen Universitäten Afghanistans besuchten damals Studenten und Studentinnen gemeinsam die Vorlesungen.
Unter Führung der Taliban hat sich die Situation in Afghanistan dramatisch verschlechtert. Frauen dürfen seit drei Jahren keine Universitäten besuchen, Mädchen nur bis zur sechsten Stufe zur Schule gehen. Dabei war die längste Zeit für uns alle ein friedliches Leben mit gesicherten Freiheiten möglich.
Aufgrund meiner politischen Aktivitäten gegen die sowjetische Invasion von 1979, mit der ein kommunistisches Regime in Kabul abgesichert werden sollte, musste ich als 19-jähriges Mädchen meine Heimat Afghanistan verlassen.
Ich arbeitete ein Jahr im Österreichischen Hilfskomitee für Afghanistan in Peschawar, in Pakistan, nahe der Grenze zu Afghanistan, das dort von 1980 bis 1994 umfangreiche Hilfsprojekte für Geflüchtete betrieben hat.
Mit Unterstützung von Prof. Dr. Christian Reder und Dr. Alfred Janata, den Leitern des Komitees, erhielt ich 1981 ein Visum und ein Stipendium und konnte mein Studium in Wien fortsetzen. Nach Abschluss der Deutschkurse und des Studiums als biomedizinische Analytikerin arbeitete ich erfolgreich im AKH Wien.
Da mein aus Afghanistan stammender Ehemann Nur Safa zum österreichischen Diplomaten wurde und an den Botschaften in New York, Pretoria und Teheran tätig war, habe ich ihn jeweils begleitet. Während dieser Jahre konnte ich bei Orphan Care IOC aktiv für die humanitäre Hilfe für Afghanistan mitarbeiten.
Der plötzliche Zusammenbruch der afghanischen Republik im August 2021 war ein Schock für uns alle, ein Beispiel dafür, wie schnell sich Situationen ändern können. Niemand hat es erwartet und niemand hat es nach zwanzig Jahren international unterstützter, hoffnungsfroher Aufbauarbeit glauben können.
Der Zusammenbruch der afghanischen Republik schuf eine ganz neue Situation für uns alle. Über Jahre trotz aller Schwierigkeiten aufrechte Hoffnungen lösten sich auf. Das Hauptproblem bestand darin, dass die ausländischen Streitkräfte nicht auch den Aufbau ziviler Strukturen fördern und absichern konnten. Das von außen zu versuchen, war auch deswegen kaum leistbar, weil die von jahrelangen Kriegen und Zerstörungen paralysierte Bevölkerung nur schwer dazu aktivierbar war.
Alle Problemlösungen wurden vom Ausland und von dort fließenden Geldern erwartet. Das lähmte Initiativen, um aus eigener Kraft endlich die notwendige Stabilität im Land zu erreichen.
Die Taliban sind als stets die Vorherrschaft beanspruchende Paschtunen eine ethnische Gruppe mit mittelalterlichen Traditionen und religiösen Überzeugungen. Ihre extremen Einstellungen haben die hanifische Religionsgruppe als Basis. Da sie nie irgendwo gewählt wurden, haben sie keinerlei Legitimität, als Stimme des Volkes aufzutreten.
Erst seit den Taliban gilt Afghanistan wieder als mittelalterlich. Das übersieht völlig, dass es jahrhundertelang ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt der Seidenstraße gewesen ist. Für Babur Schah, den Gründer des Mogulreichs in Indien, war Kabul das Zentrum der Welt und jahrelang sein Lieblingsort.
Es gab lange Perioden, in denen mit Stolz auf buddhistische Denkmäler verwiesen wurde, Sunniten und Schiiten, Sikhs und Juden friedlich zusammenlebten und auch die Frauen freier waren, beeinflusst von Reformen der modernen Türkei.
Drastische religiöse Regeln waren nie Teil der afghanischen Tradition. Sie sind ein neues Phänomen. Radikale Islamisten glauben nun sogar, dass der Islam die ganze Welt beherrschen werde, ohne jede Toleranz zu anderen Religionen. Sie übersehen dabei völlig die vielen internen kriegerischen Auseinandersetzungen seit Mohammed und die vielen Variationen bei den Regeln und Verhaltensweisen, die Islamgläubige befolgen.
Erst in den letzten Jahrzehnten geriet der Islam mit der übrigen Welt in ein polarisierendes Spannungsverhältnis. Kriege und Terroranschläge bestärkten Feindseligkeiten. Zu den verbreiteten Missverständnissen gehört auch, dass es nie den einen Islam gegeben hat.
Die heutigen Extremisten blenden auch völlig aus, dass die muslimische Welt jahrhundertelang führend in Wissenschaft, Kunst und Architektur war, weil die Regierenden das voll unterstützten. Viele ihrer Minister und Heerführer waren keine Muslime.
Als sogenannte Religionsschüler dürfen die Taliban von all dem offenbar nichts wissen, um wieder Ursprüngliches als Lebensmodell vorschreiben zu können. Absurd übersteigerte Patriarchatsvorstellungen machen Mädchen und Frauen zu vorrangigen Opfern. Das darf nie von der internationalen Gemeinschaft Legitimität erhalten.
Unter der Taliban-Herrschaft wurden den meisten Menschen in Afghanistan ihre Grundrechte entzogen. Frauen sind von Bildung, Arbeit und Teilnahme am öffentlichen Leben ausgeschlossen. Frauen, die gegen die Geschlechterapartheid der Taliban protestieren, werden in Taliban-Gefängnissen gefoltert, vergewaltigt und ermordet. Dem afghanischen Volk wurden die Rechte auf Meinungs-, Gedanken- und Versammlungsfreiheit sowie wesentliche bürgerliche und politische Freiheiten entzogen.
Journalisten und Medien werden mit Zensur belegt und durch Verbote, Drohungen, Einschüchterung, Verhöre, Folter und Inhaftierung unter Druck gesetzt. Politische Parteien werden nicht geduldet. Die Wahlkommission sowie alle mit Wahlen verbundenen Mechanismen wurden abgeschafft.
Ehemalige Verteidigungs- und Sicherheitskräfte sowie politische Gegner der Taliban sind besonders gefährdet.
Unter der Taliban-Herrschaft haben Zwangsmigration, Vertreibungen und die weitverbreitete Beschlagnahmung von Eigentum erheblich zugenommen; Menschen werden aufgrund ihrer Kleidung und ihres Aussehens unter Druck gesetzt, gedemütigt und gefoltert. Kulturelle Tätigkeiten und die Religionsausübung von Minderheiten sind verboten, bei Nichtbefolgung wird mit Inhaftierung und Ermordung bestraft. Viele Bibliotheken und Buchhandlungen wurden zugesperrt. In den öffentlichen Ämtern ist eine der früheren Amtssprachen, Farsi, verboten.
Internationale Organisationen, inländische Medien, die Zivilgesellschaft und Menschenrechtsorganisationen haben dazu schreckliche Berichte über physische und psychische Misshandlungen veröffentlicht, ebenso Richard Bennett, der Menschenrechtsberichterstatter der Vereinten Nationen und der Hochkommissar für Menschenrechte der Vereinten Nationen.
Im weltpolitischen Maßstab entscheidend wäre, dass die internationale Staatengemeinschaft auf dominierende islamisch orientierte Staaten einwirkt, den Islam durch Liberalisierung seiner Alltagsregeln wieder kompatibler mit der Welt zu machen. Wohin sollte dessen Radikalisierung auch führen? Deshalb müssten sich diese auch gegen die Taliban stellen und die weitergehende Unterstützung von Extremisten bekämpfen.
Die Taliban müssten aufgefordert werden, die Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen, der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und der internationalen Pakte und Konventionen, die Afghanistan unterzeichnet hat oder denen es beigetreten ist, einzuhalten. Der Internationale Strafgerichtshof und der Internationale Gerichtshof müssten Mechanismen zur rechtlichen und gerichtlichen Rechenschaftspflicht für Menschenrechtsverletzungen in Afghanistan aktivieren, um Ermittlungen und Verfahren einzuleiten.
In diesem Sinne wurde 2022 der Vienna Process for a Democratic Afghanistan aktiv, der auf Initiative ehemaliger Aktivisten des 1980 gegründeten Österreichischen Hilfskomitees für Afghanistan, Prof. Dr. Christian Reder und Nur Safa, des ehemaligen österreichischen Diplomaten Dr. Wolfgang Petritsch und der afghanischen Botschafterin in Wien, Frau Manizha Bakhtari, und mir, Fahima Safa, als eine zivilgesellschaftliche Bewegung gegründet wurde.
An der vierten seiner Konferenzen im Juni 2024 haben bereits 70 afghanische Frauen und Männer aus aller Welt teilgenommen und über Möglichkeiten diskutiert, im Vienna Process alle afghanischen Oppositionsgruppen zu vereinen, um eine starke Opposition gegen die Taliban zu schaffen. Versucht wird, durch einen friedlichen und demokratischen Prozess Lösungen für Afghanistan zu finden.
Trotz der humanitären Katastrophen und Leiden werden die bitteren Ereignisse in Afghanistan jedoch in der Welt kaum noch beachtet. Die großzügige finanzielle und politische Unterstützung für terroristische und illegitime Gruppen setzt sich fort.
All das bestätigt uns, dass die internationale Gemeinschaft das afghanische Volk mit seinem Schicksal alleinlässt. Daher kämpfen wir vom Ausland aus weiter, um dennoch nicht alle Hoffnungen zu verlieren. – Danke schön. (Beifall.)
Nana Walzer: Vielen herzlichen Dank, Frau Safa.
