Bibliothek - Aktueller Tipp 21.07.2025

„Pantscher, Fälscher und Kunstweinerzeuger“ – Glykolwein-Skandal 1985

"Frostschutzmittel" im Wein...?

Die Weinwirtschaft in Österreich florierte nach 1945. Zwischen 1980 und 1984 gingen 14 Prozent der Weine ins Ausland. Besonders am deutschen Markt fanden süßere Weine (Spätlese) aus Österreich Absatz. Um aus großen Lagermengen von mittelmäßigem Wein Profit zu schlagen, "versüßten" einzelne Winzer:innen und Weinhändler:innen – betroffen waren vor allem das Burgenland und Niederösterreich – ihre Weine mit billigem und gesundheitlich problematischem Diethylenglykol (Glykol), das auch in Frostschutzmitteln verwendet wird. Der Wein erschien so süßer und voller im Geschmack. Schon Ende 1984 gab es Hinweise auf die illegalen Aktivitäten, ein eigens entwickeltes Nachweisverfahren und gezielte Untersuchungen ließen spätestens im März 1985 die Dimensionen erahnen. Am 23. April ging Landwirtschaftsminister Günter Haiden (SPÖ) damit an die Öffentlichkeit. Bis Juli wuchs sich die Angelegenheit zu einem internationalen Skandal aus, es kam zu Anzeigen und Verhaftungen. Besonders in Deutschland wurde vor dem Konsum österreichischer Weine gewarnt und ein Verkaufsverbot erlassen, Millionen von Flaschen wurden aus den Supermärkten entfernt.

Der österreichische Glykolwein-Skandal erschütterte die österreischische Weinwirtschaft. Erst zu Beginn der 1990er-Jahre gelang es, das verloren gegangene Vertrauen der Konsument:innen wiederzugewinnen.

Die Debatte im Plenum 1985

Innenpolitisch war die Situation aufgeladen, die ÖVP forderte den Rücktritt des SPÖ-Landwirtschaftsministers. Vor der Sondersitzung des Nationalrates am 29. August 1985 protestierten rund 4.000 Weinbauern und Weinbäuerinnen am Ballhausplatz gegen das neue Weingesetz, das viele als schikanös empfanden. Auch ein Treffen zwischen Bundeskanzler Fred Sinowatz (SPÖ) und ÖVP Obmann Alois Mock einen Tag vor der Sitzung führte zu keiner Kompromisslösung. Die Stimmung in der Sondersitzung war angespannt, das von der SPÖ-FPÖ-Regierung vorgelegte Gesetz stieß bei der ÖVP auf heftigen Widerstand. Der verantwortliche Minister Günter Haiden (SPÖ) verteidigte das Gesetz und die vorgesehenen Maßnahmen – die Führung eines Kellerbuchs, Lesegutkontrollen und eine gekennzeichnete Banderole. Der größere Aufwand werde eine höhere Qualität und damit auch höhere Preise bringen, argumentierte er. Abgeordnete der ÖVP, die (wein-)bäuerliche Interessen vertraten, bezeichneten das Gesetz als "unadministrierbar" und "untauglich", die Mehrheit der untadeligen Weinhauer werde für die Verfehlungen einiger weniger verantwortlich gemacht. Das Gesetz sei in einem "Husch-Pfusch-Verfahren" entstanden, meinte Alois Puntigam (ÖVP). Im Gegenteil, so Josef Pfeifer (SPÖ), man habe darum "gerungen", ohne härtere Maßnahmen werde man den Skandal nicht überstehen. Auch Josef Hintermayer (FPÖ) sah die Gesetzgebung angesichts der Vorfälle unter "Zugzwang".

Der Gesetzesvorschlag wurde mit der Mehrheit der Stimmen von SPÖ und FPÖ angenommen. Fortan regelte das Bundesgesetz vom 24. Oktober 1985, BGBl. Nr. 444 ("Weingesetz 1985") den Verkehr mit Wein und Obstwein. Über die Jahre folgten weitere Novellierungen. An einem Zusammenbruch des österreichischen Weinexports konnte das Gesetz nichts mehr ändern. Erst zu Beginn der 1990er-Jahre gelang der Weinwirtschaft – auch durch Marketing – ein Neustart, der das Vertrauen in österreichische Weine wiederherstellte. Die Parlamentsbibliothek bietet im Folgenden Literaturempfehlungen rund um den Glykolwein-Skandal und das Thema Wein im allgemeinen.

Literaturauswahl

  • Deckers, Daniel, Friedrich Zweigelt (1888-1964): Wissenschaftler, Rebenzüchter, Nationalsozialist (Böhlau Verlag, Wien und Köln 2023) – Bestellen
  • Eisenbach-Stangl, Irmgard, Der österreichische Weinskandal von 1985 und seine Folgen, in: Wiener Zeitschrift für Suchtforschung, 15, 4, S. 3-10 – Bestellen
  • Forgó Nikolaus (Hg.), Wenn's Recht viniert: das Weinbuch von und für Juristen (Manz Verlag, Wien 2004) – Bestellen
  • Haiden, Günter, Die österreichische Landwirtschaft und die europäische Integration, in: Österreichische Gesellschaft für Politikwissenschaft (Hg.) (1989,3) S. 290-295 – Bestellen
  • Heinrich-Lenz, Andreas, Das Weinrecht in Österreich von 1880 bis 2003: eine Analyse zur Entwicklung und Standortbestimmung önologischer, qualitätsrelevanter, hygienischer, bezeichnungs- und kontrollmäßiger Aspekte des österreichischen Weinrechtes (Dissertation an der Universität für Bodenkultur, Wien 2003) – Bestellen
  • Herrman, Bernhard, Streibel, Robert, Der Wein des Vergessens: Roman (Residenz Verlag, Salzburg und Wien 2019) – Bestellen
  • Kalina, Walter F., "Auf Bauer - wehr dich!": der Allgemeine Österreichische Bauernverband - die Agrarrebellen der Zweiten Republik (Stocker Verlag, Graz u.a. 2008) – Bestellen
  • Niederbacher, Antonio, Der Wein in der Europäischen Gemeinschaft (Amt für Amtl. Veröff. d. Europ. Gemeinschaften, Luxemburg 1983) – Bestellen
  • Schlesier, Renate, Mischungen im Zeichen von Dionysos und Aphrodite. Trinkgelage und antike griechische Kulturgeschichte (Walter de Gruyter, Berlin und Boston 2004) – Bestellen
  • Schneider, Matthias, Österreichs Weinmarkt und Möglichkeiten zu seiner Stabilisierung: Studie […] im Auftrag des Bundesministeriums für Land- u. Forstwirtschaft (Wien 1991) – Bestellen