Budgetdienst - Anfragebeantwortungen 07.09.2021

Budgetäre Auswirkungen des EU-Emissionshandels

Anfragebeantwortung des Budgetdienstes

Überblick

Der Abgeordnetet Erwin Angerer (FPÖ) ersuchte den Budgetdienst um die Erstellung einer Kurzstudie zu budgetären Auswirkungen und Unsicher­heiten in Zusammen­hang mit dem Emissions­handels­system der EU sowie zu den budgetären Risiken aus dem EU‑Lastenteilungs­verfahren. Die Analyse beschreibt die Wirkungs­weise der beiden Systeme unter Berücksichtigung der verschärften EU‑Klimaziele. Untersucht werden die Genauigkeit und Transparenz der Budgetierung der Erlöse aus dem Emissions­zertifikate­handel sowie mögliche Kosten einer Verfehlung des für Österreich festgelegten Emissions­minderungs­pfads.

Die vollständige Anfragebeantwortung zum Download:

BD - Anfragebeantwortung zu budgetären Auswirkungen des EU-Emissionshandels / PDF, 1 MB

Kurzfassung

Überblick über die EU-Klimaziele

Mit dem Übereinkommen von Paris bekannten sich die Vertragsparteien dazu, den Anstieg der durchschnittlichen Erdtemperatur deutlich unter 2°C und möglichst auf 1,5°C gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Auf EU‑Ebene sollten die Treibhausgas­emissionen (THG-Emissionen) dazu bis 2030 um 40 % gegenüber 1990 reduziert werden. Das im Juni 2021 beschlossene EU‑Klimagesetz sieht nunmehr deutlich ambitioniertere Ziele vor. Die THG-Emissionen sollen bis 2030 netto um mindestens 55 % gegenüber 1990 reduziert und bis 2050 Klima­neutralität erreicht werden. Die Europäische Kommission (EK) hat dazu am 14. Juli 2021 ein umfangreiches Legislativ­paket „Fit for 55“ vorgeschlagen. Zur Umsetzung der EU‑Ziele werden einerseits für die vom Emissions­handels­system der EU umfassten Bereiche eigene Zielwerte festgelegt, andererseits im Rahmen der EU‑Lastenteilung für die Emissionen der nicht vom EU‑ETS umfassten Sektoren länderweise Reduktions­ziele vorgegeben.

Funktionsweise des EU-Emissionshandelssystems

Das EU‑ETS umfasst die Stromerzeugung, die energieintensive Industrie sowie den Luft­verkehr innerhalb des EWR. Es basiert auf Emissionszertifikaten, die den Inhaber zur Emission von jeweils einer Tonne CO2‑Äquivalenten (CO2eq) berechtigen. Die Ausgabe der Zertifikate erfolgt zu mehr als der Hälfte über Versteigerungen, deren Einnahmen den Mitglied­staaten zufließen, ein Teil der Zertifikate wird kostenlos an Unternehmen zugeteilt. Die Emissionen in den unter das EU‑ETS fallenden Wirtschafts­zweigen sollen bis 2030 um 43 % (61 % gemäß "Fit for 55"-Vorschlag der EK) gegenüber 2005 gesenkt werden. Die EU gibt dazu jährlich sinkende Obergrenzen für die versteigerten bzw. zugeteilten Emissions­zertifikate vor. Da die tatsächlichen Emissionen zum Teil deutlich unter den ausgegebenen Zertifikaten zurückblieben, entstand ein Überschuss an im Umlauf befindlichen Emissions­zertifikaten. Ab 2014 wurden daher zur Versteigerung vorgesehene Zertifikate zurückgehalten ("backloading") und 2019 einer neu eingerichteten Markt­stabilitäts­reserve (MSR) zugeführt.

Einzahlungen aus dem EU-ETS in den Bundeshaushalt und Qualität der Budgetierung

Die Einnahmen aus den für Österreich versteigerten Emissions­zertifikaten fließen dem Bund zu. Die Einzahlungen aus Auktionserlösen in der UG 43‑Klima, Umwelt und Energie schwankten in den Jahren 2013 bis 2017 zwischen 53,3 Mio. EUR (2014) und 79,4 Mio. EUR (2017). Aufgrund einer zu hohen Budgetierung kam es in diesem Zeitraum zu starken Voranschlags­unterschreitungen zwischen 62,3 % und 74,7 %. Dabei wurde insbesondere der Preis mit 15 EUR ab 2014 regelmäßig weit über dem Marktpreis (zwischen durchschnittlich 5,3 EUR und 7,6 EUR) angesetzt. Die ebenfalls zu hoch angenommene Menge berücksichtigte beispielsweise das "backloading" ab 2014 nicht. Für die Jahre 2018 und 2019 wurden die aus dem EU‑ETS veranschlagten Einzahlungen gegenüber den Vorjahren um rund die Hälfte reduziert. Weil der Zertifikatepreis jedoch auf über 15 EUR (2018) bzw. rd. 25 EUR (2019) anstieg, erhöhten sich die Versteigerungs­erlöse, sodass die Voranschlags­werte nunmehr ebenso massiv überschritten wurden. Im Jahr 2020 wurden hingegen die budgetierten Einzahlungen iHv 184,6 Mio. EUR fast exakt erreicht. Da die Berechnungs­grundlagen (Preise und Mengen) für die veranschlagten Einzahlungen zuletzt nicht mehr offengelegt wurden, wird eine Überprüfung der Plausibilität der Budgetierung und eine Ursachenanalyse von Abweichungen erschwert. Insgesamt spiegeln die häufig sehr hohen Voranschlags­abweichungen die Unsicherheiten über die Entwicklung der EU‑ETS‑Einnahmen wider, sie weisen jedoch auch auf Verbesserungs­potenziale bei der Qualität der Budgetierung hin.