Ja, auch jetzt ist wieder Zeit, das Ganze ein bisschen sacken zu lassen, Zeit für Musik. Wir freuen uns auf den zweiten Titel der Association Roots Revival, und zwar trägt der nächste Song den Titel "Daido". Es ist eine Komposition von Mehdi Aminian, den Sie vorhin schon kennengelernt haben, inspiriert vom Hazara-Daido-a-cappella-Gesang. Das ist eine Musikrichtung aus Zentralafghanistan, wird üblicherweise von Frauen gesungen, die Lieder handeln von Vertreibung, Sehnsucht nach geliebten Menschen oder Trauer.
In diesem Lied singt eine Tochter über ihre Mutter, ihren Vater, ihren Bruder und ihre Sehnsucht nach der Vergangenheit und nach dem gemeinsamen Leben. Vorgetragen wird es von der Sängerin Elaha Soroor. Ihr liegt dieses Stück auch ganz besonders am Herzen, denn es erzählt auch von ihrer Geschichte und von ihren Momenten, als sie ihre Familienmitglieder ganz besonders vermisst hat und von ihnen getrennt war. – Bitte schön. (Beifall.)
*****
(Es folgt ein Musikstück.)
*****
Moderiertes Gespräch
Nana Walzer: Von Afghanistan nun wieder zurück in den Iran!
Als Einleitung zum moderierten Gespräch: Nirgendwo werden die Rechte des Individuums weniger geachtet als im Iran. Der Iran führt die traurige Rangliste der 20 Länder mit der geringsten Bewertung zu Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit weltweit an. Das kann man im Fragile States Index 2024 nachlesen. Es geht also nur um die Kategorie Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit; dort sind noch viele andere Kategorien angegeben. – Wen es interessiert: Norwegen und Irland stehen demgegenüber an der Spitze dieses Rankings. – Zurück zu den Ländern mit den geringsten Bewertungen: Am drittschlechtesten Platz liegt Russland ex aequo mit China und einigen anderen, nur wenig vor dem Sudan und Nordkorea, und dann folgt kurz darauf Afghanistan. Es ist völlig klar, dass wir heute Abend, wenn wir vom Iran und von Afghanistan sprechen, die Thematik aufgreifen, die viele andere Regionen natürlich auch betrifft.
Um jetzt einen analytischen und vielleicht sogar lösungsorientierten Blick auf die Lage der Menschenrechte zu werfen, und das nicht zuletzt aus österreichischer Perspektive – wir sind ja hier im Parlament –, darf ich jetzt unsere Podiumsgäste, -gästinnen nacheinander auf die Bühne bitten. Sie finden ihren Platz, und ich möchte Sie, das Publikum, herzlich dazu einladen, erst am Schluss zu klatschen, nicht bei jedem Einzelnen, sonst werden wir heute nicht mehr fertig.
Ich bitte jetzt die Nationalratsabgeordnete der ÖVP Gudrun Kugler, den Abgeordneten zum Nationalrat der SPÖ Harald Troch, Nationalratsabgeordnete der Grünen Ewa Ernst-Dziedzic, Nationalratsabgeordnete der NEOS Stephanie Krisper und Mitglied des Bundesrates a. D. Michael Schilchegger - - – Durch die Änderungen schaut mein Zettel aus wie eine Google-Maps-Karte, die einen in die falsche Richtung führt.
Sie sehen, ich habe hier mein Foltergerät mitgebracht – das ist mein Handy. Das liegt daran, dass es für diese kommende Art der Diskussion, das sogenannte moderierte Gespräch, nur zwei Grundregeln gibt. Das eine ist: Ich bitte Sie, einander nicht zu unterbrechen. Sie bekommen tatsächlich für jede Frage auch die Möglichkeit, zu antworten. Und das Zweite ist: Ich bitte Sie, auf jede Frage nur 1 Minute lang zu antworten. Das ist fast wie im amerikanischen Wahlkampf, da gibt es 2 Minuten. Ich erlaube mir dann auch, ein mehr oder weniger vehementes Zeichen zu geben, wenn die Minute vorbei ist.
Damit kommen wir schon zur Einstiegsfrage: In Österreich nehmen viele die Grund-, Menschenrechte für selbstverständlich – wie die Luft zum Atmen, wie die Demokratie. Mich würde eingangs interessieren – und ich würde gerne bei Ihnen beginnen und dann die Runde durchmachen –, was Sie persönlich dazu bringt, sich für die Menschenrechte einzusetzen, und ich würde Sie bitten, vielleicht auch Ihr Einstiegsstatement – nach dem, was Sie jetzt gehört haben – in diese Minute zu packen. – Viel Glück! Bitte schön.
Gudrun Kugler (Abgeordnete zum Nationalrat, ÖVP): Zuerst einmal ein großes Dankeschön an Parlamentsdirektor Harald Dossi und sein ganzes Team. Das war sehr viel Arbeit, das zu organisieren – wir haben das mitverfolgt, auch mit begleitet. Ganz großartig!
Warum für Menschenrechte engagieren? – Es ist heute schon gefallen: Menschenrechte sind etwas Universelles. Die gelten in jeder Kultur, zu jeder Zeit, für jeden Menschen, egal in welchem Zustand dieser sich befindet. Und natürlich muss man sich dafür einsetzen. Wir haben in jedem Land Menschenrechtsthemen, die wir aufgreifen müssen, auch wenn sie in den unterschiedlichen Ländern ganz unterschiedlich aussehen. Und – das ist heute auch schon gefallen – jede Generation muss sich aufs Neue Freiheit, Demokratie, Menschenrechte erkämpfen. Selbst wir in Österreich müssen uns bewusst machen, wie wichtig diese Werte sind, und daran festhalten.
Meine Botschaft zum Thema Iran: Wir haben in unserer parlamentarischen Arbeit in den letzten Jahren – Ewa Ernst-Dziedzic und ich sind da Kollegen, aber auch die anderen haben fest mitgewirkt – immer wieder verurteilt, was im Iran passiert. Ich habe mir aufgeschrieben, welche Menschenrechte alles verletzt werden, aber es wäre vielleicht einfacher, über jene zu sprechen, die nicht verletzt werden, weil diese Liste vielleicht kürzer ist.
Wir werden weiterhin dranbleiben. Wir haben alle paar Monate dazu etwas gemacht. Wir wollen das natürlich weiter machen, weil im Iran ein ganzes Volk gefangen gehalten wird, in Afghanistan genauso.
Als positive Botschaft: Meine Erfahrung aus der Geschichte und aus der Auseinandersetzung mit Menschenrechtsverletzungen über die Jahrhunderte in unterschiedlichen Regionen, das, was wir gesehen haben, ist, dass Unrechtsregime irgendwann ein Ende finden – und daran müssen wir gemeinsam arbeiten.
Nana Walzer: Danke schön für dieses Einstiegsstatement. Die Minute wurde fast eingehalten.
Mal schauen, ob es Ihnen, Herr Troch, besser gelingt. Bitte schön.
Harald Troch (Abgeordneter zum Nationalrat, SPÖ): Zuerst einmal auch ein Dankeschön. Ich bin sehr froh, dass hier fünf Menschenrechtssprecherinnen und Menschenrechtssprecher sitzen. Es war auch ein bisschen ein Ringen, aber ich glaube, die Frage Menschenrechte in dieser Region, die eint uns ganz einfach. Wir haben ja vor über einem Jahr zu Nouruz begonnen, das hier im Parlament sozusagen zu thematisieren. Ich durfte für die SPÖ zu einem Nouruz-Empfang einladen, gemeinsam mit Amir Tavassoti und Ava Farajpoory.
Und ja, ich sage jetzt einmal, mein Bezug ist mit einem Iraner verbunden, mit Torab Mostofi, dem langjährigen Lebensgefährten meiner Tante, der Schwester meiner Mutter, der mich immer wieder über das Thema Situation im Iran informiert hat, mich dafür sensibilisiert hat, mir allerdings auch viel Geschichte vermittelt hat. Und ich darf hier sagen, die USA und England haben schon mit dem Sturz des gewählten iranischen Ministerpräsidenten und seiner Partei zu Beginn der Fünfzigerjahre Entsetzliches dazu beigetragen, dass dort die Region, also das Land Iran selbst, destabilisiert wurde.
Ich bin froh, dass wir jetzt, im Wahljahr 2024, hier als Vertreter von fünf Parteien sitzen und dass der Iran, Afghanistan und die Menschenrechte dort ein gemeinsames Anliegen sind. Was wir tun können, was auch mein Anliegen ist – ich werde schon angeblinzelt –, ist auf jeden Fall die Solidarität mit der iranischen Community in Wien, in Österreich. Das Wort Hoffnung ist heute schon gefallen, diese muss man einfach geben. Der Schutz dieser Community, und das betrifft unsere Polizei, die Staatspolizei – es sind ja auch hier in Österreich schon Aktivisten und Aktivistinnen des Iran ermordet worden und - -
Nana Walzer: Darf ich Sie wegen der Minute kurz unterbrechen – sie wäre schon lange vorbei. Sie haben noch die Möglichkeit, auf eine andere Frage, nämlich: Was muss getan werden?, zu antworten. Da passt das wunderbar hinein – und ich darf weitergeben.
Harald Troch: Okay. Danke.
Nana Walzer: Vielen Dank.
Frau Ewa Ernst-Dziedzic, Ihr Einstiegsstatement.
