Budgetdienst - Anfragebeantwortungen

Auswirkungen des PatVG auf einkommensschwache Bevölkerungsschichten

Analyse vom 4. Juli 2019

Überblick

Im Rahmen einer Entschließung des Nationalrates vom 13. Dezember 2018 wurde der Budgetdienst um die Erstellung einer Studie zu den Auswirkungen des Patientenverfügungs-Gesetzes auf einkommensschwache Bevölkerungsschichten ersucht. In seiner Analyse untersucht der Budgetdienst die mit Errichtung einer Patientenverfügung verbundenen Kosten und die Möglichkeiten einer kostengünstigen bzw. kostenfreien Bereitstellung der erforderlichen Beratungsleistungen insbesondere für einkommensschwache Personen.

Die vollständige Analyse zum Download:

BD - Kurzstudie zu den Auswirkungen des PatVG auf einkommensschwache Bevölkerungsschichten / PDF, 1283 KB

Patientenverfügungen und damit verbundene Kosten

Die rechtliche Verankerung von Patientenverfügungen erfolgte mit dem am 1. Juli 2006 in Kraft getretenen Patientenverfügungs-Gesetz (PatVG). Die neu errichteten, registrierten Patientenverfügungen sind seit dem Jahr 2014 im Durchschnitt um rd. 16 % jährlich auf rd. 7.900 im Jahr 2018 angestiegen. Der Großteil wird nach wie vor bei Notaren (52 % aller seit 2006 registrierten, verbindlichen Patientenverfügungen) und Rechtsanwälten (26 %) errichtet, auf die Patientenanwaltschaften entfallen etwa 22 %.

Die Novelle 2018 zum PatVG hat den Zugang zur Patientenverfügung erleichtert und die Kosten durch die Verlängerung der Verbindlichkeit von 5 auf 8 Jahre, den Wegfall der zwingenden juristischen Beratung bei ihrer Verlängerung, Erneuerung oder Ergänzung und aufgrund der Möglichkeit der juristischen Beratung durch rechtskundige MitarbeiterInnen von Erwachsenenschutzvereinen reduziert. Die Erwachsenenschutzvereine bieten diese Leistung aus Ressourcengründen derzeit jedoch noch nicht an.

Je nach Fallkonstellation fallen für die erstmalige Errichtung einer verbindlichen Patientenverfügung im Regelfall Kosten für die rechtliche Errichtung/Beratung und die medizinische Aufklärung zwischen 250 und 500 EUR und für die Verlängerung von rd. 150 EUR an, können mangels fixer Honorarsätze jedoch auch darüber liegen. Die erforderliche rechtliche Beratung wird kostenfrei bei allen neun Patientenanwaltschaften angeboten, wobei diese Leistung in Oberösterreich und der Steiermark auf einkommensschwache Personen beschränkt ist und es in einzelnen Bundesländern zu längeren Wartezeiten kommt. Die Erläuterungen zur PatVG-Novelle 2018 gehen zwar davon aus, dass die medizinische Aufklärung im Prinzip Teil der ärztlichen Behandlung ist, diese Auffassung wird jedoch vom Hauptverband der Sozialversicherungsträger und teilweise auch in der Fachliteratur nicht geteilt, weil es sich um keine Krankenbehandlung im Sinne des Sozialversicherungsrechts handelt. Eine ärztliche Aufklärung wird teilweise kostenlos als Kulanzleistung erbracht, darauf besteht jedoch kein Rechtsanspruch.

In einer Umfrage im Rahmen der Begleitforschung zum Patientenverfügungsgesetz gaben immerhin 14 % der Befragten an, dass die Kosten einer Patientenverfügung ein Grund für die Nicht-Errichtung waren. Einkommensschwächere Bevölkerungsschichten errichten generell deutlich seltener Patientenverfügungen und für diese werden auch die damit verbundenen Kosten eher einen Grund für die Nicht-Errichtung darstellen. Die PatVG-Novelle 2018 verringert die Kosten, beseitigt die finanziellen Hürden jedoch nicht vollständig.