Unsicherheiten bei der Budgetierung der Einzahlungen aus dem EU-ETS

Unsicherheiten über die Entwicklung der Versteigerungs­erlöse entstehen aufgrund des nur schwer prognostizierbaren Zertifikate­preis, der in der Vergangenheit zum Teil in kurzen Zeiträumen kräftige Bewegungen aufwies. Auch bezüglich der versteigerten Menge bestehen Unsicherheiten, die vor allem mit der Markt­stabilitäts­reserve zusammenhängen. Im Hinblick auf die künftige Ausgestaltung des EU‑ETS und etwaige Anpassungen der Reduktionsziele gibt es derzeit noch beträchtliche regulatorische Unsicherheiten.

Funktionsweise des EU-Lastenteilungsverfahrens 2021 bis 2030

Für die nicht vom EU‑ETS umfassten Emissionen kommt das EU-Lastenteilungs­verfahren zur Anwendung. Zur Erreichung des EU‑27-Gesamtziels, die umfassten THG-Emissionen bis 2030 um 29 % gegenüber 2005 zu reduzieren, werden länderweise Zielwerte und Minderungs­pfade ab 2021 festgelegt. Im Rahmen der vorgesehenen Flexibilitäts­möglichkeiten können in begrenztem Ausmaß überschüssige Zuweisungen in den Folgejahren genutzt werden ("banking") oder solche des Folgejahres vorweg­genommen werden ("borrowing"). Österreich kann zudem einen Teil ihrer zur Versteigerung vorgesehenen Emissions­zertifikate aus dem EU-ETS für Emissionen im Lastenteilungs­verfahren einsetzen. Auch eine Anrechnung des THG-Nettoabbaus im Bereich der Landnutzung, Landnutzungsveränderung und Forstwirtschaft (LULUCF) ist möglich. Die Mitglied­staaten können Emissions­zuweisungen von anderen Mitgliedstaaten ankaufen, um eine Verfehlung des Reduktions­ziels zu kompensieren. Können keine ausreichenden Emissions­zuweisungen vorgelegt werden, wird ein Strafaufschlag verrechnet. Auch ein Vertrags­verletzungs­verfahren ist möglich.

Budgetäre Risiken aus dem EU-Lastenteilungsverfahren

In Österreich wurden im Jahr 2019 THG-Emissionen iHv 79,8 Mio. t CO2eq ausgestoßen, von denen 50,2 Mio. t CO2eq auf die vom Lastenteilungs­verfahren umfassten Sektoren entfielen. Der für Österreich festgelegte lineare Minderungs­pfad sieht im Jahr 2021 THG-Emissionen iHv 48,8 Mio. t CO2eq vor, die bis 2030 auf 36,5 Mio. t CO2eq reduziert werden sollen, um eine Reduktion um 36 % (48 % gemäß "Fit for 55"-Vorschlag der EK) gegenüber 2005 zu erreichen.

Gemäß den aktuellen Emissionsszenarien des Umweltbundes­amtes verfehlt Österreich dieses Reduktionsziel. Im WEM-Szenario (With existing measures) mit den zum Stand 1. Jänner  2018 verbindlich umgesetzten Maßnahmen sinken die THG-Emissionen bis 2030 gegenüber dem Referenz­wert 2005 lediglich um 18 %. Über den gesamten Zeitraum 2021 bis 2030 wird der für Österreich vorgegebene Minderungs­pfad um 60,4 Mio. t CO2eq überschritten. Im WAM-Szenario (With additional measures) mit den im Nationalen Klima- und Energieplan enthaltenen Maßnahmen liegen die Emissionen im Jahr 2030 rd. 28 % unter dem Referenz­wert 2005 und die Überschreitung des Minderungs­pfads 2021 bis 2030 beträgt kumuliert 25,1 Mio. t CO2eq.

Zum Preis für den Ankauf von Emissions­zuweisungen gibt es bisher kaum Erfahrungswerte, Berechnungen zu den möglichen Kosten sind daher mit hohen Unsicher­heiten behaftet. Bei einem Ankaufspreis von 50 EUR für eine Tonne CO2eq (entspricht einer Annahme des deutschen Bundes­rechnungshofs und liegt im Preisband anderer Projektionen) würden für Österreich in der Lastenteilungs­periode im WAM-Szenario budgetäre Kosten iHv 1,26 Mrd. EUR und im WEM-Szenario Kosten iHv 3,02 Mrd. EUR entstehen. Mit der von der EK vorgeschlagenen Erhöhung des Reduktions­ziels würden die Kosten im WAM-Szenario auf 2,40 Mrd. EUR und im WEM-Szenario auf 4,01 Mrd. EUR ansteigen. Bei einem Durchschnittspreis von 100 EUR verdoppeln sich diese Kosten. Dämpfend können sich dabei Klimaschutz­maßnahmen sowie der technische Fortschritt auswirken.

Das Ausmaß der notwendigen Ankäufe Österreichs kann auch durch die Nutzung von Emissions­zertifikaten aus dem EU‑ETS iHv 1,14 Mio. t CO2eq pro Jahr gesenkt werden. Dadurch reduzieren sich jedoch auch die Erlöse aus der Versteigerung von Emissions­zertifikaten (2021 um 58 Mio. EUR bei einem angenommenen Durchschnitts­preis iHv rd. 51 EUR). Aus einer Übererfüllung der LULUCF-Verordnung können bis 2030 zusätzlich negative Netto-Emissionen von insgesamt bis zu 2,5 Mio. t CO2eq angerechnet werden.