Ewa Ernst-Dziedzic (Abgeordnete zum Nationalrat, Grüne): Vielen Dank. Auf die Gefahr hin, dass das von meiner Redezeit abgezogen wird, will und muss ich mich zuerst bedanken: nicht nur bei Parlamentsdirektor Dossi, sondern natürlich auch bei Siroos Mirzaei für die Einstiegsworte, bei Shoura Hashemi für die Keynote. Und, ja, Herr Tavassoti wurde schon erwähnt: Danke für die Demos! Auch Hassan Hachem von der UNO-Mahnwache ist da: Vielen Dank, dass Sie das veranstalten! Bedanken will ich mich beispielsweise auch bei der afghanischen Botschafterin Manizha Bakhtari, die heute nicht kommen konnte, aber natürlich auch bei Fahima Safa für den Beitrag. Und für wirklich viele Beiträge hier im Parlament einen herzlichen Dank heute an die beiden Communities!
Wir haben in den letzten Jahren sehr oft beide Communities, oder ihre Vertreter und Vertreterinnen, hier ins österreichische Parlament eingeladen, mit Kollegin Faika El-Nagashi zum Beispiel junge afghanische Frauen, um einfach auch diesem Bild des kriminellen Afghanen entgegenzuwirken. Mit Gudrun Kugler, aber auch Harald Troch, Stephanie Krisper, Penny Bayr – sie ist zum Beispiel auch da –, oder Helmut Brandstätter zum Beispiel von den NEOS – er war da auch sehr aktiv – haben wir organisiert, dass Patenschaften für iranische Gefangene übernommen werden. Kamran Ghaderi ist heute da – stellvertretend für jene Menschen, die in Irans Gefängnissen zu Unrecht festgehalten werden und dort gefoltert werden. Und wir wissen - -
Nana Walzer: Darf ich hier einhaken, denn sonst ist die Minute, die schon vorbei ist, nicht nur vorbei - - (Abg. Ernst-Dziedzic: Ganz kurz noch!) – Ganz kurz.
Ewa Ernst-Dziedzic: Wir wissen auch als Abgeordnete – deswegen auch der Dank an meine Kollegen und Kolleginnen –, dass wir ohne die erwähnten Menschen viele darüber hinaus gar nicht das Wissen hätten, um politisch aktiv zu sein. Deswegen dieser Dank.
Nana Walzer: Vielen Dank – ganz wichtig noch. Vielen Dank!
Frau Krisper, bitte schön: Einstiegsstatement.
Stephanie Krisper (Abgeordnete zum Nationalrat, NEOS): Ich versuche, die Frage in 1 Minute zu beantworten: Warum Menschenrechte? – Ich komme aus dem Menschenrechtsbereich, hatte auch einen Fokus auf Antifolter, kenne deswegen auch Dr. Mirzaei schon lange und auch die Problematiken teilweise. Ich finde es sehr positiv, dass wir uns heute nicht nur einem Land widmen, sondern zweien, wobei wir uns eigentlich auch über diese Länder hinaus – Sie haben gesagt, das Ranking zeigt natürlich viele Regionen der Welt, in denen es autokratische, diktatorische Regime gibt – überlegen können: Wie können wir in Österreich – und darum geht es mir: was können wir tun, wirklich konkret tun? – mehr machen, auch wenn wir vermeintlich ein kleines Land in einem älteren Kontinent sind? – Darum geht es mir.
Im Parlament – Ewa Dziedzic hat das ausgeführt – gibt es ein gutes Miteinander von einzelnen Personen, aber die Frage ist: Wie können wir eine Regierung auch dazu bringen, mehr zu tun in der Außenpolitik, die wertebasiert sein muss, völkerrechtliche Regeln im Sinne des Rechtsstaates international hochhalten und vertreten muss – in Worten, in jeder Verhandlung, bei jedem Treffen mit den entsprechenden Vertretern von autokratischen Regimen? Was können wir tun für die Sicherheit der Exilgemeinschaften, auch gegen radikale Tendenzen in Österreich?
Darum geht es mir – und das war fast 1 Minute.
Nana Walzer: Vielen Dank!
Herr Schilchegger, bitte schön.
Michael Schilchegger (Mitglied des Bundesrates a. D., Rechtsanwalt): Ja, die Menschenrechte sind natürlich eine zivilisatorische Errungenschaft, hinter die wir nicht zurücktreten wollen. Das hier festzuhalten, ist mir auch ganz wichtig. Ich bin beispielsweise auch nicht der Meinung, dass Österreich aus der Europäischen Menschenrechtskonvention austreten sollte. Ganz im Gegenteil, ich bin sogar der Meinung, dass die Europäische Menschenrechtskonvention auch in vielen Punkten weiterentwickelt werden könnte; also es ist ja nicht so. Insofern sind die Menschenrechte halt doch nicht ganz so universell, denn wir haben ja diese verschiedenen regionalen Kataloge. Da gibt es schon auch andere, sage ich einmal, Staaten – wie zum Beispiel im Fall der amerikanischen Menschenrechtskonvention –, bei denen einige Grundrechte noch viel stärker ausgeprägt sind, als es hierzulande der Fall ist. Aber da diskutieren wir wirklich auf einem Niveau, das natürlich ganz anders ist, als wenn wir hier über die Menschenrechtsverletzungen im Iran und in Afghanistan sprechen. Da sind wir, glaube ich, weit, weit weg vom graduellen Unterschied her, der sich hier zeigt.
Ja, wir haben damals –ich glaube, 1848 – die Grundrechte mit der Waffe in der Hand auch in einer Revolution bei uns hierzulande erkämpft, und die Geschichte zeigt, dass sich das dann auch einmal sozusagen in Richtung Menschenrechte weiterentwickelt hat. Sie haben es, glaube ich, im Zuge Ihrer Moderation einmal angesprochen: Vor 80 Jahren war es ja auch hierzulande in Mitteleuropa noch nicht so, dass wir hier die Menschenrechte geachtet hätten – ganz im Gegenteil, ganz im Gegenteil! –, und vor dem Hintergrund dieser Erfahrung ist es, glaube ich, für uns im Westen mittlerweile selbstverständlich, hier auf diesem hohen rechtsstaatlichen Niveau sprechen und leben zu dürfen, und dafür sollten wir auch dankbar sein. Ich glaube, das ist - -
Nana Walzer: Ein guter Punkt für das - -
Michael Schilchegger: - - die Minute gewesen.
Nana Walzer: Vielen Dank! – Wir werden uns heranpirschen: Jede Frage wird komplexer, und Sie werden trotzdem kürzer antworten. Ich glaube daran.
Zweite Fragerunde! Der Gerechtigkeit halber – Sie haben es mir vorhin zugeflüstert – werden wir jede Fragerunde bei jemandem anderen beginnen, und ich darf die nächste Fragerunde gleich bei Ihnen beginnen, Herr Schilchegger.
Es ist in diesem Fall dieselbe Frage an alle. Es geht themenmäßig um die Verantwortung: Wer hat denn die Verantwortung für die Durchsetzung und Umsetzung der Menschenrechte? – Ich darf dazu wieder ein bisschen ein Framing liefern: Man würde sich ja wünschen, es gäbe da irgendwie so Friedenskräfte, die dann wohin stürmen könnten und sagen könnten: So nicht! – Die Blauhelme würden für diesen Job eigentlich infrage kommen, die Friedenstruppen der Vereinten Nationen. Sie werden ja von den Mitgliedstaaten der UN für Einsätze bei Friedenssicherungsmaßnahmen gesandt.
Etwa die Hälfte der Missionen der Blauhelme haben tatsächlich Menschenrechtsaufgaben im Mandat. Doch ist der UN-Sicherheitsrat kein Menschenrechtsgremium, und das Entsenden der Blauhelme braucht die Zustimmung der Konfliktparteien. Das ist im Fall des Iran schon einmal unüberwindbar.
Militärisch eingreifen darf die UNO auch nur zur Sicherung des Weltfriedens, und das auch nur, wenn kein Land der fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates sein Vetorecht ausübt. Unter diesen fünf ständigen Mitgliedern befinden sich aber China und Russland. Die haben die Macht, Einsätze zu verhindern, und sie nutzen sie auch. Das jüngste Beispiel: die offizielle Stellungnahme des UN-Sicherheitsrates, die ich bereits angesprochen habe, gegen dieses Tugendgesetz der Taliban. Das haben nur zwölf der 15 Mitglieder im UN-Sicherheitsrat unterstützt. China, Russland und Algerien waren nicht darunter. Das hat natürlich, wie wir wissen – logisch! –, machtpolitische Gründe. Das ist wenig überraschend, aber macht das Ganze nicht einfacher.
Jetzt kommt die Frage an Sie: Wer ist zuständig für die Einhaltung und Durchsetzung der Menschenrechte? Die UNO? Die EU? Die Nationen, jeder Staat für sich selber? Sind es internationale Gerichtshöfe? Sind es gar NGOs oder die Zivilgesellschaft? Jeder Mensch? – 1 Minute. Bitte schön.
Michael Schilchegger: Die Frage hat natürlich zwei Dimensionen: Wie ist es, und wie sollte es sein? Ich glaube, wir sind alle einer Meinung, dass es anders sein sollte, aber es ist leider so – das muss man als Rechtswissenschaftler, glaube ich, nüchtern festhalten –, dass die Staaten für sich genommen für die Durchsetzung und Umsetzung ihrer völkerrechtlichen Verpflichtungen verantwortlich sind. Sie haben es im Zusammenhang mit den Blauhelmen auch ganz kurz angesprochen: Militärische Interventionen scheitern ja nicht nur daran, dass die Blauhelme hier womöglich nicht wirkmächtig wären oder dass sie gar kein Mandat haben, sondern man hat ja bei der amerikanischen Intervention in Afghanistan 2001 gesehen, dass das dann letztlich auch ein unrühmliches Ende genommen hat und unterm Strich – auch wenn es vielleicht 20 Jahre in Frieden waren – aber dann gar nicht so viel erreicht wurde, wie es eigentlich angestrebt wurde. Und das ist natürlich ein trauriger Befund.
