Die vorliegende Kurzstudie untersucht die finanziellen Auswirkungen der für eine Ex-ante-Bewertung hinreichend konkretisierten Maßnahmen des Regierungsprogramms 2020‑2024 im Steuerbereich. Zudem wird die Wirkung der kalten Progression seit der letzten Tarifreform 2016 näher betrachtet und es wird untersucht, inwieweit die geplante Tarifreform die kalte Progression ausgleicht.
Die Reform des Einkommensteuertarifs soll in zwei Stufen erfolgen. Ab 2021 soll der Grenzsteuersatz für die erste Tarifstufe von 25 % auf 20 % gesenkt werden, wodurch es bei der Lohnsteuer zu Mindereinnahmen iHv 1,4 Mrd. EUR kommen wird. Bei der Veranlagten Einkommensteuer kommt es dadurch ab 2022 zu Mindereinnahmen von etwas über 0,1 Mrd. EUR, zusätzlich bewirkt im Jahr 2022 die Senkung der Grenzsteuersätze für die zweite und die dritte Tarifstufe Mindereinnahmen bei der Lohnsteuer iHv 3,5 Mrd. EUR. Ab 2023 betragen die Mindereinnahmen aufgrund der Tarifreform insgesamt 3,9 Mrd. EUR.
Die Erhöhung des Familienbonus führt im Jahr 2022 zu Mindereinnahmen von 125 Mio. EUR, wobei unterstellt wird, dass die Hälfte der Anspruchsberechtigten diesen im Wege der Lohnverrechnung geltend macht. Ab 2023 erhöht sich das Entlastungsvolumen auf 280 Mio. EUR, weil die verbleibende Hälfte den Familienbonus sowie alle Anspruchsberechtigten den Kindermehrbetrag im Veranlagungsweg geltend machen.
Die geplante Umstellung bei der Flugabgabe auf einen einheitlichen Tarif von 12 EUR pro Ticket, führt ab 2021 zu Mehreinnahmen von etwas über 100 Mio. EUR pro Jahr. Durch den neuen Tarif wird die Kurzstrecke, auf die über 85 % der Flüge entfallen, deutlich teurer (Flugabgabe derzeit 3,50 EUR pro Ticket), Langstreckenflüge werden hingegen günstiger (derzeit 17,50 EUR pro Ticket).
Die Senkung der Körperschaftsteuer von 25 % auf 21 % führt je nach Ausmaß der Verhaltensanpassungen zu Mindereinnahmen von 1,2 Mrd. EUR (Semi-Elastizität von 1,5) bis 1,7 Mrd. EUR (keine Verhaltensanpassungen). Die Bemessungsgrundlage steigt infolge der Tarifsenkung unter anderem, weil sich die Steuersenkung positiv auf die Investitionstätigkeit der Unternehmen auswirkt und dadurch mittelfristig zu höheren Unternehmensgewinnen führt, Österreich im internationalen Steuerwettbewerb attraktiver wird und Gesellschaftsformen, die der Körperschaftsteuer unterliegen (z. B. GmbH, AG), attraktiver werden.
Die Mindereinnahmen aufgrund der geplanten Einführung einer Behaltefrist bei der Kapitalertragsteuer für die Steuerbefreiung von Kursgewinnen bei Wertpapieren und Fondsprodukten sind derzeit nicht quantifizierbar, weil Details zur genauen Ausgestaltung (z. B. Dauer der Behaltefrist) noch nicht bekannt sind und Daten zu Umfang und Behaltedauer von steuerpflichtigen Kapitalvermögen dem Budgetdienst nicht zur Verfügung stehen. Das Mehraufkommen infolge der Abschaffung der bis 2010 gültigen einjährigen Behaltefrist wurde vom BMF damals (ex-ante) mit 250 Mio. EUR pro Jahr beziffert. Eine parlamentarische Anfragebeantwortung deutet darauf hin, dass die zu erwartenden Mindereinnahmen bei Einführung einer Behaltefrist unter dem damals angenommenen Wert liegen werden.
Die ausgewiesenen finanziellen Auswirkungen beziehen sich auf den unmittelbaren fiskalischen Effekt der jeweiligen Maßnahme. Allerdings weisen die geplanten Maßnahmen über höhere Umsatzsteuern sowie Verkehrs- und Verbrauchsabgaben einen erheblichen Selbstfinanzierungsgrad auf. Das WIFO schätzt den Selbstfinanzierungsgrad in einer Analyse zur Steuerreform 2015/2016 im Jahr der Reform auf ungefähr 20 %, mittelfristig fällt der Selbstfinanzierungsgrad sogar deutlich höher aus.
Für die Analyse der kalten Progression wird eine Simulationsrechnung zur Entwicklung des Einkommensteueraufkommens 2016 bis 2022 für drei Szenarien durchgeführt (unterschiedliche Berücksichtigung von Familienbonus, Erhöhung Pensionistenabsetzbetrag und SV-Erstattung als Ausgleichsmechanismus der kalten Progression). Die Simulationsrechnung zeigt, dass die kalte Progression durch die geplante Tarifreform in den Jahren 2021 und 2022 im Aggregat mehr als ausgeglichen wird. In den Jahren zwischen den diskretionären Tarifänderungen 2016 und 2021/2022 kam es aber, je nach Vergleichsszenario, zu teils beträchtlichen Mehrbelastungen durch die kalte Progression. Anhand von Beispielhaushalten wird deutlich, dass die individuelle Betroffenheit sehr unterschiedlich ausfällt. Im Jahr 2022 wird die kalte Progression durch die im Regierungsprogramm geplanten steuerlichen Maßnahmen für die meisten, aber nicht für alle Haushalte ausgeglichen. Für Haushalte mit einem geringen Einkommen etwa wird der Effekt der kalten Progression 2022 nicht oder nur geringfügig ausgeglichen. Bei Berücksichtigung des Familienbonus als Ausgleichsmechanismus der kalten Progression besteht ein markanter Unterschied zwischen Haushalten mit und ohne Kinder.