Möglichkeiten und Modelle einer kostengünstigen oder kostenfreien Bereitstellung

Um die Möglichkeiten einer kostengünstigen oder kostenfreien Bereitstellung insbesondere für einkommensschwache Bevölkerungsschichten auszubauen, könnten bereits existierende Lösungen (kostenfreie Rechtsberatung durch Patientenanwaltschaften, kostenfreie medizinische Aufklärung als Kulanzleistung) oder Alternativen zur verbindlichen Patientenverfügung (zu berücksichtigende Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht) stärker genutzt werden. Dabei sind aber jeweils gewisse Einschränkungen im Zugang oder in der Wirkung gegeben.

Eine darüber hinausgehende Bereitstellung insbesondere der medizinischen Aufklärung durch die öffentliche Hand könnte in unterschiedlichen Organisationsmodellen (Sozialversicherungsleistung, Zuschüsse an Einzelpersonen, Förderung von Trägereinrichtungen, Sozialhilfe) erbracht und als Sachleistung oder als Geldleistung konstruiert werden. Die Kostenübernahme könnte in unterschiedlichem Ausmaß (Gesamtübernahme, Selbstbehalte, Zuschüsse) für alle Bevölkerungsgruppen oder nur einkommensabhängig und bedarfsgeprüft erfolgen. Eine staatliche Finanzierung bzw. Zuschüsse würden voraussichtlich zu einer stärkeren Nutzung des Instruments der Patientenverfügung führen. Eine Eigenbeteiligung der ErrichterInnen würde dabei ein gewisses Regulativ darstellen.

Finanzielle Auswirkungen

Die finanziellen Auswirkungen für die öffentliche Hand wären je nach Ausgestaltung des Modells und der Zielgruppe unterschiedlich hoch. Aufgrund historischer Daten und zahlreicher Annahmen wurden mehrere Varianten einer Kostenschätzung unterzogen, um Bandbreiten der daraus resultierenden finanziellen Belastung der öffentlichen Hand im ersten Jahr der Neureglung aufzuzeigen. Ausgangsbasis bildeten jeweils die im Jahr 2018 registrierten rd. 7.900 formellen Patientenverfügungen, eine angenommene Nachfragesteigerung, eine durchschnittliche Dauer der medizinischen Aufklärung von einer Stunde sowie der Honorarrichtsatz der Ärztekammer.

Bei einer vollen Kostenübernahme durch die öffentliche Hand für die medizinische Aufklärung ohne Einschränkung des Kreises der Anspruchsberechtigten kann, bei Anwendung des vollen Richtsatzes der Ärztekammer von 240 EUR für eine einstündige Beratung, von etwa 2 Mio. bis 3  Mio. EUR an finanziellen Aufwendungen jährlich ausgegangen werden, sofern die Nachfrage durch eine offensive Bewerbung des Instruments nicht stärker als erwartet ansteigt. Kostensenkungen könnten bei einer Abgeltung als Sachleistung durch die Sozialversicherung, bei einer Bündelung der Leistung über die Patientenanwaltschaft, die Erwachsenschutzvereine oder einen anderen Träger sowie bei einer Nachfragedämpfung durch einen betraglich fixierten Zuschuss oder durch die Einführung von entsprechenden Selbstbehalten erzielt werden. Die Modellrechnungen ergaben dafür im ersten Jahr Kosten zwischen rd. 0,5 Mio. bis 1,5 Mio. EUR. Die größte Begrenzung der finanziellen Aufwendungen kann durch eine Einschränkung der Anspruchsberechtigung auf einkommensschwache Personen erzielt werden, wobei auf bestehende Bedarfsprüfungen und Einkommensgrenzen (z. B. Befreiungstatbestände von der Rezeptgebühr, Ausgleichszulage, Sozialhilfe) zurückgegriffen werden sollte. Je nach gewählter Variante würden die Kosten auf rd. 30.000 bis 175.000 EUR sinken. Die Modellrechnungen stellen grobe Schätzungen bestimmter Bandbreiten dar, die bei der Evaluierung und Umsetzung konkreter Lösungen weiter präzisiert werden müssten.