Ganz kurz noch zu der Frage, wie man womöglich eine Verbesserung herbeiführen könnte – denn ich weiß nicht, ob das vielleicht dann in einer anderen Runde noch kommt –: Aus meiner Sicht ist es ja nicht nur eine Frage des Dialogs oder ein politikwissenschaftliches oder ein rechtswissenschaftliches Problem, sondern es ist auch eine Frage der Theologie. Wenn wir uns anschauen: Was sind denn die Gemeinsamkeiten? – Na ja, das ist das islamische Rechtssystem, das in beiden Ländern sozusagen gilt. Da tut man sich sehr schwer, wenn die Legitimationsquelle eine göttliche ist, da mit menschlichen Normen und zivilisatorischen Errungenschaften argumentativ kontern zu wollen. Diese Legitimationsquelle der Scharia ist also, glaube ich, ein ganz wesentlicher Punkt, auf den man dann in weiterer Folge aufsetzen müsste.
Nana Walzer: Vielen Dank dafür. Das waren jetzt eineinhalb Minuten. Wir pirschen uns an.
Bitte schön: Wer ist zuständig für die Umsetzung und Durchsetzung der Menschenrechte?
Stephanie Krisper: Ich habe davor gearbeitet in NGOs, bei der UNO, für das Außenministerium im Kriegsgebiet Sri Lanka noch während des Bürgerkriegs, und deswegen habe ich die Wahrnehmung, dass jeder dieser Player potenziell sehr viel für die Menschenrechte beitragen kann innerhalb dieser Konstrukte, die wir uns in besseren Zeiten, nach dem Zweiten Weltkrieg insbesondere, geschaffen haben: UNO, danach Europarat, die Europäische Union hat natürlich auch ein Wertefundament, und entsprechende Gerichtshöfe.
Ich glaube, es muss sich jeder – wie heutzutage auch für Österreich gesagt wird, dass die Demokratie jeden Tag gestärkt werden muss –, es kann sich jeder für Menschenrechte einsetzen, jeder entsprechend innerhalb seiner Funktionen. Je mehr man damit zu tun hat, umso eher besteht hier auch eine Verantwortung. Da schaue ich wieder uns an: Wenn auch von der Diktion in der Politik – die Worte haben Gewalt und haben Macht – die EMRK einfach so weggewischt wird oder infrage gestellt wird, ohne sachliche Argumente, dann schadet das natürlich auch diesem wichtigen Fundament in Europa.
Ich glaube, es gibt unglaublich viele mutige Menschen in den Krisengebieten, in despotischen Regimen noch lebend – auch NGOs, Amnesty included –, die teilweise Beweise generieren über dieses Leid, über die Menschenrechtsverletzungen, sodass die Politik genug Fakten hätte, um Unrecht als Thema in den entsprechenden Gremien aufzugreifen. Und auch hier wieder: Österreich ist ein relativ kleiner Player, aber wir könnten uns da viel öfter auch in Brüssel konstruktiv einbringen – und nicht als Trittbrettfahrer oder überhaupt als einer der Ersten, die bei vielem Nein sagen.
Nana Walzer: Vielen Dank. Einmal alles – wunderbar! –, und schön formuliert.
Bitte schön: Wer ist zuständig?
Ewa Ernst-Dziedzic: Also grundsätzlich und auf Ihre erste Frage bezogen: Menschenrechte sind der Garant für Frieden, Freiheit, Sicherheit, aber natürlich auch für Demokratie. Insofern sind – wenn man Menschenrechte auch so universell und grundlegend für unser Zusammenleben begreift – alle Akteure, die an den Machthebeln sitzen, auch in der Verantwortung, Menschenrechte zu wahren. Das ist die internationale Staatengemeinschaft genauso wie nationale Regierungen. Das sind wir einzelne Abgeordnete genauso wie die Zivilgesellschaft.
Und da ist natürlich immer die Frage: Wie weit lassen wir auch zu, dass Menschenrechte mit Füßen getreten werden? Wenn wir zulassen, dass Saudi-Arabien den Vorsitz der UN-Frauenrechtskonvention übernimmt, dann brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn Menschenrechte mit Füßen getreten werden. Wenn wir mit den Taliban verhandeln, weil uns Abschiebungen nach Afghanistan wichtiger sind als Menschenrechte, brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn diese sich legitimiert fühlen. Wenn wir wirtschaftliche Beziehungen mit dem Iran weiter ausweiten und naiv sind, was die Atomverhandlungen anbelangt, und dabei mit keinem Wort erwähnen, wie wichtig die Einhaltung der Menschenrechte ist und wie wichtig und notwendig es wäre, dass Iran endlich die Todesstrafe abschafft, dann brauchen wir uns nicht zu wundern, dass Menschenrechte mit Füßen getreten werden.
Nana Walzer: Vielen Dank.
Bitte schön, Herr Troch.
Harald Troch: Ich möchte mit einer Frage an das Publikum beginnen: Wem hier ist bekannt, dass Österreich China den Krieg erklärt hat, und wann das war? Ist das hier historisches Wissen? – Also für mich war es auch ein absolutes Aha-Erlebnis in China, als ich das in der Ausstellung gesehen habe. Im Ersten Opiumkrieg hat eine Allianz europäischer Staaten – die Allianz war damals unter Führung von Fürst Clemens Wenzel Metternich –, das Europa, das nach Napoleon neu aufgeteilt wurde - -
Und was war der Erste Opiumkrieg? – Die europäischen Kolonialmächte inklusive Österreich – es wird Österreich-Ungarn genannt, das hat es unter dieser Bezeichnung zur Zeit des Ersten Opiumkriegs noch nicht gegeben, es ist quasi fast 200 Jahre her – wollten China aufteilen, wie sie bereits dabei waren, Afrika aufzuteilen. Ich sage das deshalb, weil ich davor warne, dass Europäer sich als die Gralshüter der Menschenrechte darstellen und sich echauffieren und mit dem Finger nur auf andere Kulturen verweisen. In China ist die Sichtweise anders. Ich bin nicht der Pressesprecher der chinesischen Botschaft, aber der Kampf gegen Armut hat eine andere Bedeutung als in Europa. Und in Europa hat der Kampf gegen Genozid, der Kampf für bürgerliche individuelle Freiheiten aufgrund von Nationalsozialismus und monarchischen Diktaturen eine andere Bedeutung.
Das heißt abschließend: Ich bin auch der Meinung des Kollegen, wir müssen die Menschenrechte weiterentwickeln, nicht reduzieren, auch in Richtung sozialer Rechte, Frauenrechte, Rechte sensibler Gruppen gehen und auch das Thema Armut auch in Europa ansprechen.
Nana Walzer: Vielen Dank für diese Einschätzung. Wunderbar! (Beifall.)
Bitte schön!
Gudrun Kugler: Also zum Thema China könnte ich einige Menschenrechtsanmerkungen machen. Die lasse ich aber jetzt weg, denn wir haben 1 Minute und es geht um das Thema Iran.
Menschenrechte in ihrer ursprünglichen Idee richten sich ja gegen den eigenen Staat. Das heißt: Wer kann das dann von außerhalb unterstützen? – Da gibt es unterschiedliche Möglichkeiten der Einflussnahme, aber keine übergeordnete Entscheidungshierarchie. Und das ist eigentlich der Grund Ihrer Frage, wenn Sie sagen: Warum können wir da nicht mehr tun?
Ich möchte daran erinnern: Eine Sache, die noch nicht gefallen ist, ist die Rolle des Internationalen Strafgerichtshofs, des ICC, der ja erstmals internationales Recht so umbaut, dass es von internationaler Ebene auf den einzelnen Verbrecher durchgreifen kann. Da wäre vielleicht ein Potenzial, langfristig die Situation zu verbessern.
Also wenn man nur einwirken kann: Wer kann einwirken? – Wirtschaft, Diplomatie, Entwicklungszusammenarbeit und einfach Zusammenarbeit der Staaten. Ich glaube, ein österreichischer Ausspruch, der für mich die richtige Richtung aufzeigt, geht so: Wir müssen dranbleiben, bis es ihnen zu blöd wird!, bis sie also sagen: Jetzt hören wir auf, unsere Bevölkerung zu unterdrücken, denn sonst können wir in der internationalen Staatengemeinschaft nicht mit denen zusammenarbeiten, wo wir möchten und müssen: in der Wirtschaft und in der Entwicklungszusammenarbeit und auf allen anderen Ebenen.
Bis es ihnen zu blöd wird! – Das geht aber nicht, wenn das nur Europa alleine macht – das ist zu wenig, denn dann orientiert man sich einfach anderswohin –, sondern da müssen die internationalen Player möglichst vereint gemeinsam vorgehen, dann kommen wir weiter.
Das, was wir hier im Parlament machen – heute diese Veranstaltung, aber auch unsere Anträge, die wir über Jahre gestellt haben –, sind immer kleine Schritte, die, wenn das viele machen, dann dazu führen, dass es ihnen irgendwann zu blöd wird.
Nana Walzer: Vielen Dank. Ich spüre, wie Sie sich bemühen. Ich bedanke mich dafür.
Zum Thema Zeitmanagement: Wir sind jetzt 10 Minuten drüber, wir haben aber fast eine Viertelstunde später angefangen. Das heißt, es gibt jetzt eine individualisierte Runde und dann eine Blitzlichtabschlussrunde. Sie können also Ihre Magensäfte schon darauf vorbereiten, dass es bald – in absehbarer Zeit – dann auch etwas für sie gibt.
