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"Sie wissen, wovon sie schweigen" – Diese Diagnose stellt Stefan Gmünder im Fall der angeklagten Protagonisten in Martin Prinz' neuem Tatsachenroman "Die letzten Tage". Die "Protagonisten" sind in diesem Fall führende österreichische NS-Funktionäre wie etwa Kreisleiter Johann Braun, HJ-Führer Johann Wallner, oder Kreisstabsführer des Volkssturms Josef Weninger. Sie alle sind Angeklagte vor dem Volksgericht in Wien und müssen sich in den Strafprozessen 1947 für die in den letzten Kriegstagen 1945 begangenen Verbrechen verantworten.
Unter dem Deckmantel pseudo-legaler Standgerichte verkündeten und vollstreckten die Genannten und ihre Helfer Todesurteile gegen vermeintliche Deserteure, Gegner:innen des NS-Regimes, oder einfach "Unbequeme" und "Unzuverlässige". Denunziation, Verschleppungen, Folter und Mord bestimmten die Tage zwischen Mitte April und Anfang Mai 1945 im niederösterreichischen Höllental, in den Gemeinden Reichenau, Prein und Schwarzau.
Martin Prinz erzählt in "Die letzten Tage" anhand tausender Seiten Gerichtsprotokolle von diesen Geschehnissen als Teil der sogenannten "Endphaseverbrechen". Wie unter einem Brennglas bündeln sich in den kleinen Gemeinden die Ungeheuerlichkeiten. Hier wird sichtbar, so Prinz, wie die Gewaltgesellschaft eines Staates weiterlebt, wenn der Staat ringsum immer weiter verschwindet.
In der Buchpräsentation samt Lesung und im Gespräch mit Claudia Kuretsidis-Haider (Stellvertretende wissenschaftliche Leiterin des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes) wurde eine Standortbestimmung mit Blick auf die Ausgangs- und Aktenlage der Standgerichte sowie der Volksgerichtsprozesse vorgenommen. Im Zentrum standen Nachwirkungen und Aufarbeitung der Verbrechen, in die – 80 Jahre nach Kriegsende – mit dem Erscheinen des Romans neue Dynamik gekommen ist.