Die nächste Runde inkludiert auch eine kleine Vorstellungsrunde. Wie ich schon angekündigt habe, finde ich es immer spannend, welche Expertise hier vorne sitzt, und ich möchte in diesem Fall im grünen Feld anfangen, mit Ewa Ernst-Dziedzic: Sie sind Menschenrechtssprecherin der Grünen im Nationalrat, waren Sprecherin der Grünen Frauen Österreich und auch Frauensprecherin im Bundesrat. Meine Frage an Sie betrifft also jetzt einmal besonders die Frauen und die Stärkung von Frauenrechten im Angesicht der systematischen Diskriminierung und Unterdrückung, etwa in Form des bereits angesprochenen Tugendgesetzes:
Wie geht man denn Ihrer Meinung nach am besten gegen die Institutionalisierung von Unrecht gegen Frauen vor? Wie bekommt man Gerechtigkeit, einen Sinn für Gleichberechtigung in patriarchal-archaische Gesellschaften? – Zwei Fragen in einem, aber im Fall der Taliban gehören sie zusammen.
Ewa Ernst-Dziedzic: Ja, aber tolle Fragen, ganz wichtige Fragen!
Weil vorhin auch die Religion erwähnt worden ist: Ich glaube, diese wird ja meistens in den Gesellschaften auch nur missbraucht, um sozusagen das Patriarchat zu legitimieren – und das ist eigentlich die Wurzel des Problems: wenn eben Machthaber glauben, dass sie am Rücken von Frauen Politik machen können. Genau deshalb ist es sehr oft schwierig, dass man Frauenrechte und Menschenrechte durchsetzt: weil natürlich die Machteliten wenig Interesse daran haben.
Wie institutionalisiert man das? – Indem man sozusagen Genderapartheid wie in Afghanistan beim Namen nennt; indem man beispielsweise die Frauen im Iran, die Revolution im Iran auch konkret unterstützt; indem man Druck auf die Regime aufbaut; indem man Sanktionen beschließt; indem man die Communities in Europa stärkt und bestärkt und vor Verfolgung schützt – aber natürlich auch in Österreich, indem man Gesetze beschließt, beispielsweise gegen Spionage. Da gibt es eine Reihe von Maßnahmen, die man setzen kann, um politischen Druck aufzubauen, und vor allem ist es ganz, ganz wichtig, diesen Regimen klarzumachen: Wir verhandeln nicht mit euch! Wir reden erst mit euch, wenn ihr gewisse Kriterien erfüllt! Und wir biedern uns nicht an euch an, nur weil es vermeintlich um Frauen geht, wie zuletzt beispielsweise bei einer Sitzung, wo wegen der Taliban die Frauen – Politikerinnen, Mandatarinnen, gewählte Repräsentantinnen – den Raum verlassen mussten, auf Geheiß der Taliban! Wenn wir uns als internationale Staatengemeinschaft – ich kann es nur wiederholen – so anbiedern, dann werden wir auch nichts institutionalisieren können, das dem sozusagen entgegenwirkt.
Das heißt, wir haben jetzt schon die Hebel, wir müssen sie nur betätigen. Wir dürfen da nicht naiv sein und uns nicht an diese Regime anbiedern. (Beifall.)
Nana Walzer: Vielen Dank.
Wir kommen zu Stephanie Krisper: Sie sind promovierte Juristin. Zudem haben Sie einen Master in Human Rights and Democratization – das finde ich sehr spannend. Ihr beruflicher Werdegang hat Ihnen das Thema Menschenrechte aus den unterschiedlichsten Blickrichtungen nähergebracht. Es war sehr spannend, zu lesen, was Sie alles gemacht haben: die Arbeit bei internationalen NGOs in verschiedensten Ländern, als mehrfaches Delegationsmitglied beim UNO-Menschenrechtsrat, als Menschenrechtsexpertin der EU-Kommission bei der UNO-Generalversammlung oder auch aus wissenschaftlicher Sicht beim Ludwig-Boltzmann-Institut für Menschenrechte. Oftmals ging es in Ihrer Tätigkeit auch um Asyl und Geflüchtete – Sie haben es vorhin selber schon erwähnt.
Daher die schwierige Frage, die in Österreich auch immer wieder eine Rolle spielt: Welche Rolle spielt denn das Thema Migration und Asyl bei der politischen Auseinandersetzung mit Menschenrechten und auch beim Willen zur Übernahme von Verantwortung, sei es für die Einhaltung von Menschenrechten im Land, aber auch international über die Grenzen hinaus? – 1 Minute ist schwierig, ich weiß. Ich glaube an Sie.
Stephanie Krisper: Beim Blitzlicht werde ich dann noch loswerden, was ich eigentlich zu Iran und Afghanistan sagen wollte, aber ich folge Ihnen und Ihrer Frage.
Ja, ich habe viel auch im Asylbereich und eben auch in Krisengebieten gearbeitet und bin deswegen froh, jetzt auch für das Thema zuständig zu sein, weil es natürlich in Europa ein immer wieder sehr emotional diskutiertes Thema ist, mit dem verständlichen Gefühl – ich glaube, das ist in allen Ländern so –, dass wir hier wenig Kontrolle haben. Und auf dieser Sorge, die deswegen auch in der Bevölkerung Einzug hält, ist es leider möglich, dass gewisse Parteien politisches Kleingeld wechseln und sehr wenige sagen: Ja, wir wollen hier Lösungen nach vorne stellen und solidarisch daran arbeiten!, weil klar ist, dass es von der Anzahl der Menschen, die nach Europa kommen, sehr gering ist – im Vergleich zu denen, die in den Heimatregionen bleiben – und es machbar wäre. Wir haben auch jetzt im Fall der geflüchteten Frauen und Kinder aus der Ukraine gesehen, dass das so ist, dass man mit einem gewissen Willen natürlich Platz schafft. Wir haben natürlich bei Menschen aus gewissen Herkunftsländern andere Integrationserfordernisse, aber an sich können wir als Europa der Herausforderung gerecht werden.
Für uns wäre wichtig, dass man das auf europäischer Ebene solidarisch löst, dass man sagt, man hat an der Außengrenze einen humanen, aber klaren Kontrollmechanismus, klare Kontrollen und entsprechende rechtsstaatliche Verfahren und verteilt dann die Asylwerber, die eine Wahrscheinlichkeit haben, dass sie bleiben können, weil sie aus einem vertreibenden Land kommen, auf die Mitgliedstaaten.
Was wir jetzt erleben, ist ein Runterfahren der Standards, Push-backs, Leid, Chaos und dementsprechend immer wieder ein Zuspitzen der Situation. Die Politik hat sich jetzt eigentlich in Brüssel auf den EU-Migrations- und Asylpakt geeinigt, der am Papier gut wäre, wenn er menschenrechtskonform umgesetzt wird. Ich bin jetzt auch Abgeordnete im Europarat mit Kollegin Penny Bayr und werde weiterhin immer wieder nach Brüssel pilgern, um zu sehen, was Österreich da einmeldet, was wir tun, was die anderen Länder tun und wie da auch die Menschenrechtsstandards hochgehalten werden.
Nana Walzer: Vielen Dank! Also es ist gar nicht so leicht, diese Brücke zu schlagen zwischen: Was passiert hier?, und (Abg. Krisper: Danke für die Frage! – Beifall): Welche Wogen schlagen wir hoch und wie kommt man zu den Menschenrechten?
Ich möchte gerne bei Frau Kugler weitermachen: Sie sind Menschenrechts- und Vertriebenensprecherin des ÖVP-Parlamentsklubs, haben schon als Gemeinderätin einen Fokus auf Menschenrechte und Integration gesetzt, sind selbst promovierte Juristin und Autorin sowie Herausgeberin von Büchern rund um Menschenrechte und Lebensfragen. – Auch bei Ihnen ist das jetzt eine starke Verkürzung des Lebenslaufs.
Ich würde jetzt gerne tatsächlich zum Handeln Österreichs kommen. Wie schätzen Sie denn die Wirksamkeit des politischen Handelns Österreichs in Bezug auf die Einforderungen der Menschenrechte ein? Was wird hier konkret getan? Was zeigt Wirkung? Was fehlt vielleicht noch? – Auch das ist schwierig in 1 Minute, ich weiß.
Gudrun Kugler: Das beginnt damit, dass wir hier im Parlament sehr klar verurteilen, was im Iran und in Afghanistan passiert, alle Menschenrechtsverletzungen aufzählen und verurteilen. Das geht weiter damit, dass die Bundesregierung das aufgreift und diese Verurteilung weiterträgt entsprechend ihren Möglichkeiten und in ihre Gremien, auch innerhalb der EU, und ich glaube schon, dass wir auch sagen können, dass innerhalb der UNO die österreichische Stimme da eine hilfreiche ist. Wir können immer mehr machen, keine Frage, und wir tun das auch. Dass wir heute hier sitzen – wir könnten auch zu anderen Themen hier sitzen –, das ist eine Entscheidung, dass wir dieses Thema aufgreifen, und das zeigt auch, wie wichtig uns das ist und – insbesondere jetzt: zwei Jahre Proteste im Iran – dass uns das eben gar nicht egal ist.
Ich habe es zuerst gesagt: Wirtschaft, Diplomatie, staatliche Zusammenarbeit und Entwicklungszusammenarbeit – vieles davon steht auch unter dieser Überschrift, aber man kann da auf jeden Fall noch an Schrauben drehen, und ich glaube, wir alle, die wir hier sitzen, sind Garanten, dass wir das tun wollen.
Dann haben wir aber auch noch ein Thema innerhalb von Österreich. Ich glaube, wir müssen noch besser zusammenleben. Wir haben jetzt unterschiedlichste Communities, eben auch eine afghanische, auch eine iranische. Ich habe heute meinen iranischen Nachbarn mitgebracht, Hamid Moayedi, der mir zum Beispiel zeigt, was gegessen wird, wie die Kultur und die Bräuche im Iran aussehen, und ich schätze das wahnsinnig und lerne ganz viel von ihm. Ich glaube, wir können hier in unserem Miteinander noch ein bisschen besser werden.
Ein Wunsch an die iranische Zivilgesellschaft in Österreich: Es gibt da Differenzen, und ich bitte euch, diese irgendwie zu überwinden – denn es macht es für uns in der Politik viel leichter, euch zu unterstützen, wenn ihr euch irgendwie einigt. Wie ihr euch einigt, keine Ahnung – ich kenne mich nicht gut genug aus –, aber macht es bitte, denn wir wollen mit euch arbeiten für Freiheit, für Frauen, für das Leben im Iran, und wir tun uns leichter, wenn ihr alle an einem Strang zieht.
Nana Walzer: Vielen Dank! (Beifall.)
Wir kommen zu Herrn Schilchegger: Bei Ihnen geht es mir auch besonders um die Rolle Österreichs in Bezug auf die Menschenrechte. Sie sind selber Rechtsanwalt und sind spezialisiert auf Verfassungsrecht und Grundrechte. Sie waren als Bundesratsmitglied etwa auch stellvertretender Ausschussvorsitzender im Justizausschuss. Wie sieht denn Ihrer Ansicht nach die Verantwortung Österreichs aus, wenn es um die Einhaltung der Menschenrechte geht – innerhalb Österreichs, aber natürlich auch über die Grenzen hinaus und besonders eben, dem heutigen Tag und Anlass entsprechend, im Iran und in Afghanistan?
Michael Schilchegger: Nur ganz kurz zur Rolle Österreichs innerhalb Österreichs: Da liegt vieles im Argen, aber da würde ich jetzt mit der 1 Minute nicht fertig werden. Das sehe ich einfach aus meiner täglichen Praxis als Rechtsanwalt. Das sind natürlich jetzt Dinge, die sich, sage ich einmal, schon auf einem ganz anderen zivilisatorischen Niveau abspielen. Da geht es also nicht um die Verletzung eines Folterverbots oder Ähnliches, sondern da geht es wirklich, sage ich einmal, um rechtsstaatliche Garantien, wie beispielsweise Einhaltung des Doppelverfolgungsverbots oder um das strafrechtliche Bestimmtheitsgebot, das sich ja ableitet aus dem Menschenrecht, dass nur dann, wenn es ein Gesetz gibt, auch eine entsprechende Strafe verhängt werden kann, und diese Dinge – da sind wir also schon sehr, sehr weit vorne –, worüber man dann natürlich auch juristisch geteilter Meinung sein kann.
Wenn ich noch ein bisschen etwas zur Situation im Iran und in Afghanistan sagen darf – ohne jetzt besonders eine Kompetenz im Bereich der Außenpolitik zu haben, aber ich wollte noch einmal auf den Gedanken zurückkommen, dass es ein theologisches Problem ist. Und vielleicht findet sich ja aus der Islamischen Glaubensgemeinschaft heraus doch einmal irgend so ein, jetzt sage ich einmal, Reformator, wie Martin Luther es zum Beispiel bei uns war, der einfach auch bestimmte andere Wege in der Theologie einschlägt, weil ja diese islamistische Theologie, wenn ich es richtig verstanden habe, derzeit auch die Scharia legitimiert und einfach sagt: Das ist ja unser göttliches Rechtssystem, das ist uns ja von Gott so vorgeschrieben worden, und dementsprechend müssen wir das umsetzen, da haben wir überhaupt keine andere Möglichkeit. Wir müssen also diese Strafen, die hier festgeschrieben sind, so auch umsetzen – alles andere ist gotteslästerlich, ist sündhaft und so weiter –, und wenn wir das so umsetzen, dann ist das sozusagen nur der Wille, die göttliche Ordnung wiederherzustellen.
Wenn es da einfach pragmatische womöglich Imame, Islamwissenschaftler, was auch immer, gibt, die womöglich eine Möglichkeit haben, am Verhandlungswege dann immer wieder auf dieser theologischen Ebene entgegenzuwirken, dann ist das vielleicht etwas, das sozusagen diesen fundamentalen Zugang, den die Regime in Iran und in Afghanistan da verfolgen, vielleicht ein bisschen aufweichen kann.
Nana Walzer: Danke für diesen Punkt.
Ich habe aus Zeitgründen eine Frage ausgelassen, die sich damit beschäftigt hätte: Wie argumentiert man denn menschenrechtlich gegen die Scharia? Kann man Menschenrechte überhaupt gegen Autokraten, Diktatoren und Fundamentalisten irgendwie argumentativ vertreten? Wie funktioniert das? – Das sprengt jede Minute dieser Welt.
Wir kommen zurück zur Frage dieser Runde, und das ist jetzt auch eine individualisierte an Herrn Troch: Sie sind Menschenrechts- und Minderheitensprecher der SPÖ, seit über zehn Jahren Nationalratsabgeordneter und auch in der Erwachsenenbildung tätig. Unter anderem halten Sie Vorträge und Workshops zu historischen Themen und politischer Bildung. Wir wissen alle, wie wichtig Bildung und die Vermittlung von Werten für ein friedliches Zusammenleben in aller Diversität sind, keine Frage. Wie kann denn Ihrer Meinung nach die Zivilgesellschaft in Ländern wie dem Iran und Afghanistan am besten unterstützt werden, damit sie die Geschichte ihres Landes verändern kann, archaische, menschenverachtende Kulturen von innen heraus verändern kann? Was kann da getan werden?
Harald Troch: Also ich spreche da einmal ganz klar die offizielle Politik in Österreich an. Was ich mir von einem Außenministerium erwarte, ist, dass wir in der Außenpolitik wieder verstärkt auf die Menschenrechte schauen. Wenn wir zum Beispiel – wir, die Stadt Wien, iranische Ärzte hier – Menschen helfen wollen, die bei Gefängnisaufenthalten grün und blau und rot geschlagen wurden, wenn junge Menschen bei Demonstrationen im Iran ein oder zwei Augen verloren haben, weil die Revolutionsgarden gezielt auf die Augen dieser jungen Menschen schießen, dann muss es vom Außenministerium Visa geben, damit diese jungen Menschen – meistens waren es junge – hier behandelt werden können. Die Stadt Wien, die Spitäler waren bereit. Ewa und ich haben über diese Geschichte diskutiert: Was könnte man konkret tun, damit hier etwas weitergeht?, und es ist nichts weitergegangen. Das finde ich sehr, sehr schade, denn bei diesen Augenverletzungen ist rasche Hilfe gefragt, sonst ist das Auge verloren. – Also das wäre ganz einfach so ein konkreter Punkt.
Ich bin gegen die Schließung von Botschaften – ich sage das auch ganz offen. Meine iranischen Freunde sind nicht alle immer happy, wenn ich das sage, aber wir brauchen die Dialog- und Diskussionskanäle, und wir kriegen auch österreichische Gefangene nur über Dialoge frei. Daher mein Plädoyer: Miteinander reden! Diplomatische Kanäle sind dazu da, um Gespräche zu führen, manchmal auch Druck auszuüben, aber mitunter auch im Land selbst in der Frage von Visa entsprechend zu wirken. Wir haben das sehr erfolgreich in der Zeit des Eisernen Vorhangs gegenüber der Tschechoslowakei getan. Vor allem Bruno Kreisky und auch Kirchschläger – er war ja auch Botschafter – haben da sehr, sehr aktiv gewirkt, dass wir die Menschenrechtsbewegung in den kommunistischen Ländern im Dialog und in Wirtschaftsbeziehungen belebt haben.
Bei Wirtschaftsbeziehungen bin ich allerdings vorsichtiger. Mir ist es ein großes Anliegen, einer Heuchelei, Doppelstandards entgegenzuwirken. Mit Afghanistan ist alles irgendwie klarer, sozusagen die Verurteilung ist klarer – die Wirtschaftsbeziehungen sind schwach. Mit dem Iran sind die Wirtschaftsbeziehungen stark, allein was Energie betrifft, und da ist mir die Regierung viel zu zurückhaltend, weil es um wirtschaftliche Interessen und weniger um Menschenrechte geht - -
Nana Walzer: Ich darf Sie an - -
Harald Troch: - - und das sehe ich als Doppelstandard.
Nana Walzer: - - diesem Punkt unterbrechen. – Ja, wunderbar, danke schön. (Beifall.)
Wir kommen schon zur Blitzlichtrunde, und die hat genau dieses Thema, nämlich: Was wirkt wirklich? Es geht darum, schnell und effektiv tatsächlich zu helfen, der Bevölkerung zu helfen, echt etwas zu verändern. Die Blitzlichtrunde befasst sich mit der Frage: Was muss geschehen? Was ist die beste Methode? Was ist das erste Mittel? Wie kann es gehen? – Sie dürfen, aber Sie müssen nicht die Minute ausnutzen.
Ich schaue Sie schon an, Frau Krisper – wenn Sie vielleicht beginnen möchten –: Was ist das Beste, Wichtigste, Effektivste, der Schritt schlechthin, um die Lage der Menschenrechte dort zu verändern?
Stephanie Krisper: Ich darf ganz frech anschließen an das, was Kollege Troch gesagt hat, dem ich beipflichte, was die humanitären Visa betrifft. Die letzte Regierung hatte als großes Thema, Menschenrechtsverteidiger zu unterstützen. Dazu würde doch gehören, was andere EU-Mitgliedstaaten machen, nämlich dass man auch Menschenrechtsverteidiger über ein humanitäres Visum nach Europa kommen lässt und hier dabei unterstützt, Sicherheit zu finden, und zwar über einen legalen Weg, oder sie eben so bald wie möglich aus einem Fluchtweg herauszuholen.
Kollege Troch hat am Ende aber auch die Verquickung zwischen Politik und Wirtschaft angesprochen. Wir haben ja jetzt auch mit Russland gesehen – aufgrund des Vertrags mit Putin, des Gasvertrags, durch den wir jetzt energiepolitisch abhängig sind –, wie gefährlich es ist, wenn wirtschaftliche Interessen vor außenpolitischen und sicherheitspolitischen stehen.
Ich glaube dementsprechend – und jetzt komme ich zu meiner Liste, was wir tun müssen –, dass gerade außenpolitisch, wie auch schon gesagt wurde – da sind wir uns in den Worten auch einig –, Werte wieder im Zentrum stehen müssen, die Vertretung von Demokratie und Rechtsstaat. Das muss dann aber auch konkret gelebt werden. Das würde heißen, dass man in Brüssel da auch stärker die Stimme erhebt, dass man sich zum Beispiel dafür einsetzt, dass die Revolutionsgarden auf die Terrorliste kommen, wofür wir in dieser Legislaturperiode schon einen Antrag gestellt hatten. Wenn man da aktiv ist, kann man etwas bewirken. Kamran Ghaderi ist heute hier. Das wurde auch mit anderen Ländern verhandelt, da mehrere Geiseln gleichzeitig wieder nach Hause zu bringen.
Innenpolitisch geht es darum, dass man sich der Exilgemeinschaft annimmt und diese stärkt. Das bedeutet, dass man auch für ihren Schutz sorgt. Über Anfragen von mir wurde klar, dass das Innenministerium nicht einmal eine Gefahreneinschätzung für iranische Aktivisten in Österreich hat. Da kann man viel mehr tun – und auch über Sanktionen natürlich, denn wenn es sich die iranische Diaspora mit Regimenähe hier gemütlich machen kann und hier Geschäfte machen kann und wir dadurch das Regime stützen, führt das ja alles ad absurdum. Also ganz klar: Sanktionen auch nach dem Magnitsky Act gegen Menschenrechtsverletzer!
Gewisse radikale Moscheen et cetera gilt es mehr in den Fokus zu nehmen, öfter zu kontrollieren, da zu handeln!
Auch – und das ist jetzt mittlerweile ein persönlicher Ingrimm, muss ich sagen, weil ich oft mit Betroffenen von Menschen, die im Iran im Gefängnis sitzen, zu tun habe, zum Beispiel jetzt auch mit Maryam, der Schwester von Mahmoud Mehrabi – der Außenminister könnte ein Zeichen setzen, indem er Betroffene trifft – Verwandte, Menschen, die um jemanden bangen, der im Iran inhaftiert ist und vielleicht sogar vor der Todesstrafe, vor der Exekution steht –, wenn auch bei einem Termin einmal im Monat mit allen, die mit ihm reden möchten, aber da ist auch symbolisch viel zu wenig Austausch. Das wäre aber auch moralisch wichtig für die Exilgemeinschaft in Österreich.
Generell geht es darum, dass man einfach, Stichwort Russland, mitdenkt und auch der Bevölkerung, unserer Bevölkerung, die ja leider heute viel zu wenig anwesend ist – außerhalb der Exilgemeinschaften könnten hier viel mehr Österreicher:innen sein –, bewusst macht, dass es eine Gefahr darstellt, wenn man mit despotischen Regimen politisch nicht hart ins Gericht geht; wir sehen das jetzt eben bei Putin. Aber ich möchte auch an eine Rede von einem ÖVP-Abgeordneten in dieser Legislaturperiode erinnern, in der ich Selbstkritik gehört habe. Das war Kollege Engelberg von der ÖVP, der gesagt hat, rückblickend muss er feststellen, dass man als Regierung zu wenig streng mit dem Iran umgegangen ist. Das hat er natürlich nach dem barbarischen Akt der Hamas-Terroristen, dem Abschlachten von israelischen Zivilist:innen, gesagt, aber hier habe man auch viel zu wenig Bestemm, und das wurde langsam erkannt. Doch das muss man erkennen, bevor man selbst betroffen ist – indirekt, durch seine Allianzpartner, wie Israel in diesem Fall ein Thema ist, oder direkt wie im Fall von Russland.
Nana Walzer: Vielen, vielen Dank! (Beifall.)
Herr Schilchegger, was muss als Erstes geschehen? Sie dürfen kürzer als 1 Minute – jetzt hätte ich beinahe Stunde gesagt – sprechen.
Michael Schilchegger: Ich werde mich bemühen. Ganz kurz nur: Ich bin grundsätzlich der pessimistischen Meinung, dass es da keine Patentlösung und auch keinen einfachen Weg gibt. Ich warne auch davor, dass man hier sagt: Wir müssen nur genug Druck aufbauen und noch mehr wirtschaftliche Sanktionen durchsetzen! – Das wird einfach umgangen. So realistisch muss man einfach sein: Es wird umgangen. Der Westen hat auf der Welt nicht mehr jene Wirtschaftsmacht, wie es vielleicht vor 20 Jahren noch der Fall war. Da können natürlich China, Russland, Iran und auch andere Länder, die neutral sind, wie Indien, sich gegenseitig abstützen und sozusagen die westlichen Sanktionen ganz einfach aushebeln – auch über Nachbarländer, über die die Waren, die womöglich dann nicht mehr in das Land direkt hineinkommen, dann einfach vorbeitransferiert werden.
Vor diesem Hintergrund glaube ich auch, man muss trotz allem, auch wenn es schwerfällt, den Dialog offenhalten und darf da auf keinen Fall sozusagen eine Position einnehmen, die, sage ich einmal, Dinge, die möglich sind, noch mehr verunmöglicht. Also nur wenn man überhaupt dialogbereit ist und wenn man sich sozusagen überlegt: Welche Dinge möchte denn das Regime von uns, vom Westen haben, was können wir anbieten?, nur dann wird sozusagen auf diesen klassischen Verhandlungsprinzipien irgendetwas möglich sein, dass man im Gegenzug auch vom Regime, mit dem man ja eigentlich nicht zusammenarbeiten möchte, dennoch etwas erhält, wie zum Beispiel eben wesentliche Verbesserungen zumindest in einzelnen Menschenrechtsfragen oder dass Geiseln freikommen und so weiter und so fort. Ohne das wird es nicht gehen. Dass man einfach zumacht und eine moralische Haltung einnimmt, das halte ich für falsch.
Nana Walzer: Danke schön! Ich möchte mich zwischendurch für Ihre Geduld bedanken. Es ist hoch spannend, aber wir haben es auch bald geschafft, und der Empfang ist bald da.
Drei Blitzlichter haben wir noch. Ich darf Frau Ernst-Dziedzic um ihre Abschlussminute bitten: Was muss dringend geschehen?
Ewa Ernst-Dziedzic: Ich bin froh, dass wir uns im österreichischen Parlament bei diesen Fragen sehr oft sehr einig waren. Gudrun Kugler hat vorhin erwähnt, wie viele Anträge wir gemeinsam beschlossen haben, wie viele Veranstaltungen wir gemeinsam gemacht, Patenschaften übernommen, die Diaspora ins Parlament eingeladen haben.
Die Frage ist natürlich immer jene der Umsetzung, und ja, ich kann nur betonen, wir waren auch immer für humanitäre Visa. Österreich hat eine lange humanitäre Tradition, und da kann man natürlich und sollte man auch entsprechend ansetzen.
Genauso was die medizinische Unterstützung anbelangt: Auch das ist, glaube ich, ein Bereich, in dem man sich in Zukunft stärker dafür einsetzen kann, jenen zu helfen, die diese medizinische Versorgung im eigenen Land aus Menschenrechtsgründen nicht erhalten.
Ich bin als Außenpolitikerin natürlich auch sehr für Diplomatie, die ausgesprochene genauso wie die stille Diplomatie, aber diese darf nie dazu führen, dass wir Terrorregime legitimieren – denn dann nämlich, wie gesagt, biedern wir uns eher an diese an, anstatt dass wir etwas bewirken können. Dieses Nichtanbiedern bedeutet konkret, dass wir beispielsweise die zahlreichen iranischen Pseudodiplomaten konsequent aus Österreich ausweisen. Konsequente Politik bedeutet auch, keine Abschiebungen nach Afghanistan durchzuführen, weil den Menschen dort einfach Terror und Folter droht. Konsequent sein bedeutet natürlich auch Schutz und Unterstützung für die jeweilige Diaspora hier in Österreich. Das heißt auch, dass diese nicht ausgespäht werden darf, bei Demonstrationen beispielsweise, oder dass fragwürdige Spionagezentren, wie eben das eine erwähnte iranische, schlicht geschlossen werden.
Das heißt, die Forderungen, die wir aufgestellt haben, zuletzt in dieser Periode, die letzten fünf Jahre, die sind weiterhin aktuell. Auch die Listung der iranischen Revolutionsgarden als Terrororganisation auf europäischer Ebene wäre hier zu erwähnen, oder die Freilassung der politischen Gefangenen.
Da ich selber nicht mehr kandidiere – abschließende Worte – hoffe ich sehr, dass ich als außerparlamentarische Aktivistin weiterhin jene hier im österreichischen Parlament unterstützen werde, die sich für all diese Dinge weiter starkmachen.
Nana Walzer: Vielen Dank! (Beifall.)
Herr Troch, was muss geschehen als Allerwichtigstes? Es reicht mir auch schon eine Maßnahme.
Harald Troch: Bei einer Maßnahme kann und wird es nicht bleiben – das ist ja unrealistisch.
Ich möchte zuerst auf den Begriff der Sanktionen eingehen: Für mich als Sozialdemokraten haben natürlich auch Sanktionen eine soziale Dimension. Ich bin ganz einfach ein Anhänger des Magnitsky Acts: sehr gezielt Nadelstiche gegen Kriminelle in der Politik. Das Wort ist schon gefallen – ein Lieblingsstichwort von Helmut Brandstätter, muss ich sagen –: der Magnitsky Act. Ich bin gegen allgemeine Sanktionen, auch im Fall von Russland – ich sage das ganz offen. Wir treffen mit dem Abstrafen, zum Beispiel indem wir keine Medikamente mehr liefern – nach Russland, in den Iran, wo auch immer hin; China produziert ja die Medikamente für uns, die treffen wir schon gar nicht –, nur die ärmere Bevölkerungsschicht. Das wird vielfach ignoriert. Die Reichen richten es sich immer, die kriegen immer, auch in Teheran und in Moskau, die Medikamente, die sie brauchen, die Ärmeren nicht.
Daher: Allgemeine Sanktionen treffen immer den ärmeren Teil der Bevölkerung. Daher ein klares Nein.
Dann zum Zweiten: Was ich mir erwarte, ist, dass das offizielle Österreich, die erste Liga der Politik, zum Beispiel einen Politiker wie Ahmad Massoud, den Führer der afghanischen Opposition, nicht ignoriert. Ahmad Massoud war schon bei Macron, meiner Meinung nach mehrfach, aber in Wien schert man sich nicht viel darum. Der Vienna Process for a Democratic Afghanistan ist eigentlich sehr stark von privaten Diplomaten, aber nicht vom offiziellen Österreich angeführt. Österreich war da einmal führend in diplomatischen Aktivitäten. Ich bin natürlich politisch kein Anhänger von Metternich, aber Metternich hat es verstanden, und Metternich war ja auch das Dissertationsthema von Henry Kissinger – ein begnadeter amerikanischer Diplomat, dem ich in vielem beipflichte, auch in der Frage der Russlandpolitik: ein vorsichtiger Umgang mit Russland, ein sensibler Umgang, aber ein produktiver Umgang, ein kontrollierter Umgang.
Da muss ich sagen, Österreich hat außenpolitisch schon einmal aktivere Rollen gespielt, inklusive des Staatskanzlers Metternich – der Wiener Kongress und, und, und –, und da erwarte ich mir auch mit Afghanistan hier einen besseren und offizielleren und freundlicheren Umgang mit diesem Vienna Process for a Democratic Afghanistan. Ich muss sagen, das Außenministerium stellt Visa zur Verfügung – das ist positiv, das lobe ich auch –, aber Wien müsste wieder mehr der Ort von Begegnungen werden. Der neutrale Boden und die österreichische Neutralität fördern Wien als Standort internationaler Organisationen, und auch solche Friedensinitiativen sind in einem neutralen Kontext glaubwürdiger.
Und abschließend - -
Nana Walzer: Ein wunderbarer Punkt, ja.
Harald Troch: Abschließend noch: Auch wir in Österreich – und das zeigt diese Kriegserklärung von Österreich an China, der Wunsch, China zwischen den europäischen Mächten aufzuteilen – haben damals mitgemischt, also diese Geschichten sollten wir kritisch aufarbeiten.
Abschließend auch ein Dankeschön: Ich möchte hier über die Parteigrenze hinweg Wolfgang Sobotka danken. Er war der Erste, mit dem ich geredet habe. Als gelernter Österreicher weiß ich ja, mit wem ich zuerst rede, wenn ich etwas machen will. Ich danke auch Direktor Dossi. Das war nicht einfach, fünf Menschenrechtssprecher und -sprecherinnen, was auch die organisatorischen Details betrifft, hier zu begleiten. Und ich muss sagen: Danke auch für deine Geduld und auch deinen Umgang mit unseren Ansprüchen. Auch wenn wir nicht immer einer Meinung waren, aber es ist etwas Tolles herausgekommen.
Mein letzter Appell ist jetzt – ich bin ein Anhänger von Mahatma Gandhi und von Bertha von Suttner natürlich –: Die Waffen nieder! Das gilt für die Ukraine – und ich möchte ein Beispiel geben, und das Beispiel ist Indien. Nur zu Mahatma Gandhi - -
Nana Walzer: Es wird ein bisschen zu lang jetzt.
Harald Troch: Ihr müsst euch vorstellen: Mahatma Gandhi hat Indien, ein 700-Millionen-Volk, ohne wesentlichen Blutzoll aus dem Kolonialismus geführt – gegen die stärkste Kolonialmacht der Welt, auch militärisch die stärkste Kolonialmacht der Welt. Die richtigen Verbrechen sind leider erst beim Bevölkerungsaustausch genozidartig dann nach 1947/48 passiert. – Danke.
Nana Walzer: Dieser Satz geht hinunter – wunderbar. Vielen Dank! (Beifall.)
Die besondere Fähigkeit, ohne Punkt und Komma zu sprechen, ist wirklich eine - -, ja, gehört zur Grundschule des Politikerdaseins. – Ich halte mich zurück.
Ich gebe Ihnen die Bühne für das Abschlusswort. Vielen Dank, Frau Kugler!
Gudrun Kugler: Ja, danke. – Es wurde viel gesagt, ich möchte nur noch auf zwei Punkte hinweisen. Das eine ist: Ich habe da manches so Negatives durchgehört – Österreich tut nichts und so weiter. Und das sagen wir, während wir hier im Parlament sitzen und die Parlamentsdirektion für das Thema Iran, Afghanistan eine eigene Großveranstaltung organisiert hat?! – Ich bitte darum, zu sehen, dass das, was Österreich tut, nicht selbstverständlich ist, dass nicht jedes Land das tut, dass wir bereit sind, das alles im Austausch zu verbessern, aber ich bitte, diese negative Grundhaltung gegenüber Österreich und der Unterstützung für die Proteste im Iran nicht zu haben. – Das ist eine meiner Bitten.
Die andere Bitte ist die: Wir wissen, Österreich hat vielen Schutzbedürftigen aus dem Iran und aus Afghanistan Schutz gewährt, hat aber über die Migrationsbewegungen auch viele andere Menschen in Österreich aufgenommen, die vielleicht diesem Protest, der Protestbewegung nicht nahestehen. Und ich weiß, dass nach dem 7. Oktober viele Menschen, die ursprünglich aus dem Iran oder aus Afghanistan stammen und jetzt in Österreich leben, das, was Hamas gegen israelische Menschen gemacht hat, gut gefunden haben und auf den sozialen Medien beklatscht haben. Und ich bitte Sie alle – denn niemand von Ihnen ist da dabei –, auf das zu achten und zu sagen: Das geht nicht, und das geht in Österreich nicht!, und uns zu helfen, dagegen vorzugehen, denn sonst finden wir kein Miteinander.
Ich möchte jetzt enden mit einem Gedanken, mit dem ich begonnen habe: Mein Ziel ist es, in der politischen Arbeit lästig zu bleiben, damit es Verbrecherstaaten wie dem Iran, wie den Taliban, aber auch China – Entschuldigung, Harald, muss ich sagen – irgendwann zu blöd wird und dass sie sagen: Wir wollen mit dem Westen arbeiten, und wir müssen aufhören, unsere Bevölkerung gefangen zu halten und zu drangsalieren.
Lästig bleiben! Für dieses Lästigbleiben aber brauchen wir, glaube ich, weiterhin den Austausch mit der Zivilgesellschaft. Darum sind Sie heute auch hier – ich freue mich darüber. Vielleicht nützen wir auch die Gelegenheit, unsere Kontakte auszutauschen. Gemeinsam lästig bleiben, denn, wie ich anfangs gesagt habe, jedes Unrechtsregime hat irgendwann ein Ende! (Beifall.)
Nana Walzer: Ein wunderbares Schlusswort! Ich danke herzlich. (Beifall.) – Ein großer Applaus.
Ich darf Sie wieder bitten.
Harald Troch: Ich wollte nur sagen: Ich habe die Arbeit in dieser Abteilung für die Afghanen positiv erwähnt – und den Wolfgang Sobotka! (Heiterkeit.)
Nana Walzer (erheitert): Goldenes ÖVP-Sternchen!
Ich darf Ihnen in Kürze anbieten, dass Sie hier bis 19 Uhr noch miteinander netzwerken, sich austauschen, gegenseitig Ihre Meinung kundtun. Bevor wir jetzt noch einen Song hören: einen großen, vielleicht jetzt einmal konzertierten Applaus für die Gesprächsrundenteilnehmer dieses schwierigen Gespräches! – Danke schön. (Beifall.)
Zum Abschluss hören wir jetzt noch ein Lied der Formation Association Roots Revival. Es ist ein Lied der Badachschani, es stammt also aus dem nördlichen Afghanistan, und der Komponist ist Mehri Maftun, ein Meister unter anderem an der Dambura, die wir hier auch sehen – das ist die traditionelle zweisaitige Laute. Das Lied heißt – ich bemühe mich – "Chârabâghi Boland".
Ich darf an dieser Stelle jetzt noch das gesamte Ensemble vorstellen: Wir kennen ja schon den Bandleader quasi, wir kennen Elaha Soroor, aber es gibt auch Giuliano Modarelli, Habib Rafie und Haider Khan. – Alle gemeinsam, bitte schön, für das letzte Lied! (Beifall.) – Und Ihnen danke fürs Dasein, danke fürs Zuhören, danke für Ihr Engagement in Sachen Menschenrechte hier vor Ort oder über die Grenzen hinweg!
*****
(Nach Ausführungen auf Englisch folgt ein Musikstück.)
*****
Nana Walzer: Association Roots Revival, vielen Dank!
Ihnen allen herzlichen Dank! Der Empfang steht für Sie bereit. Einen wunderschönen Abend noch! – Danke schön. (Beifall.)